
Bild 1: KI-gestütztes Kamerasystem beim automatisierten Einstecken eines Kabels. (Bild: Kuka, Micropsi)
Bis 2040 könnten durch den Einsatz von KI, einschließlich fortgeschrittener Robotik und KI-gesteuerter Automatisierungssysteme, bis zu 47 Prozent der derzeitigen Tätigkeiten im verarbeitenden Gewerbe automatisiert werden. Laut einer Bitkom-Studie halten 78 Prozent der deutschen Industrieunternehmen KI für wettbewerbsentscheidend. Dennoch setzen nur 15 Prozent diese Technologie aktiv ein.
Gleichzeitig sind 53 Prozent der Unternehmen zurückhaltend und warten erst einmal ab, welche Erfahrungen andere mit der Implementierung von KI gesammelt haben. Auch fehlendes Know-how wird von vielen Unternehmen als Hindernis für die Integration von KI genannt. Dabei sehen 60 Prozent der deutschen Unternehmen in der industriellen Fertigung großes Potenzial, um den Arbeitskräftemangel zu lindern (eco). Insbesondere die Robotik wird als vielversprechendes Feld für den Einsatz von KI identifiziert.
Wie also können Industrieunternehmen die Herausforderung meistern, KI in ihre Produktionsprozesse zu integrieren? Ein Ansatz, den viele Hersteller verfolgen, ist die Ausstattung ihrer Industrieroboter mit KI-Vision-Software. Dabei wird der Roboter mit einer Kamera, Beleuchtung und Software ausgestattet, die ihm im Wesentlichen eine Art „Hand-Auge-Koordination“ verleiht.
So kann der Roboter seine Umgebung wahrnehmen und eigenständig Probleme lösen. Die KI lernt dabei nicht, eine Aufgabe millimetergenau nachzuahmen, sondern Bewegungen zu abstrahieren und auszuführen, die den Anforderungen des Arbeitsschrittes entsprechen. Gleichzeitig kann sie sich auf Abweichungen wie unterschiedliche Formen oder Positionen von Werkstücken einstellen. Auch Variationen in Farbe, Hintergrund und Licht bewältigt die KI problemlos.
Dieser Ansatz unterscheidet sich grundlegend vom herkömmlichen Einsatz von Bildverarbeitungssystemen in der Fertigung.
Herausforderungen traditioneller Vision-Systeme: Wie KI Lösungen bietet
Traditionelle Kamerasysteme stoßen aufgrund ihrer Abhängigkeit von CAD-Daten, Messungen und der Notwendigkeit präziser Kalibrierungen schnell an ihre Grenzen. Sie erfordern oft komplexe Konfigurationen, deren Integration mehrere Wochen oder sogar Monate in Anspruch nehmen kann. Selbst geringfügige Änderungen an Prozessen oder Komponenten führen oft zu zeitaufwendigen Anpassungen. Darüber hinaus erfordern diese Systeme ein hohes Maß an Expertenwissen, was die Implementierung zusätzlich erschwert.
Traditionelle Vision-Systeme stoßen beispielsweise bei typischen Aufgaben in der Automobilfertigung wie dem Anziehen von Schrauben, dem Pick-and-Place von spiegelnden Teilen oder der Handhabung von Kabeln oft an ihre Grenzen, da diese Anwendungen durch Varianzen verkompliziert werden. Roboter, die mit traditionellen Kamerasystemen gesteuert werden, haben Schwierigkeiten, mit wechselnden Lichtverhältnissen, stark reflektierenden oder kontrastarmen Objekten, flexiblen und nicht starren Bauteilen sowie unerwarteten Abweichungen der Bauteile umzugehen.
Diese Herausforderungen machen den Einsatz traditioneller Vision-Systeme in variantenreichen Produktionsumgebungen besonders anspruchsvoll.
