Interview mit Peter Wiese, Calterah

Calterah bringt Imaging-Radar in Europas Fahrzeuge

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Sabine Synkule, all-electronics und Peter Wiese, Calterah
Peter Wiese, Managing Director bei Calterah, gibt all-electronics Redakteurin Sabine Synkule Einblicke in das Unternehmen.

Mit Radarlösungen und einem Fokus auf europäische Anforderungen etabliert sich Calterah als technologieorientierter Partner für OEMs und Zulieferer. Peter Wiese, Managing Director bei Calterah, gibt Einblicke in Strategie, Technologien und Marktzugang.

Calterah hat sich als Anbieter von mmWave-Radarchips in China etabliert. Wie unterscheiden sich die Anforderungen der europäischen OEMs, und wie passt Calterah seine Lösungen daran an?

Peter Wiese: Der chinesische Markt funktioniert anders als der Markt hier. Der differenzierende Faktor ist zunächst die Tiefe der Entwicklungsumgebung. In Europa haben die Kunden – von den Großen, wie Bosch oder ZF, bis zu den kleinen, viel mehr Erfahrung mit den Anwendungen der Technologie. Deshalb wollen wir von Calterah den Mehrwert bieten, dass sich die Tier-Ones und OEMs nicht mehr um die Basistechnologie kümmern müssen, sondern diese uns überlassen und sie mit unserem Software-Development-Kit an das Auto anpassen können. Stattdessen können die Tier-Ones daran arbeiten, was der Autohersteller will und was nachher für uns als Nutzer im Auto sichtbar ist – und da unterscheidet sich ein Bosch nicht von Continental und ein Audi nicht von einem Mercedes.

Ich möchte, dass wir in Europa auch in Zukunft noch Autos und Elektronik produzieren, und nicht komplett von China abhängig sind. Deshalb müssen wir eine Infrastruktur-Basis bilden, auf der wir differenzieren können. So gesehen sind wir ein Service-Provider, also ein Halbleiter-Lieferant mit einem sehr hohen Service-Anteil.

Calterah hat kürzlich ein Büro in München eröffnet. Wie sieht Ihre Lokalisierungsstrategie für Europa in Bezug auf technische Unterstützung und Logistik aus?

Peter Wiese: Wir setzen uns nicht über neue Chips im Markt ab, sondern wir erklären unsere Technologie und unser Software-Development-Kit, und gehen mit den Tier-Ones, und gegebenenfalls den OEMs, durch, was es für Möglichkeiten gibt und wie wir in kurzer Zeit eine Lösung finden. Z. B. haben wir mit dem 6TX×6RX-Chip für die Innenraumüberwachung vor einem Monat angefangen mit einem europäischen Tier-One zusammen zu arbeiten und nach einem Monat haben wir die erste Demo im Auto fertiggestellt.

Der technische Support geht in die gleiche Richtung: Wir machen unsere Produkte passend. Das Interesse daran ist in Europa da, sowohl bei den Radar- als auch bei den Ultrawideband-Lösungen. Hier unterscheiden sich die Ansprüche der europäischen OEMs von denen der chinesischen. In China wollen diese sehr häufig die Referenz-Applikation direkt wiederverwenden. In Europa hingegen kommen wir nicht mit einem Radar-Sensor zu den OEMs, sondern wir besprechen im Detail mit den Tier-Ones, wie das gesamte System aufgebaut ist und wie es mit Radar-Funktionen komplettiert werden kann.

Logistik ist eine Funktion, die wir hier in Europa noch nicht abbilden, weil wir noch aus China liefern. Was wir tun werden, ist Lieferkanäle aufzubauen, die notwendig sind. Im Augenblick sind wir ein Kompetenzzentrum mit Fokus auf die Sicherstellung einer resilienten Lieferkette. Hier haben wir Antworten. Zum Beispiel haben wir Lieferketten, die komplett außerhalb Chinas sind und können hier mit unserer bestehenden Logistik liefern, die nicht in Europa ist.

