800 V Systemspannung für schnelleres Laden klingt vielversprechend. Entwickler müssen jedoch auch die dafür notwendigen Änderungen an der Fahrzeugarchitektur im Blick gehalten. Welche das sind, erklärt der Beitrag.

800 V Systemspannung für schnelleres Laden klingt vielversprechend. Entwickler müssen jedoch auch die dafür notwendigen Änderungen an der Fahrzeugarchitektur im Blick gehalten. Welche das sind, erklärt der Beitrag. (Bild: NXP)

Begrenzte Reichweite und lange Ladezeiten werden seit langem als die beiden größten Herausforderungen für die breite Einführung von Elektrofahrzeugen (EVs) genannt. Weiterentwicklungen beim Batteriemanagementsystem und bei Batterietechnologien sorgen für eine Erhöhung der Reichweite der Fahrzeuge, doch für den Fahrer selbst ist auch die Ladegeschwindigkeit von großer Bedeutung. Eine Möglichkeit, die Wartezeit zu verkürzen, ist der Einsatz von Gleichstrom-Schnellladesäulen.

800-V-Architekturen als Schlüssel zu kürzeren Ladezeiten

DC-Schnelllader benötigen zwischen 30 und 45 Minuten, um die Batterie auf 80 Prozent aufzuladen. Dieser schnelle Ladevorgang erzeugt eine beträchtliche Menge an Wärme, da der interne Widerstand gegen den hohen Strom einen Temperaturanstieg verursacht. Für eine typische 400-V-Batterie ist die Ladegeschwindigkeit daher durch mehrere Faktoren wie die Querschnittsfläche des Ladekabels oder die Temperatur der Batteriezellen begrenzt. Bei einigen Gleichstrom-Schnellladestationen werden die Kabel mit Flüssigkeit gekühlt, um den durch den I²R-Verlust verursachten Temperaturanstieg in den Griff zu bekommen. Um die Ladeleistung zu erhöhen ist es daher eher naheliegend, die Spannung zu erhöhen, anstatt die Stromstärke weiter anzuheben.

Der Taycan EV von Porsche ist das erste Serienfahrzeug eines etablierten Automobilherstellers, dass sich dieses Prinzip zu Nutze macht – mit einer Systemspannung von 800 V statt der üblichen 400 V. Eine 350-kW-Schnellladestation der Stufe 3 könnte eine 80-prozentige Aufladung in nur 15 Minuten ermöglichen. Das 800-V-Design macht jedoch neue Überlegungen für alle elektrischen Systeme nötig, insbesondere in Bezug auf das Batteriemanagementsystem. Im Folgenden beschreibt der Beitrag die Folgen der höheren Spannung.

Elektrifizierungslösungen im Überblick

Die robuste, offene Architektur der Elektrifizierungslösungen von NXP ermöglicht eine sicherere Zwei-Wege-Kommunikation zwischen den elektrifizierten Endpunkten und der Cloud. Die Lösungen bieten die Kontrolle über das gesamte Ökosystem und ermöglichen Batteriemanagement, Schnellladung und Lastausgleich über ganze Netze. Hier erfahren Sie mehr dazu.

800 V braucht mehr Schaltschütze mit anspruchsvollerer Spezifikation

Hauptschütze isolieren und verbinden die Batterie und den Wechselrichter elektrisch, wenn das Fahrzeug ein- und ausgeschaltet wird. Unabhängige Schütze verbinden und trennen die Batterie mit und von den Wechselrichter- und Ladeanschlüssen. Zusätzliche Gleichstrom-Ladeschütze werden für das DC-Schnellladen verwendet, um die Verbindung zwischen der Ladestation und der Batterie herzustellen. Außerdem gibt es Hilfsschütze für die elektrische Heizung des Fahrgastraums und die Batterieheizung, um die Effizienz bei kalten Wetterbedingungen zu optimieren. Beim Laden mit 800 V kommen nicht nur mehr Schaltschütze zum Einsatz, sie müssen auch strengeren Spezifikationen entsprechen.

Auch ein Grund für die höheren Anforderungen an die Schaltschütze bei der Umstellung auf höhere Spannungen ist das größere Potenzial für schädliche elektrische Lichtbögen. Bei 800-V-Architekturen sind strengere Anforderungen an die Isolierung erforderlich als bei 400-V-Architekturen, was die Kosten der Lösung erhöht.

Kriechstrom und Sicherheitsabstände bei Steckverbindern

Bei höheren Spannungen sind größere Kriechstrom- und Sicherheitsabstände zwischen den Stiften des Steckverbinders erforderlich, um das Risiko einer Lichtbogenbildung zu vermeiden. Verschiedene Hersteller von Steckverbindern haben diese Herausforderung bereits bewältigt, allerdings zu einem höheren Preis als bei den 400-V-Steckverbindern, was wiederum Auswirkungen auf die Gesamtkosten hat.

