EE-Kolleg 2022

Ab jetzt sollen sich wieder jedes Jahr Fach- und Führungskräfte aus der Elektronikfertigung auf dem europäischen EE-Kolleg auf Mallorca in entspannter Atmosphäre vernetzen. (Bild: Petra Gottwald)

Lange hatte ich auf dieses Live-Treffen in „entspannter Atmosphäre“ gewartet, denn als ich im Februar 2020 die Stelle der Chefredakteurin bei der productronic angetreten habe, wäre das EE-Kolleg 2020 sozusagen mein erster Live-Kontakt mit der deutschen Elektronikfertigung gewesen. Sie wissen ja, was dann kam – eine Veranstaltung nach der anderen wurde aufgrund von Corona zuerst verschoben, dann abgesagt. Umso größer war meine Vorfreude, in diesem Herbst dann doch die Reise nach Mallorca antreten zu können. Schon beim Verteilen auf die Busse nach der Ankunft am Flughafen bemerkte man dieses besondere Feeling: Man kennt sich. Kein Wunder, denn etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmer kommen seit vielen Jahren zum EE-Kolleg. Ok, Sie könnten jetzt meinen wegen des schönen Wetters und der Urlaubsatmosphäre in Colonia Sant Jordi sind die Plätze heiß begehrt, aber nein, das ist eher ein angenehmer Nebeneffekt. Kaum ist man eingecheckt und das Zimmer ist bezogen, trifft man sich, um zu reden, zu reden und nochmal zu reden. Es hat fast den Anschein eines Klassentreffens, so hoch ist die Geräuschkulisse beim Get together an der Poolbar. Die Teilnehmer, meist Geschäftsführer oder Fach- und Führungskräfte, kommen aus allen Bereichen entlang der SMT-Fertigung inklusive EMS. Allen voran die Veranstalter, die wieder einmal alles perfekt organisiert haben: ASMPT SMT Solutions, Asys Group, Kolb Cleaning Technology, Balver Zinn, Christian Koenen, Rehm Thermal Systems und Zevac.

Dr. Richard Schleicher, BMK
Mit Lawinenrucksack auf Mallorca: Dr. Richard Schleicher zeigte die neuste Entwicklung aus dem Hause BMK, dessen elektronisches „Innenleben“ das Augsburger Unternehmen zur Marktreife geführt hat. (Bild: BMK)

Auf LinkedIn postete Dan Mutschler von MTM Ruhrzinn dazu ein Zitat von Michele Jennae: „Netzwerken bedeutet nicht nur, Menschen miteinander zu verbinden. Es geht darum, Menschen mit Menschen zu verbinden, Menschen mit Ideen und Menschen mit Möglichkeiten.“ Weiter schreibt er: „Für Veranstaltungen bedeutet dies, dass nicht nur die Ideen, Themen und Vorträge stimmen müssen, sondern auch die Rahmenbedingungen, damit Menschen zueinander finden. Jetzt bin ich selbst noch nicht so alt, aber fragt man auch die Experten älterer Jahrgänge, gibt es keine zwei Meinungen: Nirgends funktioniert dies besser als auf dem europäischen Elektroniktechnologiekolleg auf Mallorca. Für alle die sofort eine Denkblockade haben: Wer hat jemals behauptet, Arbeit dürfe keinen Spaß machen?“. Dem kann ich nur zustimmen.

Ein Vortragsprogramm für die Zukunft

Wie in den Jahren zuvor konnten sich die Teilnehmer auf ein hochkarätiges und abwechslungsreiches Vortragsprogramm freuen, sodass es auch nicht verwunderlich war, dass der Vortragsraum schon früh am Morgen des ersten Konferenztags bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Moderator Dr. Hans Bell eröffnete die Tagung mit den Worten: „Lasst uns netzwerken.“ Anschließend gab er einen kurzen Ausblick auf die Chip-Entwicklung mit der Frage: Wie dicht kann man Atome bringen, um eine Gatestrukturbreite von 1 nm zu realisieren? Er verwies dabei auf Apple, die in ihrem IPhone 15 3-nm-Chips verwenden.

Der erste Vortrag des Tages kam aus dem EMS. Hubert Kraus (Zollner Elektronik) zeigte auf, wie man durch Simultaneous Engineering eigene Produkte erfolgreich entwickelt. Zollner nutzt daher in seiner Entwicklungsabteilung das agile Projektmanagement-Tool Scrum. Scrum wird meist von Softwareentwicklern genutzt, sodass die einzelnen Teams in der Lage sind, durch Erfahrungen zu lernen, sich bei der Problembehebung selbst zu organisieren sowie ihre Erfolge und Niederlagen zu reflektieren, um sich kontinuierlich zu verbessern.

