Auf der Cycling World erhielt Joynext eine Auszeichnung für sein V2X-System zum Schutz von Radfahrern und anderen VRUs.

Auf der Cycling World erhielt Joynext eine Auszeichnung für sein V2X-System zum Schutz von Radfahrern und anderen VRUs. (Bild: Joynext)

Im Jahr 2020 waren fast die Hälfte aller Verkehrstoten in der Europäischen Union ungeschützte Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer, Fußgänger oder Zweiradfahrer. Gleichzeitig verfolgen alle Länder der Europäischen Union ein gemeinsames Ziel: Keine Verkehrstoten mehr. „Vision Zero“ steht für das ehrgeizige Ziel, die Zahl der Verkehrsunfälle auf Null zu reduzieren – ein komplexer, langwieriger, aber sehr wichtiger Prozess. Die Gesetzgeber in den Ländern planen, Pkw- und Lkw-Hersteller zu verpflichten, verschiedene Sicherheitssysteme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit serienmäßig in Neufahrzeuge einzubauen. Dazu gehören zum Beispiel Totwinkel- oder Notbremsassistenten. Diese Technologien sollen Unfälle reduzieren beziehungsweise in Zukunft ganz vermeiden.

Pkw und Lkw werden so zu „rollenden Computern“. Viele Sensor- und Assistenzsysteme bilden zusammen ein aktives Sicherheitssystem. In Kombination mit anderen Systemen wie Airbags oder Knautschzonen, den so genannten passiven Sicherheitssystemen, schützen sie die Insassen von Pkw oder Lkw. Dank der verschiedenen technischen Systeme können Unfälle zunehmend vermieden und das Verletzungsrisiko der Insassen deutlich reduziert werden. Doch wie steht es um die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer, also der VRUs, der Vulnerable Road User? Sind sie mit aktiven und passiven Sicherheitssystemen ausgerüstet? Verfügt das Fahrrad über eine automatische Notbremse? Hat das Fahrrad einen Airbag? Nein, natürlich nicht.

Während die Autohersteller immer mehr Technologien in ihre Fahrzeuge einbauen, um die Sicherheit zu erhöhen, haben die Radfahrer noch nicht davon profitiert. Der Schutz von Radfahrern beruht im Wesentlichen auf vier Faktoren:

  • Der Autofahrer muss sich an die Verkehrsregeln halten und dabei auch den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,50 m innerorts beziehungsweise 2 m außerorts einhalten sowie umsichtig fahren.
  • Der Radfahrer muss vom Autofahrer gesehen werden.
  • Der Radfahrer muss (wenn entsprechende Systeme vorhanden sind) vom Fahrzeug selbst gesehen werden.
  • Der Radfahrer muss sich an die Verkehrsregeln halten und umsichtig fahren.

Nur den vierten Faktor können die Radfahrer direkt beeinflussen. Wie aber können Radfahrer die anderen Faktoren beeinflussen? Wie können sie aktiv zu mehr Verkehrssicherheit beitragen? Die Antwort liegt in der Anwendung von Technologien, die bereits heute weltweit in Fahrzeugen und Infrastruktur zum Einsatz kommen.

V2X zum Schutz von VRUs

Nur den vierten Faktor können die Radfahrer direkt beeinflussen. Wie aber können Radfahrer die anderen Faktoren beeinflussen? Wie können sie aktiv zu mehr Verkehrssicherheit beitragen? Die Antwort liegt in der Anwendung von Technologien, die bereits heute weltweit in Fahrzeugen und Infrastruktur zum Einsatz kommen. Benötigt werden Technologien, die Fahrzeuge in die Lage versetzen, um die Ecke zu sehen, Daten zuverlässig und präzise auszutauschen, automatisierte Fahrzeuge miteinander sprechen zu lassen und alle Verkehrsteilnehmer so zu vernetzen, dass jeder weiß, was auf der Straße passiert. Es geht um die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und allen anderen, um die Kommunikation per V2X (Vehicle-to-Everything Communication).

