Geschäftsführer Luyat Nguyen und Dr. Janusz Schinke, Head of Printed Electronics, vom InnovationLab sprachen mit der Productronic-Redaktion über „ihre“ Welt der gedruckten organischen Sensoren.

Dr. Janusz Schinke (oben) und Luat Nguyen (unten) vom Innovationlab in Heidelberg im Interview mit der Productronic. Das 2008 gegründete Unternehmen ist ein Experte für organische und gedruckte Elektronik. (Bild: Petra Gottwald)

Gedruckte Elektronik eröffnet eine ganze Welt neuer Möglichkeiten, da komplexe Konstruktionen ebenso wie Sensoren zu marktfähigen Preisen hergestellt werden können. Geschäftsführer Luat Nguyen und Dr. Janusz Schinke, Head of Printed Electronics, vom Innovationlab sprachen mit der Productronic-Redaktion über „ihre“ Welt der gedruckten organischen Sensoren.

Herr Nguyen, seit 2008 gibt es das Innovationlab in Heidelberg und mittlerweile betreiben Sie weit mehr als Grundlagenforschung – bitte beschreiben Sie unseren Lesern Ihr Leistungsprofil?

Luat Nguyen: Unsere Kernkompetenz ist die Entwicklung von individuellen, maßgeschneiderten Gesamtlösungen für gedruckte und organische Elektronik mit Schwerpunkt auf flexiblen Sensoren. Dabei verfolgen wir ein Lab2Fab-Konzept. Dies umfasst den kompletten Weg vom ersten Konzeptentwurf über die Entwicklung bis zur industriellen Produktion. Für den Prototypenbau und die Pilotproduktion nutzen wir eine stark modifizierte Etikettendruckmaschine, mit der wir täglich bis zu einer Million fingergroße Sensoren drucken können. Im industriellen Maßstab produzieren wir seit April 2020 bereits im Wieslocher Stammwerk bei den Heidelberger Druckmaschinen.

Wer ist am Innovationlab beteiligt?

Luat Nguyen: Unsere Shareholder-Struktur ist sehr heterogen. Mit unseren akademischen und industriellen Partnern, wie der BASF SE, der SAP SE, Heidelberger Druckmaschinen, dem Karlsruher Institut für Technologie und der Universität Heidelberg, bauen wir unser Portfolio an Produkten und Dienstleistungen im Bereich der gedruckten Elektronik kontinuierlich aus.

Wie groß schätzen Sie den Marktanteil für gedruckte Elektronik?

Luat Nguyen: Das Marktforschungsunternehmen IDTechEx prognostiziert ein Marktvolumen für organische und flexible gedruckte Sensoren bis 2030 von 4,5 Mrd. US-Dollar. Im Zuge dieses Wachstums werden sich völlig neue Anwendungsgebiete in der Automobilindustrie, Medizintechnik, Lagerlogistik, im Retail und im Bereich Smart Cities eröffnen. Mit unserem Lab2Fab-Konzept wollen wir daran teilhaben.

Beschreiben Sie unseren Lesern kurz das Herstellungsverfahren.

Dr. Janusz Schinke: Unser Prozess ist eigentlich ganz simpel. Die Sensoren werden als funktionale Tinte auf Folie gedruckt, anschließend wird getrocknet. Gedruckt wird übrigens unter Reinraumbedingungen, denn schon kleinste Verunreinigungen durch Staub könnten das Druckergebnis verfälschen.

Der One-Stop-Shop für Gedruckte Elektronik

Welche Vorteile bieten Ihre gedruckten organischen Sensoren?

Heidelberg Printed Electronics_Industrial Production of Printed Sensors

Die Kooperation mit Heidelberger Druckmaschinen ermöglicht nun eine Produktion gedruckter Sensoren im industriellen Maßstab am Standort Wiesloch-Walldorf. InnovationLab

Dr. Janusz Schinke: Sensoren fertigt man konventionell in einem aufwendigen mehrstufigen Fertigungsprozess in Halbleiter-Foundries. Die Nachteile dabei sind, dass die Zyklen von der Entwicklung bis zur Produktion recht lang und Iterationen kostspielig sind, ebenso der Stückpreis der Sensoren. Zudem ist die Auswahl des Substrats meist auf starre Materialien wie Silizium beschränkt. All das macht diese Sensoren für viele Anwendungen eher ungeeignet. Im Gegensatz dazu bietet die Herstellung gedruckter organischer Sensoren mithilfe des Rolle-zu-Rolle-Druckverfahrens eine größere Auswahl an Funktionswerkstoffen, Substraten und Abscheideverfahren. Wir verwenden organische Substrate, also auf Kohlenstoff basierende Materialien. Die sind nicht nur vergleichsweise günstig, sondern lassen sich auch leichter entsorgen und sind somit umweltfreundlicher. Auch in der Größe kennen wir keine Grenzen, 4×8 Meter beim Sheet-to-Sheet-Prozess ist durchaus machbar.

