Open Source für Software Defined Vehicles

Open Source als Chance für die Automobilindustrie

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Open-Source-Software bietet Herstellern die Chance, schneller, sicherer und günstiger zu entwickeln ‒ was Entwickler und Entscheider gleichermaßen schätzen.
Open-Source-Software bietet Herstellern die Chance, schneller, sicherer und günstiger zu entwickeln ‒ was Entwickler und Entscheider gleichermaßen schätzen.

Open-Source-Software entwickelt sich zum strategischen Erfolgsfaktor im Software Defined Vehicle. Sie reduziert Komplexität, senkt Kosten und beschleunigt Innovation – nicht nur für OEMs, sondern für das gesamte Entwicklungsökosystem.

Bei großen Software-Unternehmen hat sich Open-Source-Software in weiten Teilen durchgesetzt. Ein Großteil des World Wide Webs läuft auf Linux-Servern, auf denen freie Webserver-Applikationen Seiten ausspielen. Nachdem in der Automobil-Industrie in der Vergangenheit Funktionen über Steuerungshardware mit passender Firmware implementiert wurden, gibt es den klaren Trend zum Software Defined Vehicle (SDV). Wofür vorher oft Hardware notwendig war, wird aktuell komplett als Software implementiert. OEMs sparen sich damit Gewicht, Hardware-Ressourcen, Stromverbrauch und auch Komplexität bei Sicherheit und Firmware-Upgrades.

Damit bekommt Software im Fahrzeug eine wesentlich größere Bedeutung. Sie ist nicht mehr Add-on, sondern Backbone zukünftiger Fahrzeuge. Für Hersteller heißt das, sich entwicklungstechnisch neu aufzustellen. Erwartungsgemäß versucht jeder Hersteller sein eigenes ‚Auto-Betriebssystem‘ zu entwickeln und alles unter eigener Kontrolle zu behalten. Dabei wird oft vergessen, dass aufgrund von technischen Anforderungen und gesetzlichen Vorgaben alle OEMs die gleichen Basis-Funktionen implementieren müssen. Dies Funktionalitäten sind ein Must-Have für Fahrzeugentwickler; über sie können sie sich gegenüber dem Wettbewerb nicht differenzieren. Dass jeder Hersteller die gleichen Funktionen in Software konzipiert, programmiert, testet und später auch mit Updates betreut, ist letztlich Ressourcenverschwendung und erzeugt unnötige Kosten.

Darüber hinaus haben die Hersteller vielfach ein enorm großes Zulieferernetzwerk. Die Zulieferer entwickeln und beliefern häufig mehrere verschiedene Hersteller. Wenn sie ihre Produkte Software-technisch an viele verschiedenen Software-Systeme anpassen müssen, führt das zu Reibungsverlusten (was die Kosten treibt).

Statt also alles selbst zu entwickeln, ist es sinnvoll, Software zu verwenden, die bereits entwickelt wurde, alle gesetzlichen Rahmenbedingungen einhält und alle Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen hat. Dies kann Open-Source-Software leisten, an deren Entwicklung sich mehrere Hersteller aktiv beteiligen und damit den Aufwand auf mehrere Schultern verteilen. Die Differenzierung in den jeweiligen Fahrzeugen kann anschließend über Funktionen stattfinden, die auf dieser Basis aufsetzen.

Wie Entscheider und Entwickler OSS sehen

Diese Erkenntnisse setzen sich in den Entwicklungsabteilungen und Chefetagen der Automobilhersteller immer mehr durch. Die Eclipse Foundation hat in einer dreiteiligen Studienreihe 2024 mehr als 300 Entscheider und professionelle Software-Entwickler aus der Automobilindustrie befragt, wie sie den möglichen Einsatz von OSS in der Automobilentwicklung sehen, wie stark sie schon einsetzen und wie sie die zukünftige Rolle einschätzen.

Die Themenschwerpunkte der Studien sind:

  1. Fahrzeugsicherheit und OSS als Innovationsmotor
  2. Open-Source-Software als Business Value für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit
  3. Herausforderungen beim Einsatz von OSS in Auto-Ökosystemen
OSS ist Innovationsmotor und Business Value zugleich. Sie sorgt außerdem für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit.
OSS ist Innovationsmotor und Business Value zugleich. Sie sorgt außerdem für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit.

Open Source als Innovationsmotor

Die meisten Befragten sehen die Chance, ihre Innovationen um 10 Prozent zu steigern, wenn sie verstärkt OSS einsetzen. 1/5 der Befragten erwarten sogar eine Steigerung von 20 bis 30 Prozent. Eine Mehrheit bestätigt, dass der Einsatz von Open-Source-Software die Kosten bereits gesenkt hat oder senken wird und Betriebskosten reduziert. Nahezu alle Fachleute gehen davon aus, dass OSS die Flexibilität und Skalierbarkeit in SDVs verbessert und damit ihre Fähigkeit erhöht, Geschäftschancen schneller zu ergreifen und die Markteinführungszeit zu verkürzen.

