Andreas Folge von Nan Ya bei seinem Vortrag "Die Leiterplattenindustrie in Europa, Zahlen & Fakten" auf dem EMS&PCB-Forum in Ulm.

Andreas Folge bei seinem Vortrag "Die Leiterplattenindustrie in Europa, Zahlen & Fakten" auf dem EMS & PCB Forum in Ulm. (Bild: Jascha Pansch - JAP-Fotografie)

Das EMS & PCB Forum am 5. und 6. Juni 2024 war ein voller Erfolg. Bereits von 2017 bis 2019 hatte in4ma diese Weiterbildungsveranstaltungen für das Management der EMS-Industrie im deutschsprachigen Raum am Flughafen München durchgeführt. Vier Jahre lang war die Veranstaltung dann mit dem EMS-Tag zusammengelegt worden. Im Jahr 2022 trennte sich in4ma vom EMS-Tag und veranstaltete wieder ein eigenes EMS-Forum. Das Management der EMS-Industrie folgte ihm 2023 nach München und blieb ihm auch in diesem Jahr in Ulm treu. IPC und ZVEI unterstützen diese Veranstaltung als Branchentreff der EMS-Industrie im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung um die Leiterplattenindustrie erweitert, da in4ma nun auch die Marktforschung für die Leiterplattenindustrie von Data4PCB übernommen hat.

Eigentlich präsentiere immer der kürzlich verstorbene Michael Gasch diese Zahlen. An seiner Stelle übernahm Andreas Folge, Unternehmensberater, den Vortrag. Um Gasch zu gedenken, rief Dieter Weiss zu einer Schweigeminute auf. Gasch, der über 25 Jahre Erfahrung in der Elektronikindustrie hatte, hinterließ wertvolle Erkenntnisse, die Folge in seinem Vortrag weitergab. Hier haben wir die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

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Als Zusammenarbeit noch Freude machte (Bild: Jascha Pansch)

Wie steht es um die europäische Leiterplattenindustrie?

Andreas Folge begann seine Präsentation mit einer Reflexion über die Vergangenheit der Branche, denn die Leiterplattenindustrie in Europa hat in den letzten Jahrzehnten massive Veränderungen durchlaufen: Von ehemals 561 Herstellern im Jahr 2000 sind heute nur noch 164 übrig. Die Globalisierung und Verlagerung der Produktion nach Asien – insbesondere nach China – haben zu erheblichen Marktverschiebungen geführt. Während früher ein engeres Verhältnis zwischen Lieferanten und Kunden bestand und die Leiterplatte als etwas Besonderes galt, ist sie heute zu einer Commodity geworden.

Die europäische Leiterplattenproduktion beträgt nur noch etwa 1,8 Milliarden Euro, was 2,2% der globalen Produktion ausmacht. Im Vergleich dazu entfällt rund 60% der weltweiten Produktion auf China. Die Produktion in Asien lockt mit niedrigen Kosten, bringt aber auch Qualitätsrisiken und zusätzliche Kosten durch lange Lieferketten und komplexe Logistik mit sich. Strengere Umwelt- und Arbeitsgesetze in Europa führen zudem zu höheren Produktionskosten und schränken die Wettbewerbsfähigkeit ein. Außerdem begeben wir uns damit in eine gefährliche Abhängigkeit. „Wenn die Chinesen den Hahn zudrehen, steht hier alles still,“ warnt Folge.

Zitat

Andreas Folge über die Veränderung in der Leiterplattenindustrie

Früher hatten Lieferanten und Kunden ein gutes Verhältnis miteinander und ein gutes Verständnis über das, was gemacht wurde. Diese Besonderheit hat sie in gewisser Weise verloren und ist zu einer Commodity geworden.

Welche Technologien dominieren den Markt?

Früher dominierte die Multi-Layer-Technologie den europäischen Markt. Heute haben sich die Technologien diversifiziert, und neue Technologien wie Flex-Technologie und IC-Substrate haben an Bedeutung gewonnen. Flex-Technologien ermöglichen flexiblere und leichtere Designs, die in modernen Anwendungen gefragt sind, während IC-Substrate für die Herstellung moderner elektronischer Geräte und Systeme entscheidend sind.

