Hinsichtlich der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) gelten aktuell für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und Fahrzeuge mit Elektroantrieb oder Hybridfahrzeuge dieselben Anforderungen, die im „Pink Book“ (Maßnahmenkatalog der Europäischen Kommission vom 31. Dezember 2010, Seite 8) beschrieben sind.
Sowohl für die Typprüfung ganzer Fahrzeuge als auch für die Prüfung von Komponenten oder Systemen gilt aktuell die in jeweiliges nationales Recht umgesetzte EU-Rahmenrichtlinie 2007/46/EC. In dieser Rahmenrichtlinie 2007/46/EC wird hinsichtlich der Elektromagnetischen Verträglichkeit auf die Einzelrichtlinie 72/245/EEC verwiesen. Die Einzelrichtlinie 72/245/EEC wurde mit Änderungs-Richtlinien mehrfach an den technischen Fortschritt angepasst. Aktuell gilt die Einzelrichtlinie 72/245/EEC in der Fassung 2009/19/EC inklusive aller vorangegangenen Änderungen. In der schon etwas älteren Änderungs-Richtlinie 2004/104/EC sind dazu beispielsweise alle EMV-relevanten Prüfungen sowohl für Fahrzeuge, als auch für Komponenten beschrieben, inklusive der Angabe der anzuwendenden Normen (aktualisiert durch die Änderungs-Richtlinie 2005/83/EC).
Prüfung gemäß ECE oder EU-Richtlinie?
Alternativ zum oben beschriebenen EU-Regelwerk können Fahrzeuge und Komponenten nach den ECE-Regeln (UNECE = United Nations Economic Commission for Europe, Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen) zugelassen werden. Mittlerweile existieren weit über 100 ECE-Regeln. Die ECE-Regel Nr. 10 (ECE-R10) behandelt das Thema EMV. Im aktuellen Ausgabestand Revision 03 stellt die ECE-R10 dieselben Anforderungen wie in der entsprechenden EU-Richtlinie.
Damit ergibt sich hinsichtlich der durchzuführenden EMV-Prüfungen keinen Unterschied, ob die EMV nach den EU-Richtlinien oder nach der ECE-R10 geprüft und bewertet wird. Die ECE-R100 befasst sich mit batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen. Allerdings liegt der Schwerpunkt der ECE-R100 im weiteren Sinn bei der elektrischen Sicherheit, während EMV-Anforderungen in der ECE-R10 behandelt werden.
Während des leitungsgebundenen Ladens des Elektro- oder Hybridfahrzeuges greift wegen der anwendbaren Spannungsgrenzen üblicherweise die EU-Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EC, die auch die Normenreihe EN 61851 Konduktive Ladung von Elektrofahrzeugen aufführt. Die im aktuellen Amtsblatt der EU vom 31.8.2011 aufgeführte EN 61851-21:2002 enthält ab Abschnitt 9 ergänzende EMV-Anforderungen, die an die industriellen Standard-Anforderungen nach der EMV-Richtlinie 2004/108/EC angelehnt sind.
Neben der regulären EMV sind wegen der hohen Spannungen und hohen Ströme gerade bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen die EMF – also die Elektromagnetischen Felder – von besonderem Interesse.
Unterschied zwischen EMV und EMF
Die EMV betrachtet in erster Linie die Eigenschaft eines Gerätes, andere Geräte zu stören (Störaussendung eines Produktes) sowie die Fähigkeit, unempfindlich gegen elektromagnetische Störungen zu sein, so dass keine unzumutbare Beeinträchtigung auftritt (Störfestigkeit eines Produktes).
Die EMF hat zum Ziel, die Umwelt (Menschen) vor schädlicher Einwirkung elektromagnetischer Felder zu schützen. Die elektrischen und magnetischen Felder sind aufgrund der sehr hohen Ströme und Spannungen in Elektro- und Hybridfahrzeugen deutlich höher als bei Fahrzeugen, die mit Verbrennungsmotoren arbeiten. Auch beim induktiven (kabellosen) Laden von Fahrzeugen entstehen hohe Felder; um so wichtiger ist die Einhaltung der Grenzwerte und die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen.
Sind die anwendbaren Vorschriften ausreichend?
