Ofer Ben-Noon (Argus): „Bei der Cybersecurity gibt es keine Silver-Bullet, also kein Wundermittel, keinen Königsweg und keine Wunderwaffe.“

(Bild: Matthias Baumgartner)

Gleich zu Beginn seines Vortrags „Herausforderungen in der Führung – Das Automobil wird Digital“ stellt Dr. Michael Würtenberger, Leiter Entwicklung Fahrdynamik, Systemgestaltung Integration E/E bei BMW, folgendes fest: „Wir sind nicht mehr diejenigen, die die Regeln gestalten.“ Dabei ging es ihm um die Digitalisierung, die als genereller Trend der Computerindustrie besteht und bei der die Computerleistung pro Kosteneinheit permanent ansteigt. Weil das Konsequenzen auf die Neuausrichtung von Unternehmen und damit für die Führungskräfte hat, beschäftigt er sich damit, mit welchen Anforderungen jenseits der Produktthemen die Führungskräfte umgehen können müssen. Führungsprozesse und auch Führungsprinzipien werde die Digitalisierung „stark verändern – mehr als wir uns das vorstellen können“.

Dr. Michael Würtenberger (BMW): „Wenn wir unseren Mitarbeitern nicht gestatten, Fehler zu machen, werden sie langsam.“

Dr. Michael Würtenberger (BMW): „Wenn wir unseren Mitarbeitern nicht gestatten, Fehler zu machen, werden sie langsam.“ Matthias Baumgartner

ECKDATEN

Die Redner auf dem Fachkongress „Fortschritte in der Automobil-Elektronik“:

  • Herausforderungen in der Führung – Das Automobil wird Digital (Dr. Michael Würtenberger, BMW)
  • Mehr als eine Vision: Das vernetzte Fahrzeug im digitalen Leben des Kunden (Sanat Joshi, Amazon)
  • Die Zukunft des vernetzten Autos (Dr. Jesse Jijun Luo, Huawei)
  • Automotive Cyber Security: Im Spannungsfeld zwischen Safety und Security (Ofer Ben-Noon, Argus)

„Wenn wir unseren Mitarbeitern nicht gestatten, Fehler zu machen, werden sie langsam“, lautet sein Fazit zum Thema Fehlerkultur – ergänzt um den Grundsatz „Fail Fast!“, weil sich Fehler eben nie ganz vermeiden lassen. Wichtig sei es auch, sich folgendes vor Augen zu führen: „Was machen wir als Führungskräfte, was ist unsere Wertschöpfung im Prozess? Wir entwickeln nicht, wir erfinden keine Technologien… Unsere Pflicht ist, Entscheidungen zu treffen.“ Das Problem komme dann, wenn die Mitarbeiter schneller entwickeln als die Führungskraft Entscheidungen trifft.

Sehr wichtig sei auch das Thema Open-Source-Software, denn nur 10 Prozent des Software-Codes stehe wirklich mit neuen Kundenfunktionen in Verbindung. Daher ergebe sich im Rahmen des Ökosystems zur Funktionsentwicklung im Bereich der Community- Middleware und der Basis-Infrastruktur Potenzial für Open-Source-Lösungen. Communities spielen dabei eine wichtige Rolle – und wir müssten die Regeln verstehen, die in diesen Communities gelten.

Dr. Würtenberger bezog sich in seinen Folien und in seinem mündlichen Vortrag auch mehrfach direkt auf Vorträge des Vortags, und er nahm die Zuhörer mit konkreten Fragen rund um die tägliche Praxis direkt mit in seine Überlegungen auf. Um möglichst viele Menschen möglichst effizient einzusetzen, gelte es letztendlich, in punkto Führung zwei Fragen zu beantworten: „Wie motivieren Sie zur Zusammenarbeit? Haben Sie und Ihre Manager Ziele in der Balanced-Scorecard?“ Bei der Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung stellten sich zwei andere Hauptfragen: „Was können Sie binnen 24 Stunden entscheiden? Wie gehen Sie mit Experimenten und Fehlschlägen um?“ Zum Abschluss zitierte er auf seinen Folien den 1929 geborenen Rennfahrer Stirling Moss mit den Worten: „Wenn Du alles unter Kontrolle hast, fährst Du einfach noch nicht schnell genug.“ Den Zuhörern gab er als Abschlusssatz folgenden Appell mit auf den Weg: „Ich glaube wir sind (in der Automobilbranche) manchmal ein bisschen kontrolliert unterwegs“, und manchmal müsse man auch in punkto Anforderungen „dreie gerade sein lassen. Dann lasst uns das doch auch bei der Führungskultur machen.“

