
Qualcomm sieht sich derzeit mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert, nachdem ARM angekündigt hat, die Architekturlizenz zu entziehen. Diese Entscheidung könnte weitreichende Folgen für die Snapdragon-Chipreihe haben, die bislang stark auf ARM-Architekturen basiert. (Bild: Timon @ok AdobeStock)
Der Rechtsstreit zwischen Qualcomm und ARM hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. ARM hat angekündigt, Qualcomm die Architekturlizenz zu entziehen, was weitreichende Folgen für die Chipindustrie haben könnte. Der Konflikt dreht sich um die Übernahme des Start-ups Nuvia durch Qualcomm im Jahr 2021 und die Frage, ob Qualcomm ARM-Lizenzvereinbarungen verletzt hat.
Streitpunkt: Qualcomm übernimmt Nuvia
Im Jahr 2021 erwarb Qualcomm Nuvia für 1,4 Milliarden US-Dollar, um sich fortschrittliche Prozessortechnologie zu sichern, die auf ARM-Architekturen basiert. Ziel war es, leistungsstarke Prozessoren zu entwickeln, die sowohl in Laptops als auch in Smartphones und IoT-Geräten eingesetzt werden sollten. ARM argumentiert jedoch, dass die Übertragung der Nuvia-Lizenz auf Qualcomm ohne Zustimmung ungültig sei, was zu der aktuellen Eskalation führte. Hintergrund ist, dass Arm in der Nutzung dieser Designs allerdings einen klaren Vertragsbruch sieht, da Nuvias Lizenzen nach der Übernahme nicht neu verhandelt wurden.
Qualcomm gegen Arm: Ein Zeitstrahl des Rechtsstreits
Hier ist eine Übersicht des Rechtsstreits zwischen Qualcomm und Arm, der mit Nuvia begann:
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Februar 2019: Nuvia wird von Gerard Williams III (CEO), Manu Gulati (SVP für Silicon Engineering) und John Bruno (SVP für System Engineering) gegründet.
- Williams war zuvor bei Appletätig, wo er fast ein Jahrzehnt die Entwicklung von Apples hoch angesehenen Arm-Prozessoren leitete. Außerdem war er Fellow bei Arm sowie bei TI und Intel. Gulati und Bruno arbeiteten zuvor unter anderem bei Google, Apple und AMD.
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November 2019: Nuvia gibt eine Finanzierung in Höhe von 53 Millionen Dollar bekannt, um Arm-basierte CPUs für Rechenzentren zu entwickeln.
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September 2020: Nuvia erhält weitere 240 Millionen Dollar Finanzierung.
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Januar 2021: Qualcomm kündigt die Übernahme von Nuvia für rund 1,4 Milliarden Dollar an. Interessanterweise wird Arm, ein zentraler Technologiepartner von Nuvia, in der Bekanntmachung nicht erwähnt. Später stellt sich heraus, dass Qualcomm und Nuvia Arm nicht im Voraus über die Übernahme informiert hatten.
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August 2022: Arm reicht eine Klage gegen Qualcomm ein. Darin heißt es:
- Qualcomm habe Nuvia dazu gebracht, gegen bestehende Arm-Lizenzen zu verstoßen, woraufhin Arm diese Lizenzen kündigte. Dies hätte Qualcomm und Nuvia dazu verpflichten müssen, alle unter diesen Lizenzen entwickelten Arm-basierten Technologien zu stoppen und zu vernichten. Trotzdem arbeiteten Qualcomm und Nuvia weiter an der Umsetzung der Arm-Architektur, was laut Arm eine Verletzung ihrer Rechte als Entwickler und Lizenzgeber darstellt. Zudem habe Qualcomm Arm-Marken verwendet, um die entsprechenden Produkte in den USA zu bewerben und zu verkaufen, obwohl diese Produkte nicht lizenziert seien.
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September 2022: Qualcomm reagiert auf die Klage von Arm:
- „Arms Position stellt eine Bedrohung für die gesamte Branche dar. Sollte das Gericht Arms Argumente nicht zurückweisen, könnte Arms extreme Position gegen alle Lizenznehmer verwendet werden, um sich deren Innovationen anzueignen.“
- „Wie dieser Rechtsstreit zeigen wird, haben Qualcomm und Nuvia weder Nuvias ALA noch andere Lizenzvereinbarungen verletzt, noch haben sie Arms Marken missbräuchlich genutzt.“
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Oktober 2023: Qualcomm stellt die Snapdragon Elite X-Serie von Laptop-SoCs vor, die auf Oryon-Prozessor-Kernen basieren, die mithilfe von Nuvia-Technologie entwickelt wurden. AnandTech schreibt:
- „Oryon ist im Grunde genommen eine Übernahme durch Qualcomm. Der CPU-Kern begann als ‚Phoenix‘ und wurde vom Start-up Nuvia entwickelt.
