Abisolierte Kabelenden

Markanter Vorteil von SPE ist die von der Leit- bis zur Feldebene durchgängige IP-basierte Kommunikation mit einem einheitlichen Protokoll-Standard, bei dem es keine Gateways für die Umsetzung auf andere Protokolle braucht. Nebenbei soll SPE Kosten sparen und die Installation vereinfachen. Die Eierlegende Wollmilchsau also? Nicht ganz – zumindest noch nicht. (Bild: Fatbob – Adobe Stock)

Die Erfolgsgeschichte von Industrial Ethernet in der Automatisierung ist nicht zuletzt seiner Plug&Play-Fähigkeit zu verdanken. Mit dem weltweit einheitlichen Kommunikationsstandard lassen sich Komponenten der unterschiedlichsten Hersteller einfach miteinander vernetzen, häufig ohne eine spezielle Konfiguration vornehmen zu müssen.

Mit Single Pair Ethernet tritt eine neue Technologie auf die Bildfläche, welche das Potential mitbringt, die Kommunikationslandschaft in der Automatisierung in den nächsten Jahren maßgeblich mitzugestalten. Aber haben die bekannten und bewährten Funktionen sowie die Vorteile von Standard Ethernet mit SPE überhaupt noch Bestand oder gibt es Punkte, die an „alte Zeiten“ der Netzwerktechnik erinnern?

Vom Sensor in die Cloud – das verspricht Single Pair Ethernet

Die Ethernet Vernetzung von Automatisierungssystemen hat sich längst mit all ihren Vorteilen in der Fabrikautomatisierung, Robotik und auch in Nutzfahrzeugen etabliert. Mit dem Einsatz eines einfachen verdrillten Kabels als Kommunikationsmedium bei Single Pair Ethernet (SPE) kommen nun weitere Vorteile hinzu, durch die sich Investitionskosten, Installationsaufwand, Platzbedarf und Gewicht deutlich reduzieren lassen. Auch die Möglichkeit bereits installierte Busleitungen weiter zu verwenden, bietet die Chance zu Modernisierung und Upgrade bestehender Anlagen und Maschinen, um Funktionen wie die Zustandsüberwachung und vorausschauende Instandhaltung per Retrofit zu integrieren. Zudem lässt sich eine vollständig digitale IP-basierte und transparente Vernetzung vom Sensor bis in die Cloud leichter umsetzen.

Woher SPE eigentlich kommt

Ursprünglich entwickelt für den Automobilbereich, um Ethernet als Bordnetz in Fahrzeuge zu bringen, gilt SPE oder T1-Ethernet inzwischen als die Revolution für die Vernetzung von Sensoren und Aktoren in der Industrie- und Gebäudeautomatisierung. Auch die Prozessindustrie setzt mit Ethernet-APL (Advanced Physical Layer) auf SPE.

Neben der Reduzierung der Verkabelung bietet die SPE-Technologie die Möglichkeit, eine vollständig IP-basierte transparente Kommunikationsstrecke vom Sensor bis in die Cloud aufzubauen. Proprietäre Bussysteme und Übertragungstechnologien und die damit erforderlichen Gateways sind in zukünftigen Industrie-4.0-Anwendungen somit obsolet. Für den Anwender ändert sich Dank der vollen Kompatibilität zum klassischen Ethernet auf Protokolllevel bis auf die reduzierte Verkabelung hingegen kaum etwas.

Die IEEE spezifiziert verschiedene Single Pair Ethernet Varianten. Diese unterscheiden sich für den Anwender hauptsächlich in der zur Verfügung stehenden Datenübertragungsrate und der maximalen Leitungslänge. Zwischen Standard Ethernet und Single Pair Ethernet gibt es dabei viele Unterschiede. Der ausfälligste und am häufigsten erwähnte ist die reduzierte Anzahl der benötigen Adernpaare. Für einen 100 Mbit/s Link ist nur noch ein 1-paariges Twisted-Pair-Kabel anstelle eines 2-paarigen Kabels erforderlich. Zudem ist ein einfaches SPE-Kabel günstiger und durch den kleineren Durchmesser und Biegeradius einfacher zu verlegen – also ein weiterer Vorteil zu Industrial Ethernet. Demnach zeigen alle Zeichen auf SPE. Aber ist es wirklich so einfach oder gibt es auch Nachteile beim Einsatz von Single Pair Ethernet?

