Bild 1: Die kombinierte Einheit aus Antriebs- und Bremskomponenten kommt direkt am Rad zum Einsatz.

Bild 1: Die kombinierte Einheit aus Antriebs- und Bremskomponenten kommt direkt am Rad zum Einsatz. (Bild: Continental)

Typischerweise sind die verbreiteten elektrischen Achsantriebe jeweils einer Achse zugeordnet. Damit sind wertvolle Bauräume im Fahrzeug beansprucht. Um diese Einschränkungen zu überwinden, entwickelt Continental eine echte Alternative zum Zentralantrieb. Diese Einheit aus Elektromotor und Bremse wirkt direkt auf das jeweilige Rad (Bild 1). Das Adjektiv „echt“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Drive-Brake Unit von Continental auch kostenmäßig mit Zentralantrieben vergleichbar ist, wenn man den gesamten Antriebsstrang betrachtet und die Vorteile des Konzepts berücksichtigt:

  • Die Nutzung der Drive-Brake Unit im Fahrzeug ist um bis zu 20 Prozent energieeffizienter als ein Zentralantrieb, sodass entweder die Batterie verkleinert werden kann oder die Reichweite des Fahrzeugs steigt.
  • Mit der Integration von Antrieb und Bremse in einer Baugruppe wird wertvoller Bauraum zwischen den Rädern frei.
  • Die radindividuellen Antriebe sind ideal für ein Torque Vectoring. Neben dem Brems- kann auch das Antriebsmoment radindividuell geregelt werden ohne zusätzliche Kupplungen in den Antriebswellen zu verbauen.
  • Die Drive-Brake Unit ermöglicht eine einfache Erweiterung von vorder- und hinterradgetriebenen Fahrzeugen auf Allradantrieb.
  • Durch den radindividuellen Antrieb erhöht sich die Redundanz und im Falle des Defekts eines Motors kann das Fahrzeug weiterfahren.
  • Einzelne Drive-Brake Units lassen sich einfach als komplette Einheit austauschen, instandsetzen beziehungsweise durch eine neue Generation ersetzen, was die Nachhaltigkeit auf Fahrzeugebene steigert.
  • Durch die enge Koppelung von Antrieb und Bremse ist bei der Verzögerung ein optimales Blending zwischen der Reibbremse und der Rekuperation des Antriebs möglich.

Merkmale der Drive-Brake Unit

Die Drive-Brake Unit basiert auf einem Baukasten- und Familienkonzept. Die erste, aktuell in Entwicklung befindliche Variante deckt die Leistungsanforderungen vom Kleinwagen bis zur oberen Mittelklasse ab und ist mit einer integrierten 11“-Trommelbremse kombiniert (Bild 2).

Bild 2: Die Kombination von Antrieb und hydraulischer Bremse in einer Einheit bietet eine hohe Effizienz im Antrieb und beim Abbremsen.
Bild 2: Die Kombination von Antrieb und hydraulischer Bremse in einer Einheit bietet eine hohe Effizienz im Antrieb und beim Abbremsen. (Bild: Continental)

Vorteile der Drive-Brake Unit mit Trommelbremse

Grundsätzlich lassen sich sowohl Scheibenbremsen als auch Trommelbremsen von Continental mit einem Radnabenmotor kombinieren. Die Integration einer Trommelbremse in den Antrieb erfordert allerdings weniger konstruktive Änderungen als bei einer Scheibenbremse. Trommelbremsen bieten den Vorteil, dass sie den Bauraum im Inneren des Motors optimal nutzen – und dies bei geringer Einbautiefe. Außerdem sind sie durch ihre geschlossene Bauweise auch bei längerer Nicht-Betätigung widerstandsfähig gegen Korrosion und erfüllen auch die deutlich reduzierten Bremsstaub-Grenzwerte der kommenden Euro-7-Abgasnorm.

Zusammen mit der Einschätzung, dass der Ersteinsatz einer Drive-Brake Unit mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Hinterachse (HA) erfolgen wird, waren all das Argumente, die Entwicklung und Industrialisierung mit einer Trommelbremse anzugehen. Auf der HA lassen sich alle Fahrzeugtypen bis zum schweren D-Segment adressieren, denn die HA ist aktuell das klassische „Heimspiel“ für die Trommelbremse in vielen Fahrzeugsegmenten. Technologie der Wahl war hier die Trommelbremse EPB-Si mit integrierter Parkbremse.

Wird die Drive-Brake Unit an der HA integriert, so kann dies in Kombination mit einem bereits integrierten Antrieb an der Vorderachse (VA) ohne Umstellung der Fahrzeugarchitektur ein Allradkonzept mit Torque Vectoring Eigenschaften ermöglichen.

In künftigen Plattformen kann die Drive-Brake Unit als vollständiger Ersatz für Achsantriebe neue Fahrzeugkonzepte ermöglichen, die den Raumgewinn zwischen den Rädern ausnutzen.

