Flussmittelfrei löten mit Ameisensäure: Rehm Thermal Systems kombiniert 30 Jahre Erfahrung mit drei Verfahren – für optimale Benetzung, minimale Poren und rückstandsfreie Verbindungen in der modernen Leistungselektronik.
Dr. Paul WildDr. PaulWild
Dr. Karin HergertDr. KarinHergert
Bild 1 a - c: Lötprozesse mit Ameisensäure von Rehm Thermal Systems.Rehm
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Die Nutzung von Ameisensäure als Reduktionsmittel in Reflow-Lötprozessen blickt bei Rehm Thermal Systems auf eine lange, wenn auch zunächst selektive Historie zurück. Bereits im Jahr 1993 wurden mehrere Infrarot(IR)- und Konvektionslötsysteme mit Ameisensäurefunktion, darunter zwei Anlagen des Typs SMS-N2-2700 und eine SMS-N2-1500 – an Kunden wie Bosch in Wolfenbüttel und Motometer in Leonberg geliefert. Erstere verfolgten damals innovative Ansätze zum Löten von Sensoren, die jedoch nicht zur Serienreife führten.
Bild 2: Schematische Darstellung der zweistufigen Deoxidation mit Ameisensäure stattfindenden Reaktionen in Abhängigkeit der Temperatur.Rehm
Während in den 1990er-Jahren der Fokus klar auf dem bleifreien Löten unter Stickstoffatmosphäre lag, entwickelte sich der Einsatz von Ameisensäure eher projektspezifisch und auf individuelle Kundenwünsche begrenzt. Erst mit dem wachsenden Bedarf an flussmittelfreien Prozessen, um die Porenbildung in den Lötstellen und das Reinigen der Baugruppen zu vermeiden, wurde das Potenzial der Technologie in der modernen Elektronikfertigung strategisch erschlossen.
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Ein erster Schritt zur Integration der Säuretechnologie in Dampfphasenprozesse war 2014 die Auslieferung eines Condenso XS-Kondensationslötsystems mit Ameisensäure an das Fraunhofer IZM in Berlin. Es folgten 2018 mehrere Nexus-Kontaktlötsysteme, bei denen Ameisensäure gezielt zum flussmittelfreien Löten anspruchsvoller Baugruppen eingesetzt wurde.
Bild 3: Zeit-Temperatur-Druckprofil eines Dampfphasenlötprozesses mit Ameisensäure.Rehm
Heute ist Rehm Thermal Systems nach eigenen Angaben weltweit der einzige Hersteller, der den Einsatz von Ameisensäure in allen drei industriellen Reflow-Lötverfahren anbieten kann: Konvektionslöten, Kondensationslöten und Kontaktlöten. Damit eröffnen sich weitreichende Möglichkeiten für den flussmittelfreien Lötprozess, bei dem als weiteres Plus eine nachgelagerte Reinigung erfolgt.
Vorteile des Lötens mit Ameisensäure
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Das Flussmittel in den Lotpasten bringt neben vielen Vorteilen auch einige Nachteile mit sich. Das Flussmittel beim Löten wird zur Entfernung der Oxide und zum Schutz der Oberflächen vor weiterer Oxidation benötigt. Löten auf nicht vorbereiteten Oberflächen führt zu einer schlechten Benetzung und verhindert die Bildung von intermetallischen Phasen. Leider tragen die flüchtigen Bestandteile der Flussmittelchemie zur Bildung von Poren bei. Die nicht flüchtigen Bestandteile bleiben auf der Baugruppe und müssen abgewaschen werden, um z.B. bei anspruchsvollen Umwelteinflüssen die elektrochemische Migration oder bei Hochfrequenzbaugruppen negative Auswirkungen auf die Signalqualität zu vermeiden.