V2X als zusätzlicher Sensor

Wie der Name schon sagt, liegt der Fokus derzeit noch auf dem Begriff „Fahrzeug“. Bei Joynext ist man daher der Meinung, dass V2X eine Technologie sein könnte, die vor allem auch dem Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer dient. Die Technologie basiert auf Funkkommunikation. Sie ermöglicht es den Teilnehmern, relevante Daten in Echtzeit und ohne zusätzliche Kosten auszutauschen. So erfolgt beispielsweise der Austausch von Positions- und Bewegungsdaten in anonymisierter Form, so dass Verkehrsteilnehmer so auf sich und andere Verkehrsteilnehmer aufmerksam machen.  Insofern ist V2X wie ein zusätzlicher Sensor zu bestehenden Sensorsystemen wie Radar, Kamera, Ultraschall oder Lidar. V2X bietet zusätzliche Vorteile wie eine größere Reichweite, die Überwindung von Sichtbehinderungen, die Überprüfung der Bereichsrelevanz sowie die Unabhängigkeit von Wetter und Tageszeit.

V2X bietet immer die gleichen Vorteile, unabhängig von Wetter, Tag und Nacht. Es ist eine perfekte Ergänzung zu anderen Sensortechnologien, die bei wechselnden Bedingungen Schwierigkeiten haben. V2X verbessert selbst in komplexen und unübersichtlichen Verkehrssituationen auch das Situationsbewusstsein durch eine Kommunikationsreichweite von bis zu einem Kilometer. Das ist weit mehr, als herkömmliche Kamera-, Radar- oder Lidar-Systeme in solchen Situationen abdecken.

Per V2X quasi um die Ecke schauen.
Per V2X quasi um die Ecke schauen. (Bild: Joynext)

Per V2X um die Ecke schauen

V2X überwindet das Problem, nicht zu wissen, was sich hinter der nächsten Ecke befindet. Auf Basis von Funkkommunikation erkennt es kritische Situationen, die mit dem menschlichen Auge oder anderen Technologien nicht rechtzeitig erkannt werden können. Die Technologie ist in der Lage, auf Basis der empfangenen Informationen bereichsspezifische Überprüfungen durchzuführen und ermöglicht so ein vorausschauendes Sicherheitsbewusstsein.

V2X ist somit eine ganzheitliche Lösung, die als aktives und passives Sicherheitssystem fungiert: Aktiv stellt es anderen Verkehrsteilnehmern Bewegungsdaten zur Verfügung, macht sie auf sich aufmerksam und warnt so vorausschauend vor möglichen Kollisionen. Als passives Sicherheitssystem führt es zu frühzeitigen Reaktionen und zur Reduzierung von Unfällen. Dadurch werden sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Folgen von Unfällen reduziert; V2X wird zu einem Wegbereiter der Vision Zero.

Umgebungserfassung per V2X

V2X ermöglicht eine vollständige und umfangreiche Erfassung der Umgebung. Dies umfasst alle relevanten Objekte oder Teilnehmer in der Nähe, einschließlich blockierter oder nicht sichtbarer Teilnehmer, und fügt eine vorausschauende Wahrnehmung dessen hinzu, was in den nächsten Sekunden passieren wird. V2X-Informationen ermöglichen es Systemen, zukünftige Bewegungen von Teilnehmern datenbasiert vorherzusagen, potenzielle Kollisionen zu prognostizieren und proaktiv zu handeln, um diese potenzielle Kollisionen zu vermeiden.

Die Integration von V2X-Systemen ist bereits im Gange und hat ihren Weg auf die Straße gefunden. Joynext ist schon einen Schritt weiter. Das Unternehmen stellt V2X auch anderen Verkehrsteilnehmern zur Verfügung, um eine umfassendere Umfelderfassung zu ermöglichen und den nächsten Schritt in der Verkehrssicherheit auf dem Weg zur Vision Zero zu gehen. Um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu erhöhen, hat Joynext zwei Produkte entwickelt.

