Eine sichere Umfelderkennung setzt die Kombination möglichst vieler Signalquellen voraus. Dazu gehören gängige Technologien wie Radar, Kamera, Ultraschall und Infrarot. Man ist sich in der Automotive-Branche einig, dass darüber hinaus Lidar-Sensoren dringend benötigt werden, um die Erkennung, Klassifizierung und das Tracking von Objekten effektiv durchführen zu können (Bild 1).
Um die Lidar-Technologie voranzubringen, haben Systemzulieferer, Komponentenhersteller und Technologieentwickler unterschiedliche technische Ansätze gewählt. Diese unterscheiden sich unter anderem dadurch, dass sie entweder rein mechanisch oder rein elektronisch arbeiten oder beide Ansätze kombinieren. Derzeit in Serie eingesetzte Scanner arbeiten mit beweglichen Teilen und zwar mit rotierenden Spiegeln. Außerdem nutzen verschiedene Anbieter die MEMS-Technologie, bei der die Mikrospiegel von einer Endlage in die andere schwingen. Aktuell im Fokus stehen die auf Halbleiter basierten Solid-State-Lidar-Scanner, die vollkommen auf bewegliche Teile verzichten. Die Technologie gilt als besonders geeignet, um einen optimalen Mix aus Zuverlässigkeit, Performance und Kosten zu gewährleisten. Diesem Konzept haben sich die beiden Kooperationspartner Sensata und Quanergy verschrieben.
Im März 2016 ging der Sensorspezialist Sensata eine strategische Partnerschaft mit Quanergy ein, einem Unternehmen für 3D-Sensorik und Bilderkennung, beispielsweise für den Einsatz im automatisierten Fahren und in Mapping Anwendungen (Bild 2). Zu den Kernzielen der Partnerschaft gehören die gemeinsame Entwicklung, die Produktion und der Vertrieb von Solid-State-Lidar-Sensoren auf Komponentenlevel und deren effiziente und nachhaltige Kommerzialisierung. Quanergy verantwortet dabei die technologische Entwicklung, einschließlich der Simulations- und Perception-Software, Sensata übernimmt Fertigungsdesign, Produktion und Vertrieb der Sensoren. Sensata ist Mitglied im Vorstand von Quanergy und besitzt die exklusiven Vermarktungsrechte für die Solid-State-Technologie für den Einsatz in Fahrzeugen und anderen Bodentransportmitteln. Quanergy hat bereits einen mechanischen Lidar-Sensor, den M8, in Produktion und entwickelt nun zusammen mit Sensata eine Halbleiter-basierte Solid-State-Lösung, die das Prinzip des optischen Phasen-Arrays (OPA) ohne bewegliche Teile nutzt.
Solid-State-Lidar S3
Bereits im Januar haben Sensata und Quanergy auf der CES 2017 in Las Vegas ihren kompakten Solid-State-Lidar-Sensor S3 (Bild 3) präsentiert. Basierend auf Silizium-CMOS-Komponenten generiert der S3 mehr als 300.000 Datenpunkte pro Sekunde. In seiner geplanten Serienausführung emittiert ein OPA-Laser gebündelte Lichtimpulse in einem Winkel von 120 Grad, die von einem SPAD-Array (Single Photon Avalanche Diode) aufgefangen werden. Aus den gewonnenen Daten berechnen verschiedene Signalprozessoren die Time-of-Flight jedes einzelnen Lichtimpulses. Prozessoren wandeln die Rohdaten um in die Point Cloud.
Ein weiterer, ARM-basierter Mikrocontroller generiert daraus eine Objektliste, die als Input für Funktionen zur Kollisionsvermeidung, Objektverfolgung oder Navigation genutzt wird. Das Standard-Design wird eine Reichweite von 150 m bieten, bei einem horizontalen Erfassungswinkel (HFOV) von 120 Grad und einem vertikalen Erfassungswinkel (VFOV) von 10 Grad. Grundsätzlich hat der Solid-State-Lidar den Vorteil, dass aufgrund des Verzichts auf bewegliche Teile weder Abrieb noch De-Justage entstehen können und keine Neu-Kalibrierung im Feld notwendig ist.
