
Die klassische Industrierobotik ist durch ihre aktuellen Hauptmärkte Automotive und Elektronik auf eine gewisse Genauigkeit hin optimiert. (Bild: Keba)

Der Einsatz von Industrierobotern in unterschiedlichen Branchen und Anwendungen hat seit deren Einführung stark zugenommen. Ihr Hauptnutzen lag damals in der Ausführung sich wiederholender, gefährlicher Aufgaben mit beschränkten Genauigkeitsanforderungen. Da stellt sich die Frage, wie hat sich dies in Zeiten von Cobots und Industrie 4.0 verändert? Die Redaktion der IEE sprach mit Experten Michael Garstenauer, Produktmanager Robotik bei Keba, über die speziellen Anforderungen an die Roboter im industriellen Umfeld, wie man Bahngenauigkeiten unter 0,1 mm erreichen kann und über den Megatrend „Connectivity“.
Der Megatrend „Connectivity“ beschreibt das Prinzip der Vernetzung auf Basis digitaler Infrastrukturen. Brauchen Unternehmen ein umfassendes und systemisches Verständnis des digitalen Wandels um eine technologisch vernetzte Kommunikation aufzubauen?
Michael Garstenauer Wir sehen, dass sich bei vielen Maschinen- und Anlagenherstellern der Fokus vom klassischen hardwareorientierten Verkauf Richtung Dienstleistungen und Software verschiebt. Unsere Kunden gehen damit unterschiedlich um. Oft wird das gesamte Unternehmen umgestaltet, um auf diesen Wandel einzugehen. Das stellt natürlich für unsere Kunden wie für uns eine große Herausforderung dar. Auf der einen Seite werden gänzlich neue Disziplinen und Technologien wie Data Analytics, System Security oder künstliche Intelligenz entscheidend, auf der anderen Seite verändern sich Kundenbeziehungen weg von der Einzeltransaktion zur permanenten Schaffung von Nutzen entlang des gesamten Lebenszyklus. Die nehmen wir gerne an und versuchen unsere Kunden bei dieser Transition durch richtige Angebote in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu unterstützen. Die neuen Angebote betreffen das Produkt selbst wie zugehörige Dienstleistungen. Auf diesem Weg liegt noch viel Spannendes vor uns…
Welche Faktoren und Effekte können die Genauigkeit eines industriell genutzten Roboters beeinflussen oder verschlechtern und wie verhält sich dies bei Cobots? Und benötigen Cobots die gleiche Genauigkeit wie industrielle Roboter?
Michael Garstenauer Der Einsatz von Robotern und Cobots ist, auch aufgrund ihrer Flexibilität, sehr vielfältig. Alle Hersteller und Anwender müssen sich im Dreieck zwischen Genauigkeit, Dynamik – also wie schnell soll der Roboter fahren können – und Kosten für das jeweilige Kunden- und Anwendungssegment positionieren. Es gibt hier kaum ein Richtig oder Falsch. Die klassische Industrierobotik ist durch ihre aktuellen Hauptmärkte Automotive und Elektronik auf eine gewisse Genauigkeit hin optimiert. In Zukunft sehen wir jedoch viele weitere Anwendungsfelder mit höheren wie auch geringeren Genauigkeitsanforderungen. So ist das aktuelle Genauigkeitslevel für präzises Laserschweißen oder Druckverfahren nicht ausreichend, für einfaches Handling reicht oft auch weniger als bisher im Standard verfügbar ist.

Die Charakterisierung der Genauigkeit eines Roboters kann recht komplex sein. Welche Anforderungen der verschiedenen Anwendungen müssen dabei berücksichtigt werden?
