Auf einen Blick: drei Kernpunkte zu Qorix und S-CORE
- Eclipse S-CORE verfolgt den Ansatz, funktionierende Middleware für Software-defined Vehicles direkt im Code zu entwickeln – nicht über theoretische Dokumente.
- Qorix erweitert S-CORE um Safety-Zertifizierung, Langzeitsupport und industrielle Stabilität. Damit wird Open-Source-Middleware erstmals serienfähig für sicherheitskritische Fahrzeugfunktionen.
- Durch referenzbasierten Datenaustausch sinken Latenzen und CPU-Last um bis zu 40 %. Das ermöglicht Echtzeitfähigkeit für ADAS und Sensorfusion – ein entscheidender Schritt zur marktreifen SDV-Architektur.
Die Initiative Eclipse S‑CORE (Safe Open Vehicle Core) will die Basissoftware für softwaredefinierte Fahrzeuge (SDV) neu denken – mit einem klaren „Code-first“ Ansatz statt endloser Spezifikationen. Der Öffentlichkeit präsentiert von führenden OEMs, Zulieferern und der Eclipse Foundation im Rahmen des Automobil‑Elektronik‑Kongress AEK 2025, wurde das Projekt schon als „Airbus-Moment“ für die Autoindustrie bezeichnet. Aktuell liegt mit Version 0.5 Alpha ein greifbarer Umsetzungsschritt vor, der technische Kernmodule wie Kommunikation, Orchestrierung, Logging und Persistenz bereitstellt.
Doch nicht nur die Theorie zählt: Auf der ELIV 2025 präsentierte Qorix – das Gemeinschaftsunternehmen von KPIT Technologies und ZF – ihren Performance Stack basierend auf S-CORE-Komponenten auf Target-Hardware. Vor diesem Hintergrund haben wir mit Dr. Nico Hartmann gesprochen, CTO von Qorix – um zu klären, wie weit S-CORE und seine industrielle Verwertung bereits gediehen sind, welche Rolle Qorix im Ökosystem einnimmt und nicht zuletzt, wo die Stolpersteine liegen könnten, wenn eine Open-Source-Middleware wirklich Serienreife erreichen soll.
Herr Dr. Hartmann, was genau hat Qorix auf der ELIV 2025 gezeigt – und wie war die Resonanz?
Einer unserer beiden ELIV-Demonstratoren zeigte eine Serien-Applikation für Adaptive Cruise Control auf einem ZF-Seriensteuergerät, betrieben mit unserem Qorix Adaptive Stack.
Zum anderen stellten wir unseren Performance Middlware-Stack vor, der auch im S-CORE Projekt der Eclipse Software Defined Vehicle Working Group eingesetzt wird. Dieser war mit einer Adaptive-Cruise-Control-Funktion (ACC) auf der Snapdragon Digital Chassis Plattform von Qualcomm integriert.
Die Resonanz war sehr positiv: Viele Besucher konnten anhand des Performance Middleware Stacks zum ersten Mal erleben, dass S-CORE-Komponenten tatsächlich live auf Target-Hardware laufen – nicht nur als Konzept.
Worin liegt die technische Besonderheit des Qorix Performance Stack?
Der Qorix Performance Stack ist eine sehr leistungsfähige Middleware, die speziell für den Einsatz auf High-Performance-Computern (HPCs) in modernen Fahrzeugarchitekturen entwickelt wurde. Sie ermöglicht eine effiziente Orchestrierung von Anwendungen mit unterschiedlichen Kritikalitätsstufen und bietet dank Zero-Copy-Kommunikation einen hochperformanten Datenaustausch ohne redundante Kopiervorgänge. Das Ergebnis sind geringe Latenzen, deterministisches Laufzeitverhalten und eine zuverlässige Grundlage für sicherheitskritische Systeme.
Auf dieser Basis stellt Qorix mit seiner kommerziellen Distribution basierend auf dem Ansatz von S-CORE eine produktionsreife Variante bereit, die zusätzlich Safety-Artefakte, Zertifizierungsunterstützung und langfristigen Support umfasst.
Wie hebt sich Qorix Performance von der offenen S-CORE-Basis ab?
