Wenn der Drache dem Schutzengel hilft

Radar-Komplettlösungen auf einem Chip

Neben der Kamera ist Radar die Basis-Sensortechnologie schlechthin für ADAS und das automatisierte Fahren. Allerdings bietet Radar noch viele zusätzliche Möglichkeiten, und mit Antenna in Package (AiP) gibt es die Radar-Komplettlösung in einem Chipgehäuse.

Kernelement eines jeden Radarsensors ist die Kombination aus (analogen) Hochfrequenz-Halbleitern und Antennen, ergänzt um digitale Recheneinheiten, die das Sensorsignal aufbereiten und auswerten. Daher kommen beim Design von Radarsensoren gleich mehrere Disziplinen auf engstem Raum zusammen, nämlich Hochfrequenz-Design, hohe Rechenleistung und adäquate Algorithmen zur Signalerkennung – und genau dort liegen die Herausforderungen bei der Entwicklung von Radar-Chips und Radarsensoren.

Dabei müssen die Radarsensoren von (über-)morgen hochauflösend sein, nur wenig Energie aufnehmen sowie geringe Abmessungen aufweisen – und das bei hohem Kostendruck. Gleichzeitig stehen die OEMs vor der schwierigen Aufgabe, ihre (Sensor-)Lösungen über alle Fahrzeugplattformen vom Kleinwagen bis zum Premiumsegment hinweg zu skalieren und dabei möglichst viel Hard- und Software wiederzuverwenden.

Auflösung in Entfernung, Winkel und Geschwindigkeit

Die Auflösung ist ein entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit von Radarsensoren, denn sie bestimmt, wie präzise ein Radarsystem Objekte erkennen, unterscheiden und deren Bewegungen verfolgen kann – und damit, wie sicher und zuverlässig ein Fahrzeug auf seine Umgebung reagiert. In der Radartechnik bezieht sich die Auflösung auf die Fähigkeit, mehrere Objekte räumlich und zeitlich voneinander zu unterscheiden. Sie wird in drei Dimensionen betrachtet, in der Entfernungsauflösung, der Winkelauflösung und der Dopplerauflösung.

So bestimmt die Entfernungsauflösung, wie gut das Radar zwei Objekte in unterschiedlicher Entfernung voneinander erkennen kann, während die Winkelauflösung die Genauigkeit festlegt, mit der das Radar den Winkel ermittelt, aus dem ein Objekt kommt. Die Dopplerauflösung wiederum definiert, wie präzise das Radar die Relativgeschwindigkeit eines Objekts erfassen kann. Prinzipiell gilt: Je höher die Auflösung, desto besser kann das System zum Beispiel ein Fahrrad neben einem Auto oder einen Fußgänger zwischen parkenden Fahrzeugen erkennen.

Bild 1: Ein Fußgänger in 60 m Entfernung lässt sich auf Grund der hohen Auflösung klar detektieren und von den beiden Fahrzeugen unterscheiden.

Eine hohe Auflösung verbessert die Objekterkennung und Klassifizierung – und diese sind sowohl im Bereich ADAS als auch beim automatisierten Fahren elementar wichtig. Besonders bei höheren Geschwindigkeiten oder in dichtem Verkehr ist eine feine Auflösung notwendig, um schnelle und korrekte Entscheidungen zu treffen. Durch die Nutzung mehrerer Kanäle lässt sich die Auflösung entscheidend erhöhen.

Warum sind Multikanal-Radarsysteme leistungsfähiger?

Unter einem Kanal versteht man in der Radartechnik eine Kombination aus einem Sende- und/oder Empfangspfad, also eine physikalische oder virtuelle Verbindung, über die Radarwellen gesendet oder empfangen werden. Mehrere Kanäle bedeuten also mehrere solcher Pfade – mit mehreren Antennen und in der Regel mehreren Signalverarbeitungssträngen. Je mehr Kanäle dabei zum Einsatz kommen, um so höher kann die Auflösung des Radarbilds sein, das aus den Signalen der einzelnen Kanäle zusammengesetzt wird. In Kombination mit dem passenden Antennen-Design kann das Radar nicht nur die Entfernung und Geschwindigkeit eines Objekts messen, sondern über den Azimut- und Elevationswinkel auch dessen Position im Raum bestimmen. Mehr Kanäle ermöglichen eine höhere räumliche Auflösung, was besonders wichtig ist, um mehrere Objekte dicht nebeneinander zu erkennen, beispielsweise einen Fußgänger neben einem Auto. Das verbessert die Objekterkennung und Klassifikation.

Bild 2: Selbst wenn ein Fußgänger von einem 40 m entfernten Fahrzeug fast verdeckt ist, kann das Radar ihn klar erkennen.

