EMS & PCB Forums 2024

"It is all about money - es geht nur ums Geld" war das Thema des EMS & PCB Forums 2024, das in diesem Jahr wieder in Ulm stattfand. (Bild: in4ma)

Das EMS & PCB Forum 2024 hat sich als zentrale Veranstaltung für die europäische Elektronikindustrie etabliert. Ein besonderes Augenmerk wurde dieses Jahr auf die EMS-Fertigung in Osteuropa und Nordafrika gelegt.

Die Vortragsreihe begann mit einem Gedenken an den kürzlich verstorbenen Michael Gasch, einem ausgewiesenen Experten im Bereich der Leiterplattenindustrie. Seinen Vortrag übernahm Andreas Folge, Unternehmensberater für die Elektronikindustrie. Asiatische Leiterplattenhersteller haben europäische Produzenten seit vielen Jahren überholt. Hauptgründe sind die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und massives Outsourcing im Elektroniksektor. Während früher ein engeres Verhältnis zwischen Lieferanten und Kunden bestand, ist die Leiterplatte heute zu einer Commodity geworden. Europas Produktion beträgt nur noch etwa 1,8 Mrd. Euro, 2000 lag der europäische Anteil an der weltweiten Produktion bei 16 Prozent, bis 2022 sank er auf 2,3 Prozent. Die Zahl der europäischen Hersteller schrumpfte von 561 auf 164, wobei 60 Prozent des Produktionswerts auf die 20 größten Hersteller entfallen.

Dieter Weiss beim EMS Forum 2024
Noch vor Beginn der Veranstaltung herrschte gute Stimmung. In der Branche kennt man sich gut und freut sich auf den erneuten Austausch. (Bild: in4ma)

Die Leiterplattenindustrie in Europa

Eigentlich präsentierte immer der kürzlich verstorbene Michael Gasch diese Zahlen. An seiner Stelle übernahm Andreas Folge, Unternehmensberater, den Vortrag. Um Gasch zu gedenken, rief Veranstalter Dieter Weiss zu einer Schweigeminute auf. Gasch, der über 25 Jahre Erfahrung in der Elektronikindustrie hatte, hinterließ fundierte Zahlen, wie es um die heimische, d.h. europäische Leiterplattenindustrie steht, die Andreas Folge in seinem Vortrag weitergab. Leider nimmt die Anzahl der Leiterplattenhersteller in Europa seit Jahren kontinuierlich ab. Er betonte die Herausforderungen und Chancen, die sich aus der globalen Marktentwicklung ergeben, und unterstrich die Notwendigkeit, europäische Produktionskapazitäten zu stärken.

Schweigeminute für Michael Gasch
Um dem kürzlich verstorbenen Michael Gasch zu gedenken, erhob sich die Versammlung zu einer Schweigeminute. (Bild: in4ma/Hüthig Medien)
Andrea Turcott, IPC
(Bild: in4ma)

Ergebnisse der EMS-Jahresumfrage 2023

Andrea Turcott von der IPC stellte die Ergebnisse der EMS-Jahresumfrage 2023 vor (siehe auch productronic 2/2024, Seiten 30-32). Die Umfrageergebnisse zeigten, dass die Branche trotz globaler Unsicherheiten optimistisch bleibt. Strategien zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung standen im Mittelpunkt.

Xaver Feiner, Zollner
Vor vollem Saal konnte Xaver Feiner von Zollner über den Status der Gespräche in Brüssel zur Förderung der Elektronik-Wertschöpfungskette in Europa berichten. (Bild: in4ma)

Förderung der Elektronik-Wertschöpfungskette in Europa

Xaver Feiner (Zollner) berichtete über den Status der Gespräche in Brüssel zur Förderung der Elektronik-Wertschöpfungskette in Europa. Es wurde ein gemeinsamer Aufruf zum Handeln veröffentlicht, in dem die Interessengruppen aufgefordert werden, eine europäische Strategie für die Elektronikfertigung zu unterstützen. Diese Kampagne zielt darauf ab, die Ressourcen zu optimieren und die europäische Nachfrage zu stimulieren, um ein widerstandsfähiges Elektronik-Ökosystem zu fördern.

Andreas Folge, Unternehmensberater
Andreas Folge, der in diesem Jahr auch die Marktforschungszahlen für die Leiterplattenindustrie übernommen hatte, stellte in seinem Vortrag die Frage nach der Notwendigkeit von IC-Substraten und IC Packaging in Europa. (Bild: in4ma)

Brauchen wir IC-Substrate und IC Packaging in Europa?

