Die externe Elektronik bereitet die Signale vor und sendet sie über 12 Kanäle an das Implantat. Direkt in der Hörschnecke entsteht dann ein elektrostatisches Feld, das die Hörnerven anregt.

Die externe Elektronik bereitet die Signale vor und sendet sie über 12 Kanäle an das Implantat. Direkt in der Hörschnecke entsteht dann ein elektrostatisches Feld, das die Hörnerven anregt.MED-EL

Wichtig beim Design eines Implantatsystems ist eine Upgrade-Möglichkeit von außen, ohne weitere Operation, betont Gregor Dittrich im Gespräch mit der Redaktion: „Das Implantat ist so zukunftsgerichtet konzipiert, dass es 20 bis 30 Jahre unter der Haut bleibt ohne zu veralten.“ Dittrich leitet das Produktmanagement bei MED-EL in Innsbruck. Die von MED-EL entwickelte Hörhilfe besteht aus zwei Teilen: Einer externen Hightech-Elektronik, die man jederzeit austauschen kann, und dem Implantat. Der externe Audioprozessor versorgt den implantierten Teil induktiv mit Energie und überträgt die Hör-Stimuli mit 600 kBit/s. Das Implantat erzeugt an 12 Stellen in der Kochlea elektrische Felder, die sich überlappen. „Damit können die Patienten bis zu 250 Tonhöhen unterscheiden.“

Elektronik im Körper

Auch im implantierten Teil befinden sich Schaltungen. Hier müssen die Entwickler vor allem auf die Dichtigkeit der Komponenten achten, um sie vor den Körperflüssigkeiten fernzuhalten. Dazu setzen sie auf hermetisch verschweißte Titan-Gehäuse, gefüllt mit Helium-Argon-Schutzgas, das Oxidations- und Alterungsprozesse der Elektronik verhindert. „Theoretisch könnte die Elektronik ewig funktionieren“, erklärt Gregor Dittrich. Wichtig ist zudem, dass es sich um extreme Low-Power-Elektronik handelt: Einerseits muss das Implantat mit einer kompakten Hörgeräte-Batterie oder einem Lithium-Ionen-Akku hinter dem Ohr auskommen, außerdem darf es natürlich keine Wärme in den Körper einbringen. Für die Energieübertragung sind zwei Spulen zuständig: die externe sendet und die implantierte empfängt die Energie über induktive Kopplung. MED-EL arbeitet dabei mit einer Trägerfrequenz von 12 MHz, um eine sehr effiziente Übertragung durch die Haut sicherzustellen. Aufmoduliert auf der Energieübertragung findet auch die Datenübertragung statt.

Der Elektrodenträger im Implantat führt bis zu 24 einzelne Leitungen, die über 12 Kanäle die Kochlea an 12 Stellen anregen.

Der Elektrodenträger im Implantat führt bis zu 24 einzelne Leitungen, die über 12 Kanäle die Kochlea an 12 Stellen anregen.MED-EL

Das Audiosignal ist dazu in Frequenzbänder aufgespaltet und stimuliert den Hörnerv mit biphasischen elektrischen Pulsen, nicht etwa mit einer analogen Wellenform. Die Pulse bilden das Signal nach, das normalerweise die Haarzellen erzeugen. Der Vorgang schädigt die Zellen nicht: Die Pulse liegen innerhalb normaler physiologischer Parameter und führen nur zur einer Depolarisation der Zelle. „Damit ist die Technologie praktisch auf unbegrenzte Dauer einsetzbar“, berichtet Dittrich. Die einzelnen Frequenzbereiche sind dabei an unterschiedlichen Orten auf der Hörschnecke abgebildet. Der Elektrodenträger im Implantat führt bis zu 24 einzelne Leitungen, die 12 Kanäle an 12 Stellen innerhalb der Kochlea leiten. Indem man mehrere nebeneinander liegende Kanäle gleichzeitig anregt, kann man das Feld auch zwischen diesen diskreten Orte platzieren und damit weitere virtuelle Kanäle erzeugen. Im Ergebnis können die Patienten bis zu 250 Tonhöhen unterscheiden.

Mehrstufige Signalverarbeitung

Für die Signalverarbeitung ist das externe Modul zuständig. Es berechnet aus dem Umgebungsgeräusch die nötigen Impulsdauern und Impulsstärken, entscheidet ob die Stimulation auf verschiedenen Kanälen gleichzeitig oder kurz aufeinander erfolgen soll und vieles mehr. Je nach Pulsmuster entscheidet sich, wie natürlich das Resultat dann für den Patienten klingt. „Manche akustische Phänomene lassen sich in der tauben Kochlea nicht so richtig abbilden“, verrät Gregor Dittrich, unter anderem weil „das Kochlea-Implantat nicht zwischen innerer und äußerer Haarzelle unterscheiden kann.“ Dennoch erreichen die Patienten mit ihrem Implantat erstaunliche Hörfähigkeiten, sogar Profi-Orchestermusiker können ihr Instrument wieder spielen.

Auf einen Blick

In einem Kochlea-Implantatsystem steckt eine Menge Elektronik mit ausgefeilter Signalverarbeitung auf eigenen ASICs sowie Standard-DSPs. Ein Spezialist des Herstellers MED-EL erklärt im Gespräch mit der Redaktion die jüngsten Innovationen aus Sicht des Ingenieurs.

