Kompakt und skalierbar: das Fahr-Lenk-System ArgoDrive

Kompakt und skalierbar: das Fahr-Lenk-System ArgoDrive (Bild: EBM-Papst)

Hakahaka! Dieser polynesische Begriff steht für Freiraum. Viele FTF benötigen viel Freiraum, weil sie durch ihre eingeschränkte Flächenbeweglichkeit und aufgrund der Bauhöhe viel Platz beanspruchen. Der limitierende Faktor sind hier meist die Antriebssysteme, weil das Manövrieren in engen Verhältnissen schwierig bis unmöglich wird, niedrige Ladekanten durch hoch bauende Antriebseinheiten schwer realisierbar sind.

Das sind die wichtigsten Anforderungen an das Antriebssystem eines Fahrerlosen Transportfahrzeugs:.

Manövrieren ohne Einschränkungen

Eine elementare Anforderung an jegliche Fahrerlosen Transportfahrzeuge ist eine möglichst uneingeschränkte Manövrierfähigkeit. Kann sich das FTF im Stand drehen, engste Radien fahren, schräg parallele Fahrmanöver durchführen, so steht der Navigation selbst in engsten Umgebungen nichts im Wege. Viele aktuelle Antriebslösungen für FTF erlauben nur die Manövrierfähigkeit vergleichbar mit dem Prinzip eines Panzers – von spurgeführten Lösungen ganz zu schweigen, die keinerlei Flexibilität erlauben.

Gerade in engen Lagerhallen oder flexiblen Produktionsumgebungen mit vielen Arbeitsstationen und Maschinen muss ein FTF aber frei in jede Richtung beweglich sein. Materialübergabestellen lassen sich dann ohne großen Platzbedarf schnell und präzise anfahren. Auch temporäre Hindernisse muss das Transportsystem problemlos umfahren können.

Um die omnidirektionale Beweglichkeit in einem FTF zu realisieren, hat EBM-Papst die neue Antriebslösung ArgoDrive entwickelt. Dieses Fahr-Lenk-System vereint die Funktionen Vortrieb und Lenkung in einer Baugruppe (siehe Kasten). Bereits zwei dieser Fahr-Lenk-Systeme diagonal an der linken und rechten Seite des FTF garantieren die volle Omnidirektionalität. Zwei zusätzliche frei bewegliche Stützräder an Vorder- und Rückseite sorgen für Stabilität.

Je nach Anforderung an die Größe des FTF sowie dem Gewicht der zu bewegenden Ware lassen sich auch drei oder vier ArgoDrives verbauen. Ein sehr wichtiger Punkt – unabhängig von der zu bewegenden Last – ist die „Geschmeidigkeit“ der Bewegung. Je nach verbautem Antriebssystem, wie beispielsweise einer Panzerlenkung (Differenzialantrieb), gibt es oft „ruppige“ Bewegungsabläufe beim Kurvenfahren und Manövrieren. Konstruktionsbedingt kann hier das ArgoDrive punkten, denn durch die gleichzeitige Kombination von Fahr- und Lenkbewegungen entfallen ruckartige Bewegungen.

Stichwort: Omnidirektionalität bei FTF mit ArgoDrive

 

Die Besonderheit des ArgoDrive von EBM-Papst besteht darin, dass er die Funktionen Vortrieb und Lenkung in einer integrierten Baugruppe vereint. Diese mechatronische Einheit besteht aus Motor, Getriebe, Radmodul, Sensorik und allen erforderlichen Anschlüssen. Seine zwei Motoren tragen durch ein Überlagerungsgetriebe je nach Anforderung zum Lenken, Beschleunigen, Fahren oder Bremsen bei. Der damit mögliche unendliche Lenkwinkel ermöglicht die platzsparende Flächenbeweglichkeit des Fahrzeugs – auch aus dem Stand.

 

Fit für unterschiedliche Lasten

Die Einsatzszenarien von Fahrerlosen Transportfahrzeugen sind vielschichtig. Das kann der Transport leichter und zerbrechlicher Ware ebenso sein wie schwere Rohkarosserien in Fahrzeugproduktionen. Entsprechend muss ein Anbieter von Fahrerlosen Transportfahrzeugen bei seinen Lösungen meist auf komplett unterschiedliche Antriebssysteme zurückgreifen. Das erhöht nicht nur den Aufwand beim Engineering und Service, auch die Kosten für die einzelnen Lösungen steigen. Idealerweise sollte somit eine Antriebslösung für Fahrerlose Transportfahrzeuge in mehreren Dimensionen skalierbar sein, um unterschiedliche Anforderungen aus einem Baukasten heraus bedienen zu können.