Andreas Folge stellte im Anschluss die Frage nach der Notwendigkeit von IC-Substraten und IC Packaging in Europa und diskutierte die potenziellen Vorteile und Herausforderungen einer solchen Produktionsausweitung. Fakt ist, dass das IC-Packaging und IC-Substrate weltweit in der Hand von wenigen Anbietern sind, die fast ausschließlich in Asien ansässig sind. Sie sind sehr spezifisch, teuer und erfordern hervorragendes technisches Know-how und hohe Investitionen. In unserer modernen Welt wird die Datenmenge weiter rapide zunehmen, was bedeutet, dass auch die Nachfrage nach IC-Substraten und IC-Verpackungen weiter steigen wird. Nicht zuletzt um die Ziele des Europäischen Chipgesetzes zu erreichen, braucht man IC-Packaging und IC-Substrate auch in Europa.

Alexander Hagemann, Cicor
Alexander Hagemann von Cicor zeigte Chancen und Herausforderungen der EMS-Anbieter auf und was nötig ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben. (Bild: in4ma)

Chancen und Herausforderungen der EMS-Anbieter

Alexander Hagemann von Cicor beleuchtete die Chancen und Herausforderungen, denen europäische EMS-Anbieter gegenüberstehen. Er hob die Bedeutung von Innovation und Flexibilität hervor, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei beruht die Strategie von Cicor auf operativer Exzellenz und dem Fokus auf Kundenzufriedenheit. Das Unternehmen strebt danach, ein starker und zuverlässiger Lieferant zu sein und seine Kunden mit maßgeschneiderten Lösungen zu unterstützen. Die Nummer 2 der EMS/ODM in der Schweiz verfolgt ein voll integriertes Geschäftsmodell, das von der Produktentwicklung bis zum Packaging reicht. Durch diese vertikale Integration kann Cicor flexibel auf Kundenanforderungen reagieren und innovative Lösungen anbieten. Im Rahmen ihrer Wachstumsstrategie plant das Unternehmen, sowohl organisch als auch durch Akquisitionen zu wachsen. Das Ziel ist es, eine Plattform aufzubauen, die den Kunden eine breite Palette von Produkten und Dienstleistungen bietet.

Dr. Eric Miscoll, EMS Now
Tunesien als aufstrebenden Cow-Cost-Standort stellte Dr. Eric Miscoll von EMS Now vor. (Bild: in4ma)

Ist Tunesien ein guter Low-Cost Standort?

Dr. Eric Miscoll von EMS NOW präsentierte Tunesien als aufstrebenden Low-Cost Standort für die EMS-Industrie in Europa. Es bietet Vorteile wie die Nähe zu Europa, kostengünstige und gut ausgebildete Arbeitskräfte (Mindestlohn von etwa 180 € pro Monat), ein stabiles Stromnetz und ein günstiges regulatorisches Umfeld, was das Land zu einem attraktiven Ziel für EMS-Unternehmen macht.  Zudem erwähnte Miscoll auch bestimmte Unternehmen, die er während seiner Tunesien-Reise besucht hatte, und stellt einige Kostenvergleiche zwischen Tunesien und anderen europäischen Ländern vor. Er betonte, wie wichtig es sei, die Kultur zu verstehen und lokale Ressourcen zu finden, wenn man in Tunesien Geschäfte machen will.

Polen: Rahmenbedingungen und Standortfaktoren

Leo Mausbach von der IHK Warschau erläuterte die Standortfaktoren und Rahmenbedingungen, die Polen zu einem attraktiven Standort für die Elektronikindustrie machen. Polen bietet als Nachbarland Deutschlands viele Vorteile für deutsche Unternehmen. Die geografische Nähe, die starke Lieferkette und niedrigere Arbeitskosten sind attraktive Faktoren. Zudem hat Polen sich in den letzten Jahren stark entwickelt und verfügt über eine gute Infrastruktur und viele wachsende Wirtschaftsbranchen. Der Arbeitsmarkt bietet Chancen für qualifizierte Arbeitskräfte, insbesondere in Mittelstädten. Die geopolitische Lage und die Zufriedenheit von Unternehmen, die in Polen investiert haben, unterstreichen das Potenzial des polnischen Marktes.

Konjunkturlage in der Elektro- und Digitalindustrie

Dr. Andreas Gontermann vom ZVEI gab einen umfassenden Überblick über die aktuelle Konjunkturlage in der Elektro- und Digitalindustrie. In der Elektroindustrie herrscht eine dynamische konjunkturelle Lage. Dabei ist China der größte Produktionsstandort und Vermarkter elektrotechnischer und elektronischer Güter. Deutschland steht immerhin auf dem 5. Platz. Entgegen vielen Erwartungen ist die Weltwirtschaft im Jahr 2023 nicht in eine Rezession gefallen, sondern stabil um 3 % gewachsen. Jedoch sei die aktuelle Situation in der Elektroindustrie von Unsicherheit geprägt, aber es wird erwartet, dass sich die Lage im zweiten Halbjahr verbessern wird. Für das Jahr 2024 wird ein Rückgang des Produktionsvolumens in der Elektroindustrie um 2 % erwartet. Die Industrie steht vor Herausforderungen wie Materialknappheit und Nachfrageschwierigkeiten, dennoch wird langfristig ein höheres Wachstum erwartet.

