Nachhaltiges Bordnetzt - wie umsetzen?

Nachhaltigere Bordnetzlösungen sind möglich. Die CO₂-Bilanzierung eines Leitungssatzes liefert interessante Erkenntnisse. (Bild: Dräxlmaier Group)

Der CO2-Equivalenzwert (CO2e) ist ein quantifizierbares Nachhaltigkeitsattribut, mit dessen Hilfe sich Produkte und Verarbeitungsprozesse, aber auch der Transport und sogar ganze Industriestandorte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit bewerten lassen. Ingenieure der Dräxlmaier Group sind nun der Frage nachgegangen, wie der CO2e-Footprint eines durchschnittlichen Leitungssatzes aussehen würde, und haben dazu einen rechnerisch ermittelten kundenspezifischen Durchschnittsleitungssatz eines oberen Mittelklassewagens untersucht. Dieser setzte sich aus dem Innenraum-, dem Cockpit- und dem Motorraum-Leitungssatz zusammen.

Warum CO₂-Bilanzierung eines Leitungssatzes? Und wie geht das?

Unser Klima befindet sich im Wandel. Dass CO2-Emissionen drastisch reduziert werden müssen, ist schon lange keine Frage mehr, sondern längst überfällig. Die Europäische Union hat hierzu einen Klimapakt initiiert, der eine Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 festlegt. Die deutsche Regierung hat dieses Ziel sogar in das Jahr 2045 vorverlegt. In der Automobilindustrie werden momentan zahlreiche Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen gestartet, um dieses Bestreben zu erreichen. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Wahl der Materialien, sondern auf sämtlichen Prozessen entlang der Wertschöpfungskette.

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Als Datenquellen für die Komponenten verwendeten die Ingenieure die IMDS-Datenbank, die Dräxlmaier-Komponenten-Datenbank sowie vereinzelt Spezifikationen, wie etwa die LV112. Wegen der großen Datenmengen des betrachteten kundenspezifischen Leitungssatzes wurde ein Abschnittkriterium eingeführt: Alle Komponenten mit einer Take-Rate unter einem Prozent wurden aus der Betrachtung herausgenommen. Zur Allokation kam die Ökobilanzdatenbank GaBi (Februar 2020) der Firma Sphera zum Einsatz. Hier wurden die eingesetzten Materialien inklusive Gewicht, die zugehörigen Verarbeitungsverfahren, der Energie-Mix sowie die Transportmittel und -wege eingetragen und verarbeitet.

Ergebnisse der CO2e-Bilanzierung des Leitungssatzes

In Bild 1 sind die Gewichtsanteile und die Anteile der Emissionen der wichtigsten Werkstoffe dargestellt. Die Verarbeitungsemissionen wurden ebenfalls über die GaBi-Datenbankwerte integriert.

Bild 1: Gewichts- und Emissionsverteilung der verwendeten Werkstoffe im betrachteten Leitungssatz
Bild 1: Gewichts- und Emissionsverteilung der verwendeten Werkstoffe im betrachteten Leitungssatz. (Bild: Dräxlmaier)

Bild 1 zeigt, dass insgesamt 171 kg CO2e für die Herstellung des zirka 37 kg schweren Kabelbaums emittiert werden. Kupfer macht bereits 50 % des Gesamtgewichts aus. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Kabelmaterial, aber auch um die vielen Kontaktelemente der Stecksysteme. An zweiter Stelle befindet sich das PVC als Leitungsisolation mit etwa 12 %. Mit einem Anteil von 11 % steht Polypropylen (PP) an dritter Stelle, das hauptsächlich in den Kabelschächten zum Einsatz kommt. Nachfolgend sind die technischen Kunststoffe zu finden. Aluminiumleitungen fanden keine Verwendung.

Bei den CO2e-Emissionen weist der Anteil des Kupfers 46 % auf. Auf die zweite Position ist nun mit 12 %. der technische Kunststoff PA6.6 gerückt. Als nachfolgende Anteile sind das PVC mit 8 % und das PP mit 6 % errechnet worden.

Obwohl die Elektronik in Form von CAN-Verteilern mit deutlich unter 0,1 % gewichtsseitig kaum auszumachen ist, weist diese mit circa 1 % Emissionsanteil einen verhältnismäßig großen Wert auf, was den hohen Impact von Elektronikbauteilen auf die Emissionswerte verdeutlicht. Bild 2 zeigt, dass unter Berücksichtigung der Logistik eine CO2e-Gesamtemission von zirka 193 kg CO2e für den Leitungssatz entsteht.