Dieser Problematik hat sich EBM-Papst bei der Entwicklung des ArgoDrive angenommen. Entsprechend bietet der Hersteller seine Lösung in den drei Varianten Light, Standard und Heavy an. Alle ArgoDrive sind konzeptionell identisch und weisen somit die gleiche Omnidirektionalität auf. Allerdings unterscheiden sie sich darin, welche Gewichtsklassen bewegt werden können. Die Variante Light kann bis zu 100 kg pro Antriebseinheit bewegen. Sind vier ArgoDrive Light verbaut, darf das FTF ein Gesamtgewicht von bis zu 400 kg erreichen. Das Modell Standard kann bis zu 300 kg pro Fahr-Lenk-Einheit mit voller Manövrierfähigkeit befördern. Mit zwei ArgoDrive kann ein FTF somit maximal 600 kg, mit vier Systemen bereits bis zu 1,2 t bewegen. Wird auf das Modell Heavy gesetzt, so spezifiziert der Hersteller ein Gewicht von maximal 500 kg pro Antriebseinheit. In der maximalen Ausbaustufe mit vier ArgoDrive Heavy ist somit eine Traglast von 2 t problemlos möglich. Der Transport schwerer Rohkarosserien oder Europaletten, die auf ein Gewicht von bis zu 2 t ausgelegt sind, sind dann prädestiniert für FTF mit der Heavy-Variante.

Geschwindigkeit und Bodenfreiheit variabel

Mit ArgoDrive lassen sich besonders niedrige Ladeflächen realisieren.
Mit ArgoDrive lassen sich besonders niedrige Ladeflächen realisieren. (Bild: EBM-Papst)

Durch dieses Baukastensystem kann ein Hersteller von FTF somit genau wählen, welche Variante für seine Anforderungen am besten geeignet ist. Denn neben den Gewichtsklassen bieten die Modelle Light, Standard und Heavy auch unterschiedliche Fahrgeschwindigkeiten. Light-Antriebe erlauben bis zu 3 m/s, das Standardmodell ist mit 2 m/s unterwegs und das ArgoDrive Heavy ermöglicht eine Geschwindigkeit von 1,5 m/s. Damit bieten sich feine Skalierungsmöglichkeiten bezüglich Transportgewicht und präferierter Geschwindigkeit.

Das ArgoDrive sorgt mit einer Beschleunigung von bis zu 2,5 m/s2 für ein flottes Anfahren der Fahrzeuge. Ein weiterer großer Vorteil für den FTF-Hersteller: alle drei Varianten des ArgoDrive verfügen über identische Einbaumaße und eine standardisierte Befestigung, nur der Raddurchmesser ist unterschiedlich.

Die Light-Variante besitzt einen Raddurchmesser von 80 mm und ermöglicht dem FTF eine Bodenfreiheit von 26 mm. Das Standardmodell kommt mit einem Rad mit 100 mm Durchmesser – die Bodenfreiheit beträgt dann 45,5 mm. Für schwere Lasten sind größere Räder besser geeignet, entsprechend verfügt das Modell Heavy über einen Raddurchmesser von 145 mm. Je größer das Rad, desto unempfindlicher ist das Fahrerlose Transportsystem auch gegenüber Unebenheiten im Boden. Verschmutzungen am Boden wie Späne beeinträchtigen die Funktion nicht. Hier sind dann besonders Antriebskonzepte mit Mecanum-Rad durch ihre mechanische Anfälligkeit deutlich im Nachteil. Mit dem ArgoDrive ausgestattete Transportlösungen können zudem Steigungen von bis zu 10 Prozent bei voller Funktionalität bewältigen - etwa bei Hallenübergängen mit Niveauausgleich.