Ein besonderer Charme der Drive-Brake Unit liegt darin, dass sie mit ihrem „Strauß“ an Vorteilen für sehr unterschiedliche Zielsetzungen der OEM geeignet ist, je nachdem, ob Effizienz, Bauraumgewinn, Torque Vectoring, Emissionsminderung oder Nachhaltigkeit den Vorrang bekommen. Die Drive-Brake Unit punktet immer.

Bild 3: In der Entwicklung: Ein Radnabenantrieb mit integrierter Bremse.
Bild 3: In der Entwicklung: Ein Radnabenantrieb mit integrierter Bremse. (Bild: Continental)

Der Antrieb der Drive-Brake Unit

Der verwendete Radnabenmotor von DeepDrive ist eine flüssigkeitsgekühlte Radialflux-Doppelrotormaschine mit einer hohen Drehmomentdichte von 60 Nm/kg. Dank des hohen Wirkungsgrades ist der Antrieb kompakter und deutlich leichter als bisherige Radnabenmotoren. Damit sinkt der relative Anteil reifengefederter Massen am Fahrzeuggewicht. Neben der optimalen Ausnutzung des magnetischen Flusses in den zwei Rotoren liegt die Effizienz des Antriebs darin begründet, dass seine Kennlinie sehr gut mit relevanten Lastpunkten des WLTP übereinstimmt. Hinzu kommt der Wegfall aller Getriebeverluste, da der Motor direkt auf das Rad wirkt. In Summe entsteht so ein Effizienzvorteil gegenüber Achsantrieben von bis zu 20 Prozent. Der sehr effiziente Inverter mit Siliziumkarbid-Chips (SiC) ist bauraumsparend in die Motoreinheit integriert.

Als Antriebsoptionen stehen unterschiedliche Ausführungen von 48 V Modellen (für innerstädtische elektrische Leichtfahrzeuge der Klassen L5e bis L7e) bis zu 400 V Modellen mit bis zu >200 kW Leistung pro Rad zur Verfügung. Die Steuerung des Antriebs ist im Motor integriert. In einer nächsten Evolutionsstufe besteht die Möglichkeit die Bremsenansteuerung mitzuintegrieren.

Die Vorentwicklung der Drive-Brake Unit soll bis Ende 2024 abgeschlossen sein, so dass eine anschließende Serienentwicklung nach aktueller Planung erste Großserien-SOPs der Drive-Brake Unit ab 2028 ermöglichen wird (Bild 3).

Save the date: 29. Automobil-Elektronik Kongress

Logo zum Automobil-Elektronik Kongress

Am 24. und 25. Juni 2025 findet zum 29. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) in Ludwigsburg statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.

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Hochintegration: das 180°-Corner-Modul

Die Drive-Brake Unit ist die Basis einer weiteren Evolutionsstufe der Radbaugruppe mit noch höherem Integrationsgrad: Bestandteile des Corner-Moduls sind die Drive-Brake Unit, die Federung und Dämpfung, die Felge und der Reifen. Zusätzlich kann die Lenkung in das Corner-Modul integriert werden.

Ein erster Prototyp solch eines Corner-Moduls (Bild 4) hatte Continental erstmals schon Anfang 2023 gezeigt. Dieser war für leichte Elektrofahrzeuge mit bis zu 900 kg Zuladung, 9 m³ Ladevolumen und 150 km Reichweite ausgelegt.

Bild 4: Die Drive-Brake Unit bildet den Kern einer weiteren Evolutionsstufe der Radbaugruppe mit noch höherem Integrationsgrad – dem 180° Corner-Modul
Bild 4: Die Drive-Brake Unit bildet den Kern einer weiteren Evolutionsstufe der Radbaugruppe mit noch höherem Integrationsgrad – dem 180° Corner-Modul (Bild: Continental)

OEM-Vorteile des Modulprinzips mit Gleichteileverwendung

Das Corner-Modul ist als by-wire Plug-and-Go-Einheit mit allen Aufnahmepunkten und Schnittstellen (elektrisch/elektronisch, Flüssigkühlung) konzipiert. Es wird als funktionsbereites Modul am Fahrzeug montiert und lässt sich bei Bedarf einfach austauschen, etwa, um Modernisierungen oder Reparaturen nachhaltig zu machen. Durch den einfachen Austausch des Corner-Moduls können entsprechende Arbeiten mit geringem Zeitaufwand und – z. B. bei Fuhrparkbetreibern mit eigener Werkstatt – sogar inhouse im Betriebshof erfolgen. Damit fällt das Fahrzeug nur kurze Zeit aus und wird schnell wieder zum Umsatzträger. Die standardisierte Schnittstelle zum Fahrzeug erlaubt, dass die Module kontinuierlich weiterentwickelt und an neue Anforderungen angepasst werden können.

