Ist das Gehäuse konform zu EN 55022 Klasse B? Auch zu EN 61000-4-2 und ETS 300 132? So oder ähnlich lauten häufige Kundenfragen zur elektromagnetischen Verträglichkeit von Gehäusen und Zubehör, kurz EMV. Die Antwort ist einfach, aber gleichermaßen unbefriedigend: Es gibt keine EMV-Konformität für leere Gehäuse und mechanische Zubehörkomponenten. Der Grund ist der, dass es keine standardisierten EMV-Anforderungen für leere Gehäuse gibt. Was Gehäuse zur EMV-Sicherung beitragen, lässt sich schnell auf einen Nenner bringen: Das Angebot einer definierten Schirmwirkung und beste Voraussetzungen für eine EMV-gerechte Installation. Mit steigender Technisierung nimmt zwangsläufig die Installationsdichte elektrischer und elektronischer Systeme zu, mit möglichen negativen Folgen: Es wächst die Gefahr, dass sich eingesetzte Geräte und Systeme mit ihren elektrischen und magnetischen Feldern gegenseitig stören und beeinflussen. Mit dieser Problematik beschäftigt sich die EMV. Diese ist gerade dann von großer Bedeutung, wenn elektrisch und elektronisch betriebene Geräte, Anlagen oder komplexe Systeme in großer Zahl zum Einsatz kommen, wie etwa in der Industrieautomatisierung, in Anlagen mit umfangreicher Informationstechnik oder in der Gebäudetechnik.
Umfassende EMV-Maßnahmen
Nicht immer reichen planerisch und konstruktiv vorgesehene EMV-Maßnahmen aus. Insbesondere um die Einhaltung bestimmter Grenzwerte der jeweils anzuwendenden Vorschriften zu dokumentieren, wie etwa die Funk-Entstörung Informationstechnischer Einrichtungen (ITE) gemäß der EMV-Norm EN 55022, lassen sich die jeweiligen Parameter nur durch Prüfen des fertigen Gehäuses und Einbauten während des Betriebes ermitteln (Bild 2).
Jedes Metallgehäuse bietet in einem weiten Frequenzbereich eine gute Basisschirmwirkung (Bild 1 zeigt die HF-Dämpfung, also das Verhältnis in dB zwischen dem Feld in der Umgebung und im Gehäuseinnern). Mit der Basisschirmung eines Standardgehäuses lassen sich rund 95 % aller industriellen und informationstechnischen Schaltschrank- und Gehäuseanwendungen abdecken, etwa für die Automatisierungstechnik oder für Systeme der Daten- und Telekommunikation. Standardgehäuse aus Stahlblech, Edelstahl oder Aluminium bieten hier ausreichende EMV-Eigenschaften. Allerdings genügen sie oft nicht den Anforderungen hoher Frequenzbereiche, da meist nur an abnehmbaren oder zu öffnenden Teilen eine Potenzialausgleichsverbindung besteht. Optimale HF-Schirmung lässt sich nur durch eine schlitzfreie, leitende Verbindung aller Gehäuseaußenflächen untereinander erzielen, um hochfrequente elektromagnetische Felder zu absorbieren.
Demnach wäre ein komplett verschweißtes Gehäuse ideal. Die Realität fordert jedoch Kompromisse: Bei Schaltschränken im Baukastenprinzip lassen sich Wände beliebig abnehmen. Zudem müssen sich die Türen jederzeit öffnen lassen und es sind Ausbrüche für Einbauelemente, Klimatisierungsmaßnahmen oder Sichtflächen nötig. Ein weiterer Faktor, der die HF-Schirmung beeinträchtigen kann, ist der Korrosionsschutz für Metallgehäuse.
Dichtungssystem erhöht Schirmdämpfungswerte
Auf einen Blick
Durch den zunehmenden Einsatz von Elektronik und Funkdiensten wächst das Störpotenzial und die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten und Systemen. Damit nimmt der EMV-Schutz einen immer höheren Stellenwert ein und die Schnittpunkte elektrischer Verdrahtung wollen geschützt untergebracht sein. Metallgehäuse bieten bereits eine in einem weiten Frequenzbereich gute Basis-Schirmwirkung gegen elektromagnetische Felder, aber oft ist eine optimale Hochfrequenz-Schirmung nötig.