Kostenoptimierung durch Skalierbarkeit
Um die Produktkosten – inklusive der Aufwände für die Adaption an das jeweilige Anforderungsprofil – in einen marktgerechten Korridor zu bringen, müssen Lidar-Anwender insbesondere drei Fragen beantworten: Was ist ihre Plattformstrategie für Hard- und Software? Wo im Fahrzeug soll der Scanner eingebaut werden? Wie kann der Entwicklungsaufwand gemeinsam mit dem Zulieferer optimiert werden? Eine Lösung sehen Sensata und Quanergy darin, eine eigene Hard- und Softwareplattform zu entwickeln, die für Standard-Applikationen geeignet ist und sich anschließend nach Vorgaben des Anwenders erweitern lässt.
Wichtiges Merkmal einer solchen Plattform ist die softwaregesteuerte Positionierung des Laserstrahls, eines der Alleinstellungsmerkmale des Solid-State-Sensors S3. Diese Funktion bietet einen wichtigen Vorteil gegenüber dem sequenziellen Scannen der mechanischen Systeme. Der Sensor agiert hier ähnlich einem Auge, das sich sowohl im gesamten Blickfeld hin und her bewegen, als auch einen kleinen Bereich fokussiert analysieren kann. Während im normalen Scannerbetrieb der S3 seinen kompletten horizontalen Sichtbereich zyklisch abtastet, kann er zwischen zwei Messungen diesen Zyklus verlassen, um eine besondere Situation oder ein Objekt näher unter die Lupe zu nehmen.
Das Fenster innerhalb des verfügbaren HFOV, die Punktdichte innerhalb eines jeden Frames sowie die Wiederholrate (Frame Rate) sind – in Abhängigkeit von der Applikation und dem gegebenen Szenario – innerhalb definierter Grenzen frei wählbar. Diese Art der Fokussierung ermöglicht es, Objekte mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erkennen, zu klassifizieren und damit auch präziser zu tracken. Wie in Bild 1 verdeutlicht, ist es möglich, zuerst auf die beiden Rehe zu fokussieren, um in einem zweiten Schritt beispielsweise das Tier, das sich am schnellsten fortbewegt, mit höherer Priorität zu verfolgen. Die softwaregesteuerte Positionierung des Laserstrahls ermöglicht somit die Verwendung der gleichen Geräteplattform für verschiedene Use Cases und Fahrzeugfunktionen, aber auch für unterschiedliche Fahrzeugsegmente: Neben Pkw-Anwendungen werden beispielsweise die Front- und Seitenüberwachung (Side Turn Assist) bei Nkw oder die Analyse der Fahrbahnoberfläche bei Minen- oder Landwirtschaftsfahrzeugen unterstützt.
Der richtige Einbauort
Die erforderliche Performance eines Sensors sowie die zuverlässige Funktion über die definierte Lebensdauer hängen nicht nur vom Gerätedesign ab. Die Platzierung im Fahrzeug spielt eine ebenso große Rolle. Für Lidar-Sensoren bieten sich bestimmte Einbauorte an, wobei es bei jeder Lösung unabänderliche Vor- und Nachteile gibt (Bild 4). Sensata und Quanergy unterstützen den Kunden sowohl in der Simulation der verschiedenen Sensor-Konfigurationen und Installationsorte, als auch in der Evaluierung der technischen und kommerziellen Einflüsse. Dafür kommt eine Simulationssoftware von Quanergy zum Einsatz, die eine Nachbildung der Veränderungen in der Point Cloud als Auswertungstool nutzt.
