Anders als bei der Virtual Reality (VR), die Nutzer per Brille komplett in virtuelle Welten entführt und die Realität ausblendet, erweitert die Augmented Reality (AR) die Umgebung um zusätzliche Informationen oder Objekte. So projiziert etwa die Datenbrille Hololens von Microsoft über eine Art Head-Up-Display hochaufgelöste Hologramme in das Blickfeld des Trägers. Dafür benötigt sie kein zusätzliches Smartphone oder PC. Möglich macht das ein integrierter Computer mit einer holographischen Recheneinheit (Holographic Processing Unit, HPU). Zudem erfassen Bewegungssensoren die Lage des Kopfes, um je nach Position die Hologramme und Projektionen korrekt im Raum anzuordnen. Gesteuert wird die Brille über Gesten, Sprache und Kopfbewegungen. Um herauszufinden, welche Anwendungen mit der Brille bereits realisierbar sind und welche noch folgen könnten, hat sich die Redaktion auf der SPS IPC Drives umgesehen und informiert.
Der digitale Zwilling
In Zusammenarbeit mit dem italienischen Roboterhersteller Comau präsentierte beispielsweise Iconics einen Roboter, mit dem Besucher per Hololens interagierten, da der Roboter über die Datenbrille parametrier- und steuerbar war. So konnten im virtuellen Abbild des Roboters Befehle mittels Gestik und Sprache zur Steuerung abgesetzt werden, die direkten Einfluss auf den realen, physikalischen Roboter hatten. So änderten die Benutzer Sollwerte, gaben Start-Stopp-Befehle und steuerten den Roboter so, als würden sie ihn über dessen reales Bedieninterface lenken.
Feedback aus dem Prozess
Beckhoff zeigte an seinem Stand ebenfalls die Potenziale der Hololens. Dafür bekamen Anwender die Twincat-Prozessdaten zu einer Maschine per Brille eingeblendet. Marius Kahmen, Produmananger Twincat und IoT Communications beim Unternehmen, beschreibt die Vorteile der AR: „Die Brille bietet die Möglichkeit, die Folgen meines Handelns an der Maschine live anhand der Daten zu verfolgen und bei Fehlern schnell eingreifen zu können.“
Augmented-Reality
Ende Januar 2016 trat Microsoft auf den Plan und stellte seine Augmented-Reality-Brille Hololens mit Windows 10 der Öffentlichkeit vor. In Deutschland erhältlich ist die Brille seit Anfang November 2016. Das Thema AR gibt es jedoch schon länger. Bereits 2014 wagte ein Konzern mit der Brille Google Glass den Schritt in die Mixed Reality, also einer vermischten Welt aus realen und künstlichen Informationen. Doch die – sogar für die USA – unzureichenden Datenschutzbestimmungen und eine eingeschränkte Bedienbarkeit schickten die Brille zurück in eine Projekt-Schublade. Auch Ikea entdeckte die AR früh für sich. Im Jahr 2013 veröffentlichte das schwedische Möbelhaus einen Katalog, in dem ausgewählte Möbelstücke per Smartphone-App eingescannt und virtuell an einen beliebigen Platz in der Wohnung projiziert werden konnten. Pokémon Go! brachte die Technik dann im Jahr 2016 auf die Smartphones und viele Jugendliche raus in die Natur. Medienberichten zufolge will auch Apple auf den AR-Zug aufspringen und ein eigenes Produkt auf den Markt bringen.
Automatisierung besser planen
Anhand der Türme von Hanoi – einem mathematischen Knobelspiel – zeigte die Firma Machineering seine Hololens. Vor den Augen der Brillenträger setzte ein Roboter gelochte Scheiben von einem Stab auf den anderen, bis er den kompletten Scheiben-Stapel von links nach rechts versetzt hatte. Dr. Georg Wünsch, Leiter der Entwicklung und Gründer des Unternehmens, demonstrierte dabei ebenfalls die Möglichkeiten der Sprachsteuerung. Er hat dafür eigene Befehle in das Spracherkennungsprogramm Cortana programmiert, um das Hologramm im Raum zu bewegen und den Roboter zu steuern. Für die Geschäftsführerin Beate Freyer liegen die Möglichkeiten der VR in der Schnittstelle zwischen Anlagenbauer und Automatisierungstechniker. Sie ist davon überzeugt, dass „es die Planung erleichtert, wenn der Automatisierer das Modell der Anlage bereits im Vorfeld per Hololens sieht und nicht nur die Daten am Rechner zur Verfügung hat.“ Zudem kann er sich so virtuell frei zwischen den Maschinen bewegen und erhält dadurch einen besseren räumlichen Eindruck von der Anlage.