Michael Garstenauer Ganz richtig! Genauigkeit wird je nach Anwendungserfordernissen unterschiedlich verstanden und gefordert. Spezifikationen von üblichen Industrierobotern geben meistens Werte unterhalb von 0,1 mm an. Diese beziehen sich jedoch auf die statische Wiederholgenauigkeit. Anders gesagt, es wird festgestellt, wie genau ein Punkt wieder angefahren wird, wenn die selbe Bahn nochmals ausgeführt wird und der Roboter dann stillsteht. In praktischen Anwendungen können zusätzlich die Aspekte der dynamischen Wiederholgenauigkeit - also wie genau wird eine Bahn wiederholt - ausgeführt oder die Absolutgenauigkeit von Bedeutung sein. Die Absolutgenauigkeit stellt dabei die „Königsdisziplin“ dar, sie wird so interpretiert, dass eine gänzlich neue Bahn mit neuer Dynamik durchfahren wird und der Roboter die programmierte Bahn innerhalb definierter Toleranzen einhält. Die dabei auftretenden Bahnabweichungen können bei üblichen Robotersystemen um mehrere Größenordnungen höher sein. Eine Spezifikation muss die Anforderungen der Applikation berücksichtigen – soll ein Punkt oder eine Bahn angefahren werden, wird die Lage des Werkstücks relativ zum Roboter vermessen, werden die Bahnen wiederholt ausgeführt oder sind diese bei jedem Zyklus gänzlich unterschiedlich.
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die Genauigkeit des Roboters beeinflussen. Können sie diese konkretisieren? Und wie weit kann man die Genauigkeit noch erhöhen?
Michael Garstenauer Grundsätzlich ist der elektromechanische Aufbau des Roboters ganz wesentlich für die erzielbare Genauigkeit. Da hat sich seit der Einführung der ersten Industrieroboter in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in sehr vielen Disziplinen ganz viel getan. Konstruktiver Leichtbau, moderne Regelungstechnik, Präzisionsgetriebe, elektrische Servo-Antriebstechnik und nicht zuletzt Elektronik und Steuerungstechnik haben sehr viel zur Verbesserung beigetragen. Hier sind gewisse Sättigungseffekte erkennbar. Wir sehen aber durchaus noch Potenzial durch die Integration von Steuerungsverfahren auf Basis von Modellierung und Identifikation – durch die stark gestiegene verfügbare Rechenleistung sind hier Methoden anwendbar, die bis vor kurzem unvorstellbar waren.
Wie umfangreich ist der gesamte Prozess rund um eine „Robotervalidierung“ und was benötige ich an Wissen?
Michael Garstenauer Bei der Validierung prüft man, ob die vorher durchgeführten Maßnahmen zur Genauigkeitssteigerung wie z. B. Kalibrierung oder Identifikation von Parametern an repräsentativen Bahnen die gewünschten Ergebnisse bringen. Als Richtschnur für allgemeine Validierungen kann man auf die Prozeduren der einschlägigen Normen zurückgreifen aber auch an die jeweilige Aufgabe angepasste Vorgehensweisen entwickeln. Wir bieten hier die Unterstützung mit einem integrierten Werkzeugset in der Steuerungssoftware und den zugehörigen Tools an, um diese Validierungen zuverlässig und schnell durchführen zu können und die Ergebnisse auch übersichtlich und klar aufzubereiten.

Welche Simulationsmöglichkeiten gibt es, um eine Roboter-Steuerung in Verbindung mit den Daten und Eigenschaften der verbauten Antriebstechnik auf eine hohe Genauigkeit zu trimmen?
Michael Garstenauer Unsere Steuerungssoftware ist so gestaltet, dass sie auch ohne Roboter am PC ausgeführt werden kann. Dabei ermöglicht unsere Bewegungssteuerung, nicht nur die Sollbewegungen sondern auch die Roboterdynamik sowie das Verhalten des Roboters „mitzusimulieren“. Damit können sowohl die auftretenden Kräfte, Momente und Antriebsströme als auch Abweichungen aufgrund von Reglerverhalten und Getriebeelastizität im Vorhinein untersucht werden. Auf der einen Seite kann mit diesen Simulationswerkzeugen das mechatronische Gesamtsystem optimiert und auf der anderen Seite Bahnen und Abläufe Richtung Genauigkeit getrimmt werden. Unsere Kunden können analog dazu ihre Kernprozesse in unserer Steuerung simulierbar machen und so die gesamte Lösung aus Robotik und Prozess gemeinsam betrachten. So können bereits vorab Risiken bei der Auftragsabwicklung einfach vermieden werden und auch Ausnahmesituationen ohne Aufwand oder Gefahr nachgestellt und die Systemreaktion entsprechend geprüft werden. Unsere Kunden gewinnen Effizienz und Planbarkeit und realisieren robuste Systeme ohne ungewollte Überraschungen.
