Fallstricke beim Hot Solder Dipping
Hot Solder Dipping sichert Bauteilfunktion langfristig
Verzinnen ist mehr als ein Tauchvorgang. Wer Oxidation und schlechte Lötbarkeit sicher beheben will, braucht definierte Prozessschritte, präzise Temperaturführung und moderne Prüftechnik – sonst bleibt Zuverlässigkeit Zufall.
1: links oben: CAN-IC mit Datecode aus 2010,
2: rechts oben: Verzinnte Stirnflächen als Indikator einer Neuverzinnung
3: links unten: SAM an einem Golden Sample, ohne Delaminationen
4: rechts unten: SAM an Bauteil aus extern neuverzinnter Charge mit Delaminationen (helle Flächen)
HTV
Beim Hot Solder Dipping werden elektronische Komponenten in ein Bad aus geschmolzenem Lot getaucht. Dieser Prozess wird häufig verwendet, um die Oberflächen von Bauteilen zu erneuern, die durch Oxidation oder Korrosion beeinträchtigt wurden, und um die Lötbarkeit zu verbessern.
Technische Aspekte des Hot Solder Dipping
- Vorbereitung der Komponenten: Bevor die Komponenten in das Lötbad getaucht werden, müssen sie abhängig von ihrer Historie (MSL=Moisture Sensitivity Level) gründlich getrocknet werden, um eine Beschädigung beim Verzinnungsprozess zu verhindern. Dies sorgt dafür, dass die Bauteile bei Beaufschlagung der Temperatur des Lötprozesses nicht dem sog. Popcorn-Effekt zum Opfer fallen und aufplatzen.
- Fluxen und vorwärmen: Um bei gealterten und schlecht lötbaren Bauteilen eine neue Zinnschicht aufbringen zu können, muss die Applikation von Flussmittel erfolgen. Dieses Flussmittel wird thermisch aktiviert, indem man das Bauteil über eine Vorheizung langsam erhitzt, bevor es final in Kontakt mit neuem Lötzinn kommt.
- Temperaturkontrolle: Die Temperatur des Lotbads ist ein kritischer Faktor. Sie muss genau überwacht und gesteuert werden, damit das Lot die richtige Viskosität hat, die Komponenten nicht beschädigt werden und die Stärke der Zinnschicht im passenden Fenster liegt. Typischerweise liegt die Temperatur zwischen 230°C und 260°C, abhängig von der Art des verwendeten Lotes und Bauteiltyps.
- Eintauchprozess: Die Komponenten werden in das geschmolzene Lot getaucht oder an einer fließenden Zinnwelle in genau geplanten Bahnen vorbeigeführt, wobei die Dauer des Eintauchens sorgfältig kontrolliert wird. Dies erlaubt eine gleichmäßige Beschichtung und verhindert die Bildung von Lotbrücken oder übermäßigen Lotansammlungen.
- Reinigung: Nach dem Eintauchen kühlen die Bauteile ab und werden anschließend einem Reinigungsprozess unterzogen, bei dem die letzten Rückstände des Flussmittels zuverlässig entfernt werden müssen, um keine Wechselwirkungen nach dem Verlöten auf einer Baugruppe zu erzeugen.
- Qualitätskontrolle: Die Qualität der Lötbeschichtung wird durch stichprobenartige visuelle Inspektionen und Vermessung der Schichtdicken mittels Röntgenfluoreszenzanalyse überwacht. Darüber hi-naus werden die Bauteile final einer 3D-Leadinspektion unterzogen, um die Ausrichtung der Pins zu prüfen und Lotbrücken zu erkennen.
Daneben ist eine strenge Überwachung der Prozessparameter und auch der Zusammensetzung der Lötbäder wichtig, um Kontaminationen frühzeitig zu erkennen und zu beseitigen.
Probleme bei nicht fachgerechter Durchführung
Wird der Prozessablauf nicht korrekt eingehalten oder werden Parameter falsch gewählt, so kann es zu Prozessfehlern kommen, welche die Qualität des Ergebnisses oder gar die Zuverlässigkeit des Bauteils negativ beeinflussen. Dabei ist hervorzuheben, dass insbesondere die thermischen Prozesse akkurat durchgeführt werden müssen, um Schäden in der inneren Struktur der Bauteile zu vermeiden.
Das folgende Beispiel verdeutlicht eine Analyse, welche während der Bauteilkrise 2022/2023 für einen Automobilzulieferer erfolgte. Zu sehen ist ein CAN-IC, der den Datecode 1038 trägt. Das Bauteil stammte aus einem Broker-Zukauf und wurde, da es aufgrund schlechter Lagerung nicht mehr verlötbar war, in der Lieferkette des Brokers in großen Stückzahlen neuverzinnt. Dabei wurden durch fehlerhafte thermische Behandlung im Prozess Delaminationen im Gehäuse des Bauteils erzeugt. Diese Delaminationen sind als kritisch zu bewerten, da sie mit der Zeit unter Temperaturbelastungen und unter Vibrationen wachsen und das Bauteil zerstören können. Zu erfassen und zu bewerten sind diese Delaminationen nur mittels Raster-Ultraschallmikroskopie (SAM – scanning acoustic microscopy), bei der über ein Koppelmedium Ultraschall in das Bauteil eingekoppelt und dort an Hohlräumen (Delaminationen) zurückreflektiert wird sowie in der Bildgebung weiße Flächen erzeugt.
Wenn Cent-Ersparnis tausendfach teurer wird
Es zeigt sich, dass der Prozess des Hot Solder Dipping, bzw. der Neuverzinnung simpel erscheint, aber dennoch viel Fehlerpotenzial birgt. Während einige Prozessfehler wie Zinnbrücken oder trotz Verzinnung weiterhin schlechte Lötbarkeit gut erkannt und auch nachgearbeitet werden können, handelt es sich besonders bei den visuell nicht erkennbaren Fehlern um die richtigen Showstopper. Die Bauteile bestehen die Leadinspektion, lassen sich verlöten und fallen später im Feld aus. Aus den wenigen Cent oder Euro, die zuvor bei der Auswahl eines Anbieters für die Neuverzinnung gespart wurde, entstehen so um den Faktor 100-1000fach höhere Kosten im Nachhinein. Daher sollte die Auswahl auf Anbieter fallen, die die Prozesse im Griff und geeignete Analytik-Methoden sowie Personal haben, um die Prozesse sauber zu validieren.
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Autor
Gunter Mößinger
Head of Research and Development, HTV ALTER Technology GmbH, Bensheim