Es lässt sich an veränderte Hörfähigkeiten anpassen, ohne am implantierten Teil etwas zu verändern. Die Signalverarbeitung hier nutzt ein branchenübliches Analogfrontend und einen DSP zur Vorverarbeitung, setzt dann aber auf einen eigenen ASIC, der die Anregungssignale berechnet. Im Implantat steckt ein weiterer ASIC. Der DSP reduziert unter anderem das Rauschen und die Windgeräusche, berechnet das Beam-Forming für das Richtmikrofon und verbessert dadurch den Signal-Rausch-Abstand. Es handelt sich bei dem verwendeten DSP um einen branchenüblichen Baustein, der die reine Audiosignalverarbeitung übernimmt. Damit ist es sogar möglich, kombinierte Hörgeräte herzustellen, die tiefe Frequenzen klassisch akustisch verstärkt an das Ohr weiterreicht und das Implantat nur für hohe Frequenzen nutzt, typischerweise ab 1000 Hz. Damit verbessert sich für Patienten, die noch über eine Resthörfähigkeit verfügen, die Wahrnehmung deutlich.

Eigene ASIC-Entwicklung

Für die Berechnung des elektrischen Anregungssignals gibt es laut Dittrich keinen geeigneten DSP, der die Algorithmen ausreichend effizient durchführen könnte. Daher musste MED-EL einen eigenen ASIC entwickeln; ein Teil des Designs stammt direkt von MED-EL, die Innsbrucker kooperieren aber auch mit externen Dienstleistern. Während frühere Kochlea-Implantate das Umgebungssignal nach einer Bandpassfilterung erst gleichgerichtet und geglättet haben, um den Amplitudenverlauf zu ermitteln, verwendet MED-EL hierfür die Hilbert-Transformation. Seit neuestem nutzen die Spezialisten aber nicht nur die Einhüllende eines Frequenzbandes, sondern auch die zeitliche Feinstruktur über eine Nullstellendetektion. Der ASIC berechnet die Amplitude des Reizsignals anhand der Einhüllenden und kontrolliert den zeitlichen Ablauf der einzelnen Impulse, statt wie bisher mit einer konstanten Rate zu stimulieren. Damit verbessern die Innsbrucker Spezialisten die Wahrnehmung tiefer Töne sowie das Richtungshören, da in beiden Fällen die Laufzeiten der Signale eine wichtige Rolle spielen. Auch die Höranstrengung sinkt: Das Gehirn hat weniger Zusatzarbeit. Derlei Routinen lassen sich mit herkömmlichen Hörhilfen nicht umsetzen, daher bewährt sich die zweigeteilte Architektur: Sie erlaubt ein Upgrade, ohne das Implantat zu verändern.

Gregor Dittrich leitet das Produktmanagement bei MED-EL in Innsbruck.

Gregor Dittrich leitet das Produktmanagement bei MED-EL in Innsbruck.MED-EL

Aber auch beim Implantat gibt es Fortschritte. Um den externen Teil exakt zu positionieren, befindet sich unter der Haut ein kleiner, aber relativ starker Permanentmagnet. Das Verfahren ist für den Patienten sehr einfach zu bedienen und es stellt sicher, dass die Übertragung ins Implantat effizient bleibt, weil die externe Spule sicher an der korrekten Stelle sitzt. Allerdings hat die Technik einen deutlichen Nachteil: Der implantierte Magnet verhinderte bisher MRT-Untersuchungen mit ihren hohen statischen Magnetfeldstärken, mit bis zu drei Tesla. Der implantierte Magnet tritt mit den MRT-Spulen in Wechselwirkung und versucht, sich räumlich auszurichten. „Dabei entsteht ein ziemlich großes Drehmoment mit einer ziemlich großen Kraft.“ Das Magnetfeld des Implantats führt außerdem zu einer Abschattung, sprich es stört die Bilder aus der Kernspin-Untersuchung. Allerdings treten diese Artefakte nur in der Umgebung des Implantats auf.

Rotierender Magnet

Die mechanischen Probleme verhinderten bislang jedoch auch Untersuchungen an anderen Körperregionen. „In unserem neuen Implantat ist der Magnet innerhalb seines Titangehäuses rotierend gelagert, er kann sich also frei ausrichten“, und zwar entlang seiner Längsachse. „Das würde noch keinen Vorteil liefern, wenn es sich um einen axialen Magneten handeln würde“, also wenn die beiden Pole an den oberen und unteren Flächen der Scheibe liegen würden. MED-EL richtet das Magnetfeld daher radial aus: „wir haben einen Magneten gebaut, der ist entlang des Durchmessers magnetisiert.“ Dennoch ist das Implantat an dieser Stelle nur 3 mm dick. Der Patient kann sich nun auch in einen Drei-Tesla-MRT legen, ohne etwas zu spüren und ohne dem implantierten Magneten zu schaden. Auch die Elektronik leidet nicht unter dem MRT, selbst die entstehenden Wirbelströme sind zu schwach um Schaden anzurichten. Nur die Elektrode selbst wirkt wie eine Antenne, sie erwärmt sich aber auch unter Worst-Case-Bedingungen in der Simulation maximal um 2 °C.

Die neuen Entwicklungen mildern damit die Nachteile, die ein Hörimplantatträger im täglichen Leben erfährt. Da sich der externe Audioprozessor austauschen lässt, bleiben die Patienten auch über Jahrzehnte am Puls des Fortschritts beteiligt.

Dr.-Ing. Achim Leitner

ist Chefredakteur von all-electronics.de.

(lei)

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