Frank Blase

Frank Blase: „Wir haben folgenden - zugegeben etwa flapsigen - Satz im Unternehmen: Wenn alle Kunden wüssten, welche Probleme wir für sie lösen könnten, dann wäre unser Umsatz dreimal so groß.“ (Bild: Peter Koller)

Igus treibt das Thema Low Cost Automation mit einer ganzen Familie von Robotersystemen voran. Vor einigen Jahren hatten Sie noch ausgeschlossen, dass Igus in die Produktion von eigenen Robotern einsteigen wird. Was ist denn da passiert?

Frank Blase: Der wesentliche Grund dafür war, dass die Akzeptanz für Kunststoffgetriebe damals noch sehr gering war, was sich inzwischen geändert hat. Der zweite Grund war, dass wir gemerkt haben, dass unsere Kunden aus der Robotik uns eigene Systeme nicht übelnehmen, weil wir einen anderen Zielmarkt haben - nämlich das unterste Preissegment - und ihnen nichts wegnehmen.

Das heißt im Umkehrschluss, dass eine Ausweitung der Igus-Robotik über das jetzige Segment hinaus eher unwahrscheinlich ist, oder?

Blase: Wir sehen eine Begrenzung eher in der Leistungsfähigkeit der Kunststoffgetriebe - und ich empfehle uns, die Kunststoffgetriebe massiv zu verbessern. Das ist uns bei den anderen Komponenten in den letzten Jahren auch gelungen, zum Beispiel Kunststoff-Kugellager mit einer 21-fach höheren Lebensdauer als noch vor zwei Jahren.

Warum nicht den "einfacheren Weg" gehen und Metallgetriebe verwenden?

Blase: Die Verwendung von Kunststoff in solchen Anwendungen ist nun mal unser "Sendungsbewusstsein", das unterscheidet uns von allen anderen. Aber das heißt auch, Kunststoffgetriebe müssen noch besser werden, ehe wir weitere Bereiche abdecken können.  

Zur Person: Frank Blase

Frank Blase
Frank Blase (Bild: Peter Koller)

Frank Blase, Jahrgang 1959, ist der Sohn der Igus-Gründer Günter und Margret Blase. Nach seinem Abitur 1978  hat er an der Texas Christian University in Fort Worth (US-Bundesstaat Texas) studiert und mit einem Master of Business Administration (MBA). Nach einem Traineeprogramm für „Führungskräfte-Nachwuchs“ bei Unilever in Hamburg ist er 1983 als Verkaufsleiter in das Familienunternehmen eingestiegen. Seit 1993 lenkt er als Geschäftsführer die Geschicke von Igus. Als Hobbys betreibt Frank Blase Sport aller Art. Dazu kommen Lesen, Kino, Theater und Kochen. Eine Herzensangelegenheit ist für Blase das Köln-Musical "Himmel & Kölle", das er produziert.

Das heißt, wenn es technisch möglich wäre, würde Igus auch in Konkurrenz zu Kuka oder Universal Robots gehen?

Blase: Das wird nicht passieren. Die Grenzen des Kunststoffs werden verhindern, dass wir mit unseren Robotern 100 Kilo Traglast in hohem Tempo bewegen.

Ich glaube, ein aber zu hören…?

Blase: Aber dieser Markt für die einfache Low-Cost-Automation, der ist riesig. Dazu kommen Entwicklungen, wie der enorme Druck bei Lohnkosten und Lieferketten, der auf vielen Unternehmen lastet, dazu die Inflation. Der Druck, die Produktivität zu steigern, wird dadurch noch einmal stärker und breitet sich vor allem in alle Nischen aus, für die Automatisierung bisher noch kein Thema war.  Daher denken wir, dass wir mit dem eingeschlagenen Weg plus kontinuierlicher Verbesserungen einen riesigen Markt erschließen können.

Dieser Druck auf Unternehmen existiert zum Teil schon länger, warum ist Deutschland noch nicht stärker automatisiert?