Eclipse S-CORE legt die Open-Source-Basis – Qorix Performance macht daraus ein produktreifes, Safety-zertifizierbares Middleware-Produkt. Wir steuern im Rahmen des S-CORE-Projekts Funktionen wie Zero-Copy-Kommunikation, deterministische Laufzeit-Orchestrierung und DevOps-fähige Toolchains bei. Darüber hinaus liefern wir aber auch Safety-Artefakte, Zertifizierungs-Begleitdokumente und Langzeit-Support. Also all das, was OEMs und Tier-1s benötigen, um Open-Source-Middleware tatsächlich in Serie zu bringen. Kurz gesagt: S-CORE ist der Bauplan – Qorix Performance ist das fertige Gebäude.
Warum spielt Zero-Copy-Kommunikation im Performance Stack eine so zentrale Rolle?
Zero-Copy ist kein Schlagwort, sondern ein Enabler für die nächste Effizienzstufe in High-Performance-ECUs. In klassischen Middleware-Architekturen müssen Daten zwischen Prozessen kopiert werden – das kostet Latenz und Speicherbandbreite. Unsere Technologie eliminiert diese Kopien vollständig, indem wir Daten zwischen Tasks referenzbasiert und thread-sicher austauschen. Das Ergebnis: konstante Latenz, deterministisches Verhalten und bis zu 40 % weniger CPU-Load. Gerade bei ADAS- und Sensor-Fusion-Funktionen ist das der Unterschied zwischen „möglich“ und „marktreif“.
Wir akzeptieren keinen Proof-of-Concept-Code – nur Beiträge mit Serienambitionen.
Dr. Nico Hartmann, CTO, Qorix
Wie weit ist die Umsetzung der S-CORE-Komponenten auf realer Hardware?
Die auf der ELIV gezeigte Demonstration basiert auf den aktuellen S-CORE-Implementierungen. Diese Version umfasst die Kernmodule Communication, Orchestration, Logging und Persistency – alle sind bereits auf echter Target-Hardware lauffähig.
Natürlich sprechen wir noch nicht von Serienreife: Zertifizierungs- und Safety-Artefakte fehlen derzeit noch, was aber exakt dem Entwicklungsplan entspricht. Im November werden die Arbeiten an der Version 0.5 abgeschlossen sein. Die Version 1.0 wird 2026 vorliegen.
Was ist das übergeordnete Ziel von S-CORE – und warum war 2025 der richtige Zeitpunkt für den Start?
S-CORE zielt darauf ab, durch öffentlich verfügbaren Code eine de-facto-Referenzimplementierung für nicht-differenzierende, aber essenzielle Funktionen im Software-Defined Vehicle (SDV) bereitzustellen. Open Source ermöglicht hier die notwendige Geschwindigkeit und Breite der Zusammenarbeit: Wir entwickeln gemeinsam, statt dieselben Probleme mehrfach zu lösen.
Der Zeitpunkt war ideal – die ersten SDV-Architekturen sind im Feld, die Industrie kennt die Herausforderungen, und praktisch alle kommenden E/E-Architekturen folgen diesem Paradigma.
S-CORE zielt darauf ab, durch öffentlich verfügbaren Code eine de-facto-Referenzimplementierung bereitzustellen.
Dr. Nico Hartmann, CTO, Qorix
Worin unterscheidet sich S-CORE fundamental von AUTOSAR oder früheren Standardisierungsinitiativen?
Der entscheidende Unterschied liegt im Ansatz: Code First. Wir erzeugen funktionierende Software – sichtbar, testbar und iterativ verbessert – statt endlose Spezifikationsdokumente zu schreiben.
Anstelle von konkurrierender Implementierungen, die trotz gleicher Spezifikation inkompatibel sind, gibt es eine gemeinsame Basis, die durch Distributionen erweitert wird. So steht der Kundennutzen – nicht die Differenzierung – im Mittelpunkt. Die Grundfunktionalität wird nur einmal entwickelt und bleibt konsistent.
Was ist Eclipse S-CORE und warum ist es für die Automobilindustrie wichtig?
Wie funktioniert die Governance: Wer trifft strategische Entscheidungen und wie offen ist der Zugang für neue Partner?