Mit Technologien wie Antenna-in-Package (AiP), Radar-on-Package und Flex-Cascading bietet Calterah hoch integrierte Radartechnologien an. Wie finden diese Technologien Anwendung in europäischen Fahrzeugen der nächsten Generation?

Peter Wiese: Dadurch, dass bei AiP die Antennen direkt in das Gehäuse integriert sind, ist die Applikation sehr klein – Sie hat in etwa die Größe einer Briefmarke – und somit auch die Fläche im Außen- oder Innenbereich des Auto, die dadurch belegt wird. Hier bringen wir sehr viel Erfahrung mit. Wir sind auch die Ersten, die diese Technologie bei Applikationen mit bis zu 50 m Reichweite (ultra- shortrange-Radar) benutzt haben.

Die Radiator-on-Package-Technologie ist ähnlich aufgebaut wie die AiP: Empfangs- und Sendeantennen befinden sich auf der Seite der Kontakte und strahlen durch die Platine in einen Hohlleiter ein. Dadurch sind die leitungsgebundenen Verluste des Hochfrequenzsignals sehr gering, denn der Leiterweg ist sehr klein und im Hohlleiter breitet sich die Welle nahezu verlustfrei aus. So ist mindestens eine Reichweitenverdoppelung bei gleicher Auflösung möglich. Calterah hat diese Technologie sehr früh in Serienproduktion auf den Markt gebracht.

Save the date: 30. Automobil-Elektronik Kongress

Save the Date! Der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress findet 2026 am 16. und 17. Juni statt.
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Beim Flexible Cascading werden mehrere Radar-SoCs gekoppelt. Ein 4TX×4RXChip hat zum Beispiel 4 Sende- und 4 Empfangsantennen und somit 16 geometrische Sende- und Empfangswege. Beim Flex-Cascading nehme ich den gleichen Chip und appliziere ihn ein zweites Mal in demselben Modul und komme so auf 4+4 Empfangs- und 4+4 Sendeantennen, also 8×8 = 64 physikalische Wege. Damit erhöhe ich die Auflösung auf physikalischem Wege und habe dementsprechend auch mehr Rechenaufwand. Hier kommt die Flex-Cascading-Technologie ins Spiel: Durch einen seriellen Link zwischen den beiden Chips können sie sich in den Rechenoperationen gegenseitig sehen. Man kann sich das ähnlich wie bei einem Computer vorstellen, bei dem der Speicher physikalisch unabhängig vom Rechenwerk ist, das Rechenwerk aber jede Stelle des Speichers sehen kann und bei mehreren Kernen können diese jeweils den Speicher – soweit freigegeben – vom anderen sehen. So eröffnet Flex-Cascading die Möglichkeit, mit geringen Anpassungen einer Software von einem 4×4- auf ein 8×8-System zu gehen, und dadurch eine höhere Anzahl an Kanälen zu generieren. Wir von Calterah sind die ersten, die bewiesen haben, dass diese Technik mit zwei SoCs funktioniert.

AUTOSAR ist für europäische OEMs zu einem entscheidenden Framework geworden, um Hardware und Software voneinander zu entkoppeln. Wie unterstützt die Calterah AUTOSAR Software Collaboration Platform eine effiziente Implementierung und Integration in softwaredefinierte Fahrzeugarchitekturen (SDV)?

Peter Wiese: Da bin ich jetzt ehrlich: Das, was wir in Bezug auf AUTOSAR machen, ist das, was man heutzutage tun muss. Wir haben eine komplette Abstraktion auf allen physikalischen Bausteinen, die einen AUTOSAR-Layer brauchen, sodass der Integrator, z. B. der Tier-One auf unsere Schnittstelle aufbaut, AUTOSAR-OS hinzufügtund dann sehr schnell zur Applikation kommt. Das ist im weitesten Sinne ein Hygiene-Faktor, so wie hohe Qualität oder Ansprechbarkeit, den wir zur Verfügung stellen. Aber es ist trotzdem ein wichtiger Punkt, weil es für einen Tier-One wenig Mehrwert hat, es selbst zu generieren.