Referenzdesign für ein Hochspannungs-BMS für 400 V.
Referenzdesign für ein Hochspannungs-BMS für 400 V. (Bild: NXP)

Auswirkungen von 800 V auf die Komponenten des Antriebsstrangs

Die Nennwerte der Komponenten im Modul des Traktionswechselrichters hängen von der maximalen Batteriespannung ab. Wird die maximale Batteriespannung auf 800 V erhöht, nimmt die Verfügbarkeit von Komponenten mit entsprechender Spezifikation stark ab, die zudem meist zu einem höheren Preis angeboten werden. Für 400-V-Batterien gibt es eine große Auswahl an diesen Komponenten, so dass das Modul des Traktionswechselrichters preislich konkurrenzfähig bleibt.

Die verschiedenen Batteriearchitekturen haben ihre eigenen Vor- und Nachteile. Eine der Lösungen für diese Herausforderung ist die Verwendung von zwei unabhängigen 400-V-Batterien. Sie können beim Laden in Reihe geschaltet werden (insgesamt 800 V), was die Ladezeit drastisch verkürzt. Beim Fahren können die Batterien dann parallelgeschaltet werden (400 V). Dieses Vorgehen hält die Kosten für den Traktionswechselrichter niedrig und ermöglicht seine Wiederverwendung in verschiedenen Fahrzeugmodellen, wobei über Skaleneffekte weitere Kostensenkung zu erwarten ist.

Die smarte vernetzte Batterie und die Zukunft der Elektrifizierung

Jens Hinrichsen, EVP Advanced Analog bei NXP, nahm in London an einer Podiumsdiskussion im Rahmen des viertägigen #FTCar The Future of the Car Summit 2022 teil. Gemeinsam mit Hui Zhang, Group Vice President NIO, Imogen Pierce, Director Influence E-Mobility, und Joe Miller, Korrespondent der Financial Times Frankfurt, diskutierte Jens Hinrichsen über die vielfältigen Möglichkeiten, die Elektrofahrzeuge (EVs) für den Wandel in der Automobilbranche bieten. Welche Rolle spielen dabei Halbleiter, und was steckt hinter intelligenten, vernetzten Cloud-Batterien?

Erhöhte Komplexität und funktionale Sicherheit mit 800 V

Mit der Erhöhung der Batteriespannung von 400 V auf 800 V ist es unvermeidlich, dass eine höhere Anzahl Batteriezellen-Controller (BCCs) zum Einsatz kommt. Mehr BCCs sind insofern eine Herausforderung für die funktionale Sicherheit, als dass die in FIT (failure-in-time) gemessene Ausfallwahrscheinlichkeit als Summe der Komponenten-FIT mit der Komponentenanzahl steigt. Gleichwohl ändert sich die in der Norm ISO 26262:2018 empfohlene maximale Rest-FIT für die BMS-Lösung nicht.

Innerhalb des Systems erhalten die BCCs nur einen bestimmten Anteil der zulässigen Gesamt-FIT, der nicht drastisch erhöht werden kann. Würde das FIT-Budget der BCCs erhöht, würde sich dies wiederum auf die zulässige FIT-Rate des restlichen Systems auswirken. Insofern besteht die Herausforderung darin, bei gleichem Ausfallwahrscheinlichkeits-Budget eine größere Anzahl von BCC-Komponenten zu integrieren.

Von 400 V auf 800 V beim Ladevorgang

Ein Konzept, das die meisten der oben genannten Herausforderungen adressiert, ist eine umschaltbare Architektur, die die Batterie zum Laden von ihren ursprünglichen 400 V auf 800 V umstellt. Das Batteriepaket besteht aus zwei 400-V-Batterien, die im Alltagsbetrieb parallelgeschaltet werden, um die Verwendung von standardmäßigen, Großserien 400-V-Antriebskomponenten wie dem Wechselrichter und dem Bordladegerät zu ermöglichen. Kapazität und damit auch die Reichweite bleiben davon unberührt. Das BMS schaltet die beiden Batterien während des Schnellladevorgangs in Reihe, wodurch sich die Spannung auf 800 V erhöht, die Stromstärke gesenkt und die Ladezeit verkürzt wird.

Gemeinsame Hardware und Software unterstützen die Skalierbarkeit

Die Mikrocontroller der NXP-S32K3xx-Serie unterstützen sowohl 400-V als auch 800-V-Architekturen sowie die vorgestellte schaltbare Architektur. Die Bausteine der Serie verfügen über gleiche Peripheriefunktionen und Pin-Out. So können Entwickler problemlos innerhalb der gleichen Serie oder zwischen anderen Prozessoren innerhalb des S32K-Portfolios wechseln und von einem größeren Speicher oder Funktionsintegration profitieren. Gleichzeitig lassen sich Hard- und Software besser wiederverwenden und die Time-to-Market verkürzt sich.