Die Governance ist zweigeteilt: Strategisch steuert der X-CORE Platform Council unter dem Dach der Eclipse Foundation Themen wie Außendarstellung, Roadmaps und die Rückkopplung von Anforderungen aus der Automobilindustrie.
S-CORE ist keine VDA-Initiative, wird aber vom Verband als wichtiger Impuls für die Branche gesehen.
Dr. Nico Hartmann, CTO, Qorix
Technisch wird S-CORE vom Project Leads Circle und seinen Feature-Teams geführt, ebenfalls nach Eclipse-Regeln. Alle Meetings sind öffentlich, der Zugang erfolgt transparent über die Kalender der Eclipse Foundation. Neue Partner sind ausdrücklich willkommen – entscheidend ist, dass sie beitragen: Code, Safety- oder Security-Artefakte, Prozess-Beiträge – alles zählt als Contribution. Stimmrechte werden nach Merit vergeben, also nach tatsächlicher Beteiligung.
Qorix ist eines der aktivsten Mitglieder im S-CORE-Projekt. Welche Rolle übernehmen Sie konkret innerhalb der Initiative?
Qorix gehört zu den maßgeblichen Treibern von Eclipse S-CORE. Wir verantworten zentrale Architektur- und Runtime-Komponenten und stellen einen erheblichen Teil des Codes im Bereich Orchestration, Logging und Persistency. Wir zählen zu den Gründungsmitgliedern und prägen die technische Ausrichtung des Projekts seit Beginn aktiv mit – von der ersten Feature-Definition bis hin zur Umsetzung auf realer Hardware. Damit leisten wir nicht nur Beiträge, sondern übernehmen ganz klar eine Führungsrolle bei der Weiterentwicklung von S-CORE.
Eclipse S-CORE – offener Software-Core für das softwaredefinierte Fahrzeug
Eclipse S-CORE (Safe Open Vehicle Core) ist eine offene, sicherheitsorientierte Middleware-Plattform für softwaredefinierte Fahrzeuge, die zwischen Betriebssystem und Applikationsebene sitzt und dort Kernfunktionen wie Orchestrierung, Inter-Prozess-Kommunikation, Logging und Persistenz bereitstellt. Ziel ist ein gemeinsamer, herstellerübergreifender Runtime-Stack, der nicht-differenzierende Basisfunktionen einmal löst, statt sie bei jedem OEM neu zu entwickeln. Damit soll S-CORE Entwicklungsgeschwindigkeit erhöhen, Komplexität und Integrationsaufwand senken und zugleich Sicherheit nach ISO 26262 sowie Security nach ISO/SAE 21434 unterstützen. Das Projekt startete 2024 mit einer Kerngruppe aus Accenture, BMW, ETAS, Mercedes-Benz und Qorix und hat sich seitdem zu einem wachsenden Ökosystem aus OEMs, Tiers, Software-Suppliers und Dienstleistern entwickelt. Technisch adressiert S-CORE vor allem sicherheitskritische In-Car-Domänen wie ADAS, Body und Chassis und zielt auf High-Performance-ECUs in zonalen E/E-Architekturen. Der Ansatz ist klar „Code first“: statt Spezifikationspapieren steht lauffähiger Open-Source-Code im Fokus, der iterativ weiterentwickelt wird. Version 0.5 markiert den ersten größeren Meilenstein mit einer Referenzplattform auf Basis von QNX SDP 8.0 und bildet den Einstieg in reale Evaluierungen auf Target-Hardware. Langfristig soll S-CORE als „dynamischer Core“ eine wiederverwendbare, erweiterbare Basis liefern, auf der OEMs ihre eigenen Funktionen und Marken-Features schneller industrialisieren können.
Warum sind unter den Gründungsmitgliedern fast nur deutsche bzw. europäische Firmen – wo bleibt die internationale Beteiligung?
Deutschland hat als starker Automobilstandort ein natürliches Interesse, die Initiative zu starten – und schlicht die richtige Ausgangslage. Unter dem Motto „Weniger reden, mehr coden“ wollten wir Ergebnisse schaffen, statt uns in Vorabdiskussionen zu verlieren. S-CORE ist keine VDA-Initiative, wird aber vom Verband als wichtiger Impuls für die Branche gesehen.