Der bisherige Ansatz der Normen basiert auf der separaten Prüfung von Komponenten mit der dann vermuteten großen Wahrscheinlichkeit, dass die nachfolgende Prüfung des Gesamtfahrzeugs positiv abgeschlossen werden kann. Bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor basiert dieser Ansatz auf der Tatsache, dass der Antrieb und die Steuerungen separat betrachtet werden können, da sie mehr oder weniger in sich geschlossene Systeme darstellen. Zudem geht die aktuelle Normung zur gestrahlten Störfestigkeit zumeist davon aus, dass sich die Störquelle außerhalb des Fahrzeugs befindet, zum Beispiel ISO 11451-2.
Bei Fahrzeugen mit Elektroantrieb verschwimmen diese klassischen Trennlinien zwischen Antrieb und Steuerung. Der Antrieb mit allen Komponenten zieht sich durch das ganze Fahrzeug und erzeugt durch seine hohen Ströme und Spannungen beachtenswerte elektrische und magnetische Felder. Der Antriebsstrang erzeugt also im Fahrzeug elektromagnetische Störungen. Diese mitten im Fahrzeug erzeugten elektromagnetischen Felder können durch Nahfeldeffekte angrenzende Systeme beeinflussen oder stören, was aber erst durch die Interaktion aller Systeme und Komponenten sichtbar wird. Hier sieht der TÜV Süd Senton Diskussionsbedarf, damit auch weiterhin die Normen und Regelwerke mit den sich ändernden technischen Anforderungen Schritt halten.
Störungabstrahlungen bei EV und Hybrid
Grundsätzlich erzeugen alle elektrischen oder elektronischen Schaltungen Störaussendungen, die sie bis zu einem gewissen Grad auch an die Umwelt abgeben dürfen. Hybrid- und Elektrofahrzeugen nutzen für den Antrieb Spannungen von deutlich über 600 V und Ströme von teilweise mehreren 100 A. Die Kombination von hohen Spannungen und Strömen haben das Potenzial, auch entsprechend hohe Störungen zu erzeugen. Deshalb muss sichergestellt werden, dass alle Schutzziele der anwendbaren Richtlinien und Normen eingehalten werden. Dies erfolgt üblicherweise zunächst auf Modulebene, so dass zunächst eine Prüfung erforderlich ist, ob die einzelnen Komponenten auch die Anforderungen einhalten. Nach erfolgter Integration in das Fahrzeug wird das Gesamtfahrzeug geprüft – auch hinsichtlich der ausgesendeten Störungen. Dieses Prozedere stellt sicher, dass sich auch die Störaussendung unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte bewegt.
Bei reinen Elektro-Fahrzeugen entfallen gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren mögliche Störungen durch die Zündanlage beim Motorstart und während des Betriebs.
Besondere Anforderungen an die EMV
Bei den Hybrid- und Elektrofahrzeugen besteht ein ähnliches Spannungsfeld, wie bei Fahrzeugen mit konventionellen Verbrennungsantrieben: Auf der einen Seite sollen die Fahrzeuge sicher sein und eine geringe Störaussendung bei hoher Störfestigkeit aufweisen. Das erfordert geschirmte Kabel, Leitungen, Stecker und Gehäuse sowie ausreichend Masseflächen und Masseverbindungen, Ferrite etc. Jede dieser Maßnahmen erhöht aber die zu bewegende Fahrzeugmasse. Auf der anderen Seite sind hohe Kilometer-Reichweiten und niedrige Herstellkosten gefragt. Die Leichtbauweise hilft, diese sich widersprechenden Ziele miteinander zu verbinden. Durch den Ersatz von Karosserieblechen und Metallgehäusen von Steuerbaugruppen durch Kunststoffe verringern sich neben dem Gewicht auch die zur Schirmung verwendeten Masseflächen und Massepunkte.
TÜV Süd Senton geht davon aus, dass auf lange Sicht bereits in sehr frühen Entwicklungsstadien beispielsweise durch EMV-gerechte Designs versucht wird, dauerhaft die Störaussendung zu reduzieren und die Störfestigkeit zu erhöhen, um so vermehrt auf aufwändige Schirmungen verzichten zu können. Ferner werden auch die Hersteller elektronischer Komponenten aufgrund von zu erwartenden Wettbewerbsvorteilen einiges daran setzen, elektromagnetisch optimierte Produkte anzubieten und dazu beizutragen, trotz reduzierter Fahrzeugmasse alle EMV-Anforderungen zu erfüllen.