Beispielsweise gibt es bei den erlaubten Kabellängen Unterschiede in Abhängigkeit von der Bandbreite – hier nicht immer zum Vorteil von SPE. Bei 100 Mbit/s sind mit einem ungeschirmten Kabel lediglich 15 m definiert, wobei sich die maximal mögliche Länge mit einem geschirmten Kabel auf 40 m erhöhen lässt. Allerdings zum Vergleich: bei Standard Ethernet beträgt die Übertragungslänge mit einem geschirmten Kabel 100 m.

Kein Plug&Play – was Single Pair Ethernet nicht kann

Gravierender ist der Unterschied hinsichtlich der Plug&Play-Fähigkeit: Dank Autonegotiation und Auto MDI-X werden bei Standard Ethernet Komponenten die Geschwindigkeit, Duplex-Modus und Sende- und Empfangsleitungen automatisch erkannt und entsprechend auf den Teilnehmern konfiguriert. So einfach geht es beim aktuellen IEEE Standard für SPE/T1 noch nicht – leider. Die IEEE 802.3bw unterscheidet zwei Rollen, welche die Linkpartner einnehmen können, Master und Slave. Die Anwender müssen daher – wie in früheren Zeiten – bei der Installation berücksichtigen, dass nur ein Link aufgebaut werden kann, wenn ein Master- mit einem Slave-Port verbunden wird. Eine Aushandlung der maximal möglichen Geschwindigkeit ist bei SPE ebenfalls noch nicht vorgesehen. Zwar werden bei einigen verfügbaren SPE-Controllern entsprechende Funktionen unterstützt, allerdings arbeiten diese proprietär und nicht herstellerübergreifend. Der Aufwand für den Anwender bei der Netzwerkplanung und Installation ist damit größer als mit Standard Ethernet Komponenten. Bezüglich Anwenderfreundlichkeit stellt SPE somit ein Rückschritt dar. Eine herstellerübergreifende Plug&Play-Fähigkeit auf Funktionsebene würde den Einsatz von SPE deutlich vereinfachen.

Wie sieht die Anschlusstechnik bei SPE aus?

Ebenfalls schwieriger gestaltet sich die SPE-Komponentenauswahl für den Anwender mit Blick auf die unterschiedlichen Steckverbinder die im Standard IEC 63171 definiert sind. Für den Einsatzbereich innerhalb und außerhalb des Schaltranks haben das SPE Industrial Partner Network sowie die SPE System Alliance verschiedene Steckgesichter spezifiziert, welche nicht kompatibel zueinander sind. Während sich im Industrial Ethernet Bereich der RJ45-Stecker und der M12-Anschluss durchgesetzt haben, wird die Anschlusstechnik für SPE voraussichtlich in den kommenden Jahren nicht so eindeutig sein. Es bleibt zu hoffen, dass sich die beiden Interessensgruppierungen in Zukunft auf einen einzigen Steckverbinder für den jeweiligen Einsatzbereich festlegen werden.

Welche Probleme SPE mit EMV hat

Bei aktuellen Anwendungen in denen SPE Industrial Ethernet ersetzen könnte, ist eine Lösung mit SPE im Regelfall teurer und das bei gleichzeitig eingeschränktem Funktionsumfang und größerem Planungsaufwand. Hinzu kommt, dass eine Kostenersparnis durch den Einsatz von ungeschirmten Kabeln nur bei Anwendungen möglich ist, in denen das EMV-Design dafür ausgelegt ist, zum Beispiel bei der internen Verkabelung von kleinen im Feld installierten Schaltkästen. In industriellen Anwendungen treten jedoch naturgemäß Störfaktoren auf, die das Netzwerk und die Kommunikation negativ beeinflussen und erheblichen Einfluss auf die Zuverlässigkeit, Übertragungsqualität und -sicherheit haben können. Vor allem an den Anschlusspunkten, an denen Steckverbinder, Kabel und Geräte aufeinandertreffen, ist das Risiko von Störungen durch Vibrationen, Schmutz, Feuchtigkeit sowie durch äußere elektromagnetische Einflüsse hoch. Genau an diesem Punkt unterscheiden sich die Anwendungsfälle in der Industrie von denen im Automobilbereich. Währende beim Einsatz von SPE als Bordnetz ein klar definiertes gekapseltes System vorliegt in dem alle Komponenten aufeinander abgestimmt sind und elektromagnetische Störungen kaum eine Rolle spielen, sieht es in der Industrie vollkommen anders aus.  