Bild 2: Gesamtemissionsverteilung des Leitungssatzes mit Transportemissionen
Bild 2: Gesamtemissionsverteilung des Leitungssatzes mit Transportemissionen. (Bild: Dräxlmaier)

Die nachgelagerte Logistik zum Automobilhersteller mit einer Distanz von ungefähr 1900 Kilometern beträgt etwa 7 %. Die Rücktransporte verwendeter Behältersysteme, wie beispielsweise REPAKs, wurden ebenfalls berücksichtigt. Erfahrungen aus Voruntersuchungen haben gezeigt, dass man für die vorgelagerte Logistik mit zirka 65 % der nachgelagerten Logistik rechnen muss. Somit ergibt sich ein Anteil von ungefähr 4 % für den Transport von den Lieferanten zum Produktionsstandort des Leitungssatzes.

In Summe entstehen in dem betrachteten Leitungssatz etwa 11 % der Emissionen durch den Transport. Eine Reduktion der Transportwege ist hierbei direkt proportional zu den Emissionseinsparungen. Für den ungefähr 37 kg schweren Kabelbaum werden für die Herstellung bis zur Anlieferung beim Automobilhersteller zirka 193 kg CO2e freigesetzt. Zum Vergleich: Der Emissionswert zur Herstellung eines iPhone 8 beträgt 45 kg CO2e, der zur Herstellung eines Dell Notebooks 110 kg CO2e.

Potenziale zur CO₂e-Emissionsreduktion

Der Betrachtungsrahmen für die Herstellung ökoeffizienter Produkte ist vielschichtig. In Bild 3 sind mögliche Maßnahmenbereiche für ein „Ecodesign“ zur Reduktion von Emissionen aufgeführt, die je nach Art des Produkts in unterschiedlicher Intensität zur Anwendung kommen können.

Bild 3: Mögliche Maßnahmen für eine ökoeffiziente Produktentwicklung und zur Emissionsreduzierung
Bild 3: Mögliche Maßnahmen für eine ökoeffiziente Produktentwicklung und zur Emissionsreduzierung. (Bild: Dräxlmaier)

Exemplarisches Szenario zur CO₂e-Reduktion: Materialsubstitution von Leitungskupfer

Der Großteil des Gewichts eines Fahrzeugleitungssatzes besteht aus dem Leitungskupfer. Um Gewicht zu reduzieren, wird bei höheren Leitungsquerschnitten das Kupfer durch Aluminiumleiter ersetzt. Um die Zusammenhänge zwischen Aluminium- und Kupferleitungen zu verdeutlichen, wurden auf einen Meter normierte Leitungen (inklusive PVC-Isolation, ohne Kontaktsysteme) entsprechend der LV112 CO2e-bilanziert. Unter Berücksichtigung der Werkstoffdichten und elektrischen Leitfähigkeiten wurden CO2e-Werte aus der Datenbank GaBi mit dem deutschen Kupfer- und Aluminium-Mix 2019 verrechnet.

In Bild 4 sind die Gewichte und CO2e-Werte von einem Meter Kupfer- und Aluminiumleitungen in Abhängigkeit von der Dauerstromauslegung aufgeführt.

Bild 4: Gewichte und CO2e-Emissionswerte von 1 m langen Kupfer- und Aluminiumleitungen in Abhängigkeit der Dauer-stromauslegung.
Bild 4: Massen und CO2e-Emissionswerte von 1 m langen Kupfer- und Aluminiumleitungen in Abhängigkeit der Dauerstromauslegung. (Bild: Dräxlmaier)

Während beim Gewicht die Substitution von Kupfer- durch Aluminiumleitungen ab circa 10 mm² Querschnittsfläche deutliche Vorteile aufweist, ist bei den CO2e-Emissionswerten kaum ein Unterschied festzustellen. Das Einsparpotenzial wird bei der Verwendung von Sekundärmaterial (Recyclingmaterial) deutlich. Bei Kupfer- und auch Aluminiumleitungen aus Clean Scrap lässt sich bei einem Anteil von 100 % Rezyklatmaterial eine CO2e-Reduktion um bis zu etwa 45 % erreichen. Die Verwendung von Clean Scrap wäre ideal, da es sich hierbei zu 100 % um hauptsächlich postindustriellen sortenreinen Abfall handelt. Dieser wird inklusive Drahtziehen ohne elektrolytische Verfahren pyrolytisch aufbereitet. So ließe sich unter optimalen Kreislaufwirtschaftsbedingungen eine maximale Emissionseinsparung erreichen.

