Fast zwei Jahre lang sprach die Elektronikindustrie von einer Chipkrise, gleichzeitig bauten die Elektronikunternehmen als Präventivmaßnahme riesige Lagerbestände auf. Wenn man diese als Prozentsatz des Umsatzes betrachtet und davon ausgeht, dass die Jahre 2017 bis 2020 der Normalfall waren, stiegen die Lagerbestände im Jahr 2022 um satte 60 bis 80 %.
In Europa ist dieser Prozentsatz umso höher, je kleiner das Unternehmen in Bezug auf den Umsatz ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass kleine Unternehmen ihre Einnahmen ausschließlich mit der Herstellung von PCBAs erzielen, während die größeren Unternehmen mit Box Building und anderen damit verbundenen Dienstleistungen einen zusätzlichen Mehrwert schaffen.
Globale Player diversifizieren mehr
In4ma hat die europäischen Zahlen mit denen von sieben globalen EMS-Unternehmen verglichen und festgestellt, dass diese sowohl in "normalen" Zeiten als auch während der "Chipkrise" noch niedriger sind. Das liegt laut den Marktforschern daran, dass die großen Global Player noch weniger Umsatz mit der Bestückung von Leiterplatten machen. Sanmina und Flex etwa stellen ebenfalls Leiterplatten her und Kimball bietet diversifizierte Fertigungsdienstleistungen an. Bei Jabil machen die diversifizierten Fertigungsdienstleistungen sogar rund 50 % des Umsatzes aus, was dazu führt, dass der Bestandsaufbau im Jahr 2022 nur 14,7 % des Umsatzes ausmachte.
Der größte Teil der Vorräte besteht immer aus Rohstoffen und aus den Jahresabschlüssen lässt sich dies auch für die öffentlichen EMS-Unternehmen nachvollziehen. (Jabil bleibt in dieser Bewertung absichtlich außen vor.)
Auch 2023 wachsen die Vorräte
Ende 2022 saß die Elektronikindustrie also auf riesigen Lagerbeständen und in4ma stellt die Frage, ob das alles Material war, das aufgrund der Krise dringend benötigt wurde, und ob es möglich gewesen wäre, es zu verwenden und die Lagerbestände schnell wieder abzubauen?
Jetzt, Mitte 2023, haben die ersten drei globalen Unternehmen, Flex, Kimball und SigmaTron, bereits ihre Ergebnisse für das Geschäftsjahr 2023 veröffentlicht. Überraschenderweise hatten alle drei Unternehmen einen weiteren Aufbau der Vorräte in absoluten Zahlen um 14,1 %. Gleichzeitig steigerten sie ihren Umsatz im Durchschnitt um 17,3 %. Daraus schlussfolgern die Marktforscher, dass es nicht so aussieht, als ob diese Unternehmen sich auf den Abbau von Lagerbeständen konzentriert hätten.
Nur leichter Rückgang bei europäischen EMS
Anschließend haben die Marktanalysten die letzten sechs Quartalsergebnisse von sieben öffentlichen EMS in Europa (Scanfil, Kitron, Note, Hanza, InCap, Inission und Norbit) untersucht.
In absoluten Zahlen stiegen deren Gesamtvorräte bis zum Ende des 1. Quartals 2022 um 15,1 %, bis zum 2. Quartal 2022 um 10,1 %, bis zum 3. Quartal 2022 um 7,2 %, bis zum 4. Quartal 2022 um 4,4 %, bis zum 1. Quartal 2023 um 0,2 % und bis zum 2. Quartal 2022 um 2,0 %.
Diese sieben europäischen EMS steigerten ihre Umsätze 2022 um stolze 40,5%, erhöhten aber dennoch ihre Lagerbestände auf Jahresbasis von 29,6 % auf 29,9 %. In der oben gezeigten vierteljährlichen Berechnung konnten die Analysten in den ersten beiden Quartalen 2023 zwar einen leichten prozentualen Rückgang feststellen, in absoluten Zahlen war der Rückgang jedoch marginal.
Dies wirft die Frage auf, ob die Unternehmen noch immer an diesen hohen Lagerbeständen festhalten, um für künftige Krisen besser gerüstet zu sein, oder ob es die rigide NCNR-Politik (non cancelable/non returnable; nicht stornierbar/nicht returnierbar) der Händler ist, die einen weiteren Abbau verhindert.
Volle Lager binden zu viel Kapital
Die derzeitige Hochzinsphase wird nach Ansicht der Wirtschaftswissenschaftler noch mehrere Jahre andauern. In solchen Zeiten ist Liquidität König und die Lagerbestände binden immer noch zu viel Kapital. Allein die erwähnten sieben globalen EMS haben rund 1,38 Milliarden USD zu viel auf Lager (wenn man den prozentualen Anteil der Lagerbestände von 2019 als Normalwert nimmt, diesen mit den Umsätzen vom Jahr 2022 multipliziert und mit den tatsächlichen Lagerbeständen vom Jahr 2022 vergleicht).
Die Situation im Allgemeinen sei mehr als ungesund und erfordere die volle Aufmerksamkeit der EMS-Unternehmen sowie Gespräche mit Händlern und Herstellern, um eine Lösung zu finden, mit der alle ein vernünftiges Ergebnis erzielen können.
Dies werde noch dringlicher, wenn man sich die Umsatzentwicklung der sieben öffentlichen europäischen EMS ansieht. Von Quartal zu Quartal stieg deren Umsatz im 1. Quartal 2023 um 2,5 % und im 2. Quartal 2023 um 2,1 %. Im Vergleich zum 1. Halbjahr 2022 verzeichnete das 1. Halbjahr 2023 ein Wachstum von 19,1 %, was im Einklang mit der in4ma-Halbjahresstudie steht, die derzeit läuft. Doch die enormen Wachstumsraten werden sich nicht fortsetzen und mehrere OEMs versuchen bereits Auslieferungen zu verschieben, da ihre Lager voll sind.