Wenn entsprechend viele Kanäle zum Einsatz kommen, entsteht ein regelrechtes Radarbild, so dass man vom Imaging Radar spricht, weil sich bei entsprechender Darstellung wie bei einem fotografischen Bild die Objekte erkennen lassen. Ein „einfaches“ Imaging-Radar-System kann zum Beispiel 8 x 8 Kanäle nutzen, also je 8 Sende- und 8 Empfangskanäle. Bei einem Aufbau mit einzelnen Transceivern entsteht hier ein technisch höchst aufwändiges Konstrukt. Beim Einsatz von nur zwei 4 x 4 - Radar-SoCs (System on Chip) aus der Andes-Familie entsteht durch eine einfach realisierbare Kaskadierung bereits ein 8 x 8 – System, das zudem noch erheblich günstiger und kleiner ist als eine konventionelle Lösung auf Basis von Einzeltransceivern.

Effizienz und Kompaktheit durch Integration

Weil Calterah viele Einzelelemente seiner SoCs von Grund auf selbst entwickelt hat, sind die Strukturen stark optimiert und klein, aber sie nehmen auch wenig Strom auf. Ein Beispiel: Bevor das Unternehmen mit seinen UWB-Produkten auf den Markt kam, waren Class-AB-Verstärker im Sender der Sensoren der Stand der Technik. Calterah aber setzt von Anfang an konsequent auf Class-D-Verstärker, wodurch das System beim Aussenden des Signals nur noch halb so viel Energie benötigt. Ähnlich effiziente Lösungen kommen auch auf der Empfangsseite zum Einsatz, und weil das Unternehmen für die Radar- und UWB-Chips schon jetzt auf 22-nm-CMOS-Technologie setzt, sind die ICs (Intergrated Circuits) klein und ermöglichen so kostengünstige energiesparende Mehrwertsysteme.  Damit sind die SoCs nicht nur energieeffizient, sondern es muss auch weniger Verlustwärme abgeführt werden, so dass die Systeme kompakter werden können.

Welche Vorteile bringt Antenna-in-Package (AiP)?

Bei der Baureihen Alps und Kunlun- und Lancang-USRR (Ultra Short Range Radar) sind die Antennen bereits im Gehäuse des SoCs mit integriert, so dass mit diesen Antenna-in-Package Lösungen zum Beispiel kompakte Innenraumsensoren realisierbar sind, mit denen dann unter anderem eine CPD (Child Presence Detection; Erkennung, ob sich ein Kind im Fahrzeug befindet) und Sitzbelegung inklusive Klassifizierung von Personen auf engem Bauraum (zum Beispiel im Fahrzeugdach) umsetzbar ist. Aber auch in Applikationen wie dem Tür-Radar ermöglichen diese SoCs hochkompakte Systemlösungen mit geringer Verlustleistungsaufnahme.

Bild 3: Bei der Verarbeitung der Radarsignale auf dem Chip kommt auch KI in Form eines Deep-Learning-Modells zum Einsatz. Die hier genutzten CNNs eignen sich unter anderem für Computer-Vision-Anwendungen – hier in Form von Radarbildern.

Hochfrequenz und Basisband

Der verfügbare Raum, in dem die Sensoren untergebracht werden können, ist nicht nur in den Stoßfängern sehr begrenzt, so dass die Sensoreinheit besonders geringe Abmessungen haben soll. Durch die Integration von Basisband- und Hochfrequenz-Elementen in einem Chip leisten die Lösungen hier bereits einen Beitrag, aber mit einem Integrationsgrad von derzeit bis zu 4x4 oder 6x6 Kanälen pro SoC und die Möglichkeit der einfachen Kaskadierung über einen seriellen Link auf 8x8 ergeben sich neue Möglichkeiten der Platzoptimierung und der Skalierung. Dabei entsteht mit nur zwei dieser ICs ein echtes 8x8-Radartransceiver-System – und zwar ohne dass dafür große Anpassungen der Software nötig sind. Man muss also nur den Single-Chip-Transceiver mehrfach applizieren und anschließend mit minimalem Entwicklungsaufwand das System skalieren, was beim OEM zu sehr kurzen Turnaround-Zeiten führt.

Ein typischer Signalfluss zeigt, wie komplex dabei die einzelnen Teilaufgaben sind: Zunächst wandelt ein A/D-Wandler das HF-Signal in ein digitales Signal, das dann aufbereitet, gefiltert, verarbeitet und per FFT transformiert wird. Calterah verwendet hierfür eine spezielle Radar-Signalverarbeitungs-Architektur. Zusätzlich integrierte parametrisierbare Hardware-Beschleuniger sorgen dafür, dass auch rechenintensive Anwendungen wie FFTs sehr schnell ablaufen, obwohl die Architektur per se auf Grund ihrer Programmierbarkeit sehr flexibel ist. Auch in den RISC-Cores  können weitere Algorithmen effizient laufen. Dabei wurde der RISC-V-Befehlssatz um Befehle erweitert, die eine wesentlich einfachere Programmierung im Rahmen der Objekterkennung ermöglichen.

Das Radar-SoC im skalierbaren System

Die Ausgangsdaten liegen in Form einer Pixelwolke vor. Ihr tatsächlicher Wert zeigt sich in der hohen Genauigkeit der einzelnen Pixel (erkannten Echos) sowie in deren gegenseitiger Präzision, eine Eigenschaft, die maßgeblich die Qualität und Verlässlichkeit der nachfolgenden Signalverarbeitung bestimmt.

