Die EMS-Branche in Europa hat ein weiteres Jahr mit zweistelligen Umsatzwachstumsraten hinter sich, nachdem 2022 in Europa bereits ein Plus von mehr als 14 % zu verzeichnen war. Anders als im Jahr 2022, als der durchschnittliche Arbeitskräftezuwachs nur 2,7 % betrug und alle von Arbeitskräftemangel sprachen, stiegen die Beschäftigungsquoten in den berichtenden Unternehmen um mehr als 7 %. Einige größere Unternehmen stellten sogar mehrere hundert neue Mitarbeiter ein. Das Marktforschungsinstitut in4ma um Dieter Weiss wirft hier die Frage auf, wo sich diese neuen Mitarbeiter ein Jahr zuvor versteckt hatten.
Laut in4ma werden die besorgniserregenden Ergebnisse der Umfrage höchstwahrscheinlich die Lagerbestände an Rohstoffen sein. Einmal mehr nimmt Dieter Weiss laut eigenen Angaben „hier kein Blatt vor den Mund und spricht unbequeme Wahrheiten aus, die nicht jedem EMS Unternehmen gefallen dürften.“ So zeigen die vorläufigen Zahlen für Deutschland Lagerbestände an Rohstoffen von mehr als 29 % des Jahresumsatzes. Auf 100 % hochgerechnet bedeutet dies, dass Material im Wert von 2,76 Mrd. bei EMS Unternehmen in Deutschland in den Regalen liegt. Hierbei handelt es sich lediglich um das Material, welches den EMS-Firmen gehört und in der Bilanz aktiviert ist. Viele EMS-Unternehmen haben versucht, von ihren Kunden eine Vorauszahlung für benötigte Materialien zu erhalten. Material was also ebenfalls in der Regalen der EMS-Unternehmen lagert, aber dem Kunden gehört und damit in der Bilanz nicht aktiviert ist.
Die Marktforscher hatten bereits vor einem Jahr vor hohen Lagerbeständen gewarnt, mehr als 50 % der Unternehmen haben ihre Lagerbestände jedoch im Jahr 2023 weiter erhöht.
Rückblickend auf die Jahre 2015 bis 2019 lagen die durchschnittlichen Rohstoffvorräte bei etwa 15 % des Jahresumsatzes. Auf dieser Basis sind es zum 31.12.2023 allein in Deutschland 1,36 Milliarden. Euro zu viel in den Regalen der EMS-Branche. Für Europa rechnet in4ma mit mehr als 7 Milliarden Euro an „unsinnigen und falsch disponierten“ Beständen.
Wie viele Allokationsprobleme hatten wir in der Elektronikindustrie in der Vergangenheit? Haben wir versucht, den Mechanismus des Bull-Whip-Effekts zu verstehen und daraus zu lernen? Was werden wir das nächste Mal anders machen? Ich befürchte leider haben es die meisten immer noch nicht begriffen!
Wie geht es mit der EMS-Industrie weiter?
Kein Wunder, dass der deutsche Handelsverband FBDI, mit dessen Geschäftsführer Andreas Falke Dieter Weiss die Tage telefonierte, für 2024 mit einem zweistelligen Umsatzrückgang rechnet. Die EMS-Branche ist hingegen etwas positiver gestimmt, kein Wunder, sie dürfte bereits sämtliches Material für ihre Bestellungen in den Regalen haben. Im Allgemeinen erwarten die EMS-Unternehmen laut Dieter Weiss einen kürzeren Kundenhorizont bei der Auftragserteilung, der die aktuelle Marktstimmung widerspiegelt, eine Verkürzung der Lieferzeiten und einen weiteren Abbau der Lagerbestände der Kunden.
Sind das jetzt alles Fehler des OEMs? Nach Ansicht von in4ma definitiv nicht. Anstatt riesige Kundenaufträge in den Jahren 2021 und 2022 zu hinterfragen, bei denen es sich in vielen Fällen nur um Panikaufträge handelte, „liefen alle EMS mit geschwollener Brust herum und erzählten allen, dass sie für die nächsten zwei bis drei Jahre ein volles Auftragsbuch hätten.“ Stattdessen hätten sie den enormen Anstieg der Nachfrage ihrer Kunden hinterfragen sollen. In vielen Fällen war dies von EMS selbst initiiert, indem sie ihren Kunden mitteilten, dass es eine Chip-Krise gebe und die Kunden jetzt so viel wie möglich bestellen sollten, um überhaupt irgendetwas zu bekommen.
Dieter Weiss beschreibt die Situation folgendermaßen: Heute erinnern sie sich nicht mehr daran und schreiben stattdessen: Im Bereich „xy“ rechnen wir aufgrund schlechter Planung auf Kundenseite (im Vorjahr wurden zu hohe Bestellmengen platziert) mit einem Produktions- und Umsatzrückgang von 46 %. Diesbezüglich wurden Kostensenkungsmaßnahmen festgelegt und Restrukturierungskosten im Geschäftsjahr 2023 eingeplant. Im Geschäftsjahr 2025 wird mit einem erneuten Anstieg der Mengen gerechnet.
Anm. d. Red.: Wenn die finalen Zahlen der Umfrage feststehen, aktualisieren wir den Beitrag.
Über die in4ma-Umfrage
Bisher umfasst die Erhebung die Ergebnisse von 280 rechtlich selbständigen Einheiten, die zu 238 EMS-Unternehmen gehören. Die meisten Daten stammen direkt von den EMS-Unternehmen. Einige wenige Daten stammen aus dem Internet von Unternehmen, die ihre Ergebnisse für 2023 bereits auf ihrer Homepage veröffentlicht haben (ca. 10), sowie aus den Unternehmensregistern der Länder für Unternehmen, deren Geschäftsjahr vom Kalenderjahr abweicht und die ihre Zahlen für das Geschäftsjahr 2023 bereits veröffentlicht haben (ca. 20). Die Daten werden in diesem Jahr mehr als 34% des europäischen EMS-Umsatzes, mehr als 64% des D-A-CH-Umsatzes und zwischen 22% und 30% in den meisten anderen Ländern abdecken. Nach eigenen Angaben ist kein anderer Marktforschungsbericht in der Lage, so genaue Daten für die europäische EMS-Branche im Jahr 2023 zu liefern. In4ma betont, dass es sich nicht um Schätzungen, Pareto oder andere spekulative Methoden zur Quantifizierung des Marktes handelt, sondern um reale Daten, anhand derer die Branche ihre eigenen Ergebnisse mit dem Marktdurchschnitt vergleichen und teilweise auch in Histogrammen darstellen kann.
Der Bericht ist für alle teilnehmenden EMS-Unternehmen kostenlos. Alle anderen können den Bericht zum Preis von 690 Euro erwerben.