Zwei V2X-Smartphone-Apps für VRUs

Das erste Produkt ist eine V2X-Smartphone-App namens Next Road Guard, die Positions- und Bewegungsdaten von Autofahrern, Radfahrern, Motorradfahrern und Fußgängern anonymisiert an die Joynext-Cloud sendet. Dort werden die Teilnehmer standortabhängig geclustert und anhand der zukünftigen Bewegungsrichtung mögliche Kollisionen erkannt. Im Gefahrenfall erfolgt eine Warnung der betroffenen Verkehrsteilnehmer über ihr Smartphone. Das Fahrzeug wertet die Informationen über eine potenzielle Kollision optisch und akustisch über das HMI (Display) aus und informiert den Fahrer über mögliche Gefahren. Zukünftig könnten diese Informationen auch als Input für Fahrerassistenzsysteme dienen, um in kritischen Situationen oder bei Nichtreaktion des Fahrers automatisch eine Bremsung einzuleiten.

Das zweite Produkt ist das V2X-Gadget für Radfahrer, Motorradfahrer und Fußgänger. Es nutzt die V2X-Technologie, um Positions- und Bewegungsdaten in Echtzeit an umliegende Verkehrsteilnehmer zu senden. Jeder Empfänger nutzt die Kollisionserkennung, um potenzielle Kollisionen zu identifizieren.

Bei Gefahr erfolgt eine optische, akustische und/oder haptische Warnung. Im Gegensatz zum ersten Produkt funktioniert das V2X-Gadget für Radfahrer ohne Einbindung in eine Cloud-Kommunikation. Dadurch entfallen die auftretenden Latenzzeiten. Beide Produkte sind so konzipiert, dass sie eigenständig und unabhängig voneinander funktionieren, aber insbesondere im Bundle durch die Kombination verschiedener Technologien noch effizienter sind. Die Frequenz der gesendeten bzw. bereitgestellten Daten der V2X Smartphone App bzw. des V2X Gadgets wird dynamisch an die jeweiligen Umgebungsbedingungen angepasst. Bei hohem Verkehrsaufkommen erhöht sich die Frequenz, bei geringem Verkehrsaufkommen sinkt sie. Dies schont die Akkulaufzeit des V2X-Geräts und ermöglicht einen Betrieb im Straßenverkehr von 6 bis 8 Stunden.

So funktioniert das V2X-System

Zur Nutzung des Systems benötigt der Radfahrer oder Fußgänger ein Smartphone mit Internetfunktion, um sich mit der Joynext-Cloud zu verbinden. Die Positionsdaten des Smartphones werden über die Joynext-App an die Joynext-Cloud gesendet, um mögliche Kollisionen zu erkennen. In der Cloud erfolgt die anonymisierte Auswertung der Cloud. Eine Rückverfolgung ist nicht möglich. Somit ist auch die Kennung eines anderen Verkehrsteilnehmers für andere Verkehrsteilnehmer nicht einsehbar.

Für die Echtzeitkommunikation benötigt der Radfahrer oder Fußgänger zusätzlich ein V2X-fähiges Gerät, das den Empfang der GNSS-Signale und die V2X-Technologie für die Kommunikation mit den umliegenden Verkehrsteilnehmern in einem Ad-hoc-Netzwerk beinhaltet. Die verwendetet Funktechnologie variiert je nach Einsatzmarkt. Gängig sind ist eine Kurzstreckenkommunikation via ITS-G5 (WiFi) oder C-V2X PC5 (Mobilfunknetz). Als V2X-Protokoll setzt Joynext auf die bekannten Markt-Standards ETSI (Europa), SAE (USA) und C-SAE (China). Die angeschlossene Joynext-App dient der Visualisierung und Anzeige der Warnung für den Verkehrsteilnehmer.

Auszeichnung der V2X-Lösung auf der Cyclingworld

Für beide Produktlösungen erhielt Joynext auf der Cyclingworld Europe 2023 als Auszeichnung den Cyclingworld Europe Award in der Kategorie „Best Technology“. Gewürdigt wurde, dass sich ein Automobilunternehmen dem Thema Sicherheit im Straßenverkehr widmet, indem es alle Verkehrsteilnehmer direkt miteinander vernetzt und frühzeitig vor möglichen Kollisionen warnt.

Parallel zur technischen Entwicklung laufen Testfahrten und Feedbackgespräche mit Radfahrern, um das Endprodukt Schritt für Schritt zu verbessern. Das Unternehmen plant nun, das Produkt zügig zur Marktreife zu bringen und damit einen entscheidenden Beitrag zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer zu leisten.     

Lars Franke

Product Manager bei Joynext

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