Thomas Quernheim, Aufsichtsrat IAMTS mit dem Zitat "In den USA ist alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist, während in Europa alles verboten ist, was nicht explizit erlaubt ist."  vor einem digitalen Zwilling eines Autos, Zudem die Logos der Veranstaltungen AI Assurance in mobility Europa und Nordamerika

Wie lässt sich Homologation global vereinheitlichen? Thomas Quernheim, Aufsichtsrat IAMTS, gibt Einblicke in Standards, Technologien und weltweite Strategien für die Mobilität. (Bild: IAMTS)

Wie lassen sich internationale Homologationsstandards in der autonomen Mobilität harmonisieren? Die Automobilindustrie steht vor einem Dilemma: Globale Märkte erfordern effiziente Skalierbarkeit, während lokale Regulierungen oft komplexe Anpassungen erzwingen. Länder wie China, Indien oder Japan setzen teils auf eigenständige Regularien, die die Vereinheitlichung erschweren. Thomas Quernheim, Aufsichtsratschef der International Alliance for Mobility Testing Standards (IAMTS), zeigt mögliche globale Strategien und betont, dass ein stärkerer Dialog zwischen allen Stakeholdern notwendig ist, um diese Diskrepanzen zu überwinden.

Herr Quernheim, die Homologation in der Automobilproduktion steht weltweit vor der Herausforderung, unterschiedliche regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Wie sehen Sie die Bemühungen, internationale Standards zu harmonisieren, insbesondere vor dem Hintergrund regionaler Besonderheiten, beispielsweise in China, Indien, oder Japan?

Thomas Quernheim: Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung der vergangenen wenigen Jahre ist eine Intensivierung der Bemühungen um Harmonisierung der Standards aus meiner Sicht unerlässlich. Es besteht sonst die Gefahr, dass die Automobilindustrie noch weiter unter Kostendruck gerät, weil die Skaleneffekte bei der Produktentwicklung noch stärker zurückgehen. Die Branche sieht sich ja nicht nur den Veränderungen in der Technologie, sondern auch einer neuen Welt in Bezug auf die Markt- und Kundenstrukturen gegenüber. Teilweise protektionistische Motive aus der Vergangenheit, eigene Regelwerke zu erstellen, läuft den Interessen der Industrie in diesen Ländern entgegen. Die Herausforderung besteht darin, die Entwicklungen auf der technischen Seite, mit großer Beteiligung der USA, wo die Regulierung völlig anders funktioniert als bspw. in Europa oder China und zu großen Teilen auf einer Selbst-Deklaration der Hersteller fußt, mit den Regularien in anderen Regionen kompatibel sind bzw. werden. Aus unserer Beobachtung heraus brauchen wir einen viel stärkeren Dialog zwischen den Stakeholdern aller Regionen der Automobilwelt, als er heute gelebt wird.

AI Assurance in Mobility

Im Februar (17.–18.2.) findet in Austin, Texas, die „AI Assurance in Mobility North America“ statt, im April (1.–2.4.) folgt die europäische Ausgabe in Berlin. Beide Events widmen sich der sicheren Integration von KI in die Mobilität. Experten aus Industrie, Technologie und Regulierung werden über ethische Standards, Cybersicherheit und innovative Anwendungen diskutieren. Neben praxisnahen Vorträgen wird es umfassende Networking-Möglichkeiten geben. Teilnehmer erhalten Einblicke in aktuelle Entwicklungen und Impulse zur Gestaltung einer vertrauenswürdigen, automatisierten Zukunft. Die Konferenzen bieten die Chance, sich mit führenden Akteuren der Branche zu vernetzen und Know-how zu erweitern.

Im Februar (17.–18.2.) findet in Austin, Texas, die „AI Assurance in Mobility North America“ statt, im April (1.–2.4.) folgt die europäische Ausgabe in Berlin. Beide Events widmen sich der sicheren Integration von KI in die Mobilität. Experten aus Industrie, Technologie und Regulierung werden über ethische Standards, Cybersicherheit und innovative Anwendungen diskutieren. Neben praxisnahen Vorträgen wird es umfassende Networking-Möglichkeiten geben. Teilnehmer erhalten Einblicke in aktuelle Entwicklungen und Impulse zur Gestaltung einer vertrauenswürdigen, automatisierten Zukunft. Die Konferenzen bieten die Chance, sich mit führenden Akteuren der Branche zu vernetzen und Know-how zu erweitern.

