Welche Zukunftsmaterialien prägen Forschung und Industrie – und weshalb erreichen viele Entwicklungen bisher nicht den Elektronikmarkt?(Bild: terat - stock.adobe.com)
Die Entwicklung funktionaler Materialien ist zentral für die Elektronikindustrie. Doch zwischen Grundlagenforschung und industrieller Umsetzung verlaufen komplexe Prozesse – nicht jede Innovation erreicht die Fertigungslinie oder die Serienreife.
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Die Elektronikindustrie steht unter permanentem Innovationsdruck: Leistungsfähiger, energieeffizienter, nachhaltiger – und dabei möglichst kostengünstig sollen neue Produkte sein. Neue Materialien spielen dabei eine zentrale Rolle. Doch während in Medien und auf Konferenzen oft dieselben Buzzwords kursieren – Graphen, organische Halbleiter, Nanomaterialien – stellt sich die Frage: Was passiert wirklich in Forschung und Industrie? Welche Materialien stehen kurz vor dem Marktdurchbruch – und welche bleiben vorerst Zukunftsvision?
Vom Buzzword zur Anwendung? Graphen ist eines der am intensivsten erforschten Materialien für Anwendungen in der Elektronikindustrie.(Bild: artegorov3@gmail - stock.adobe.com)
Die Entwicklung neuer Materialien ist komplex – und selten das Ergebnis einzelner Akteure. Universitäten, angewandte Forschungseinrichtungen und Unternehmen übernehmen unterschiedliche Rollen im Innovationsprozess. Während an den Hochschulen meist grundlegende wissenschaftliche Fragestellungen im Fokus stehen, arbeiten Forschungsinstitute daran, diese Erkenntnisse in anwendbare Technologien zu übersetzen. Unternehmen wiederum bringen ihre Marktkenntnis, konkrete Anwendungsfragen und Umsetzungsdruck in den Entwicklungsprozess ein.
Durch ihre Funktion an der Schnittstelle zwischen Industrie und Forschung haben Forschungsinstitute oft einen besonders breiten Einblick, welche Materialien die Forschenden aus unterschiedlichen Bereichen tatsächlich umtreiben – und welche aktuell eher in Literatur zu finden sind als im Labor.
Innovationsmotor Materialien: Was die Elektronik von morgen antreibt
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Eine solche Rolle übernehmen auch die Hahn-Schickard-Gesellschaft und das Toray Research Center (TRC). Unter dem Motto „Visions to Products“ entwickelt erstere ausgehend von einer wissenschaftlichen Idee gemeinsam mit Partnern ein konkretes Produkt oder eine anwendungsnahe Lösung. Das TRC, Teil der japanischen Toray-Gruppe, unterstützt Kunden aus Wissenschaft und Industrie mit hochspezialisierter Material- und Device-Analytik. Die Labore sind mit modernsten Verfahren ausgestattet, um selbst komplexe Werkstoffe bis ins molekulare Detail zu charakterisieren. Damit hilft TRC etwa bei der Fehleranalyse, bei der Entwicklung neuer Materialien oder bei Vergleichsstudien – häufig in enger Abstimmung mit Forschungspartnern.
Sowohl bei Hahn-Schickard als auch bei TRC wird also intensiv an den Materialtrends von morgen gearbeitet. Welche Trends sehen diese beiden Institutionen gerade in der Materialentwicklung?
Die Hahn-Schickard-Gesellschaft und das Toray Research Center (TRC) kooperieren bei der Erforschung von Zukunftsmaterialien (v.l.n.r.: Dr. Mehmet Dinc (HS), Yuki Yoshida (TRC), Benedikt Keitel (HS), Dr. Kazutaka Tomita (TRC), Dr. Masanobu Yoshikawa (TRC President), Dr. Billur Sevinis (TRC) and Prof. Dr. Boris Mizaikoff (HS Director).(Bild: Toray Research Center)
„Wir beobachten derzeit ein besonders großes Interesse an Materialien wie Siliziumkarbid, Galliumnitrid und zweidimensionalen Werkstoffen wie Graphen.“, sagt Dr. Junichiro Sameshima, zuständig für die globale Halbleiterstrategie des Toray Research Center. „Diese Materialien bieten die Möglichkeit, bestehende Grenzen in der Leistungselektronik zu überwinden und neue Anwendungsfelder zu erschließen – von der Energiespeicherung bis zur Medizintechnik.“
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Analyse eines SiC-MOSFETs am Toray Research Center.(Bild: Toray Research Center)
Während klassisches Silizium in vielen Bereichen an seine physikalischen Grenzen stößt, ermöglichen Materialien wie Siliziumkarbid und Galliumnitrid deutlich höhere Spannungen, Temperaturen und Schaltfrequenzen. Das macht sie zur idealen Wahl für die Leistungselektronik – etwa in der Elektromobilität, in Industrieanlagen oder in der Luftfahrt. So verändern diese Materialien nicht nur einzelne Komponenten, sondern ganze Systemarchitekturen: Durch ihre physikalischen Vorteile können etwa Inverter kleiner, leichter und effizienter gebaut werden – ein enormer Vorteil etwa bei Elektrofahrzeugen.