Blase: Generell ist die Begeisterung für neue Technologien in der breiten Bevölkerung eher gering. Ich habe vor kurzem einen glaubhaften Artikel gelesen, dass der Algorithmus von TikTok in Europa und den USA komplett anders ist als in China. In China werden die jungen Menschen via TikTok auf spannende technische Entwicklungen gelenkt, etwa im Weltraum oder in der Automatisierung. In Deutschland und USA sehen wir auf TikTok stattdessen tanzende Katzen.  

Frank Blase
Frank Blase im Gespräch mit IEE-Chefredakteur Peter Koller (Bild: IEE)

Diese typische deutsche Sorge um Arbeitsplatzverlust durch technologische Entwicklungen, kombiniert mit dem Erfolg der Industrie in den vergangenen 15 bis 20 Jahren, der andere Themen und Krisen überschattet hat - das hat die Automatisierung in der Breite gebremst.

Wie definieren sie die Zielgruppe für die Low-Cost-Automation von Igus?

Blase: Von VW bis zum Start-up, das Biotechnologie macht oder eine Bäckerei ist aktuell alles dabei. Wir haben hier eine faszinierende Bandbreite an Kunden. Ein Beispiel: Ein Konzern wie Roche Pharma hat über unser Online-Angebot RBTX zwei Roboter-Zellen für ihre Pipetten-Automatisierung bestellt, weil sie günstig und schnell lieferbar waren. Auf der anderen Seite geht das bis zu den wirklich ganz kleinen Firmen, die wir über den RBTXxpert-Videoservice beraten, um deren Automatisierungsbedarf zu bedienen.  

Die Low-Cost-Automation ist ja vom Umsatz her noch ein eher kleiner Bereich für Igus, hat aber schon ein eigenes Gebäude auf dem Werksgelände, wie das?

Blase: Ich glaube fest daran, dass sich für Igus daraus ein wichtiger Unternehmensbereich entwickeln lässt. Wir sind beseelt von dem Thema Low Cost Automation und der Umsetzung dieses Themas - vor allem mit kunststoffbasierten Lösungen - bei RBTX.  

Worum geht es im Wesentlichen bei dem Online-Angebot RBTX?

Blase: Uns geht es hier vor allem darum, den Kunden durch die Klarheit unseres Angebots zu überzeugen: maximal 25.000 Euro Hardwarekosten, maximal 100 Stunden Integration und maximal 12 Monate Return on Investment, lautet das Versprechen. Der Service RBTXpert liefert zudem eine Stunde freie Videoberatung. Wir sehen das als Lean Robotics im Sinne von: Wir nehmen die Nullen aus dem Budget der Kunden heraus.  

Diese Nische zu finden und zu besetzen, klappt immer besser. Beim Redesign von RBTX haben wir uns sehr bewusst an Angeboten wie etwa Airbnb orientiert. Das Ziel ist, dass die Kunden wirklich blitzschnell ihre Lösungen finden, nach dem Motto: Ich brauche eine Lösung für das Kleben und hier sind 10 Klebeanwendungen unter 10.000 Euro mitsamt Stückliste.

Igus hat sich in diesem Zusammenhang auch an einer Firma für Platinenbestückung beteiligt, wo künftig vielleicht auch Motoren gewickelt werden sollen. Warum diese große Fertigungstiefe für einen Bereich, der sehr kostengünstig sein soll wie die LCA?

Blase: Es geht dabei vor allem um Schnelligkeit, um die Fähigkeit, rasch reagieren zu können.  

Also für eine Fertigung in Stückzahlen würden die Komponenten dann eher aus China kommen?

Blase: Tendenz: Richtig. Entweder bleibt es bei kleinen Stückzahlen, dann kann man kundenbezogen fertigen und es auch für einen etwas höheren Preis verkaufen. Oder es wird ein Riesengeschäft, dann muss man sehen, woher man die Komponenten günstig beziehen kann. Das muss nicht in China sein.

Mit dem Wellgetriebe für Roboter aus Kunststoff hat Igus sicher einen Meilenstein vollzogen. Wie weit lässt sich das Thema Konstruktionselemente aus Kunststoff denn treiben?