Amazon

Sanat Joshi (Amazon): Mit Unterstützung von Cloud-Technologien lassen sich „Strategien rund um das vernetzte Fahrzeug mit Leben füllen“.

Sanat Joshi (Amazon): Mit Unterstützung von Cloud-Technologien lassen sich „Strategien rund um das vernetzte Fahrzeug mit Leben füllen“. Matthias Baumgartner

„Mehr als eine Vision: Das vernetzte Fahrzeug im digitalen Leben des Kunden“ lautet der Titel des Vortrags, den Sanat Joshi, Leiter Automotive & Manufacturing Industry Verticals bei Amazon Web Services in Ludwigsburg hielt. Dabei informierte er darüber, „wie Hersteller ihre Fahrzeuge mit dem Angebot von Amazon zu einem festen Teil des Lebens von Kunden machen können“. Möglich werde dies durch Leistungen, welche die Interaktion zwischen Mensch und Fahrzeug sicherer, intuitiver, angenehmer und damit wertvoller gestalten. Mit Unterstützung von Amazon-Cloud-Technologien wie Sprachunterstützung, Internet der Dinge, künstlicher Intelligenz, Natural-Language-Processing und Big-Data ließen sich „Strategien rund um das vernetzte Fahrzeug mit Leben füllen“. Das „Serverless Computing“ spiele eine sehr wichtige Rolle, und es spare auf der OEM-Seite auch Kosten bei der Einbindung des Fahrzeugs in das Internet der Dinge.

Zukunft des vernetzten Autos

Viele Bereiche der Automobilindustrie stehen in Zukunft vor signifikanten Veränderungen, erklärte Dr. Jesse Jijun Luo, Vice President of Solution Management & Marketing Europe bei Huawei Technologies, zu Beginn seines Vortrags über „die Zukunft des vernetzten Autos“. Es gebe einen Wandel der Kundenschnittstelle, vom Eigentum zum besseren Nutzererlebnis, von physikalischen Autos zu fahrzeuggebundenen Dienstleistungen und von lokalen zu globalen Anforderungen. „Die gesamte Branche erwartet neue digitale Lösungen im Zusammenhang mit der digitalen Transformation“, stellt Dr. Luo dann auch fest.

Dr. Jesse Jijun Luo (Huawei): „In Zukunft wird nicht die Marke die Kaufentscheidung beeinflussen, sondern die Mobilitätsdienste.“

Dr. Jesse Jijun Luo (Huawei): „In Zukunft wird nicht die Marke die Kaufentscheidung beeinflussen, sondern die Mobilitätsdienste.“ Matthias Baumgartner

„Der Fokus des eigentlichen Autos wird sich signifikant verändern, sodass nicht mehr die Motoren im Mittelpunkt stehen sondern die Datenverarbeitung (from engine-centric to computer-centric)“, führte Dr. Luo weiter aus. „Der Lebenszyklus des gesamten Fahrzeugs muss eine Plattform werden.“ Aber Dr. Luo hat noch weitere Thesen: „In Zukunft wird nicht die Marke die Kaufentscheidung beeinflussen, sondern die Mobilitätsdienste.“