Kompaktheit trotz hoher Leistungsfähigkeit

Neben der Flächenbeweglichkeit mit Feinpositionierung für alle Transportaufgaben sind entscheidende Kriterien für Fahrerlose Transportfahrzeuge ebenso geringe Abmessungen und eine geringe Bauhöhe. Besonders die Ladefläche eines FTF muss sehr niedrig sein, um den Anforderungen in der Intralogistik, bei Warenübergabestationen oder für Aufbauten mit mobiler Robotik gerecht zu werden. Die Antriebstechnik bei FTF sollte deshalb sehr kompakt sein und eine möglichst flache Bauweise bieten. Hier liegt dann die Krux bei vielen Lösungen, weil dann die Leistungsfähigkeit darunter leidet.

Beim ArgoDrive wird dieses Dilemma durch eine bauraumoptimierte Integration von zwei Motoren in einer Einheit gelöst. Die Leistung beider Motoren kann voll für die Antriebs- und Bremsfunktion verwendet werden. Gleichzeitig sorgt ein Überlagerungsgetriebe für die notwendige Aufteilung der Antriebsleistung beider Motoren bei Lenkmanövern. Damit lassen

sich Fahrerlose Transportfahrzeuge mit äußerst niedriger Ladefläche realisieren. Bei der Variante Light beträgt die komplette Höhe des Fahr-Lenk-Systems ab der Auflagefläche Rad auf dem Boden nur 103 mm, die Standard-Variante benötigt 123 mm und das Modell Heavy begnügt sich mit 205 mm. Durch die kompakten horizontalen Abmessungen von 250 x 170 mm des ArgoDrive in allen Varianten steht dem Hersteller von FTF genügend Bauraum in einer Ebene für die Unterbringung von Komponenten wie Steuerung, Safety-Modulen und Akkus sowie deren Elektronik zur Verfügung.

Wartungsarm und ausfallsicher

Ein wichtiger Aspekt bei Fahrerlosen Transportfahrzeugen ist der zuverlässige Betrieb. Außerplanmäßige Stillstandzeiten reduzieren die Verfügbarkeit ebenso wie häufig notwendige Wartungsintervalle. Das Antriebssystem spielt beim FTF hier durch bewegte Komponenten natürliche eine große Rolle in Bezug auf die Verlässlichkeit.

Beim ArgoDrive ist das System mit einer auf die komplette Lebensdauer ausgelegten Ölschmierung versehen. Ein Nachschmieren ist hier nicht notwendig. Sollte nach langer Betriebsdauer naturgemäß der Radbelag abgefahren sein, so lässt sich dieses ohne Ausbau der Antriebseinheit einfach wechseln. Im Falle eines Defekts kann die komplette Einheit schnell ausgetauscht werden.

Sicher und kommunikativ

Noch wichtiger als der zuverlässige Betrieb ist bei Fahrerlosen Transportfahrzeugen die Sicherheit zum Schutz von Personen. Das FTF muss in der Lage sein, bei Gefahr sofort eine Notbremsung einleiten können, um den Kontakt mit Personen, die im Fahrweg auftauchen, zu vermeiden. Hierfür sorgt das kontinuierliche Scannen der Umgebung über entsprechende Sicherheitssensoren am Fahrzeug. Bei Gefahr muss das Antriebssystem den Befehl eines sicheren Stopps der Sicherheitssteuerung zuverlässig ausführen. Hier ist dann vor allem eine hohe Bremsleistung erforderlich. Das ArgoDrive kann hier unter Nutzung einer integrierten Bremsmechanik eine sofortige Notbremsung ebenso einleiten wie eine kontrollierte motorische Verzögerung mit bis zu 2,5 m/s2.

Bei einer Notbremsung zeigt ein FTF mit vier verbauten ArgoDrive natürlich einen noch schnelleren Stillstand als mit zwei Einheiten plus Stützräder – weil alle vier Räder dann gleichzeitig bremsen. Auch beim Versagen der Stromversorgung auf dem Transportsystem geht das ArgoDrive in einen sicheren Halt, um unkontrollierte Bewegungen zu vermeiden. Alle typischen und notwendigen Safety-Anforderungen werden somit unterstützt.

Kommunikativ sollte ein Antriebssystem für Fahrerlose Transportfahrzeuge ebenfalls sein, um mit den anderen Systemen im FTF zusammenzuarbeiten. Beim ArgoDrive bietet EBM-Papst unter Einbeziehung abgesetzter Regler mehrerer Hersteller die Möglichkeit der Einbindung in CANopen Netzwerke, ebenso wie für EtherCAT Netzwerke oder die Integration in Steuerungsumgebungen von Siemens mit Profinet.