„Im Jahre 2000 war der Bereich Multi-Layer-Technologien in Europa deutlich größer als er jetzt ist“, erläuterte Folge. Die Nachfrage nach innovativen Lösungen wie IC-Substraten wächst stetig, da sie essenziell für die Leistungsfähigkeit vieler High-Tech-Produkte sind. Diese Technologien sind entscheidend für die Herstellung moderner elektronischer Geräte und Systeme. Zudem bieten sie neue Möglichkeiten für die Integration von Funktionen auf kleinerem Raum.

Welche Rolle spielt China in der Leiterplattenindustrie?

Ein zentraler Punkt des Vortrags war die Rolle Chinas und dessen Einfluss auf die globale und europäische Leiterplattenproduktion. In den 1980er Jahren hatte Europa noch 20 % des Weltmarktanteils, doch heute ist dieser Anteil erheblich gesunken. Folge führte dies auf den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und dessen strategische Fünfjahrespläne zurück, die gezielt die industrielle Expansion förderten.

„Innerhalb von nur 10 Jahren stieg der chinesische Weltmarktanteil von 8 % auf über 40 %“, betonte Folge. Diese Entwicklung wurde durch massive staatliche Subventionen und Investitionen in Bildung und Infrastruktur unterstützt, was den Wettbewerb verschärfte. Chinas Eintritt in die WTO verstärkte den globalen Wettbewerb zusätzlich und ermöglichte einen schnellen Ausbau der Produktionskapazitäten. Dies führte zu einem starken Preis- und Kostendruck auf europäische Hersteller.

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Angetrieben durch die 5-Jahres-Pläne hat China den Großteil der weltweiten Leiterplattenproduktion auf sich vereint. (Bild: Data4PCB)

Wie hat sich die europäische Leiterplattenproduktion verändert?

Die europäische Leiterplattenproduktion hat in den letzten Jahrzehnten – auch getrieben durch die Entwicklungen in China – stark abgenommen. Im Jahr 2000 gab es noch über 500 Unternehmen in Europa, heute sind es nur noch 164. Trotz dieser Abnahme gibt es eine gewisse Stabilität im Volumen der in Europa produzierten Leiterplatten, das sich seit Jahren um 1,8 Milliarden Euro bewegt.

Diese drastische Reduktion zeigt die zunehmenden Herausforderungen, mit denen europäische Unternehmen konfrontiert sind. Viele Unternehmen haben aufgegeben oder wurden übernommen, was den Wettbewerb weiter verschärft. Die verbleibenden Anbieter kämpfen weiterhin um Marktanteile und versuchen, sich durch Spezialisierung und Innovation zu behaupten. Zudem müssen sie sich an neue Marktbedingungen und Technologien anpassen.

Anzahl der Leiterplattenhersteller in Europa nach Größe
Der Trend ist eindeutig: Die Anzahl der Leiterplattenhersteller in Europa nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. (Bild: Data4PCB)

Über Andreas Folge

Andreas Folge ist Unternehmensberater und hat über 25 Jahre Erfahrung in der europäischen Elektronikindustrie und ist seit mehr als 20 Jahren mit dem taiwanesischen Basismaterialhersteller Nan Ya Plastics verbunden. Andreas Folge hat sich als Experte für Leiterplattenmaterialien etabliert und hat umfassende Kenntnisse in der Produktion und Anwendung von Laminaten, insbesondere für High-Tech-Anforderungen wie 5G und E-Mobilität. Er ist regelmäßig als Sprecher auf internationalen Konferenzen tätig und diskutiert dort über aktuelle Trends und Herausforderungen in der Elektronikindustrie. Beispielsweise hat er auf der Winterkonferenz 2023 in Lyon über die Entwicklung und Bewertung thermisch stabiler Antennenmaterialien für die Automobilindustrie gesprochen.

Wie kann die europäische Industrie reagieren?

Abschließend wagte Folge einen Blick in die Zukunft. Er betonte die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von asiatischen Märkten zu verringern und neue Technologien zu entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Südostasien wird voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen, während Europa sich auf technologische Innovationen konzentrieren muss, um seine Position zu halten.