Open Source für mehr Business Value

In Bezug auf den Business-Value sehen knapp die Hälfe der Entscheider Open-Source-Software als unverzichtbar an, bei den Entwicklern sind es sogar zwei Drittel. Dazu passt, dass 97 Prozent der befragten Software-Entwickler OSS bereits im Berufsalltag einsetzen. Sie sehen auch, dass ihr Einsatz dafür sorgt, dass sie schneller auf neue Geschäftsideen reagieren können und mehr Freiraum für Experimente und innovative Projekte schaffen.

Gut zwei Drittel der Entwickler sehen Open-Source-Software als einen wichtigen Beitrag zur Kostensenkung. Die Hälfte sieht Kosteneinsparungen bis zu 25 Prozent über den gesamten Lebenszyklus.

Alles zur Automotive Computing Conference

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Die Automotive Computing Conference konzentriert sich auf die Herausforderungen der Sicherheit, der funktionalen Sicherheit, der Cloud-Konnektivität und der zunehmenden Komplexität des Fahrzeugdesigns. Das Ziel ist es, traditionelle Ansätze zu revolutionieren und an die Bedürfnisse der Automobilindustrie anzupassen. Hochkarätige Referenten werden am 13. und 14. November 2025 in München in die Welt des Automotive High Performance Computing eintauchen und ein breites Spektrum an Aspekten abdecken.

Weitere Infos zur Automotive Computing Conference gibt es hier oder auf dem LinkedIn-Kanal.

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Zudem findet 2026 auch die 3. ACC in Amerika am 25. und 26. März 2025 in Detroit statt.

Herausforderungen bei Open-Source-Software

Aber die Integration von Open-Source-Software kann auch mit Herausforderungen einhergehen, weil sie zusätzliche Pflege benötigt und die Komplexität der Software-Landschaft erhöhen kann. Auch eine Skalierbarkeit sicherzustellen, um KI möglich zu machen, kann technisch aufwendig sein.

Das ist nicht neu und lässt sich durch den Projekt Support und die aktive Teilnahme an der zugehörigen Community gut beherrschen. Gerade eine OSS-Foundation kann mit zahlreichen Tools, Guidelines, standardisierter Dokumentation, Mentorentätigkeit und Governance-Hilfen die Integration und Entwicklung beschleunigen und absichern.

Gerade eine OSS-Foundation kann mit zahlreichen Tools, Guidelines, standardisierter Dokumentation, Mentorentätigkeit und Governance-Hilfen die Integration und Entwicklung beschleunigen und absichern.
Gerade eine OSS-Foundation kann mit zahlreichen Tools, Guidelines, standardisierter Dokumentation, Mentorentätigkeit und Governance-Hilfen die Integration und Entwicklung beschleunigen und absichern.

Standards versus Implementierung

Oft wird bei der Abwägung über den Einsatz von Open Source das Argument ins Feld geführt, dass es in der Automobilindustrie ja Standards gibt, die die Interoperabilität zwischen Komponenten und Software-Systemen sicherstellen. Und dass man daher auch weiterhin mit Closed-Source-Systemen arbeiten und trotzdem agil entwickeln kann.

Das Problem hierbei ist allerdings, inwieweit die Standards auch vollständig und korrekt umgesetzt und implementiert werden. Es nützt nichts, wenn sich zehn Unternehmen jeweils selbst die Arbeit machen und einen Standard nur zu 95 Prozent umsetzen. Wichtig sind zwei oder drei konkrete und vollständige Implementierungen, die in allen Situationen umfassend funktionieren, getestet sind und sich in der Praxis bewährt haben.

Die kann Open Source wesentlich besser leisten, weil sowohl bei der Implementierung als auch beim Testing eine große Community dahintersteht, die für maximale Sicherheit und Funktionalität sorgt. Ein Beispiel aus der IT ist Kubernetes: Diese Container-Orchestrierungsverwaltung hat sich weltweit durchgesetzt, weil sie eine praxisnahe, funktionierende Open-Source-Implementierung war – nicht, weil es einen Standard gab.

Vier Phasen des Open-Source-Engagements

Unternehmen durchlaufen typischerweise mehrere Phasen beim Einsatz von Open Source:

Am Anfang steht meist Ablehnung, auch weil das Prinzip nicht richtig verstanden ist und die Vorteile nicht gesehen werden.

In der zweiten Phase steht das Interesse an der kostenlosen Nutzung der Software im Vordergrund. Häufig kommen Software-Tools zum Einsatz, die sich out of the box direkt implementieren lassen.