Europa setzt strenge Normen für funktionale Sicherheit und Cybersicherheit durch, wie ASIL und TISAX. Welche Zertifizierungen hat Calterah erreicht, und wie beeinflussen diese Standards Ihre Zusammenarbeit mit europäischen Tier-1s und OEMs?

Peter Wiese: Die angesprochenen Standards erfüllen wir alle. Wir haben z. B. die ASIL-Zertifikation bis hoch zu ASIL-D oder ASIL-B, je nachdem, um welche Teile im System es geht, und das sowohl auf Produkt-, als auch auf Produktentwicklungsebene. Wir haben für die Software, die wir generieren, A-Spice-Zertifizierung. Im Bereich Sicherheit ist das letzte Zertifikat, das wir erreicht haben, das TISAX-Zertifikat, normal !msorm;">nach VDA-Standard in Bezug auf IT-Sicherheit. Jeden Standard, der kommt, setzen wir automatisch um, sobald wir eine Notwendigkeit dazu sehen, wir müssen dazu nicht aufgefordert werden. Das kommt bei unseren Kunden sehr gut an.

Viele OEMs in Europa setzen bei automatisiertem Fahren auf hochauflösende Radarsysteme. Welche Vorteile bietet Ihr neues 8T8R-Imaging-Radar im Vergleich zu bestehenden Lösungen?

Peter Wiese: Der Haupt-Vorteil beim Übergang von 4TX×4RX auf 8TX×8RX ist: Mit einer etwas größeren geometrischen Fläche stehen nicht nur 16 physikalische Möglichkeiten, Sendung und Empfang abzubilden, sondern 64 zur Verfügung, d. h., wir haben viermal so viele Möglichkeiten zu differenzieren. Dadurch können die Imaging-Radar-Systeme im Winkel-Bereich bis weit unter 1° auflösen. In einer Entfernung von mehreren 100 m ist mitunter eine Auflösung bis auf 10 bis 20 cm möglich. So können unsere Systeme z. B. eine Coladose aus einer Entfernung von 50 bis 100 m detektieren. Wir können mit Imaging-Radar auch schwach reflektierende Objekte von stark reflektierenden Objekten unterscheiden. Ein Anwendungsfall wäre ein Kind, das aus dem Schatten einer Leitplanke auftaucht. Dieses können wir auch noch aus einer Entfernung bis zu 100 m (oder vielleicht auch noch weiter) sehr genau sehen. So sind zusammen mit Kameras wirklich zuverlässige autonome-Fahrfunktionen möglich, um Level 2+ zu erreichen.

Das UWB-SoC „Dubhe“ entspricht bereits dem IEEE 802.15.4ab-Standard und kombiniert digitale Schlüsselfunktionalität mit Radarsensorik. Welche spezifischen Anwendungsfälle in der Kabine und im Türbereich stellen Sie sich vor?

Peter Wiese: Der Standard IEEE 802.15.4ab führt einen Multi-Millisekunden-Modus (MMS) ein, der ermöglicht, dass wir in kürzeren Impulsen eine höhere Sendeleistung erreichen. Damit ist auch eine wesentlich weitere Sende-Empfangsentfernung mit einem Autoschlüssel oder Smartphone als Schlüssel möglich. So können wir den Schlüssel aus einer weiteren Entfernung sehen und auch in der Ortung präziser werden.