Blase: Wir werden dieses Jahr voraussichtlich die Milliardengrenze beim Umsatz knacken, und wir bedanken uns bei den Maschinenbauern und Industriekunden sehr herzlich für ihr Vertrauen in Kunststoff!  Wir haben folgenden - zugegeben etwa flapsigen - Satz im Unternehmen: Wenn alle Kunden wüssten, welche Probleme wir für sie lösen könnten, dann wäre unser Umsatz dreimal so groß. Wir könnten heute schon sehr viel mehr Abläufe in den Maschinen schmierfrei gestalten, Gewicht sparen, die Lebensdauer verlängern, als man uns zutraut. Das ist keine Kritik, eher Selbstkritik. Wir verstehen gut die Sorge unserer Kunden, heute ein Teil für 20 Cent einzubauen und morgen eine Reklamation für eine Maschine zu haben, die Millionen Euro kostet.  Es ist unsere Aufgaben, die Konstrukteure zu überzeugen, dass das Risiko sehr gering ist und die Vorteile überwiegen.

Es ist auch nicht unser Plan, jedes Bauteil aus Metall durch eines aus Kunststoff zu ersetzen. Aber es gibt etwas, das wir das 20-Cent-Wunder nennen: Man hat hier ein kleines Gleitlager aus Kunststoff, das kostet 20 Cent bei 100 Stück und das kann man schmierfrei mit hohen Lasten betreiben und sogar im Vorhinein die Lebensdauer berechnen. Das ist einfach ein Beispiel für den Bereich, in dem wir noch enormes Chancen sehen für viele Anwendungen.

Igus mit starkem Umsatzplus 2021

Der Motion-Plastics-Spezialist Igus konnte 2021 einen Umsatz von 961 Millionen Euro verbuchen – das sind 32 Prozent mehr als 2020 und 26 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Geschäftsführer Frank Blase: „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben Wunder vollbracht. Und wir hatten Glück, dass wir unsere Investitionspläne auch im schlechten Jahr 2020 umgesetzt haben.“ Der Plan von 2019, in Produktion und Supply Chain zu investieren, habe geholfen, die sprunghaft gestiegene Nachfrage zu bedienen:

  • Seitdem wurden 80.000 Artikel zusätzlich oder in größeren Mengen auf Lager gelegt.
  • In 15 weltweiten Verteillagern stieg die Quote der Katalogprodukte, die am selben Tag oder in 24 Stunden versendet werden, auf mindestens 25 Prozent.
  • Seit 2020 wurde die Produktion in Köln um 300 Spritzgussmaschinen aufgestockt oder modernisiert. Weitere 200 sind in Bestellung.
  • Das neue Produktionsgebäude in Köln mit zusätzlichen 20.000 Quadratmetern Fläche wird voraussichtlich am 1. Mai 2023 fertiggestellt. Neue Lagerorte für 12.000 Paletten hat man bereits 2021 gebaut. Aktuell entstehen Pläne zur nochmaligen Erweiterung des „igus Campus Köln“, dafür erwarb das Unternehmen angrenzende Flächen mit einer Gesamtgröße von 20.000 Quadratmetern.

Igus agiert in seinem Vertrieb sehr online-orientiert. Kommen dabei auch KI-Lösungen zum Einsatz?

Blase: Wir sammeln im Vertrieb natürlich Daten und werten sie mit KI-Hilfe aus. Etwa, um vorhersagen zu können, wann bei einem bestimmten Produkt der Boom auf uns zukommt und entsprechend vorab produzieren zu können.

Und in Bezug auf die Produkte?

Blase: Da sind wir im Moment sehr stark dran, zum Beispiel in Hinsicht auf das Thema Teileerkennung. Es geht darum, dass der Kunde nur noch sein Smartphone an seine Energiekette hält und das System bis ins kleinste Detail erkennt, um welche Version es sich handelt, und ein einfaches Re-Ordering möglich ist. Das gehört zu unserem Thema Smart Plastics mit eingebetteter Elektronik im Kunststoff. Ich bin ein großer Fan dessen, was mit KI möglich ist.  

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Hüthig)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein, der ihn bei seiner neuen Aufgabe als Chefredakteur der IEE unterstützt.

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