In der dritten Phase fangen Unternehmen an, selbst Veränderungen am Code vorzunehmen, Optimierungen einzubauen, Fehler zu korrigieren und diese Verbesserungen wieder an die Community zurückzuspielen. Sie erkennen das Potenzial, das in offenem Source-Code steckt.

In der letzten, vierten Phase wird Open Source zum strategischen Kern der Software-Entwicklung in einem Unternehmen. In dieser Phase sehen die Verantwortlichen die enormen Vorteile, die das gemeinsame Arbeiten an einer Implementierung mit sich bringt und wie alle Projektbeteiligten davon profitieren, um die Lösungen stabiler, sicherer und zukunftsfähig zu machen.

Aktiv die Entwicklung beeinflussen

Natürlich verändert sich dadurch die Art und Weise, wie die Weiterentwicklung voranschreitet. Wer Closed-Source-Anwendungen im Unternehmen entwickelt, kann völlig frei entscheiden, welche neuen Funktionalitäten implementiert werden sollen. Aber: Er muss sie auch selbst planen, umsetzen, testen, später betreuen und von Fehlern befreien.

Bei Open-Source-Projekten läuft das gänzlich anders: Wer viel beiträgt, hat auch mehr Mitspracherecht bei der Weiterentwicklung, kann sich aber nicht wie ein König gerieren, der alles bestimmt. Dafür wird die Last des Planens, Implementierens und Testens auf mehrere Schultern verteilt, was die Entwicklung beschleunigt und die Kosten reduziert.

Thema Kosten und Lizensierung

Damit verändern sich auch die Geschäftsmodelle in Bezug auf Software. Die Kosten für reine Lizenzen sinken, dafür steigt der Serviceanteil. Wer größere Anteile der Automobilsoftware über Open Source abbilden kann, verringert auch die Komplexität in der Softwareentwicklung ‒ ein nicht zu unterschätzender Faktor in einer Zeit, in der Fahrzeuge eben zu Software Defined Vehicles werden.

Man denke nur an groß angekündigte Software-Plattform bei Europas größtem Autobauer, die jetzt durch den Zukauf einer amerikanischen E-Auto-Software-Plattform ergänzt oder vielleicht abgelöst wird.

Die Entwicklung der Fahrzeug-Software ist so komplex und schnell, dass mancher Hersteller einen Nokia-Moment erleben könnte. Neben der Funktionalität spielen schließlich auch noch Faktoren wie Skalierbarkeit, Wartbarkeit und Interoperabilität eine wichtige Rolle. Was nützt brillante Software, wenn die Skalierung und Wartung später zu einem Albtraum wird? Auch hierbei ist die Open-Source-Community eine große Hilfe, weil viele Personen beteiligt sind und einfach mehr sehen und berücksichtigen, als dies Einzelpersonen oder kleine Teams eventuell können.

Typische Fehlannahmen und Herausforderungen

Beim Thema Skalierung gibt es außerdem einen wichtigen Faktor, der auf den ersten Blick erstaunt: Bei einem Software-Defined-Vehicle kommt es stark auf die Leistungsfähigkeit der darunterliegenden Hardware an. Wenn diese zu schwach ausgelegt wird (weil die Kosten im Vordergrund stehen), lassen sich später keine leistungshungrigen Hardware-Funktionen in Software abbilden. Denn dafür fehlt es dann an Rechenleistung. Automobilhersteller und Zulieferer sind also gut beraten, bei der Hardware-Ausstattung zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und entsprechende Reserven bei der Hardware vorzunehmen, um die Funktionen in Software abbilden zu können.

Ebenfalls wichtig: Die Vernetzung mit Back-End-Systemen. Wer sich hier blind auf das Vorhandensein der Infrastruktur verlässt, verwandelt seine Fahrzeuge eventuell in Betonklötze, weil sie sich ohne Back-End nicht mehr bewegen wollen.

Der Nutzen einer Foundation

Natürlich könnte Open-Source-Software völlig frei entwickelt werden (und häufig geschieht das auch). Allerdings kann eine gemeinnützige Foundation, die sich der Förderung von Open-Source-Projekten verschrieben hat, den passenden organisatorischen Rahmen schaffen, technische Infrastruktur bereitstellen, den Austausch der Community mit Hackathons, Konferenzen und Arbeitsgruppen fördern. Wer sich hier stark engagiert und Projekte vorantreibt, kann zukünftige Entwicklungen maßgeblich beeinflussen und alle Vorteile von Open-Source-Entwicklungen nutzen.

Michael Plagge von der Eclipse Foundation.
Michael Plagge von der Eclipse Foundation.

Die Eclipse Foundation bildet mit ihren Projekten „Eclipse APP4MC“ und „Eclipse Leda Incubator“ sowie den Communities „OpenPass“ und „SDV“ viele Möglichkeiten, den Einsatz von Open Source in der Fahrzeug-Entwicklung voranzutreiben. (na)

Michael Plagge

Eclipse Foundation