Bild 4: Zeit-Temperaturprofile für Aktivierungszeiten von 45 bis 300 Sekunden.Rehm
Die Entfernung von Metalloxiden durch Ameisensäure erfolgt in einem zweistufigen Prozess, wie in Bild 2 schematisch dargestellt. Im ersten Schritt bei Temperaturen [gt] 150 °C, in der sogenannten Aktivierungsphase, werden Metallformiate gebildet. Einen weiteren Parameter der Aktivierungsphase bildet die Aktivierungszeit. In der zweiten Phase ab Temperaturen von etwa 200 °C zersetzen sich diese Formiate thermisch (z. B. bei Kupfer) oder es kommt zur Reduktion der Oxide zu den reinen Metallen (z. B. bei Zinn- und Silberoxiden). Dabei entstehen reduzierende Gase wie Kohlenmonoxid und Wasserstoff, welche die weitere Oxidreduktion unterstützen. Zusätzlich wirkt das oberhalb der Schmelztemperatur flüssige Lot in der reduzierenden Atmosphäre benetzungsfördernd. So entsteht eine oxidfreie, gut benetzbare Oberfläche auf Kupfer und anderen Metallen. Dieser Prozess ist bei Löttemperaturen über 200 °C effektiv und eignet sich für typische Lötmetalle wie Kupfer, Zinn und Silber. Im Gegensatz zu klassischen Flussmitteln, welche Rückstände hinterlassen und eine Reinigung nach sich ziehen, zersetzt sich Ameisensäure vollständig in gasförmige, flüchtige Produkte (CO₂, CO, H₂O) und ermöglicht so saubere Lötverbindungen ohne Nachreinigung. Folgende Anwendungsbeispiele geben eine grobe Übersicht der Applikationen, bei welchen die Anwendung der Ameisensäure kontinuierlich zunimmt:
Leistungselektronik-Module (IGBTs, MOSFETs)
LED- und Optoelektronik-Module (Sensoren, Kameras)
Am Beispiel der Kombination von Dampfphasenlöten und Ameisensäure, wie diese verstärkt beim Löten von IGBTs auf Kühlkörpern zur Anwendung kommt, werden im Folgenden die Prozessführung und die Besonderheiten dieser Kombination erläutert.
Bild 5 a - d: Röntgendurchstrahlbilder der Dummy-Lötstellen für Aktivierungszeiten von 45 bis 300 Sekunden.Rehm
Poren- und flussmittelfreies Löten von IGBTs auf Kühlplatten
Der verstärkte Einsatz von Invertern – insbesondere solchen mit IGBT-Leistungshalbleitern, die direkt auf Kühlplatten montiert sind – ist das Ergebnis mehrerer ineinandergreifender Entwicklungen. Im Zentrum steht der wachsende Bedarf an Energieeffizienz: Inverter ermöglichen eine präzise, drehzahlgeregelte Steuerung elektrischer Antriebe und senken so den Energieverbrauch in industriellen Anwendungen erheblich. Gleichzeitig leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Senkung von Betriebskosten und zur Reduktion von Emissionen. IGBTs erzeugen während des Betriebs eine hohe Wärme. Um eine Überhitzung und damit thermisch bedingte Ausfälle zu vermeiden, muss diese Wärme schnell und gleichmäßig zur Kühlplatte abgeführt werden. Poren wirken wie isolierende Stellen, da Gase eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit besitzen. An diesen Stellen entstehen die so genannten Hot-Spots, die zum einen zur Überhitzung des Leistungshalbleiters und zum anderen zur temperaturbedingten Degradation des Lotgefüges führen. Eine porenfreie Verbindung sorgt für eine homogene, großflächige Wärmeübertragung. Die Temperaturspitzen im Halbleiter werden reduziert, was die Lebens-dauer und Zuverlässigkeit verbessert.
Das Dampfphasen- oder Kondensationslöten ist ein besonders schonendes Lötverfahren, bei dem die zu lötenden Baugruppen durch Kondensationswärme eines verdampften Mediums – meist Galden – erhitzt werden. Da die maximale Temperatur durch den Siedepunkt des Mediums begrenzt ist, wird ein Überhitzen empfindlicher Bauteile verhindert, was das Verfahren ideal für hochwertige Elektronikbaugruppen in der Medizintechnik, Luft- und Raumfahrt sowie der Leistungselektronik macht. Die Wärmeübertragung erfolgt gleichmäßig und unabhängig von Geometrie oder Bauteildichte, was hohe Prozesssicherheit ermöglicht. Wenn es sich insbesondere um sehr schwere Produkte handelt, bleibt das Dampfphasenlöten alternativlos.
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Bild 6: Röntgendurchstrahlbild eines IGBT auf Kühlplatte nach dem Lötprozess mit 60 Sekunden Aktivierungszeit und 300 µm Preformdicke.Rehm
Bild 3 zeigt das Zeit-Temperatur- und Zeit-Druckprofil eines Dampfphasenlötprozesses mit Ameisensäure (HCOOH) zur Oberflächenaktivierung. Das Verfahren basiert auf dem von Rehm patentierten Injektionsprinzip, bei dem Galden dosiert in die Prozesskammer injiziert wird – erkennbar an den blauen Ausschlägen. Diese kontrollierte Einspritzung ermöglicht eine fein abgestimmte Aufheizung und Aktivierungsphase, bei der parallel HCOOH eingeleitet wird, um oxidierte Metall-oberflächen zu reduzieren. Dank der präzisen Regelung von Druck und Temperatur lassen sich definierte Temperaturprofile exakt umsetzen, was die chemische Reaktion der HCOOH-Aktivierung unterstützt – und erlaubt den Atmosphärenwechsel, der die Nutzung der Aktivierung mittels Ameisensäure möglich macht. Die Kombination aus gleichmäßiger Wärmeübertragung und gezielter Oxidentfernung führt zu voidfreien und rückstandslosen Lötverbindungen – selbst bei Baugruppen mit hoher Packungsdichte und hoher Masse.