[…] Obwohl Qualcomm die Ursprünge von Oryon nicht besonders hervorhebt, ist klar, dass die Architektur der ersten Generation – basierend auf Arms v8.7-A ISA – tief in den ursprünglichen Phoenix-Designs verwurzelt ist.“
- „Oryon ist im Grunde genommen eine Übernahme durch Qualcomm. Der CPU-Kern begann als ‚Phoenix‘ und wurde vom Start-up Nuvia entwickelt.
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Oktober 2024: Bloomberg berichtet, dass Arm Qualcomm mitgeteilt hat, dass die Architektur-Lizenzvereinbarung (Architecture License Agreement) gekündigt wird.
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Oktober 2024: Qualcomm kündigt den Oryon-2-Kern für die nächste Snapdragon-8-Serie von Smartphone-SoCs an.
Folgen des Lizenzentzugs für Qualcomm
Qualcomm hat die Vorwürfe von Arm entschieden zurückgewiesen und den Lizenzentzug als „substanzlos“ bezeichnet. Ein Unternehmenssprecher betonte, Arm versuche, einen langjährigen Partner zu „drängen“ und höhere Lizenzgebühren zu erzwingen. Qualcomm zeigt sich zuversichtlich, dass seine Rechte im Rahmen der bestehenden Vereinbarung bestätigt werden, und erwartet, dass der Streit zugunsten des Unternehmens entschieden wird.
Ansonsten könnte der Entzug der Architekturlizenz durch ARM Qualcomm in eine schwierige Lage bringen. Qualcomm ist stark auf ARM-Technologie angewiesen, insbesondere für die Entwicklung seiner Snapdragon-Chips, die in einer Vielzahl von Geräten weltweit verwendet werden. Sollte das Unternehmen den Zugang zu ARM-Architekturen verlieren, könnte dies die Produktion und Markteinführung von zukünftigen Produkten wie den geplanten Nuvia-basierten Prozessoren stark beeinträchtigen.
Die betroffenen Prozessoren sollten eigentlich Apples M-Serie herausfordern und Qualcomm im PC-Markt besser positionieren. Ohne die ARM-Lizenz könnte es Qualcomm schwerfallen, diese ehrgeizigen Pläne umzusetzen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Konsequenzen für ARM
ARM geht mit der Kündigung der Lizenz ebenfalls ein erhebliches Risiko ein. Qualcomm ist einer der größten ARM-Kunden, und der Verlust dieses Partners könnte ARM empfindliche Einnahmequellen kosten. Zudem könnte Qualcomm auf alternative Architekturen wie RISC-V umsteigen, eine offene, lizenzfreie Architektur, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Sollte Qualcomm diesen Weg einschlagen, könnte dies ARM langfristig Marktanteile und Einnahmen kosten.
RISC-V als Alternative?
Der mögliche Wechsel zu RISC-V könnte ARM schwer treffen. RISC-V gewinnt immer mehr an Bedeutung, da es ohne Lizenzgebühren verwendet werden kann und flexibler ist. Einige Analysten vermuten, dass Qualcomm die aktuelle Situation nutzen könnte, um sich von ARM zu lösen und sich auf RISC-V zu konzentrieren, was das Lizenzmodell von ARM bedrohen könnte.
Möglicher Wendepunkt für die Chipindustrie
Der Streit zwischen Qualcomm und ARM hat nicht nur für die beiden Unternehmen, sondern auch für die gesamte Chipindustrie weitreichende Konsequenzen. Qualcomm könnte in der Lage sein, alternative Wege zu finden, um ohne ARM auszukommen. Sollte sich der Streit weiter zuspitzen, könnte dies auch andere ARM-Kunden dazu veranlassen, ihre Abhängigkeit von ARM zu überdenken und nach Alternativen zu suchen.
ARM verfolgt offensichtlich die Strategie, mehr Kontrolle über die Nutzung seiner Architektur auszuüben, insbesondere im Hinblick auf den Verkauf an OEMs. Diese Strategie könnte jedoch dazu führen, dass ARM wichtige Partner wie Qualcomm verliert. Die Gerichtsverhandlung zwischen Arm und Qualcomm ist für Dezember 2024 angesetzt. Bis dahin bleibt abzuwarten, ob die beiden Unternehmen eine außergerichtliche Einigung erzielen oder ob der Streit langfristig die Strukturen der Chipindustrie erschüttern wird.