KI: Warum Menschen der entscheidende Erfolgsfaktor bleiben
Lisa Catena GygerLisa CatenaGyger
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Eine neue MIT-Studie zeigt: 95 % aller KI-Projekte scheitern. Woran liegt das – und was macht die kleine Gruppe erfolgreicher Unternehmen anders? Ein Blick in die Elektronikbranche liefert überraschende Antworten.Adobe Stock – Harsha
Trotz Hype scheitern fast alle KI-Projekte – vor allem dort, wo Technik den Menschen ersetzt. Wer stattdessen auf kleine Teams, konkrete Probleme und echte Befähigung setzt, kann KI zur größten Chance der Elektronikbranche machen.
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95 Prozent aller Generative-KI-Projekte scheitern – so das Ergebnis einer aktuellen MIT-Studie. Für viele klingt das wie ein Schlussstrich: zu riskant, zu teuer, zu kompliziert. Doch die Studie liefert vor allem eine wichtige Erkenntnis: Das Problem liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in der Art, wie Unternehmen sie einsetzen. Und genau hier bietet die Elektronikbranche – von klassischen Herstellern über Zulieferer bis zu Automotive-Start-ups – enormes Potenzial, wenn sie die richtigen Lehren zieht.
Klein und agil schlägt gross und teuer
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Die Untersuchung basiert auf über 150 Interviews mit Führungskräften, 350 befragten Mitarbeitenden und 300 dokumentierten KI-Einführungen. Nur 5 Prozent der Projekte führten zu einem klaren Umsatzschub. Auffällig: Jüngere, beweglichere Unternehmen schnitten deutlich besser ab als große Konzerne. Während letztere sich in großen, prestigeträchtigen „AI Labs“ verlieren und jahrelang in der Pilotphase stecken bleiben, erzielen agile Organisationen schneller spürbare Erfolge.
Drei wiederkehrende Muster bei der Einführung neuer Technologien
Bei der Analyse von Digitalisierungs- und KI-Projekten in Unternehmen treten immer wieder drei zentrale Muster zutage, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden:
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Falsche Prioritäten: Glanz im Frontend statt Effizienz im Backend Viele Unternehmen neigen dazu, ihre Investitionen in prestigeträchtige und nach außen sichtbare Frontend-Anwendungen zu lenken – etwa in kundenorientierte Apps oder glänzende Marketing-Tools. Dabei werden die wahren Effizienzpotenziale oft übersehen. Die größten und nachhaltigsten Gewinne durch Automatisierung und KI liegen häufig im Verborgenen: im Backoffice, in der Optimierung interner Prozesse und in der intelligenten Nutzung von Unternehmensdaten. Hier lassen sich Kosten senken, Abläufe beschleunigen und die Grundlage für zukünftiges Wachstum schaffen.
"Kaufen schlägt Bauen": Der Trugschluss der Eigenentwicklung Ein weiteres verbreitetes Muster ist die Tendenz, aufwendige und langwierige Eigenentwicklungen anzustoßen, anstatt auf bewährte externe Lösungen zurückzugreifen. Die Daten zeigen jedoch ein klares Bild: Der Zukauf von spezialisierten Softwarelösungen ist in der Praxis fast doppelt so erfolgreich wie der Versuch, alles intern neu zu entwickeln. Externe Anbieter bieten nicht nur ausgereifte Technologien, sondern auch kontinuierliche Wartung und Weiterentwicklung. Konzerne, die dennoch auf Eigenprojekte setzen, riskieren hohe Kosten, lange Entwicklungszeiten und binden wertvolle interne Ressourcen, die an anderer Stelle besser eingesetzt wären.
Zentralisierung bremst: Die Kraft der dezentralen Umsetzung Erfolgreiche Projekte sind selten das Ergebnis einer zentralisierten Top-Down-Strategie, die von einer Innovationsabteilung oder der IT-Führung vorgegeben wird. Stattdessen zeigt sich, dass Initiativen, die direkt in den Fachabteilungen verankert sind, eine deutlich höhere Erfolgsquote haben. Wenn die Expertise und die täglichen Herausforderungen der Praxis direkt in die Projektentwicklung einfließen, entstehen Lösungen, die passgenau und nutzerorientiert sind. Zentralisierte Ansätze kranken oft an mangelnder Praxisnähe und verlieren sich in strategischen Überlegungen, anstatt konkrete Probleme zu lösen.
Was angehende Elektronik-Entwickler wissen müssen
(Bild: Scanrail @ AdobeStock)
Kaum eine Branche ist gerade so gefragt wie die Elektronik-Industrie, da sie aktuelle Trendmärkte enorm prägt. Entsprechend hoch ist auch die Nachfrage nach Entwicklern. Wie wird man also Elektronik-Entwickler und welche Karriere-Chancen gibt es? Wir haben das Wichtigste zusammengefasst.