Einfluss der Aktivierungszeit
Die Aktivierungszeit im Lötprozess hängt von der Konzentration des Ameisensäuredampfes ab. Die Untersuchungen mit verschiedenen IGBTs und Kühlplatten haben gezeigt, dass die Oberflächenbeschaffenheit und Sauberkeit ebenfalls einen signifikanten Einfluss haben. Um diese zusätzlichen Einflüsse zu untersuchen, wurde bei Rehm eine Testmethodik mit Dummys entwickelt. Diese Testbaugruppen basieren auf einer ähnlichen Materialauswahl und Geometrie wie bei realen Komponennten. Bild 4 zeigt die Temperaturprofile mit Aktivierungszeiten von 45 bis 300 Sekunden.
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Die Ergebnisse der Röntgenuntersuchungen in Bild 5 zeigen tendenziell, dass die längere Aktivierungszeit zu weniger Poren in der Lotschicht führt. Die ermittelten Porenflächenanteile inklusive der nicht benetzten Flächen am Rand der Lötstelle liegen im Bereich von 3 bis 8 %. Da die Aktivierungszeit die Taktzeit direkt beeinflusst, muss beim Profilieren realer Baugruppen die beste Balance zwischen der Porenlimitierung und der Taktzeit evaluiert werden. Desweiteren ist eine längere Aktivierungszeit mit einem höheren Verbrauch an Stickstoff und Ameisensäure verbunden.
Bild 7 a,b: Lotschichtdicke (links) und die Dicke der intermetallischen Phase (rechts) nach dem Löten von einem IGBT auf der Kühlplatte.Rehm
Löten von IGBTs auf Kühlplatten mit Ameisensäure
Aufgrund oben beschriebener Zusammenhänge zwischen der Länge der Aktvierungszeit und der Prozesswirtschaftlichkeit liegt die Aktivierungszeit beim Löten realer Baugruppen, in Abhängigkeit von der Qualität und Sauberkeit vorhandener Materialien und der Porenlimitierung, zwischen 45 bis 90 Sekunden. Im vorliegenden Beispiel wurde bei Rehm ein IGBT mit der Anschlussfläche von 40 x 34 mm mit einem Lotpreform von 300 µm Dicke auf einem Kühler verlötet. Die zu lötende Oberfläche beider Fügepartner ist Kupfer ohne zusätzliche Schutzschichten. Der Prozess richtete sich nach dem Ablauf in Bild 3 und die Aktivierungszeit lag in diesem Fall bei 60 Sekunden. In Bild 6 ist das Ergebnis dieser Lötung als Röntgendurchstrahlbild dargestellt. Die Lötstelle zeigt eine fast porenfreie Anbindung, welche sich sehr positiv auf die Wärmeableitung und damit die Lebensadauer des IGBTs auswirkt. Die angefertigten Querschliffe in Bild 7 zeigen zusätzlich, dass die Lotschichtdicke in Abhängigkeit von der Messstelle erwartungsgemäß zwischen 287 bis 340 µm liegt. Die intermetallische Phase weist eine Dicke von 2,2 bis 3,1 µm auf und entspricht damit dem typischen Bereich fürs Weichlöten auf Kupferoberflächen.
Technologischer Reifegrad und Zukunftsperspektiven des Lötens mit Ameisensäure
Historisch betrachtet begann Rehm Thermal Systems bereits 1993 mit der Integration von Ameisensäure in IR- und Konvektionslötsystemen. 2014 folgte die Lieferung eines CondensoXS-Systems an das Fraunhofer IZM, gefolgt von der Einführung der Nexus-Kontaktlötsysteme ab 2018. Die vorliegenden Untersuchungen bestätigen, dass das Dampfphasenlöten mit Ameisensäure eine hochzuverlässige Technologie für das flussmittelfreie Löten ist. Besonders bei großflächigen Leistungshalbleitern wie IGBTs auf Kupferkühlern lassen sich nahezu porenfreie Lötverbindungen erzielen, was die Wärmeableitung verbessert und die Lebensdauer der Bauteile verlängert. Mit dem zunehmenden Trend zu bleifreien, flussmittelfreien Prozessen und dem Bedarf an höchstzuverlässigen Leistungselektronik-Modulen wird der Einsatz von Ameisensäure weiter zunehmen. Zukünftige Entwicklungen werden sich auf eine noch präzisere Prozessregelung, reduzierte Taktzeiten und den optimierten Verbrauch von Stickstoff und Ameisensäure konzentrieren. Besonders in den Bereichen Elektromobilität, erneuerbare Energien und Hochfrequenzelektronik bieten sich hier erhebliche Chancen.
Autoren
Dr. Paul Wild und Dr. Karin Hergert Rehm Thermal Systems GmbH