Voller Saal beim EMS Forum 2024
Ausverkauftes Haus, interessierte Forumsteilnehmer und zahlreiche konstruktive Diskussionen begleiteten die Vorträge des EMS-Forums 2024. (Bild: in4ma)

Podiumsdiskussion: Low-Cost Standorte für EMS in Europa

Eine lebhafte Podiumsdiskussion widmete sich der Frage, ob Europa Low-Cost Standorte für EMS benötigt. Experten aus verschiedenen Bereichen diskutierten über die Vor- und Nachteile solcher Standorte und deren Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Konkret im Fokus standen dabei Länder wie Polen, Moldawien, Ungarn, Slowenien und Tunesien. In Polen und Moldawien liegen die Produktionskosten niedrig und es gibt eine gute Infrastruktur. In Ungarn gibt es ein etabliertes Industrieumfeld und günstige Lohnkosten. Slowenien bietet hochqualifizierte Arbeitskräfte und ist logistisch gut angebunden. Tunesien hat eine starke Elektronikindustrie und niedrige Lohnkosten. Die Entscheidung für den richtigen Standort hängt von verschiedenen Faktoren wie Kosten, Verfügbarkeit von Fachkräften und logistischer Anbindung ab. Letztendlich sollten Unternehmen die verschiedenen Standorte besuchen und auf dieser Basis eine fundierte Entscheidung treffen.

Status der europäischen EMS-Industrie

Anschließend präsentierte Dieter Weiss von in4ma den aktuellen Status der Europäischen EMS-Industrie. Er betonte die Wichtigkeit von Kooperationen und strategischen Allianzen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Standortfaktoren CEE bei Auswahl eines neuen Werks

Dr. Mareike Haaß von in4ma analysierte die entscheidenden Standortfaktoren in Zentral- und Osteuropa bei der Auswahl neuer Werke. Im Fokus standen Länder wie Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Rumänien, Serbien, Bulgarien und Moldawien. Die Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer und Sozialversicherungsbeiträge unterscheiden sich deutlich. Polen hat eine Körperschaftssteuer von 19 %, während Ungarn mit 9 % die Niedrigste aufweist. Die Umsatzsteuer variiert zwischen 19 % in Rumänien und 27 % in Ungarn. Auch die Strompreise für Nicht-Haushaltskunden variieren stark und haben direkte Auswirkungen auf die Produktionskosten. Die Entwicklung der Strompreise in den CEE-Ländern ist ein wichtiger Faktor für die Standortwahl. Die osteuropäischen Länder profitieren von hoher Förderung im EU-Vergleich. Die Bedingungen für Förderungen unterscheiden sich jedoch von Land zu Land und sind entscheidend für die Standortwahl.

Dieter Weiss beim EMS Forum Vortrag 2024
Den aktuellen Status der Europäischen EMS-Industrie präsentierte Dieter G. Weiss von in4ma. (Bild: in4ma)

Bilanzanalysen in West- und Osteuropa und Ausblick

Abschließend präsentierte Dieter Weiss Bilanzanalysen in West- und Osteuropa und gab einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Die Bilanzanalyse für Osteuropa ergab, dass etwa 212 EMS-Unternehmen in dieser Region tätig sind, davon sind 140 kleiner als 2 Mio. Umsatz, so dass dann nur 72 Firmen von in4ma analysiert werden. Von diesen Unternehmen sind jedoch nur 31 reine EMS-Unternehmen. Die anderen haben zusätzlich noch Bauelemente-Distribution oder andere Geschäftsbereiche. Die Gewinne der Unternehmen variieren ebenfalls stark, wobei es auch hier zwei Gruppen gibt: Eine mit hohen Gewinnen und eine mit geringeren Gewinnen. Seine Auswertung zeigte auch, in welchen osteuropäischen Ländern die Unternehmen ansässig sind. Die meisten befinden sich in Tschechien, gefolgt von Polen und Bulgarien. Auch hier wurde die Entwicklung der Lohnkosten, Materialkosten und der Gewinne betrachtet.

Austausch beim EMS Forum 2024
Auch in den Pausen oder nach den Vorträgen konnten sich die Teilnehmer des diesjährigen EMS Forums in Ulm rege austauschen. (Bild: in4ma)

Die Autorin: Dipl. Ing. Dipl. Wirt. Ing (FH) Petra Gottwald

Petra Gottwald / Redaktion all-electronics
(Bild: Petra Gottwald)

Die Doppel-Ingenieurin (Textiltechnik und Wirtschaft) hat nur ein Ziel: Sie möchte Menschen für technische Themen begeistern - ob sie wollen oder nicht. So kommt es schon 'mal vor, dass sie ihren Freunden die komplexe Herstellung einer Leiterplatte in einer packenden Story erzählt oder wie man Elektronik in Textilien einbaut. Privat düst sie auf leisen Sohlen durch die Gegend, denn sie hat seit 2016 ein Faible für Elektromobilität und will mit ihrem Wissen Interessierten die Reichweitenangst beim voll-elektrischen Fahren nehmen.

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