Während sich Regionen wie Europa und die USA auf standardisierte Ansätze fokussieren, setzen Länder wie China oder Indien oft auf eigene Regularien. Wie gelingt es Herstellern, lokale Anpassungen vorzunehmen, ohne die Innovationskraft in den Produktionsprozessen einzuschränken?

USA ist wie gesagt ein etwas anders gelagerter Fall. Wenn wir – stark vereinfacht und bewusst provokant formuliert – die Rechtsauffassungen vergleichen, ist in den USA alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist, während der europäische Ansatz einer dazu diametralen Prämisse folgt: Es ist alles verboten, es sei denn, es ist explizit erlaubt. Die Vorreiter-Rolle Europas in der Automobilentwicklung ist ja nicht verschwunden, sie gerät aber natürlich unter Druck. In der Regulierung ist diese Rolle nach wie vor wichtig und unumstritten. Bei China und Indien dürfen wir nicht vergessen, dass nach wie vor ein großer Fokus der dortigen Industrie auf dem eigenen Markt liegt, wohingegen Europa und die USA wie auch Japan und Süd-Korea von Beginn an einen starken Exportfokus hatten und noch immer haben. Insbesondere in der Operationalisierung der neuen Technologien wie bspw. das automatisierte Fahren ist eine Adaption an die lokalen Gegebenheiten, auch mit lokaler Entwicklungskompetenz notwendig. Denken Sie an Autonomes Fahren auf den Straßen Indiens. Die Anforderungen an Simulations- und Test- Szenarien sowie Robustheit der den Systemen zu Grunde liegenden Algorithmen sind vollkommen unterschiedlich. Ich bin davon überzeugt, dass es eine Konsolidierung in der Technologie und auch in den Regelwerken geben wird, weil es sie geben muss, um die Branche auch gegenüber anderen Mobilitätskonzepten wettbewerbsfähig zu halten. Der Exportwille ist in China mit der Elektrifizierungs-Welle exponentiell gestiegen und Indien geht in eine ähnliche Richtung, auch, wenn das im Moment noch nicht so sichtbar ist. Auch diese Entwicklung erhöht die Motivation eine Harmonisierung anzustreben.

Dabei sind wir auf die aktuellen Diskussionen, die im echten Leben politisch motiviert sind, wie Strafzölle in Europa und den USA wie auch die Entscheidung, keine Fahrzeuge in den USA mehr mit Soft- und / oder Hardware aus Russland und China zu gestatten, noch gar nicht eingegangen.

Angesichts der wachsenden Komplexität in der Fahrzeugtechnologie, insbesondere durch vernetzte und autonome Systeme, stellt die Skalierbarkeit ein zentrales Thema dar. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die technologische Weiterentwicklung bei der Einhaltung regulatorischer Vorgaben in unterschiedlichen Märkten?

Ich greife den letzten Punkt aus der vorherigen Frage auf. Erforderliche Doppeltentwicklungen auf Grund neuer Gesetze wie die sogenannte "Rule of Origin" in den USA sind eine gegenläufige Entwicklung zu Skalierbarkeit und sicher nicht im Interesse der Automobilindustrie. Auch das bedeutet eine zunehmende Komplexität im globalen Sourcing für die Hersteller. Zusätzlich gibt es grundsätzliche unterschiedliche Ideologien bei automatisieren und vernetzten Fahrzeugen, die entweder einen sehr stark Cloud-basierten Ansatz wie bspw. in China verfolgen oder stark auf individual autarke Systeme setzen wie in Europa und den USA. Wo das richtige Maß liegen wird in diesem Zusammenspiel und was das für die Möglichkeiten und Grenzen der Skalierbarkeit bedeuten wird, ist aus heutiger Sicht noch nicht absehbar.

Validierungsprozesse unterscheiden sich stark zwischen Ländern. Wie bewerten Sie die Möglichkeiten, Prozesse wie Simulation und Testing so zu gestalten, dass sie sowohl den Anforderungen regionaler Regularien als auch globaler Skalierbarkeit gerecht werden?