Bei ungeschirmten Kabeln stellen insbesondere die externen EMV-Einflüsse ein Problem dar. Durch gestrahlte oder leitungsgeführte Störungen kann es zu Datenverlusten oder im schlimmsten Fall zur Beschädigung oder Zerstörung von Komponenten kommen. Bei klassischen Industrial Ethernet Applikationen werden diese Störungen über den Schirm des 4-paarigen Twisted Pair Kabels abgeführt.

Beim Einsatz von SPE gilt es also in jedem Fall zu prüfen, ob und welche Störungen in der jeweiligen Anwendung auftreten können und ob diese zu Problemen führen können. Insbesondere bei einem Technologiewechsel und der Migration von Industrial Ethernet zu Industrial Single Pair Ethernet gilt es mehr denn je, robuste und zuverlässigen Komponenten einzusetzen. SPE-Switches stellen einen integralen Bestandteil jeder modernen Kommunikationsstrecke dar und auch bei neuen Installationen wird das Thema Dezentralisierung und die damit einhergehende Anforderung an eine hohe Schutzart eine große Rolle spielen.

Robust ins Feld

SPE-Switch für die Installation außerhalb des Schaltschranks
SPE-Switch für die Installation außerhalb des Schaltschranks (Bild: Terz)

Terz hat – als der erste Hersteller weltweit – mit dem T1-XS einen unmanaged SPE/T1 Industrial Ethernet Switch mit der Schutzart IP65/67 im Programm. Mit diesem Switch ist eine schaltschranklose Vernetzung direkt im Feld mit nur einem Adernpaar möglich. Der neue T1-XS mit vibrationssicherer M12 Anschlusstechnik auf 5 Ports, wurde speziell für den Einsatz in rauen industriellen Umgebungen außerhalb des Schaltschranks mit einem erweiterten Temperaturbereich von -40 bis 70°C designt und entwickelt. Das robuste IP65/67 Metallgehäuse ist staubdicht und schützt gegen das Eindringen von Wasser.

Der Standard IEC 63171 definiert die Steckverbinder für SPE Kabel und Geräte. Dabei werden sowohl die Varianten für den Schaltschrank mit geringer Schutzart (IP20) als auch Feldgeräte mit hoher Schutzart (IP65/67) definiert. Im Gegensatz zum Standard kommen in aktuellen Terz-Switches standardisierte M12 D-kodierte Steckverbinder zum Einsatz, welche sich im Markt für die Ethernet-Kommunikation etabliert haben und flächendeckend verfügbar sind. Für die physikalische Datenübertragung entstehen hierdurch keinerlei Nachteile. Für die Datenübertragung werden nur zwei der vier vorhandenen Kontakte verwendet. In Zukunft wird es auf die Zielmärkte zugeschnittene Lösung mit weiteren Anschlusstechniken geben. Für Anwendungen in der Industrie reicht die kapazitive Kopplung, welche im Automotivbereich vorgesehen ist, mit Blick auf die galvanische Trennung auf der Datenübertragungsseite nicht aus. Terz setzt daher auf den Einsatz von Chip-LAN-Übertragern, um die in der Industrie normativ geforderten Isolationsabstände einzuhalten. Die Daten werden über einen X-kodierten M12 Uplink-Anschluss mit Gigabitgeschwindigkeit weitergeleitet. Durch die hohe Bandbreite auf dem Uplink-Port besteht ausreichend Reserve für moderne Kameras und Sensoren der nächsten Generation. Alle Ports bieten dabei auch die Möglichkeit für den Anschluss eines vollgeschirmten Kabels, um auch den EMV-Anforderungen in der Industrie gerecht zu werden.

Gute Aussichten für SPE

SPE bietet ohne Frage viel Potential, die Kommunikationslandschaft in der Automatisierungstechnik in den kommenden Jahren entscheidend mitzugestalten. Der Aspekt bestehende Standard Industrial Ethernet Anwendungen zu ersetzen, ist dabei viel weniger ausschlaggebend als die Erschließung völlig neuer Anwendungsfelder, wie die Eroberung der Feldebene. Welche Anforderungen abseits der IEEE zum Tragen kommen wird sich in den kommenden Monaten entscheiden. Mit den heute am Markt erhältlichen Komponenten lassen sich aber bereits erste Applikationen und Anwendungen realisieren. Doch gerade mit Hinblick auf die Plug&Play-Fähigkeit von SPE, wird es noch ein langer Weg.

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