Entwicklerinnen können flexiblere und effizientere Architekturen konzipieren, indem sie die NXP-S32K3xx-BMS-Prozessoren in Verbindung mit dem MC33665-BMS-Transceiver/Gateway-IC verwenden. Der Baustein ermöglicht auch die Standardisierung der Kommunikation innerhalb der Batterie auf CAN-FD im Vergleich zu den heute verwendeten proprietären Daisy-Chain-Kommunikationsprotokollen.  

Durch die Standardisierung auf CAN-FD können OEMs mit einer einzigen, generischen Batteriemanagementeinheit (BMU) anstelle von mehreren lieferantenspezifischen BMUs arbeiten. Das reduziert die Kosten und die Markteinführungszeit für neue Batteriemodelle. Der MC33665 fungiert als Transceiver und Gateway. Auf der BMU montiert, bündelt das Gerät die Kommunikation mit der Battery Junction Box (BJB) und den Zellmanagement-Units (CMUs). Dank der vier ETPL-Schnittstellen (ETPL ist ein proprietäres Daisy-Chain-Protokoll von NXP, das in BMS-Anwendungen mit hoher Spannung für eine isolierte Kommunikation verwendet wird) kann das Gerät mehrere Daisy Chains aufbauen, um eine Reihe von CMU-Platinen zu verbinden und die gesamte Kommunikation und Datenweiterleitung übernehmen. Dadurch reduziert sich die Rechenlast der MCU. Broadcast-Nachrichten erleichtern zudem die Synchronisierung der Strom- und Spannungsmessungen des Batteriepacks, die in den jeweiligen Funktionsmodulen durchgeführt werden. Ausgehend von diesen Messungen kann dann die Impedanz bzw. der (Schein)Widerstand der Zellen und des Batteriepacks berechnet werden. Darüber hinaus verbessert die Loopback-Fähigkeit die Robustheit der Kommunikationsschaltung innerhalb der Batterielösung.

Die Software-definierte Lösung trennt die Software der Anwendungsschicht von der physischen Modul- oder Cell-to-Pack-Konfiguration. Mit dem skalierbaren Batteriezellen-Controller-Portfolio der NXP MC3377X-Familie, das von sechs bis hin zu 18 Zellen reicht, werden unterschiedliche Zellzahlen der verschiedenen Module abgedeckt. Dank dieser Flexibilität können die stark variierenden Marktanforderungen in der Automobilindustrie erfüllt werden.

NXP hat zudem neue Bausteine mit einer reduzierten Ausfallwahrscheinlichkeit (FIT-Rate) entwickelt, um den Anforderungen der funktionalen Sicherheit in Hochvoltsystemen gerecht zu werden. Durch die Implementierung neuer funktionaler Sicherheitskonzepte, Detektiermethoden und Sicherheitsarchitekturen wird der Diagnosedeckungsgrad der Fehlermodi erhöht und die verbleibende FIT-Wahrscheinlichkeit drastisch auf ein akzeptables Niveau gesenkt. So können Lösungen für höhere Spannungen einsatzbereit gemacht werden.

Technologien für das Auto der Zukunft

Das Auto wird nicht nur elektrisch, sondern zunehmend autonom und vernetzt. Um diese Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, sind entstehen smarte Lösungen rund um Hardware und Software. Dazu gehören Netzwerk-Architekturen, Technologien für die Elektrifizierung, Fahrerassistenzsysteme, Zugangskontrollen und auch die In-Verhicle Experience für den Fahrer. Hier finden Sie einen Überblick über alle Technologien.

Das Beste aus zwei Welten

Die umschaltbare 2×400-V/800-V-Batteriearchitektur bietet OEMs das Beste aus beiden Welten – eine große Reichweite und ultraschnelles Laden – ohne zusätzliche Kosten für Antriebsstrangkomponenten. Außerdem können OEMs ihre Marken flexibler gestalten, indem sie Modelle mit 400 V oder 800 V anbieten und von Skaleneffekten profitieren.

Als kompletter Systemanbieter für Tier-1-Lieferanten bietet NXP eine skalierbare und vollständige Chipsatzlösung, die BMS-Funktionen unabhängig von der gewählten Architektur unterstützt. Durch das Angebot eines umfassenden Hochspannungs-BMS-Referenzdesigns (HVBMS), das dem vollständigen V-Modell der ISO 26262:2018-Norm für funktionale Sicherheit im Automobilbereich folgt, unterstützt NXP Entwickler bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus den neuen Architekturvorschlägen ergeben.

www.nxp.com/bms

Emiliano Mediavilla, NXP
Emiliano Mediavilla, NXP (Bild: NXP)

Emiliano Mediavilla

Principal functional safety architect BMS-Apps bei NXP Semiconductors

Konrad Lorentz, NXP
Konrad Lorentz, NXP (Bild: NXP)

Konrad Lorentz

Product Manager Battery Management Systems bei NXP Semiconductors

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