Für den OEM erschließt das Corner-Modul mehrere Vorteile:

  • Weil das Corner-Modul in Leistung und Funktionsumfang flexibel skalierbar ist, eignet es sich für eine breite Palette von Fahrzeugsegmenten, angefangen bei L5e bis zum schweren D-Segment einschließlich Pickup Trucks.
  • Als montagefertiges Modul vereinfacht das Corner-Modul mit seinen Aufnahmepunkten und Schnittstellen die Produktionsabläufe. Zusätzlich können die installierten Corner-Module dazu dienen, den Fahrwerksrahmen im Montageprozess zu einer selbstfahrenden Einheit zu machen.
  • Für OEMs mit im Aufbau befindlichen Fahrzeugprogrammen – etwa für elektrische Leichtfahrzeuge – verringert das Corner-Modul die Entwicklungsaufwände für neue Fahrzeugmodelle.
  • Der Raumgewinn zwischen den Rädern lässt sich für neue Fahrzeugkonzepte nutzen, hängt aber natürlich im Falle der Lenkintegration vom geforderten Lenkwinkel ab.

Ausführung des Corner-Moduls mit Lenkintegration

Da Radnabenmotoren keine Antriebswellen benötigen, können Lenkwinkel erreicht werden, die sonst durch die Antriebswellen der Achsantriebe verhindert werden. Durch den Wegfall der Brems-Hochdruckleitungen zum Rad bei elektro-mechanischen Bremsen verbessern sich zusätzlich die Voraussetzungen für ein gelenktes Corner-Modul mit großem Lenkeinschlag. Beim Einsatz von vier Corner- Modulen mit integrierter Lenkung sind daher weitere attraktive Funktionen möglich:

  • Große Lenkwinkel von bis zu ±90° erhöhen die Manövrierfähigkeit enorm. So ist z. B. ein seitliches Einparken („Crab Movement“) ebenso umsetzbar wie ein Wenden auf der Stelle („U-Turn“) (Bild 5).
Bild 5: Funktionen wie seitliches Einparken lassen sich mit dem Corner-Modul einfach umsetzen.
Bild 5: Funktionen wie seitliches Einparken lassen sich mit dem Corner-Modul einfach umsetzen. (Bild: Continental)

Schwerpunktthema: E-Mobility

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(Bild: Adobe Stock, Hüthig)

In diesem Themenschwerpunkt „E-Mobility“ dreht sich alles um die Technologien in Elektrofahrzeugen, Hybriden und Ladesäulen: Von Halbleitern über Leistungselektronik bis E-Achse, von Batterie über Sicherheit bis Materialien und Leichtbau sowie Test und Infrastruktur. Hier erfahren Sie mehr.

  • Auch ein Drehen auf engstem Raum um einen beliebigen Punkt des Fahrzeugs ist möglich („Pivot Turn“) (Bild 6).
  • Schrägfahrten für komfortable Spurwechsel sind denkbar („Diagonal Driving“).
Bild 6: Wenden auf der Stelle und Drehen um ein Rad wird zukünftig möglich sein.
Bild 6: Wenden auf der Stelle und Drehen um ein Rad wird zukünftig möglich sein. (Bild: Continental)

Zusatzfunktionen des Corner-Moduls im Fahrbetrieb

Das Corner-Modul ermöglicht dank Luftfederung eine Niveauregelung. Besonders relevant ist dies für Pkw zum einen durch das Absenken der Karosserie bei höheren Geschwindigkeiten, um den Luftwiderstand zu reduzieren und damit die Effizienz zu erhöhen. Zum anderen lassen sich dadurch Komfortfunktionen umsetzen, wie vereinfachtes Ein-/Aussteigen und Beladen.

Für Lieferfahrzeuge kann das Fahrwerksniveau vor dem Unterfahren und Aufladen eines Aufbau-/Funktionsmoduls wie zum Beispiel eines Laderaummoduls abgesenkt und nach dem Aufladen wieder angehoben werden, um den Beladevorgang zu vereinfachen.

Allgemein erlaubt es die Fahrwerksanhebung, Bordsteinkanten mit kritischer Höhe zu überfahren, ohne aufzusetzen. Damit lassen sich der Unterboden und die Batterie effektiv vor teuren Beschädigungen schützen.

Die Verteilung der Antriebsleistung auf zwei oder vier Räder erhöht die Ausfallsicherheit und Verfügbarkeit des Fahrzeugs. Bei Ausfall eines Radnabenmotors kann das Fahrzeug im Notfallbetrieb mit eingeschränkter Leistung weiterfahren.

Zusammenfassung und Ausblick

Das Corner-Modul lässt sich mit seiner Modularisierung nach dem Prinzip eines Baukastens hinsichtlich Leistung und Funktionsumfang sehr gut an Fahrzeuge anpassen und kann verschiedenartige Anforderungen erfüllen. Continental Automotive bringt die Kernkompetenz für Fahrdynamik, für die Radbremse sowie die Industrialisierung ein.

Mit dem Prinzip des Modulaustausches beginnt langfristig auch eine neue Phase der Modularisierung des Gesamtfahrzeugs. Das ergibt Vorteile im Hinblick auf die Nachhaltigkeit, weil die Lebensdauer eines ansonsten voll funktionsfähigen „Restfahrzeugs“ deutlich länger werden kann. Bei Reparaturen, Weiterentwicklungen, technischen Updates und Funktionsupdates müssen lediglich Module getauscht werden. (na)

Andreas Zwick

Leiter Innovation and Engineering Excellence im Geschäftsbereich Safety and Motion bei Continental.

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