Schwerpunkte und besondere Probleme
Hybrid- und Elektrofahrzeuge nutzen hohe Spannungen und hohe Ströme für den Antrieb. Die hohen Spannungen bedingen hohe Feldstärken (E-Felder), die hohen Ströme erzeugen hohe Magnetfelder (H-Felder). Üblicherweise begegnet man den E-Feldern mit traditionellen Mitteln wie beispielsweise Schirmung oder Ferriten. Im Gegensatz dazu sind Magnetfelder schwieriger zu bändigen. Neben den für Fahrzeuge nicht praktikablen Ansätzen wie beispielsweise einem größerem Abstand zur Störquelle oder der Verwendung von Mu-Metall bleiben als mögliche Maßnahmen die Kompensation der Ströme nach außen beziehungsweise die Symmetrierung der Stromführung und des Layouts.
EMV bei EVs und Hybriden
Hybrid- und Elektrofahrzeuge nutzen hohe Spannungen und hohe Ströme für den Antrieb. Die hohen Spannungen bedingen hohe Feldstärken, die hohen Ströme erzeugen hohe Magnetfelder. Daher heißt es, die entsprechenden Richtlinien zu kennen und Störsignale zu vermeiden beziehungsweise zu unterdrücken.
Bedingt durch die höhere Zahl von elektronischen Steuerungen und/oder Schaltkreisen in Hybrid- oder Elektrofahrzeugen kann die Störaussendung als kritischer angesehen werden als bei herkömmlichen Fahrzeugen mit Verbrennungsantrieb. Als mögliche Hauptquellen von gestrahlten Störaussendungen sehen Experten die Antriebskomponenten, beispielsweise Frequenzumrichter, Elektromotor, Leitungen und Stromversorgungen.
Ferner ergibt sich beim Laden von Elektrofahrzeugen eine neue Situation: Da eine Verbindung des Fahrzeugs mit dem 230-V- beziehungsweise 400-V-Drehstromnetz erfolgt, sind sowohl die Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EC als auch die EMV-Richtlinie 2004/108/EC relevant.
Hinsichtlich der praktischen EMV-Prüfung stellen Hybrid-Fahrzeuge besondere Herausforderungen an die vom Labor vorzuhaltende Technik: Sollen alle Einzelkomponenten in Betrieb sein, können manche Hybrid-Systeme nur unter Last auf einem Rollenprüfstand betrieben werden. Eine 10-m-Absorberhalle mit Abgasabsaugung, Schwerlast-Drehtisch, Fahrtwindsimulator beziehungsweise ausreichende Kühlung sowie gegebenenfalls ein Rollenprüfstand gehören für die gestrahlten Prüfungen somit zur Mindestausstattung eines EMV-Labors.
Dienstleistungen
TÜV Süd Senton hat sich auf Leistungen in den Bereichen Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV), Funk, Umweltsimulation und Gerätesicherheit spezialisiert. Als unabhängiges und nach ISO 17025 akkreditiertes Prüflabor ist das Unternehmen unter anderem vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als Technischer Dienst benannt. Damit haben Kunden von TÜV Süd Senton die Möglichkeit, neben Prüfungen nach den einschlägigen Lasten-/Pflichtenheften namhafter Automobilkonzerne auch komplette KBA-Zulassungen aus einer Hand zu erhalten.
Darüber hinaus bietet der TÜV-Süd-Konzern mit 17.000 Mitarbeitern und seinem weltweiten Netz von Niederlassungen und Laboren ein umfangreiches Dienstleistungsangebot für Hersteller und Zulieferer der Automobilindustrie. In den vergangenen beiden Jahren hat der Konzern beispielweise seine Leistungen im Bereich der Elektromobilität kontinuierlich ausgebaut und vor kurzem in Garching bei München ein weiteres Batterietestlabor eröffnet.
Stefan Kammerl
(av)