Warum die Industrie zunehmend auf KI-Vision setzt
KI-basierte Vision-Systeme sind nicht nur einfacher zu bedienen als herkömmliche Kameralösungen, sondern bieten Industrieunternehmen auch erhebliche Vorteile. Ein besonders wichtiges Merkmal der Fähigkeit von KI ist, sich an Varianzen anzupassen, ohne dass die Software neu programmiert werden muss.
Ein Beispiel ist ein Elektronikhersteller, der die Einführung von Kabeln automatisieren wollte. Mitarbeiter mussten Kabel in Geräte stecken, um deren Ladefunktion zu testen. Ursprünglich waren alle Kabel schwarz, aber während der Tests stellte sich heraus, dass einige Kabel eine bräunliche Farbe hatten. Ein traditionelles Vision-System hätte aufwendig umprogrammiert werden müssen, aber mit einer KI-Lösung konnte das Problem mit nur wenigen zusätzlichen Trainingsdurchläufen effizient gelöst werden (Bild 1).
Das erhöht nicht nur die Effizienz und Prozessstabilität in Produktions- und Montageprozessen, sondern senkt auch die Betriebskosten. Darüber hinaus ist das Einstecken von Kabeln eine sehr unergonomische Tätigkeit. In einem Werk klagten Mitarbeiter über Schmerzen in den Fingerspitzen, obwohl sie Schutzhandschuhe trugen. Die Automatisierung dieser Aufgabe mit KI entlastet also nicht nur die Produktion, sondern auch die Mitarbeitenden.
Bosch Siemens Hausgeräte setzt auf KI-Vision für Leckageprüfungen
Bei Bosch Siemens Hausgeräte (BSH) war die Automatisierung der Leckageprüfung von Kupferrohren für Kühlschränke lange Zeit aufgrund der Varianzen nicht möglich. Arbeitskräfte mussten eine „Schnüffelsonde“ verwenden, um diese Tests manuell durchzuführen (Bild 2). Solche repetitiven Aufgaben sind jedoch nicht nur körperlich anstrengend, sondern führen auch häufig zu Ungenauigkeiten, da sie wenig Abwechslung und wenig geistige Anregung für die Mitarbeitenden bieten.

Mit der KI-Vision-Software MIRAI konnte diese Herausforderung gelöst werden. Die KI hat gelernt, auf die Varianzen der Kupferrohre zu reagieren und dabei eine gleichbleibend hohe Präzision und Genauigkeit bei jedem einzelnen Test zu gewährleisten. Heute sind mehrere UR-Roboter bei BSH mit der Lösung ausgestattet und seit mehreren Jahren im Einsatz. Sie erzielen bei jeder getesteten Einheit stets die gleiche zuverlässige Genauigkeit — ein guter Beweis für die Leistungsfähigkeit von KI in der Automatisierung (Bild 3).

Die Zukunft der KI-Vision-Software in der Fertigung
KI-Vision-Software hat sich von einer experimentellen Technologie zu einer Schlüsselkomponente in der Fertigungsindustrie entwickelt. Unternehmen berichten zunehmend von zuverlässigen Ergebnissen und neuen Möglichkeiten, manuelle Prozesse effizient zu automatisieren. Die anfängliche Testphase ist abgeschlossen und die Technologie beweist ihren Mehrwert in realen Produktionsumgebungen.
Gleichzeitig steht die Branche vor großen Herausforderungen: Weltweiter Arbeitskräftemangel und veränderte internationale Zölle setzen traditionelle Lieferketten unter Druck. In diesem Kontext ist der Einsatz neuer Technologien für die industrielle Automatisierung nicht mehr optional, sondern unerlässlich, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die KI-Vision-Technologie für Industrieroboter spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht es Unternehmen, Produktionslinien zu optimieren, den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft zu reduzieren und gleichzeitig flexibel auf die Anforderungen des globalen Marktes zu reagieren. Damit wird industrielle KI von einer Zukunftsvision zu einem unverzichtbaren Werkzeug für produzierende Unternehmen. (na)