Wie lange dauert es in diesem Bereich von der wissenschaftlichen Idee bis zur Marktreife?

Dr. Janusz Schinke: Generell sind wir deutlich schneller als bei Standardelektronik, besonders dann, wenn ein bestimmtes Produkt schon konkretisiert und es auch nicht besonders komplex ist. Hier reden wir von wenigen Monaten. Bei komplexeren Produkten oder bei Medizinprodukten zum Beispiel dauert es länger, da die entsprechenden Regularien (beispielsweise das Medizinproduktegesetz) die technische Umsetzung bestimmen. Dann dauert es ein paar Jahre.

Für welche Endprodukte sehen Sie gedruckte Elektronik, Stand heute, am besten geeignet?

Dr. Janusz Schinke: Sensoren können auf flexible und sogar biologisch abbaubare Materialien wie Textilien gedruckt werden. Dadurch ergeben sich neue Anwendungsfälle, zum Beispiel Folien aus gedruckten Sensoren, mit denen Autobatterien umwickelt werden können, um den Batteriezustand in Echtzeit zu überwachen, oder verschiedene gedruckte Sensoren für Wundauflagen und Verbände. Weiterhin können flexible, gedruckte Sensoren die Lieferkettenbedingungen und die Einhaltung der Kühlkette bei Lebensmitteln verfolgen.

An welchen dieser Produkte ist Innovationlab beteiligt?

Intelligente Matrazenauflage

Durch die Kombination von Drucksensoren mit einer Echtzeit-Gesundheitsüberwachungssoftware, die KI/ML zur Datenverarbeitung nutzt, ermöglicht es die intelligente Bettauflage dem Pflegepersonal, Patienten aus der Ferne in Echtzeit zu überwachen, anstatt in kurzen Abständen den gesamten Körper eines Patienten auf Dekubitus zu untersuchen. InnovationLab

Luat Nguyen: Ganz aktuell haben wir an einer lebensrettenden, intelligenten Bettauflage mitgearbeitet. Der Demonstrator dieser Bettauflage besteht aus einer Reihe von mehreren hundert flexiblen gedruckten Drucksensoren von Innovationlab, die mit einer Gesundheitsüberwachungssoftware von Bitquadrat kombiniert ist. Diese nutzt maschinelles Lernen (ML)/künstliche Intelligenz (KI) und Echtzeit-Datenverarbeitung. Die intelligente Bettauflage bewertet das Risiko von Druckgeschwüren, indem sie Druckstärke und -dauer an jedem Kontaktpunkt überwacht. Dies ist ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen intelligenten Matratzen mit Bewegungssensoren, die nur erkennen, wenn sich ein Patient bewegt und seine Position ändert.

Wenn Sie sich etwas wünschen dürften – wo würden Sie gerne in Zukunft Ihre organischen Sensoren sehen?

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Flexible Drucksensoren von InnovationLab dienen im OccluSense-System als diagnostisches Hilfsmittel zur Aufnahme und Darstellung Druckverhältnisse im Kiefer und beim Kauen. Dr. Jean Bausch GmbH & Co.KG

Dr. Janusz Schinke: Ich sehe verstärkt den Einsatz im Gesundheitswesen, da ist die Bandbreite extrem groß. Mich würde es sehr stolz machen, wenn unsere Sensoren kranken Menschen helfen könnten, ihr Leben zu vereinfachen oder Leid zu lindern, wie bei der Dekubitusmatte. Mit unseren Sensoren, die so extrem dünn und gut versteckt sind, wird sich auch das Fahrerlebnis im Auto verändern, denn das Auto wird in Zukunft wissen, was wir tun, ob wir übermüdet oder verspannt sind.

Luat Nguyen: Meine Wunschliste ist lang, wenn unsere Sensoren Smart Cities intelligent machen sollen. Wir könnten Ampeln nur nach Bedarf schalten lassen, weil Sensoren messen, wie viele Fahrzeuge gerade auf den Straßen und vor allem wo sie unterwegs sind. Sollte es in einem Gebäude brennen, detektieren unsere Sensoren, wer wo im Gebäude ist und leiten diese Personen zum Fluchtweg. Sensorik ist dabei nur der Anfang, um unser Leben intelligenter und umweltfreundlicher zu machen. Davon träume ich.

Das Interview führte productronic-Chefredakteurin Petra Gottwald

Petra Gottwald

Chefredakteurin Productronic

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