Welche Rolle spielt die „Connectivity“ zwischen Robotersteuerung und Echtzeitschnittstelle und beeinflusst dies die dynamischen Messungen und Genauigkeitsanalysen?
Michael Garstenauer Grundsätzlich sind für alle Genauigkeitsuntersuchungen entsprechende externe Sensoren erforderlich, um das Verhalten des Roboters „von außen“ ermitteln und mit den intern berechneten Größen vergleichen zu können. In den letzten Jahren hat es hier sehr große Fortschritte gegeben, sowohl was übertragbare Datenmenge als auch die hochpräzise zeitliche Synchronisation zwischen allen Kommunikationsteilnehmern betrifft. Damit können interne Messgrößen hochgenau mit Sensordaten abgeglichen und gemeinsam analysiert werden. Anstatt stundenlanger manueller Arbeit werden alle erforderlichen Daten innerhalb weniger Sekunden gewonnen.
Was zeichnet Keba als Partner von Roboterherstellern bzgl. effiziente Genauigkeitsoptimierung aus? Und können Sie uns ein Beispiel für eine solche Kooperation darlegen.
Michael Garstenauer: Unsere Kunden schätzen unsere Expertise und Erfahrung in vielen Bereichen der Robotik. Bei der Genauigkeitsoptimierung gehen wir typischerweise von einer detaillierten Analyse der konkreten Anwendungserfordernisse aus und erarbeiten dann gemeinsam mechatronische Gesamtkonzepte, die die Genauigkeitsanforderungen erfüllen. Wir helfen unseren Kunden dabei, die Quelle der Abweichungen klar zu identifizieren und Methoden zu finden, diese zu reduzieren. Ein gelungenes Beispiel einer Kooperation gibt es mit dem Zykloidgetriebespezialist Nabtesco Precision Europe. Gemeinsam arbeiten wir daran, die individuellen Charakterisierungsdaten jedes einzelnen Getriebes bei der Ausführung von Bewegungen zu berücksichtigen und dadurch zusätzliche Performance ohne höhere Herstellkosten zu ermöglichen. Neben der Genauigkeit gibt es bei dieser Kooperation viele weitere Potentiale von der Auswahl und Dimensionierung von Getrieben bis zum Condition Monitoring im laufenden Betrieb.
Keba entwickelt nach den Prinzipien „Automation by innovation“. Können Sie uns diesen Claim näher erläutern?
Michael Garstenauer: Wir berücksichtigen in unseren Entwicklungen nicht nur aktuelle Trends, um diese unseren Kunden und Anwendern zur Verfügung zu stellen, sondern wir investieren auch bewusst sehr früh in revolutionäre Technologien. Dies tun wir mit vollem Risikobewusstsein und haben so in der Vergangenheit immer wieder Meilensteine geschaffen, die zum Zeitpunkt der Initiierung unvorstellbar waren. Konkrete Beispiele auf der Produktebene sind unsere sicheren kabellosen mobilen KeTop-Bedienpanels. Die ersten Schritte in diese Richtung hatten wir bereits vor 22 Jahren gesetzt, als das Thema noch in weiter Ferne war – heute setzen unsere kabellosen KeTops neue Standards in Sachen Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Sicherheit. Unsere Safety-Lösungen für Roboteranwendungen sind am Markt ebenfalls einzigartig und machen bei vielen unserer Kunden den entscheidenden Unterschied, um optimale Robotersysteme umzusetzen – einfach, effizient und sicher. Die Entwicklung lief ebenfalls mehr als 10 Jahre, und dafür braucht es schon eine gewisse Portion Durchhaltevermögen. Ein anderes Beispiel ist unser jüngster Geschäftszweig Energieautomation. Hier vermarkten wir zwei innovative Vorreiterprodukte: Wallboxen für das Laden von Elektrofahrzeugen sowie Steuerungen für umweltfreundliche Heizsystemen. Im Geist eines Startups vor 13 Jahren begonnen, als die Elektromobilität noch in den Kinderschuhen steckte und kaum jemand an deren Durchbruch glaubte, heute hocherfolgreich und auf starkem Wachstumspfad. Das meinen wir mit „Automation by innovation“.