Die hohen Schirmdämpfungswerte im Frequenzbereich von bis zu 1 GHz erzielen leitende Spezialdichtungen, wie Metallgewebe auf Schaumstoffkörper als Kombinationsdichtungen mit EMV- und IP-Schutzart-Eigenschaften. Sie verbinden die Innenflächen von Türen und abnehmbaren Wänden sowie Dach- und Bodenblechen mit den metallisch blanken Dichtkanten des Gehäusekörpers oder Gehäusegerüstes. Bei Neukonstruktionen oder bei besonderen Anforderungen sind stark überlappende Flächen und eine Trennung von EMV- und mechanischer (Umwelt-) Dichtung eine sinnvolle Alternative, wobei sich als EMV-Dichtung dann metallische Federdichtungen eignen. Grundsätzlich bestimmt dabei die konstruktive Ausführung des Dichtungssystems weitgehend die Schirmdämpfung. Je mehr Befestigungspunkte für Wände und Scharnier- und Verschlussdruckpunkte für Türen vorhanden sind, und je gleichmäßiger damit der Anpressdruck und der Kontakt (niedrige Impedanz) von Gehäusekörper und Tür oder Deckel entlang der Dichtungen ist, umso näher kommt man dem Ideal. Mit zunehmender Frequenz des auftreffenden elektromagnetischen Feldes steigt der schirmungsmindernde Einfluss von Öffnungen im Gehäuse. Daher sind auch bei der Gehäusebearbeitung einige Punkte zu beachten, wie zum Beispiel das Verwenden spezieller Dichtungen und Kabeldurchführungen oder der Einsatz von Filter-Steckverbindern (Bild 3).
Eine Abschätzung der erreichbaren Schirmwirkung lässt sich aus dem Schirmdämpfungsdiagramm entnehmen, wo die Schirmdämpfung der Gehäuse im logarithmischen Maßstab, mit dem Index 0 für die ungeschwächten Werte und dem Index 1 für die geschirmten Werte (Bild 1) dargestellt wird:
a = 20 lg E0/E1 oder a = 20 lg H0/H1
Zur Berücksichtigung von Öffnungen in der Oberfläche gilt als Faustformel: Bei der größten Länge (l) einer ungeschirmten Öffnung und der höchsten betrachteten Frequenz/kürzesten Wellenlänge (λ) wird für l > λ/20 die Schirmdämpfung a < 20 dB. Das heißt, dass zum Beispiel bei 1 GHz, entsprechend 0,3 m Wellenlänge, die Schirmdämpfung bereits bei einem Öffnungsdurchmesser von 1,5 cm unter 20 dB (und damit unter den Faktor 10) sinkt. Zum Vergleich: Die Norm IEC TS 61587-3 (für Gehäuse mit Elektronik-Einrichtungen) beschreibt die Performance-Level (Anforderungsstufen) gemäß Tabelle 1 (vorherige Seite). Eine optimale Gehäuseanwendung setzt voraus, dass die Anforderungen hinsichtlich vorliegendem Feldtyp (elektrisches, magnetisches oder elektromagnetisches Feld), Frequenzbereich (beispielsweise von 10 bis 100 MHz) und erforderlicher Schirmwirkung (Dämpfung a) sowie weitere elektrische (interne Erdung, Potenzialausgleich) und mechanische Anforderungen, wie Ausbrüche für die Klimatisierung oder Sichtfenster, bekannt sind.
Elektromagnetische Verträglichkeit lässt sich auch mit Kunststoffgehäusen erreichen, wenn diese aus anderen Gründen im Anforderungsprofil stehen. Die Möglichkeiten für eine definierte Schirmwirkung bestehen in der Metallbeschichtung der Gehäuse (wie Aluminiumbeschichtung im Hochvakuum-Verfahren). Auch eignet sich die Beschichtung mit Leitlacken. Leitfähig ausgerüstete Grundmaterialien sind bei großen Gehäusestückzahlen denkbar, erfordern jedoch möglicherweise andere Herstellungswerkzeuge mit entsprechenden Kosten.