Würde man im oben angeführten exemplarischen Leitungssatz bei allen Leitungen, ohne eine Anpassung der Menge an PVC-Isolationsmaterial wie in Bild 4, das Kabelkupfer durch Aluminium substituieren, ließen sich ungefähr 23 % Gewicht einsparen. In diesem hypothetischen Szenario wäre eine technische oder kaufmännische Realisierbarkeit jedoch noch nicht berücksichtigt. In Bild 5 sind die Emissionswerte pro Kilogramm Material (links) und die Reduktion im betrachteten Leitungssatz (rechts) dargestellt.

Bild 5: CO2e-Emissionswerte von Kupfer und Aluminium und Reduktionspotenzial bei einer Materialsubstitution im beschriebenen Leitungssatz.
Bild 5: CO2e-Emissionswerte von Kupfer und Aluminium und Reduktionspotenzial bei einer Materialsubstitution im beschriebenen Leitungssatz. (Bild: Dräxlmaier)

Gemäß Bild 5 weist Aluminium einen etwa 90 % höheren CO2e-Ausstoß pro Kilogramm als Kupfer auf. Unter der Idealbedingung einer direkten Kreislaufwirtschaft weist ein zu 100 % recyceltes, pyrolytisch aufbereitetes Leitungskupfer nur noch ungefähr 2,0 kg CO2e/kg, ein zu 100 % recyceltes, pyrolytisch aufbereitetes Leitungsaluminium sogar nur noch zirka 1,8 kg CO2e/kg auf. Die Substitution im Leitungssatz unter Berücksichtigung der Stromleitfähigkeit und Dichte würde bei dem Leitungskupfer eine CO2e-Reduktion um etwa 8 % durch Aluminium-Neuware ergeben. Würde man das Leitungskupfer durch das oben genannte 100-prozentige Sekundär-Kupfer ersetzen, könnte man bei den Leitungen ungefähr 60 % CO2e und durch das Sekundär-Aluminium sogar 83 % CO2e einsparen.

Bei der Betrachtung handelt es sich um 16,6 kg Kabelkupfer, welches 8,1 kg Aluminium entsprechen würde. Im gesamten Leitungssatz ließen sich somit in etwa 4 % der Materialemissionen durch die Substitution mit Aluminium-Neuware einsparen. Bei der Verwendung der Sekundärmaterialien wäre im gesamten Bordnetz eine CO2e-Emissionsersparnis um zirka 29 % durch 100-prozentig pyrolytisch rezykliertes Kupfer und sogar um 40 % durch 100-prozentig rezykliertes Leitungsaluminium rechnerisch zu ermitteln.

Gute Datenqualität ist ausschlaggebend für das Ergebnis

Die Ingenieure der Dräxlmaier Group konnten aus ihrem Test zahlreiche interessante Erkenntnisse ziehen: So stellte sich heraus, dass die IMDS-Datenbank zur Ermittlung der materialspezifischen Emissionswerte eine ideale Informationsquelle darstellt. Verwendet wurden ausschließlich Sekundärwerte aus der GaBi-Datenbank. Aktuellere Primärdaten von Werkstoff- bzw. Komponentenherstellern wären wünschenswert gewesen, insbesondere, wenn diese bereits CO2e-Reduktionspotenziale aufgezeigt hätten.

Ein weiteres Fazit: Die Datenqualität der eingesetzten CO2e-Bilanzwerte ist ausschlaggebend für die Genauigkeit der Bilanzierung. Hierbei differieren die Materialwerte der Datenbanken und insbesondere zu den Primärdaten zum Teil erheblich. Folglich ist somit die Auswahl des geeigneten Wertes entscheidend. Aufgrund der Aktualität und des Produktbezugs sollte man den Primärdaten eines Lieferanten eindeutig den Vorzug geben.