Für die Elektronikindustrie außerdem besonders spannend ist die Erforschung und Anwendung organischer Halbleiter. „Auf flexiblen Trägermaterialien eröffnen diese neue Designmöglichkeiten für Displays, Wearables, photonische Messsysteme oder elektronische Hautsensoren“, sagt Prof. Dr. Boris Mizaikoff, Direktor des Instituts für Analytische und Bioanalytische Chemie an der Universität Ulm sowie Standortleiter des Hahn-Schickard Instituts in Ulm. Insbesondere in der Medizintechnik und bei tragbaren Anwendungen verspricht diese Technologie viel Potenzial, da sie sich gut an eine Vielzahl von Analysesituationen anpassen lässt und vergleichsweise kostengünstig hergestellt werden kann.
Zukunft unter dem Mikroskop: Materialien im Fokus der Forschung
Ein weiteres spannendes Feld sind selbstheilende Materialien. Hierbei handelt es sich um Werkstoffe, die nach Beschädigung durch äußere Einflüsse – etwa Wärme oder Feuchtigkeit – ihre ursprüngliche Struktur zurückgewinnen können. Diese Eigenschaft erhöht nicht nur die Lebensdauer von Bauteilen, sondern kann auch Wartungs- und Austauschkosten senken. In der Praxis wurden bereits erste Anwendungen in Folien, Lacken oder sogar strukturellen Bauteilen getestet.
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Im Zuge des weltweiten Plastik-Problems rücken auch biobasierte Kunststoffe, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren, stärker in den Fokus; etwa PLA aus Maisstärke oder PEF aus Zuckerrohr. „Diese Materialien können langfristig erdölbasierte Kunststoffe ersetzen, ohne bei mechanischen Eigenschaften oder Verarbeitbarkeit Abstriche zu machen,“ erklärt Dr. Takashi Yamamoto, der die Auslandsaktivitäten des TRC leitet. In der Elektronikindustrie könnten sie etwa bei Gehäusen oder Einwegkomponenten Anwendung finden. Entscheidend ist hier die Balance zwischen Stabilität, Verarbeitbarkeit und biologischer Abbaubarkeit.
„Viele dieser Materialien sind nicht neu – aber wir verstehen sie heute besser denn je“, betont Prof. Mizaikoff. „Entscheidend ist, dass wir sie gezielter einsetzen können, weil wir ihre Strukturen bis auf die molekulare Ebene analysieren und manipulieren können. Daraus ergeben sich völlig neue Möglichkeiten, etwa für die Miniaturisierung, Energieeffizienz oder Kreislauffähigkeit in unterschiedlichsten Anwendungen.“
Auch biobasierte Kunststoffe wie PEF aus Zuckerrohr rücken in den Fokus, um langfristig erdölbasierte Kunststoffe zu ersetzen.(Bild: Volodymyr - stock.adobe.com)
Zwischen Labor und Linie: Warum nicht jede Entdeckung den Markt erreicht
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So vielversprechend manche Entwicklungen sind – nicht jedes neue Material schafft den Sprung in die Praxis. Einerseits liegt das an technologischen Barrieren wie mangelnder Skalierbarkeit oder fehlender Stabilität. Andererseits verhindert auch mangelnde Kommunikation zwischen Forschung und Wirtschaft eine erfolgreiche Umsetzung. Während Universitäten oft auf wissenschaftliche Exzellenz fokussiert sind, benötigen Unternehmen kurzfristig umsetzbare, robuste Lösungen.
Yuki Yoshida, Leiter der Toray Global Research Solutions Materials Group, bestätigt diese Beobachtung: „In unserer täglichen Arbeit sehen wir, dass Unternehmen vorrangig an Materialien interessiert sind, die kurz vor der praktischen Anwendung stehen.“ Viele der Materialien, die medial stark präsent sind, befinden sich jedoch noch im Forschungsstadium oder werden noch nicht flächendeckend eingesetzt.
Ein Beispiel ist Graphen: Nicht zuletzt durch die Verleihung des Nobelpreises schlägt das Material medial seit einigen Jahren hohe Wellen – und das Potenzial für zukünftige Anwendungen ist nicht zu unterschätzen. Aber, so Prof. Mizaikoff, aktuelle Hypes spiegeln sich nicht unmittelbar in der industriellen Breitenanwendung wider. „In vielen Bereichen ist der Einsatz noch begrenzt. Das kann und wird sich ändern, aber manchmal ist die mediale Aufmerksamkeit zunächst deutlich größer als die reale Marktdurchdringung,“, meint der Experte. Und auch bei vielen anderen Materialien gilt: Die Lücke zwischen wissenschaftlicher Innovation und industrieller Umsetzung bleibt eine große Herausforderung.
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Materialinnovation braucht Teamwork
Damit sich das ändert – und vielversprechende Forschungsergebnisse nicht einfach in der Schublade verschwinden – braucht es mehr als gute Ideen. Entscheidend sind funktionierende Kooperationen zwischen Grundlagenforschung, angewandter Entwicklung und industrieller Praxis. „Eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft kann ein wichtiger Motor für die Entwicklung innovativer Materialien sein“, meint auch Yoshida. „Nur wenn beide Seiten auf Augenhöhe kooperieren und offen kommunizieren, lassen sich Materialinnovationen erfolgreich auf den Markt bringen.“
Denn eines ist klar: Die Herausforderungen – von Klimawandel über Ressourcenschonung bis zu technologischem Fortschritt – werden nicht kleiner. Doch mit interdisziplinärer Zusammenarbeit, geteiltem Wissen und langfristigen Partnerschaften lässt sich viel bewegen. Materialforschung ist dabei kein Selbstzweck, sondern Schlüsseltechnologie für eine nachhaltigere, effizientere und resilientere Industrie.