Experten gefragt
Oft bleiben die entscheidenden Fragen nach der erforderlichen Dämpfung und dem betrachteten Frequenzbereich unbeantwortet. Grundsätzlich führen die Beurteilung der erforderlichen Schirmwirkung nur erfahrene Experten, basierend auf der jeweiligen System-Anwendung und den Informationen über die elektromagnetische Umgebung, durch.
Installations-Grundregeln für EMV-Schutz
Neben der Schirmung und der Auswahl der Gehäuseversion sind grundlegende Installationsregeln zu beachten, um gute EMV-Werte zu erzielen:
- die räumliche Trennung zwischen störaussendenden/-empfindlichen Komponenten, eventuell den Einsatz eines HF-geschirmten Kleingehäuses oder 19-Zoll-Baugruppenträgers im Großschrank,
- getrenntes Führen von informations- und energietechnischen Kabeln, Kreuzung im 90 Grad Winkel,
- großflächig leitender niederinduktiver Potenzialausgleich zwischen Befestigungsflächen von Bauteilen/-gruppen im Gehäuse, Verwenden von EMV-Flachbanderdern,
- großflächig leitende niederinduktive (optimal Rechteck- statt Rundleiter) Verbindungen zwischen allen leitenden Gehäuseaußenflächen (für Standardgehäuse), optimal ist das Verwenden von EMV-Flachbanderdern,
- Potenzialausgleich der Kabelschirme (optimal mit 360-Grad-Rundumkontaktierung) an der Einführungsstelle, optimal ist das Verwenden von EMV-Kabelverschraubungen,
- Nutzen der Montageplatte als optimale Potenzialausgleichsfläche (auch als Teil des Schutzleiterkreises),
Erfahrungsgemäß bestimmen die Kosten die Gehäuseauswahl, weshalb Kunden hinsichtlich der Schirmwirkung und beim Einhalten der Installationsregeln Kompromisse eingehen. Auch das Überprüfen und Verifizieren der getroffenen EMV-Maßnahmen mit den Mitteln der Messtechnik entfällt meist aus Preisgründen. Daher ist die Wirksamkeit der Schirmung und der EMV-gerechten Installation so lange als gegeben zu betrachten, wie keine unerklärlichen Funktionsstörungen im System oder seiner elektromagnetischen Umgebung auftreten.
Verbesserte HF-Schirmung durch EMV-Filterlüfter
Sind Schaltanlagen oder IT-Anwendungen hohen elektromagnetischen Störfeldern ausgesetzt, eignen sich spezielle EMV-Schränke mit hoher HF-Schirmwirkung. Dafür waren beim Belüften/Entwärmen bislang gesonderte EMV-Drahtgitter zur Schirmung nötig. Mit dem EMV-Filterlüfter von Rittal können Anwender zukünftig auf deren Einsatz verzichten. Das Filtergehäuse und die Filtermatten der Lüfter weisen eine Kupfer-Nickel-Chrom-beschichtete metallisierte Oberfläche auf. Diese sorgt für die deutlich verbesserte EMV-Schirmwirkung und Dämpfung, so dass EMV-Filterlüfter die Anforderungsstufe 2 für Schirmdämpfungen nach EN61587-3:2006 im Frequenzbereich von 30 bis 1000 MHz erfüllen. Zudem verfügen sie über eine druckstarke Diagonal-Lüftertechnik (eine Synthese aus Radial- und Axiallüftertechnik) und einen Luftleistungsbereich von 20 bis 900 m3/h. Dabei reichen die Schutzarten standardmäßig von IP 51 bis IP 54.
Zur Montage lassen sich die Filterlüfter einfach in den Montageausschnitt am Gehäuse einklipsen und verschrauben. Das Anbringen einer selbstklebenden, umlaufenden Kontaktfolie gewährleistet eine sichere und umfassende Kontaktierung von Filterlüfter und Schrank- oder Gehäuse-Innenseite.
(rao)