Lean als Vorbild für die KI-Transformation
Gerade die Elektronik- und Autoindustrie kennt das Prinzip: Toyota hat mit seinem Lean-System vorgemacht, dass echte Transformation durch kontinuierliche Verbesserung von unten nach oben stattfindet. Mitarbeitende in der Fertigung wurden befähigt, Prozesse zu stoppen, Fehler aufzuzeigen und Lösungen einzubringen.
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Überträgt man dieses Prinzip auf KI, wird klar: Die besten Effekte entstehen dann, wenn Fachkräfte in Entwicklung, Produktion oder Service direkt befähigt werden, KI in ihre Arbeit einzubauen. KI darf nicht isoliert von oben „verordnet“ werden, sondern muss im Alltag und den realen Arbeitsprozessen der Abteilungen verankert sein.
Wo also beginnen?
Ich empfehle, klein zu beginnen: In ein Team gehen und dort eine Aufgabe mithilfe von Künstlicher Intelligenz und/oder einer Automatisierung lösen. Diese "low hanging fruit" schafft Akzeptanz für weitere Schritte weil der Mehrwert für alle Mitarbeitenden klar ersichtlich ist. Künstliche Intelligenz ist nicht mehr abstrakte Theorie, sondern Praxis, welche die Arbeit erleichtert. Das heißt:
Fokus auf den spürbaren Nutzen: Dort ansetzen, wo es sich sofort auszahlt Beginnen Sie nicht mit abstrakten Zukunftsvisionen, sondern setzen Sie KI dort ein, wo die Effizienzgewinne unmittelbar sichtbar und messbar sind. Konzentrieren Sie Ihre Ressourcen auf Bereiche, die das operative Herz Ihres Unternehmens stärken. Dazu gehören beispielsweise die Qualitätssicherung, wo automatisierte Analysen Fehler schneller und zuverlässiger erkennen, das Backoffice, wo administrative Prozesse verschlankt werden, oder die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) von Produktionsanlagen, um kostspielige Ausfälle zu vermeiden. Auch im Supply-Chain-Management kann KI helfen, Lieferketten zu optimieren und Engpässe frühzeitig zu erkennen.
Mitarbeitende befähigen: Aus Nutzern werden Gestalter Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht allein in der Technologie, sondern in den Menschen, die sie anwenden. Ob Ingenieure in der Entwicklung, Softwareentwickler oder Fachkräfte in der Fertigung – investieren Sie in gezielte Schulungen. Wer lernt, die Ergebnisse einer KI nicht nur blind zu akzeptieren, sondern sie kritisch zu prüfen, zu interpretieren und produktiv für die eigene Arbeit zu nutzen, wird von einem passiven Anwender zu einem aktiven Gestalter. Dieser Ansatz baut nicht nur Kompetenzen auf, sondern ermutigt die Mitarbeitenden und stärkt ihr Vertrauen in die neuen Werkzeuge.
Menschliche Stärken gezielt nutzen: Technologie als Ergänzung, nicht als Ersatz Erkennen Sie, wo die wahren Stärken Ihrer Teams liegen, und setzen Sie KI ein, um diese zu unterstützen. In Bereichen wie Kreativität und Innovation bei der Produktentwicklung, Empathie im direkten Kundensupport oder beim Aufbau von Vertrauen und Netzwerken im Vertrieb sind und bleiben Menschen unschlagbar. KI kann hier als leistungsstarker Assistent dienen, der Daten aufbereitet, Routinen automatisiert und Freiräume schafft – doch die entscheidenden, von menschlicher Intuition und sozialer Intelligenz geprägten Fähigkeiten kann sie nicht ersetzen.
Nehmen wir als Beispiel eine Qualitätssicherung in der Elektronikfertigung. Ein mittelständischer Hersteller von Steuergeräten führte KI-gestützte Bildanalysen ein, um Lötstellen automatisiert zu prüfen. Der entscheidende Erfolgsfaktor: Die Fachkräfte am Band wurden von Beginn an geschult, die KI-Ergebnisse zu interpretieren und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Statt Verunsicherung entsteht Befähigung und mehr Effizienz.
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Der Weg nach vorn
Generative KI ist kein Plug-and-Play-Tool, sondern ein neues Betriebssystem für die Arbeitswelt. Wer glaubt, einfach ein paar Tools einführen zu können, wird wahrscheinlich scheitern. Wer hingegen versteht, dass es um bewussten Einsatz, klare Prioritäten und menschliche Führung geht, hat große Chance, in der Gruppe der erfolgreichen Projekte zu landen.
Die Elektronikbranche hat mit Lean und Kaizen gelernt, dass echte Veränderung von den Menschen kommt – nicht von der Technik allein. Heute heißt das: Nutzen Sie die Potenziale der KI gezielt, binden Sie Ihre Teams ein und setzen Sie auf eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und des Lernens.