Eine weitere Herausforderung ist die Ermittlung der Emissionen aus den eigenen Fertigungsprozessen. Diese lassen sich durch direkte Strommessungen oder aufgezeichnete Stromverbrauchsdaten in Kombination mit dem aktuellen lokalen Strommix berechnen. Auch hier können die Emissionswerte zwischen den Datenbankinformationen und den selbst ermittelten Messwerten erheblich differieren. Die gezeigten Ergebnisse beziehen sich auf einen realen exemplarischen Leitungssatz. Je nach Fahrzeugtyp, dem Herstellungsort, aber auch der Bilanzierungsmethode können die Emissionswerte stark voneinander abweichen.

Ausblick

Obwohl die CO2e-Bilanzierungsmethodik in Normen, wie zum Beispiel der DIN EN ISO 14067, beschrieben wird, ist eine gemeinsame Definition des Rahmens und der Bilanzierungsmethode mit dem Fokus „Cradle to Cradle“ entlang der Lieferkette notwendig. Hierzu ist eine hohe Datentransparenz erforderlich, um langfristig Produktemissionen unterschiedlicher Hersteller miteinander vergleichen zu können. Eine engere Zusammenarbeit und eine transparente Daten-Systematik entlang der Wertschöpfungskette wären daher zwingend erforderlich – und zwar von der Erzmine beziehungsweise der Erdölförderung bis zum OEM.

Das IMDS-Datensystem wäre neben den eingesetzten Werkstoffen und deren Gewichten ein optimaler Informationsträger für CO2e-Werte direkt vom Hersteller. Die IMDS-Datensätze werden jedoch erst nach der Erstbemusterung erstellt, so dass diese in Akquise-Projekten nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen und dadurch die Bilanzierung enorm erschwert wird. Eine geeignete Alternative wäre beispielsweise die Catena-X-Lösung.

Eine Materialsubstitution ist begrenzt möglich. Die Werkstoffherstellung muss daher nachhaltiger erfolgen, ebenso sollte die Verwendung von Rezyklat-Alternativen, wie zum Beispiel biobasierten Kunststoffen, betrachtet werden. Hier wäre eine höhere Gestaltungsfreiheit bei bestehenden OEM-Standards erforderlich. Außerdem kommen immer mehr Elektronikkomponenten in Bordnetzen zum Einsatz. Die Herstellung dieser Bauteile geht zwar mit hohen Emissionswerten einher, doch dank der Miniaturisierung und der Reduktion von Leitungslängen und -querschnitten lässt sich gleichzeitig auch deutlich Gewicht einsparen. Insbesondere in der Nutzungsphase kann der Vorteil der Elektronikverwendung deutlich werden.

Hochinteressant ist die CO2e-Bilanzierung von manuellen Tätigkeiten, etwa bei der Kabelsatzkonfektionierung, da diese im Widerspruch zu einer automatisierten Kabelsatzfertigung steht, denn im Grunde müssten beispielsweise die Produktionsinfrastruktur und das Pendelverhalten der Mitarbeitenden ebenfalls anteilig dem Produkt zugerechnet werden.

Die Transformation in eine nachhaltige Produktentwicklung beinhaltet ein ökologisch optimiertes Produktdesign und die Integration der Attribute „CO2e“ und „Rezyklatgehalt“ in die Prozess- und Tool-Landschaften, was viele Unternehmen vor weitere Herausforderungen stellt. Daher sollte in Zukunft durch eine mögliche CO2e-Bepreisung von Fahrzeugkomponenten der höhere Aufwand bei der Herstellung nachhaltigkeitsoptimierter Produkte kostenseitig belohnt werden. (av)

Dr. Klaus Specht ist Leiter der Abteilung Benchmark und Nachhaltigkeitsmanager Electrical Systems bei der Dräxlmaier Group in Vilsbiburg
(Bild: Dräxlmaier)

Dr. Klaus Specht

Leiter der Abteilung Benchmark und Nachhaltigkeitsmanager Electrical Systems bei der Dräxlmaier Group in Vilsbiburg

Christian Maier ist Leiter des Ressorts Technical Engineering Technology bei der Dräxlmaier Group  in Vilsbiburg.

Christian Maier

Leiter des Ressorts Technical Engineering Technology bei der Dräxlmaier Group in Vilsbiburg

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