Dabei unterstütze Huawai die Automotive-IT-Landschaft mit elektrischen Batterien, Big-Data-Diensten und einer IoT-Plattform, Edge-Computing, Chipset-Modulen, Batterien, Künstlicher Intelligenz sowie Lösungen für die Kommunikation per 4G, 4,5G und 5G, letzteres für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen (V2V) sowie für das assistierte autonome Fahren. Er betont, dass Huawai sehr aktiv beim Aufbau eines 5G-Ökosystems sei und bezeichnete sein Unternehmen als „führend, wenn es darum geht, die Definition sowie die Forschung im Bereich 5G voranzubringen“. Immerhin habe Huawai bereits 2009 mit der Forschung rund um 5G begonnen, und bis 2018 werde das Unternehmen in dieses Projekt 600 Millionen US-$ investiert haben. Warum 5G notwendig ist, das rechnete Dr. Luo den Zuhörern ganz konkret vor: GPS benötige etwa 50 Kbit/s, Kameras etwa 40 Mbit/s, Lidar bereits 70 Mbit/s, Radar 100 Kbit/s und Ultraschall 100 Kbit/s. Daraus errechnete er folgendes: „Ein autonomes Fahrzeug wird bis zu 4000 GByte pro Tag an Daten erzeugen.“

Huawai glaube daran, „dass durch globale Kooperationen, offene Innovationen und eine hohe Flexibilität der Geschäftsprozesse die Möglichkeit besteht, die großen Marktpotenziale in diesem spannenden Umfeld gemeinsam zu erschließen“. Obwohl 5G ein sehr schnelles und zuverlässiges Netz ist, gibt er den Vortragsbesuchern noch folgenden Tipp mit nach Hause: „Missionskritische Daten sollten niemals in die Cloud geschickt werden.“

Cyber-Security

„Automotive Cyber Security: Im Spannungsfeld zwischen Safety und Security“ lautet das Thema, zu dem Ofer Ben-Noon, CEO und Mitgründer des israelischen Unternehmens Argus Cyber Security, referierte. Mit dem rasanten Fortschritten der Connectivity, bei ADAS und dem Trend zum automatisierten Fahren verändert sich das Ökosystem des Automobils derart, dass nicht nur große Vorteile für Autofahrer und OEMs dadurch entstehen sondern auch das Risiko in punkto Cyber-Security ansteigt, erläuterte er gleich zu Beginn seiner Rede. Probleme mit der Cybersecurity könnten das Vertrauen der Verbraucher in Autos bedrohen.

„Heute wird mehr denn je die Cyber-Sicherheit ein integraler Bestandteil der Verkehrssicherheit“, stellt Ofer Ben-Noon fest, um dann noch einmal deutlich zu erklären, dass im deutschen Wort „Sicherheit“ sowohl die Safety (Betriebssicherheit) als auch die Security (Datensicherheit) parallel und gleichzeitig enthalten sind.

Im Gegensatz zu Sicherheitsmerkmalen, die während der Produktion in Fahrzeuge eingebettet werden und routinemäßige Prüfungen im laufenden Betrieb erfordern, beinhalte die Cyber-Sicherheit „sowohl Präventionsmechanismen als auch die stetige Wachsamkeit während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs: von der Konzeption bis zur Stilllegung“. Daher stellte er heraus, dass die OEMs Cyber-Security-Prozesse, Prozeduren und entsprechende Anforderungen unbedingt in ihre Unternehmensstrategie mit aufnehmen müssten.

Dabei ist für ihn ganz klar, dass es sich hier um einen sich permanent weiterbewegenden Lebenszyklus handelt. „Bei der Cybersecurity gibt es keine Silver-Bullet, also kein Wundermittel, keinen Königsweg und keine Wunderwaffe“, gibt Ofer Ben-Noon zu bedenken. Aus diesem Grund sei es notwendig, mehrere Schutzschichten übereinander zu nutzen. Diese Schutzschichten müssen mit dem passenden Design und der richtigen Software über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg aktuell gehalten werden, und „wenn man eine Hintertür hat, dann ist Game-Over“.

Mit ziemlich konkreten, deutlichen, ja schon fast schon etwas erschreckenden Beispielen erklärt er, wo die Probleme liegen und wie sich Cyber-Bedrohungen verhindern lassen, denn schließlich gehe es darum, „das Vertrauen der Verbraucher in die moderne Verkehrswelt zu erhalten und zu fördern“. Die zahlreichen Fragen der Fachbesucher nach dem Vortrag zeigten, dass das Thema in vollem Umfang in der Automotive-Welt angekommen ist.

Alfred Vollmer

(Bild: Alfred Vollmer)
Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK

(av)

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