Überwachen ja, Bedienen nein
Die Tatsache, dass „es eben nicht nur die Hololens gibt“, ist für Norbert Huckenbeck, Business Developer bei Progea, ein untrügliches Zeichen, dass die AR im Kommen ist. Auch andere Anbieter drängten auf den Markt. Daraus schließt er, dass die erweiterte Realität nicht nur ein kurzer Hype ist, sondern sich durchsetzen wird. Ähnlich sieht es Markus Stadlhofer, Geschäftsführer des Unternehmens. Für ihn war bereits vor zwei Jahren – mit dem Aufkommen von Google Glass – klar, dass die Technologie ein wichtiger Teil der zukünftigen industriellen Arbeitswelt sein wird. Mit den aktuellen Geräten und Entwicklungen fühlt er sich in dieser Einschätzung bestätigt. Am Messestand des Unternehmens konnten Besucher automatisierte Prozesse mittels Hololens überwachen und individuelle Informationen über – etwa ein Ventil-/Pumpensystem oder ein Wind- und Wasserkraftwerk – erhalten. Allerdings sieht Stadlhofer in der Datenbrille, aufgrund der ungenauen Bedienung und fehlenden Haptik, keinen Ersatz für die Steuerung per Knopf und Regler. Anwender könnten beim Bedienen einer Anlage mit AR Devices durch eine falsche ruckartige Bewegung unerwünschte Funktionen auslösen. Geht es nach Stadelhofer, werden auch in Zukunft haptische Eingabegeräte zum Einsatz kommen. Die Datenbrille wird jedoch die entsprechende Informationen liefern, beispielsweise welche Arbeitsschritte zum Lösen eines Problems oder bei anfallenden Servicetätigkeiten nötig sind.
Arbeiter per Gamificiation anweisen
Eine Applikation, die in diese Richtung geht, zeigte Inosoft/Ergosign mit der Tele-Instruktion. Per Hololens wurden unter anderem die Handgriffe demonstriert, die nach dem Betätigen eines Notstopps einer Maschine notwendig sind, um diese erneut zu starten. Der Anwender bekommt durch die eingeblendeten Befehle gezeigt, welchen Knopf er in welcher Art zu bedienen hat. Das ermöglicht auch ungelernten Arbeitskräften, ihnen unbekannte Aktionen durchführen, ohne ein Handbuch oder Tablet bei sich zu haben. In diesem Zusammenhang ist Gamification ein wichtiger Aspekt, also das Einbinden von spielerischen Elementen in den Arbeitsalltag. Die Idee dahinter: eine einfache Darstellung, auch komplexer Arbeitsabläufe, soll Arbeitern der Zugang zu Maschinen und Anlagen erleichtern. Außerdem können versierte und teure Spezialisten den Vorgang per Kamera verfolgen. Falls nötig geben sie weitere Anweisungen und greifen ein; entweder per Videochat, oder sie zeichnen auf ihrem Touchpad entsprechende Befehle und übermitteln diese an den Träger der Brille. Und dass, obwohl sie sich möglicherweise auf einem anderen Kontinent befinden.
Die erweiterte Realität als Chance
Übereinstimmend zeigten sich die Aussteller euphorisch beim Thema AR. Daran, dass die neue Technologie mit Kinderkrankheiten zu kämpfen hat, störten sie sich kaum. So wurden etwa das kleine Sichtfeld von 20° und die nicht immer richtig erkannten Gesten zur Steuerung bemängelt. Auch bei Problemen mit großen Räumen, verspiegelten Oberflächen und sich bewegenden Objekten, erhoffen sie sich zukünftig eine verbesserte Technik. Denn in solchen Situationen hätte die Hololens noch Schwierigkeiten, sich richtig in Raum zu orientieren und entsprechend die Hologramme korrekt zu platzieren.
Die auf der Messe dargestellten Anwendungen bleiben jedoch nur ein Ausschnitt der Möglichkeiten für die Zukunft der Industrie. Der Phantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. André Lange, Geschäftsführer von Iconics Deutschland, hebt einen Vorteil besonders hervor: „Windows hat den Code der Hololens veröffentlicht.“ Davon verspricht er sich einen enormen innovativen Schwung im Markt.
Für die Zukunft bleibt festzuhalten: ob die Zielapplikation der AR-Brille in der Tele-Instruktion oder dem Visualisieren von Modellen liegt. Die Hololens soll vor allem eins nicht sein: Das neue Brett vorm Kopf – eben nur aus Kunststoff.
Der intelligente Helm
Eine Alternative zur Hololens ist der smart helmet von Daqri. Die erste Version des Schutzhelms mit eingebauter AR kam im Jahr 2016 auf den Markt. Dr. Colin Couper, Field Applications Engineer des Unternehmens, sieht die Anwendungen des Geräts hauptsächlich im Feld oder in rauen Umgebungen ohne Steckdosen. Das ermöglichen austauschbare Batterien, mit einer Laufzeit von etwa acht Stunden. Bedient wird der Helm nur mit den Augen. So sind die Hände zu jeder Zeit frei. Der Hersteller nennt diese Steuerung “gaze and dwell”, sinngemäß übersetzt: anblicken und verweilen. Anwender schauen auf eine bestimme Stelle in ihrer erweiterten Realität und bewegen dadurch einen Punkt als eine Art Mauszeiger. Befindet sich an dieser Position in ihrem Sichtfeld beispielsweise eine Anwendung oder einen Menüpunkt und der Blick verharrt für etwa eine Sekunde, führt das System einen Klick aus. Durch eine integrierte Infrarot-Wärmebildkamera können zudem Wärmemuster aufgespürt und nachgewiesen werden, die auf Energieverluste, zugesetzte Rohre oder Konstruktionsmängel hinweisen. Im Gegensatz zur Hololens verfügt der Helm über zwei frei verfügbare USB-Ports für den Anschluss von zusätzlichen Geräten. Ein weiterer Vorteil ist das im Vergleich zur Hololens größere Sichtfeld von 45° statt 20°.
Dr. Martin Large
(ml)