Quernheim: Die Notwendigkeit zur Skalierung gilt nicht nur für die Entwicklung, sondern eben auch für die Validierung. Aus meiner Sicht ist es zwingend erforderlich Grundszenarien für die Simulation und das Testen zu vereinheitlichen und lokale Adaptionen darauf aufzusetzen. Um die Lokalisierung wird man nicht umhinkommen. Allein schon wegen sich stark voneinander unterscheidenden Fahrverhalten sowie der Infrastruktur-Standards in den Regionen dieser Welt. Aber es muss und kann einen Grundstock geben, auf dem Hersteller für mehrere unterschiedliche Regulierungsrahmen aufsetzen können. Hierzu leistet IAMTS aus meiner Sicht einen ganz entscheidenden Beitrag. Eine Kernbibliothek mit Basisszenarien und Elementen für die Beschreibung der ODDs (Operational Design Domain) wird hier einen unschätzbaren Beitrag leisten.  

In einer zunehmend globalisierten Automobilindustrie ist es unerlässlich, langfristige Lösungen für die Homologation zu finden. Welche Maßnahmen und Strategien könnten Ihrer Meinung nach dazu beitragen, dass eine Balance zwischen technologischer Innovation, regulatorischer Compliance und Marktfähigkeit auf globaler Ebene erreicht wird?

Neben meiner Rolle in IAMTS mache ich mir als Leiter dieses Geschäftsfelds beim TÜV Rheinland viele Gedanken zu dieser Frage. Ich bin schon auf die Unterschiede kurz eingegangen, die es in der heutigen Welt in Bezug auf die Homologation gibt. Dieser Begriff bzw. die diesem Begriff zugrunde liegenden Prozesse der Typgenehmigung gibt es so in einigen Regionen und Länder nicht. Umso wichtiger ist es, dass die Simulation und das Testen, im Kern die Anforderungen der unterschiedlichen Regulierungs-Ansätze erfüllen. Wichtig ist, dass die Testumgebungen für die Beurteilung des Betriebsrisikos eines automatisierten Fahrzeugs nachweislich einheitliche Anforderungen erfüllen (sowohl physisch als auch digital), die Spielräume, die Regelwerke hergeben, regionsübergreifend nutzen zu können und Testergebnisse einbeziehen kann und darf, auch, wenn sie nicht in jedem einzelnen Land erneut durchgeführt werden.  

Ferner müssen die Prozessabläufe für das Testen vereinheitlich bzw. vergleichbar gemacht werden. Das ist insbesondere wichtig, um die Toolentwicklung zu vereinfachen und den Validierungs-Prozess zu beschleunigen. Die Innovationen im Chip- und Sensordesign und in den Algorithmen müssen sich standardisierten Bewertungsmethoden unterziehen, um herauszufinden, ob sie für die Nutzer die geforderten Risikoschwellen einhalten.

Der Interviewpartner

Thomas Quernheim leitet als Senior Vice President Mobility, Engineering & Homologation Automotive, eines der größten Geschäftsfelder innerhalb der TÜV Rheinland-Gruppe. Quernheim ist seit 2014 dort tätig und hatte verschiedene Funktionen im Unternehmen inne. Vor seiner Karriere innerhalb der Gruppe gründete er sein eigenes technisches Beratungsunternehmen und unterstützte über 15 Jahre Kunden in verschiedenen Branchen. Seit Oktober 2024 ist Thomas Quernheim zudem Aufsichtsratschef der International Alliance for Mobility Testing Standards (IAMTS), eine gemeinnützige Organisation bestehend aus Mitglieder aus der Autoindustrie, die sich mit der Herstellung, Prüfung und Regulierung kommender Mobilitätssysteme befasst, die in vernetzten autonomen Fahrzeugen eingesetzt werden. 

Die Autorin: Andrea Hoffmann-Topp

Andrea Hoffmann-Topp

In Bayern verankert, in der Welt zuhause. Andrea ist eine Globetrotterin in Sachen Mittelstand: Sie schätzt die Innovationskraft der familiengeführten Unternehmen ebenso wie die Strahlkraft großer Player mit internationalen Standorten - und vernetzt weltweit am liebsten beides miteinander. Reisen ist daher Programm. Dabei vergisst sie nie ein gutes Buch, Musik und ihren Tennisschläger.

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