Ein veraltetes System, ein Milliardenloch und ein Hoffnungsträger namens S-CORE. Während chinesische Plattformen den Takt vorgeben, formiert sich in Europa eine Open-Source-Allianz, die mehr will als nur Standards.
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Die Ineffizienz der automobilen Software-Entwicklung ist legendär. „Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Und wenn nicht, dann gründe einen Arbeitskreis.“
Die Wertschöpfungspyramide – oben der OEM, und in seiner vollen Kontrolle eine Kaskade von Zulieferern – stammt aus einer Zeit, in der sich das Fahrzeug noch sauber von oben nach unten zerteilen ließ. Eine Zeit, in der Komponenten und Systeme das bestimmende Element waren, und die Kommunikation und Verteilung der Funktionen zwischen ihnen berschaubar.
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Doch diese Zeiten sind lange vorbei: Die Zeit der Plattformen ist angebrochen. Schon lange werden Fahrzeuge nicht jedesmal von Grund auf neu entwickelt, im Gegenteil: Möglichst viel soll in der richtigen Geschwindigkeit kombiniert werden. Während alles digital Kundensichtbare schnellen Aktualisierungszyklen unterworfen ist, will z.B. ein Antriebsstrang möglichst lange unverändert bleiben.
Und alles, was eben nicht kundensichtbar ist, muss auf den Prüfstand: Müssen wir diesen Baustein selber bauen, selber kontrollieren, selber über seinen Lebenszyklus pflegen – oder steht er nicht woanders bereits ausreichend gut zur Verfügung? Und lassen sich damit vielleicht auch die vielen blutigen Lernschleifen vermeiden?
Save the date: 30. Automobil-Elektronik Kongress
Save the Date! Der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress findet 2026 am 16. und 17. Juni statt.
Am 16. und 17. Juni 2026 findet zum 30. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.
Der Fokus auf das Differenzierende ist insbesondere in Zeiten knapper Kassen interessant. Und so wundert es nicht, dass gerade jetzt eine gemeinsame Allianz von Automobilherstellern, Zulieferern und Entwicklungspartnern entsteht, um relevante Teile der automobilen „Middleware“, wie die Software-Schicht zwischen Betriebssystem und Applikationen genannt wird, in einem Open-Source-Modell innerhalb der Eclipse Foundation gemeinsam zu entwickeln.
Dem Auftritt des „S-CORE“ genannten Projekts auf dem Ludwigsburger Automobil-Elektronik Kongress geht bereits eine lange Vorlaufzeit der Gründungspartner Accenture, BMW, Bosch, Mercedes-Benz, Qorix und VW voraus. Statt Arbeitskreis soll gelebter Pragmatismus Vertrauen in das Entwicklungsprojekt bringen: Statt langwieriger Konsensfindung und Standardisierungsarbeit soll vielmehr anhand von serientauglichen Bausteinen schnell ein nutzbarer Software-Stack entstehen, auf dessen Basis OEMs wie Zulieferer zukünftige hochperformante Controller („HPC“) entwickeln können.
Die Roadmap ist anspruchsvoll, schon im Herbst soll eine erste Version zur Verfügung stehen – denn der Zeitdruck ist hoch: Die chinesischen Wettbewerber sind bereits mit ihren Plattformen auf dem Markt, teils ebenfalls als Open Source wie Li Auto, teils proprietär wie Geely.
Warum aber sollte es dieses Mal klappen? Drei Umstände lassen die Erfolgschancen höher erscheinen. Erstens startet die Allianz eben nicht mit einer Arbeitsgruppe, die einen Standard zwischen OEMs und Zulieferern zu etablieren versucht. Stattdessen wird das Projekt von den SW-Architekten der Häuser getrieben und startet mit fachlich sinnvollen statt politisch konsensfähigen Konzepten.
Zweitens ermöglichen die SW-Architekturen heute bereits eine viel modularere Vorgehensweisen. Auch, wenn sich kein Standard in den Architekturen herausgebildet hat – in den SW-Strukturen gibt es ihn sehr wohl. Die Grundzüge von skalierbaren SW-Stacks sind eben überall gleich, trotz unterschiedlich interpretierter Details.
Und drittens ist der Handlungsdruck für die OEMs so groß wie noch nie zuvor geworden. Einen proprietären SW-Stack zu ent-wickeln ist eben eine Milliarden-Aufgabe – und ihn über den gesamten Lebenszyklus zu pflegen sicherlich auch.
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Und dennoch, eine Herkulesaufgabe wartet noch auf alle Beteiligten: Zur veränderten Wertschöpfungskette gehört ein faires Bezahlkonzept, das nachhaltige Geschäftsmodelle für alle ermöglicht.
Getting digital done: Die Kolumne von Dr. Christof Horn, Accenture
(Bild: Ferdinand Horn)
Software-defined ist kein Wettlauf um Technologien, sondern um Vorgehensweisen, Geschwindigkeit und Mindset. Was dazu gehört beschreibt Dr. Christof Horn in seiner Kolumne, die auf all-electronics und in der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK erscheint. Die Beiträge zum Nachlesen