Anschließend teilte Stefan Wespel von Diehl AKO seine Erfahrungen mit dem Robotereinsatz in der Elektronikfertigung. Sein ursprünglicher Plan war es, die THT-Bestückung mittels Roboter durchzuführen. Diehl startete jedoch 2015 mit dem Kauf eines Verpackungsroboters. Schnell erkannte man aber, dass bei Problemen es keine richtige Hilfe gab. Zwei Jahre später entschied man sich, in Kooperation mit der OTH Regensburg eine eigene Roboterzelle zu bauen. Nun sind einige dieser Roboterzellen bei Diehl erfolgreich im Einsatz.
Nach der Kaffeepause referierte Dan Mutschler darüber, dass Nachhaltigkeit messbar sein muss, damit es nicht zu einem reinen Greenwashing verkommt. MTM Ruhrzinn bietet die Berechnung des PCF (Product Carbon Footprint) für Rohstoffe aus recycelten Produktionsabfällen aus der Elektronik an.

Ulf Oestermann (Fraunhofer IZM) stellte anschließend unter dem Stichwort „Digitaler Zwilling“ dar, wie die Einbettung eines Linienkonzepts in eine virtualisierte Umgebung aussehen kann. Einen guten Überblick über die Marktsituation, Trends und neue Leiterplatten-Anwendungen gab Dr. Christoph Lenberger von Andus Electronic.

Von ESD-Verfahren bis Thermal Vias

Auch am zweiten Konferenztag waren die Stühle wieder voll besetzt. Prof. Peter Jakob (Empa) ist ein langjähriger Teilnehmer des EE-Kollegs. Er berichtete über ein neues PCB-Testverfahren, um ESD-Risiken in Bestückungsanlagen zu vermeiden. Zwingend notwendig ist für ihn, dass die Stufenaufladung von der Platine vermieden werden muss, da diese an die Bauteile abgegeben werden. Einen kleinen Tipp für die Maschinenbauer hatte er auch: Die Kabelschleppen würde er aus ESD-Material machen.

Wie BMK mittels Box-Build zu einem höchst erfolgreichen Endprodukt gelangt, zeigte Dr. Richard Schleicher sehr eindrucksvoll, als er sich „bei sommerlichen Außentemperaturen“ einen Lawinenrucksack umschnallte und auslöste. An der Entwicklung des extrem leichten Litric-Lawinensystems, betrieben mit einer Lithium-Ionen-Batterie und Superkondensatoren, war BMK beteiligt.

Team-Event EE-Kolleg 2022
Das „Rote Kappen-Rennteam“ unter Zeitdruck beim Zusammenbasteln eines Solarfahrzeugs. (Bild: Petra Gottwald)

Weitere Vorträge zu „Moderne Package Footprints – Anforderungen und Trends“ (Dr. Frank Steinhäußer, Infineon), „Neue Möglichkeiten der Zuverlässigkeitsprüfung mittels beheizter Leiterplatten“ (Dr. Dirk Seehase, Universität Rostock), spiegelte die große Bandbreite der Vorträge wider.

Wer bringt das Auto zum Laufen?

Nach zwei Tagen intensiven Expertisenaustausches endete das 23. EE-Kolleg mit einem firmenübergreifenden Networking-Event des besonderen Art. Nach einem Ausflug auf eine Finca wurden Teams zusammengewürfelt, die die Aufgabe bekamen, ein solar-betriebenes Fahrzeug samt Fernsteuerung zu bauen, das im Anschluss einen zwei Meter langen selbstgebauten Parcours mit Brücken und Wippen in kürzester Zeit zurücklegt. Was soll ich sagen? Es wurde wie wild gelötet, geklebt, die Schrumpfschläuche mittels Feuerzeug geschrumpft (das kann ich besonders gut), die Gewichtsverhältnisse am „Fahrzeug“ zur besseren Straßenlage angepasst, um dann festzustellen, dass alle Autos auf der gleichen Frequenz laufen und somit ja auch ein anderes Team die Frequenz stören kann, was der Grund war, dass „unser Fahrzeug“ auf einmal nur rückwärts fuhr. Sei’s drum. Lustig war es trotzdem.

Der LinkedIn-Kommentar von Anton Shmatko beschreibt es am besten: „Firmenübergreifendes Teambuilding und Expertisenaustausch?! Da habe ich aber was ziemliches Gutes verpasst! EMS in Deutschland und Europa ist eine wirklich tolle Branche.“

Petra Gottwald
(Bild: Hüthig)

Petra Gottwald

Chefredakteurin productronic

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