Auch eine kontinuierliche Objektliste könnte am Ausgang zur Verfügung stehen, in der steht, dass ein bestimmtes Objekt an einer spezifischen Stelle verortet ist. Zudem ist die Klassifizierung von Objekten möglich, wobei die klassifizierten Objekte sich über einen Algorithmus verfolgen lassen. Je nach Architektur und Auslegung des Fahrzeugs kann das so weit gehen, dass z. B. direkt aus dem Radarsensor heraus eine Notbremsung eingeleitet wird, weil erkannt wurde, dass ein Objekt zu schnell zu nah kommt.

Welche Anforderungen stellen europäische OEMs?

Aktuell sind Radarsysteme auf Basis von Calterah-SoC noch mehrheitlich in Fahrzeugen von chinesischen OEMs verbaut. Um auf die Bedürfnisse der europäischen OEMs einzugehen, existiert ein eigenes Büro mit mehreren FAEs (Field Application Engineer) am Standort München. Dort gibt es dann zum Beispiel auch die Unterstützung für die nur auf dem deutschen Markt existierende Forderung, dass ein ACC-Radar (Adaptive Cruise Control) bei Geschwindigkeiten bis 210 km/h arbeiten soll. Eine der Herausforderungen dabei: Weil die Bremsenergie zum Quadrat der aktuellen Geschwindigkeit proportional ist, werden die Bremswege bei hohen Geschwindigkeiten entsprechend lang, so dass auch das Radar entsprechend weit nach vorne detektieren muss. 

Dabei ermöglichen nicht nur die FAEs sondern auch die Design-in-Hilfen die erforderliche Unterstützung, um adäquate Systeme schnell in den Markt zu bringen. Neben Hardware steht auch passende Gerber-Files und Applikations-Software zur Verfügung, die einen schnellen Start erleichtern sollen.

Signalverarbeitung und Software

Viele Tier-1s haben oft bereits eine etablierte Radar-Basissoftware, die sie auch auf einer neuen Hardware-Plattform weiterverwenden wollen. Das Spektrum dieser Algorithmik reicht dabei von der Fast-Fourier-Transformation (FFT) bis zur Objekterkennung in der Punktwolke. Wenn das ursprünglich analoge Sensorsignal per A/D-Wandler zu einem digitalen Signal wird, entsteht bei einem typischen Innenraumradar oder einem 77-GHz-Radar eine Rohdatenmenge von weit mehr als 1 Gbit/s, das per FFT vom Zeit- in den Frequenzbereich transferiert wird. Hierfür ist eine immens hohe Rechenleistung erforderlich. Die Radar-SoCs haben hierfür eine exakt aufeinander abgestimmte Rechenumgebung, die programmierbare Elemente wie DSPs oder RISC-V-Cores mit speziellen Hardware-Beschleunigern kombiniert, um so Objekte wie Personen, Fahrräder, Autos, Lkws etc. viel besser und spezifischer zu erkennen; genau diese Funktionalität ist für das automatisierte Fahren besonders wichtig.

Radartechnik im Innenraum und für Sicherheitsfunktionen

Zur Überwachung des Fahrers inklusive Monitoring der Vitaldaten ist die Radartechnologie geeignet. Die 60-GHz-Radar-Chips haben sich hierbei bereits bewährt, ebenso wie für die generelle Innenraumüberwachung. So lassen sich Atmung und Herzfrequenz mit geringem Aufwand erfassen. Die Erfassung von Atmung und Herzschlag zählt zu den anspruchsvollsten Aufgaben für In-Cabin-Radarsysteme, da Bewegungen im Submillimeterbereich – wie Brustkorbbewegungen beim Atmen oder feine Herzvibrationen – präzise erkannt werden müssen. Klassische Signalverarbeitung analysiert hierzu kleinste Phasenänderungen über mehrere Sekunden, um die periodischen Vitalzeichen zuverlässig herauszufiltern. Dieser Ansatz wird mit Convolutional Neural Networks (CNN) kombiniert, die komplexe Signalverläufe intelligent auswerten und echte Vitalbewegungen zuverlässig von Störquellen wie flatternder Kleidung oder Fahrzeugvibrationen unterscheiden.

Auch hier ist ein äußerst genau abgestimmtes Board- und Antennen-Design notwendig. Bei Antenna in Package ist es beispielsweise möglich, 6 x 6 Antennen zusammen mit dem Radar-SoC (HF + Basisband) in einem Gehäuse zu integrieren, das zirka 15 mm x 15 mm misst. Direkt unter der Beschriftung des Gehäuses sieht man die Antennen-Patches. Wenn Entwickler das AiP-Design verwenden, ist trotz der Hochfrequenz-Spezifika keine Adaption der Applikation nötig. Die einzige Adaption, die dann noch notwendig ist, ist die Anpassung an die Karosserie und die Lackierung. Diese Abstimmung erfolgt in der Regel zwischen OEM und Tier-1. Allerdings sind bei Antenna in Package nur Ultra-Short-Range-Radarsensoren mit einer Reichweite bis 50 m möglich, aber für den Innenraum, Türsensoren etc. ist das mehr als ausreichend. (av)

Autor

Peter Wiese, Managing Director EMEA bei Calterah