EBM-Papst, SPS Halle 1, Stand 324

Nachgefragt…bei Patrick Schumacher

Patrick Schumacher, Leiter Produktmanagement IDT bei EBM-Papst in St. Georgen
Patrick Schumacher, Leiter Produktmanagement IDT bei EBM-Papst in St. Georgen (Bild: EBM-Papst)

Fahrerlose Transportfahrzeuge gibt es in vielen Varianten für unterschiedlichste Anwendungen. Wer genau ist ihre Zielgruppe?

Patrick Schumacher: Man muss hier unterscheiden zwischen den klassischen bidirektionalen und den omnidirektionalen Fahrzeugen. Unsere Zielgruppe sind die Hersteller von omnidirektionalen, flächenbeweglichen Fahrzeugen. Dahinter stehen natürlich viele Anwendungsfälle.

Als da wären?

Schumacher: Im industriellen Bereich etwa Intralogistik und Logistik sowie im Produktionsbereich. Wo wir einen weiteren Schwerpunkt sehen, ist die Automobilfertigung. Dort reicht die Palette vom Transport von Warenkörben aus dem Lagerbereich an die Montagelinien bis hin zum Bewegen von Rohkarossen. Was sich auch auftut sind Anwendungen im Klinikumfeld.

Wofür braucht man dort FTF?

Schumacher: Das reicht vom Transport von Dingen (Essen, Wäsche, Medikamente, Betten) in Patientenräume über Operationswerkzeuge oder Operationstische bis hin zur Mobilisierung von großen Computertomografen. Es gibt einen Trend weg vom zentralen Röntgenraum hin zum Transport der bildgebenden Systeme zum Patienten.

Was sind die konkreten Anforderungen an den Antrieb von modernen FTF?

Schumacher: Es geht hier vor allem um die Frage Greenfield oder Brownfield? Wenn man eine Anlage neu plant, ist es einfach, den nötigen Platz für die Transportsysteme vorzusehen. Geht es aber um einen Retrofit, sieht es anders aus. Bei der Nachrüstung existierender Gebäude ist Platz oft Mangelware, die Fahrwege sehr eng. Daraus ergibt sich oft der Zwang zum unidirektionalen FTF.

Welche Eigenschaft schätzen die Kunden am meisten am ArgoDrive denn am meisten?

Schumacher: Die hohe Beweglichkeit durch die mögliche 360 Grad Lenkbewegung verbunden mit der Möglichkeit der Flächenbeweglichkeit auf Fahrzeugebene steht sicher an erster Stelle. Gleich danach kommt die kompakte Bauweise und dabei vor allem das Thema der niedrigen Bauhöhe. Für viele Anwendungen ist es einfach von Vorteil, wenn das Fahrzeug maximal flach baut. Hier haben wir in Verbindung mit der Transportleistung ein Alleinstellungsmerkmal. Das spiegeln uns auch die Kunden. Zuletzt ist auch die Möglichkeit der fest verlegten Anschlusskabel etwas was viele Kunden im Vergleich zu beweglichen Kabeln schätzen, da Sie damit das Problem mit Kontaktschwächen ausgelöst durch die bewegten Kabeln als gelöst sehen.

Es gibt ja auch andere Ansätze für omnidirektionales Fahren. Was macht ArgoDrive besser?

Schumacher: Es gibt vor allen zwei alternative Ansätze. Einmal der Mecanum-Ansatz, der im Vergleich zu unserer Lösung sehr verschleißbehaftet ist. Zum anderen der Drehschemel-Ansatz mit zwei Rädern, die sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen. Dort ist der große Nachteil, neben der Problematik der bewegten Kabel, der steuerungstechnische Aufwand der Ansteuerung von insgesamt 8 Rädern, vorausgesetzt alle Räder haben Bodenkontakt.

Wo sehen Ihre Kunden denn noch Optimierungsbedarf?

Schumacher: Ein Trend, der aber nicht nur unseren Antrieb betrifft, ist eine mögliche Integration von Antriebsregler inklusive Kommunikationsschnittstelle in den Antrieb. Danach werden wir zunehmend gefragt.

Patrick Schumacher

... ist Leiter Produktmanagement IDT bei EBM-Papst in St. Georgen

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