Ein typischer Anwendungsfall ist die Vorgabe einer definierten Umgebungssituation – beispielsweise einer Kombination aus Fahrzeugen, Passanten und Gebäuden – und daraus folgend die Simulation der Einflüsse von Kriterien wie der Einbauhöhe auf die Ergebnisse der Perception-Software, die optional von Quanergy zur Verfügung gestellt werden kann.
Die Integration der Sensoren an der Windschutzscheibe oder im Scheinwerfer bietet zwar Vorteile – so kann beispielsweise das Sichtfeld durch die vorhandenen Reinigungsfunktionen ohne Zusatzaufwand gewährleistet werden – anderseits ergeben sich aber neue Herausforderungen wie Begrenzungen durch Designvorgaben. Daher bieten Sensata und Quanergy in der Zusammenarbeit mit OEM und Systemhersteller an, zum Beispiel zusammen mit dem Lieferanten von Windschutzscheibe oder Scheinwerfer geeignete Lösungen zu erarbeiten und diese gemeinsam technisch und kommerziell zu bewerten. Dies kann im konkreten Auftrag des Kunden mit definierten Partnern geschehen oder im Rahmen der Konzeptdiskussion als Arbeitsergebnis, das mit diversen Partnern untersucht und dann als Bestandteil des Produktes angeboten wird.
Verkürzung der Time-to-Market
Bei der Entwicklung und Industrialisierung einer neuen Technologie ist es vorteilhaft für OEMs und Systemhersteller, auf die simultane Entwicklung von Use Cases und Funktionen sowie die Industrialisierung des Sensors durch die Verwendung einer geeigneten Entwicklungsumgebung zu setzen. Quanergy stellt dazu ein Paket, bestehend aus mechanischen M8-Sensoren sowie Simulations- und Perception-Software, als Entwicklungstool bereit, um dem Kunden die kontinuierliche Funktionsentwicklung zu ermöglichen, bevor die Solid-State-Sensoren mit den erforderlichen Parametern zur Verfügung stehen. Als Funktionsschnittstelle dient hierbei standardmäßig die Point Cloud. Objekterkennung, -klassifizierung und -tracking können komplett in der Geräteumgebung des Kunden angesiedelt oder als Software-Integration innerhalb der Entwicklungsumgebung umgesetzt werden. Die benötigte Perception-Software wird durch Quanergy bereitgestellt. Wie in Bild 5 zu erkennen ist, lässt sich per Software der für die Simulation eines anderen Sensors – zum Beispiel des S3 – ungültige Bereich ausblenden. Verwendet werden lediglich alle Objekte oder Objektanteile innerhalb des grünen Segments, dessen Größe vom OEM oder Systemhersteller frei bestimmt werden kann.
Sobald die neuen S3-Solid-State-Sensoren verfügbar sind, werden diese anstelle des M8-Scanners eingebaut und mittels marginaler Softwareanpassungen in die Systemarchitektur des Kunden eingebunden. Die Simulationsumgebung unterstützt sowohl die Funktionsentwicklung an sich, als auch die Migration auf die moderne S3-Sensorgeneration. Sensata und Quanergy sehen dadurch eine Möglichkeit, dem OEM den Serieneinstieg in die Solid-State-Lidar-Technologie zu erleichtern und Kosten zu sparen.
Eck-DATEN
Die künftigen Entwicklungen bei Lidar-Sensoren werden entscheidend dazu beitragen, das automatisierte Fahren voran zu bringen. Die Kooperationspartner Sensata und Quanergy setzen mit ihrem Lidar-Scanner S3 auf die Solid-State-Technologie, die als besonders zukunftsweisend gilt, und bieten den Autoherstellern mithilfe einer individualisierbaren Entwicklungs-Zwischenlösung erhöhte Planungssicherheit auf dem Weg zur Serienreife. Der S3 ist zudem derzeit der einzige Lidar-Scanner auf dem Markt, bei dem die Positionierung des Laserstrahls softwaregesteuert frei wählbar ist, um relevante Objekte genauer unter die Lupe zu nehmen.
Winfried Menge
Markus Prison
(ku)