„Die Abhängigkeit im Rohstoffbereich ist massiv und wird in Zukunft eine große Herausforderung darstellen“, so Folge. Europäische Unternehmen müssen daher strategische Partnerschaften eingehen und in Forschung und Entwicklung investieren, um sich gegen die internationale Konkurrenz zu behaupten. Nur durch kontinuierliche Innovation und Anpassung können sie im globalen Wettbewerb bestehen. Darüber hinaus ist eine engere Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Industrie notwendig, um gemeinsame Standards und Technologien voranzutreiben.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die europäische Industrie verschiedene Strategien verfolgen:

Wertschöpfung erkennen: Früher hatten sowohl Kunden als auch Lieferanten tiefere Kenntnisse über die Produktion und Kostenfaktoren von Leiterplatten. Dieses Wissen muss wieder verstärkt werden, um die tatsächlichen Produktionskosten besser zu verstehen und optimieren zu können.

Langfristige Partnerschaften: Eine enge Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen Lieferanten und Kunden könnten zur Kostensenkung und Qualitätssteigerung beitragen. Langfristige Partnerschaften stärken die Bindung und das Verständnis für die gemeinsamen Ziele.

Strategische Allianzen: Die Identifikation und Kooperation mit strategischen Partnern in Europa könnten die Abhängigkeit von asiatischen Märkten reduzieren. Diese Allianzen können helfen, die Lieferketten zu sichern und flexibler auf Marktanforderungen zu reagieren.

Die europäische Leiterplattenindustrie steht vor großen Herausforderungen, doch durch strategische Allianzen, Innovationen und Investitionen in Technologie kann sie ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und sich langfristig erholen. Ein gemeinsames Bemühen aller Beteiligten ist notwendig, um die Branche wieder auf Kurs zu bringen und ihre wichtige Rolle in der globalen Elektronikindustrie zu sichern. „Wir haben jetzt noch die Möglichkeit“, so Folge.

In Kürze: die wichtigsten Erkenntnisse des Vortrags

Was ist der Paradigmenwechsel in der Leiterplattenindustrie?

Der Paradigmenwechsel bezieht sich auf die Veränderung der Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden sowie die Kommodifizierung der Leiterplatte. Früher basierte die Zusammenarbeit auf Vertrauen und Partnerschaft, heute steht die Gewinnmaximierung im Vordergrund. Diese Veränderungen wurden durch wirtschaftliche und regulatorische Rahmenbedingungen beeinflusst. Infolgedessen hat sich die Dynamik und die Art der Geschäftsbeziehungen erheblich verändert.

Welche Rolle spielt China in der Leiterplattenindustrie?

China hat seinen Weltmarktanteil innerhalb von 10 Jahren von 8 % auf über 40 % gesteigert, was die europäische Produktion stark beeinflusst hat. Diese Entwicklung wurde durch staatliche Subventionen und Investitionen unterstützt. Chinas Eintritt in die WTO verstärkte den globalen Wettbewerb und führte zu einer Verlagerung der Produktion nach Asien, wodurch ein starker Preis- und Kostendruck auf europäische Hersteller entstand.

Wie hat sich die europäische Leiterplattenproduktion verändert?

Die Anzahl der Unternehmen in Europa hat von über 500 im Jahr 2000 auf 164 abgenommen, jedoch gibt es eine Stabilität im Marktvolumen von etwa 1,8 Milliarden Euro (Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Artikels haben wir ein Komma vergessen und das Volumen mit 18 Mrd. Euro angegeben. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen). Viele Unternehmen mussten aufgrund der verschärften Wettbewerbsbedingungen schließen oder fusionieren. Die verbleibenden Unternehmen setzen vermehrt auf Spezialisierung und Innovation und passen sich an neue Marktbedingungen und Technologien an.

Welche Technologien dominieren den Markt?

Neben der traditionellen Multi-Layer-Technologie gewinnen neue Technologien wie Flex-Technologie und IC-Substrate an Bedeutung. Flex-Technologien ermöglichen modernere und flexiblere Designs, während IC-Substrate entscheidend für die Leistungsfähigkeit vieler High-Tech-Produkte sind. Diese Technologien bieten neue Möglichkeiten für die Integration von Funktionen auf kleinerem Raum.

Wie sieht die Zukunft der europäischen Leiterplattenindustrie aus?

Europa muss seine Abhängigkeit von asiatischen Märkten verringern und sich auf technologische Innovationen konzentrieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie strategische Partnerschaften sind entscheidend. Südostasien wird weiterhin an Bedeutung gewinnen, während Europa sich auf seine Stärken besinnen und eine engere Zusammenarbeit innerhalb der Industrie fördern muss.

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