Innenraum-Anwendungsfälle, die wir wesentlich verbessern, sind die Anwesenheitserkennung von Kindern. Dadurch, dass unsere SoCs zwei Sende- und vier Empfangsantennen haben, ist gegenüber herkömmlichen Technologien, die nur eine Sende- und zwei Empfangsantennen nutzen, eine vierfache physikalische Auflösung möglich. So können die Chips das zurückkommende Echo besser orten und die Erkennung von Objekten in unterschiedlichen Positionen wird einfacher und wesentlich zuverlässiger. Im Außenbereich wird durch diese Technologie auch „Kick-Sensing“ im Nahbereich des Autos wesentlich zuverlässiger, also ein Fuß, der unter der Kofferraumkante oder der Stoßstange tritt, wird zuverlässiger aufgelöst.

Ihre 6T6R-Innenraum-Radarsensoren können kleine Kinderbewegungen auf den Rücksitzen ohne Fehlalarm erkennen. Wie gut lässt sich diese Lösung in bestehende Innenraumarchitekturen europäischer OEMs integrieren?

Peter Wiese: Wir sind ganz einfach in der Lage dieses Teil zu integrieren. Die 6T6R-Sensoren können Menschen und Objekte sehr sauber unterscheiden, nachdem der Innenraum charakterisiert wurde und bestimmte vorhanden Echos herausgefiltert sind. Die insgesamt 12 Antennen sind in einem Gehäuse von ca. 15 mm × 15 mm untergebracht. Das ganze System, von den Empfangsantennen, den Sendeantennen, der Signalverarbeitung bis zum AUTOSAR-Processing und dem CAN-Bus, ist in einem Chip integriert, sodass mit dem Software-Entwicklungskit eine sehr schnelle Entwicklung möglich ist, genau wie eine Anpassung an jedes Auto. So können wir den Tier-Ones und den Autoherstellern eine schlüsselfertige Lösung in kürzester Zeit anbieten, die dank CAN-Bus in jedes Auto integriert werden kann.

Was ist die mittelfristige Vision von Calterah für den europäischen Markt?

Peter Wiese: Calterahs mittelfristige Vision für Europa fokussiert sich darauf, ein wichtiger Partner für Lösungen in den Bereichen autonomes Fahren und intelligente Sensorik zu werden. Um das zu erreichen, stellen wir leistungsstarke, EU-konforme 4D-Imaging-Radartechnologie bereit. Außerdem möchten wir die Zusammenarbeit mit Automobilherstellern und Tier-1-Zulieferern vor Ort weiter vertiefen und stellen sicher, dass unsere Produkte strenge EU-Standards für Sicherheit und Nachhaltigkeit erfüllen. Gleichzeitig planen wir, unser Angebot auf intelligente Infrastruktur und industrielle Anwendungen auszuweiten. Durch Innovation und Partnerschaften streben wir in den nächsten fünf Jahren eine bedeutende Marktdurchdringung in Europas Automobil- und aufstrebendem Technologiesektor an. (bs)

Die Autorin: Sabine Synkule

Sabine Synkule

Durch ihr Elternhaus schon von Kindesbeinen an naturwissenschaftlich geprägt, war früh klar, dass Sabine Synkule auch beruflich einmal diese Richtung einschlagen würde. Nach einem Physikstudium und einer Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiterin entschied sie sich schließlich dafür, nicht mehr selbst zu forschen, sondern über die Ergebnisse der Forschung anderer zu berichten. So ist sie schließlich im Fachjournalismus gelandet und dort für die Bereich Messtechnik, Sensoren und Stromversorgung zuständig. Deshalb – und weil sowieso niemand ihren Nachnamen richtig ausspricht – wird sie auch gerne als die Power-Frau von Hüthig vorgestellt. Privat würde niemand auf die Idee kommen, dass ihr Beruf etwas mit Technik zu tun hat. So fragt sie keiner ihrer Bekannten jemals um Rat, wenn einmal ein Fernseher oder Computer kaputt ist. Ihre Expertise wird nur bei der Umsetzung aufwändiger Kochrezepte oder dem Erstellen neuer Strick- und Stickmuster eingeholt.

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