Inzwischen sind weitere europäische Partner, etwa Valeo, beteiligt, und die ersten internationalen Beiträge aus der Nutzfahrzeugindustrie stehen bevor. Viele potenzielle Partner beobachten das Projekt derzeit – und sehen, dass hier tatsächlich verwertbarer Code entsteht.
Wie realistisch ist es, eine Safety-zertifizierte Open-Source-Middleware auf Serienniveau zu bringen?
Vollkommen realistisch. S-CORE ist kein typisches Open-Source-Projekt, das erst im Nachhinein industrialisiert wird. Jede Contribution, die aufgenommen wird, muss Seriencharakter oder zumindest Serienambitionen haben. Wir akzeptieren keinen „Proof of Concept“-Code. Das Projekt ist von Anfang an auf Safety und Serienreife ausgelegt – mit ISO 26262-konformen Prozessen und klaren Qualitätsmetriken.
Wenn Fahrzeughersteller sagen: ‚Unsere Software läuft auf Qorix Performance – und es funktioniert einfach‘, dann haben wir alles richtig gemacht.
Dr. Nico Hartmann, CTO, Qorix
Wann rechnen Sie mit produktionsreifen Anwendungen auf Basis von S-CORE?
Wir erwarten 2026 erste produktionsnahe Anwendungen, also reale Steuergeräte, die S-CORE-Module im Fahrzeug einsetzen.
Wie stellen Sie sicher, dass S-CORE nicht wie viele Konsortien in Präsentationen stecken bleibt – sondern im Fahrzeug ankommt?
Indem wir uns auf das konzentrieren, was zählt: Code. Wir investieren weniger in Folien, sondern in funktionierende Software. Unsere Partnerschaften mit Chip-Herstellern, OS-Anbietern und Tier-1-Lieferanten sorgen dafür, dass S-CORE frühzeitig auf realer Hardware läuft. Die ELIV-Demonstration war ein wichtiger Meilenstein – 2026 wird S-CORE im Fahrzeug zu sehen sein.
Und wenn Sie in drei Jahren auf das Projekt blicken – was wäre dann Ihr persönlicher Erfolg?
Wenn Fahrzeughersteller sagen: „Unsere Software läuft auf Qorix Performance – und es funktioniert einfach.“ Das wäre für mich der Beweis, dass wir mit Open Source und industrieller Disziplin gemeinsam etwas geschaffen haben, das die Branche wirklich verändert.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Hartmann.
Einblick in Eclipse S-CORE
FAQ: S-CORE und Qorix Performance
Was ist Eclipse S-CORE?
Eclipse S-CORE ist ein Open-Source-Projekt der Eclipse Foundation, das eine Referenzimplementierung für Middleware im Software-Defined Vehicle bereitstellt. Ziel ist, gemeinsam nutzbare, nicht-differenzierende Basisfunktionen industriell verfügbar zu machen.
Was leistet der Qorix Performance Stack?
Qorix Performance ist eine kommerzielle Distribution auf Basis von S-CORE. Sie bietet Zero-Copy-Kommunikation, deterministische Laufzeit-Orchestrierung, Safety-Artefakte und Langzeitsupport – optimiert für High-Performance-Computer in Fahrzeugarchitekturen.
Wie unterscheidet sich S-CORE von AUTOSAR?
S-CORE verfolgt den Ansatz „Code first“ statt „Paper first“. Statt Spezifikationsdokumente zu produzieren, entsteht funktionierende Software – offen, testbar und kontinuierlich verbessert. So werden doppelte Entwicklungen vermieden und die Interoperabilität erhöht.
Wann sind erste Serienanwendungen geplant?
Laut Qorix ist die Version 1.0 von S-CORE für 2026 vorgesehen. Erste produktionsnahe Anwendungen sollen im selben Jahr auf realen Steuergeräten laufen.
Warum spielt Zero-Copy eine so große Rolle?
Zero-Copy-Kommunikation reduziert Speicherzugriffe und eliminiert redundante Kopiervorgänge zwischen Prozessen. Dadurch sinken Latenzen und CPU-Last – entscheidend für Anwendungen wie ADAS, Sensorfusion und Echtzeit-Datenverarbeitung.