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Denn am Ende entscheidet nicht die Anzahl KI-Systeme über den Erfolg – sondern die Fähigkeit, Menschen zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam die Zukunft der Elektronik zu gestalten. KI ist dabei ein starker Hebel. Doch die Hand, die ihn bewegt, bleibt menschlich.
Wie beeinflusst der Mensch den Erfolg von KI-Projekten?
Wir von all-electronics.de haben bei der Autorin Lisa Catena Gyger von Santur nachgefragt. Im Interview verrät sie, warum viele Unternehmen KI falsch angehen, wie erste Erfolge wirklich entstehen – und welche Frage ihr noch nie gestellt wurde, die aber den entscheidenden Unterschied machen könnte.
Welche typischen Stolperfallen begegnen Ihnen in KI-Projekten, wenn es um den Faktor Mensch geht?
Lisa Catena Gyger: Die größte Stolperfalle ist, dass viele Unternehmen KI als rein technisches Thema betrachten. Sie kaufen eine Software und glauben, das Problem sei gelöst. Dabei betrifft die Einführung von KI immer das gesamte Unternehmen: Sie verändert Prozesse, erfordert eine neue Organisation, eine angepasste Kommunikation und muss fest in der langfristigen Strategie verankert sein. Wer den menschlichen und organisatorischen Wandel ignoriert, scheitert.
Gibt es Branchenunterschiede in der Akzeptanz von KI? Unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit KMUs, Verbänden oder Großkonzernen?
Ja, natürlich gibt es Unterschiede. Es ist etwas anderes, ob ich ein Startup im Technologiesektor berate oder eine öffentliche Verwaltung. Mitarbeitende, die täglich mit Technologie arbeiten, haben naturgemäß weniger Berührungsängste. Aber was ich immer wieder feststelle: Unabhängig von Branche oder Unternehmensgröße gibt es in jedem Team die gleiche menschliche Dynamik. Man findet einige Enthusiasten, die sofort loslegen wollen, und ein paar hartnäckige Skeptiker. Dazwischen befindet sich die große Mehrheit: Sie sind grundsätzlich offen, wollen aber zuerst handfeste Beweise sehen, dass die neue Technologie tatsächlich eine spürbare Steigerung von Effizienz und Qualität bringt.
Wie finden Unternehmen die richtigen ersten Anwendungsfälle, um schnelle Erfolgserlebnisse zu schaffen? Können Sie ein Praxisbeispiel skizzieren?
Ich empfehle einen Bottom-up-Ansatz statt einer Top-down-Strategie. Es ist wenig sinnvoll, zuerst auf Geschäftsleitungsebene eine pompöse KI-Strategie zu entwerfen, die an der Realität vorbeigeht. Gehen Sie stattdessen direkt in ein Team und stellen Sie die entscheidende Frage: „Welches konkrete Problem wollen wir hier und heute lösen?“
Wenn Sie dieses eine greifbare Problem mit einer Automatisierung oder einer KI-Anwendung lösen, schaffen Sie einen sofort sichtbaren Mehrwert. Von diesem Erfolgserlebnis ausgehend, gehen Sie zum nächsten Prozess. Aus dieser Kette von kleinen, erfolgreichen Schritten ergibt sich organisch eine größere Strategie – eine, die vom gesamten Team mitgetragen wird, weil der Nutzen für alle klar und nachvollziehbar ist.
Welche Aussagen hören Sie am häufigsten beim „ersten Kontakt“ mit Unternehmen und wie reagieren Sie darauf?
Eine der häufigsten Reaktionen ist ungläubiges Erstaunen: „Was, das geht nicht mit einem Klick?“. Neben den oft diskutierten Ängsten vor KI sind die überzogenen Erwartungen mindestens genauso verbreitet. Viele stellen sich KI als eine Art magische Fee vor, die auf Knopfdruck alle Probleme löst. Meine Antwort darauf ist, die Erwartungen zu senken. Eine erfolgreiche KI-Transformation ist kein Zaubertrick, sondern harte Arbeit. Sie bedeutet für ein Unternehmen meist, grundlegende Hausaufgaben zu machen: bestehende Prozesse zu hinterfragen und zu verbessern, Verantwortlichkeiten zu klären und vor allem die eigenen Daten aufzuräumen und zu säubern. Erst auf diesem sauberen Fundament kann KI ihre Wirkung entfalten.
Welche Frage würden Sie sich in diesem Zusammenhang wünschen, die Ihnen bisher noch niemand gestellt hat?
Die Frage, auf die ich warte, wäre: „Wir wollen Künstliche Intelligenz und das Verständnis für Algorithmen als Schulfach einführen – sind Sie dabei?“ Das würde die Probleme an der Wurzel packen und die nächste Generation von Anfang an befähigen.