Der Test auf der Straße war in der Vergangenheit stets die Grundlage der Entwicklung neuer Automodelle. Die Komplexität des aktuellen Systemdesigns mit so vielen verschiedenen integrierten Funktionen macht den Prozess heute zu teuer und zeitaufwändig, um sich allein darauf zu verlassen.

Der Test auf der Straße war in der Vergangenheit stets die Grundlage der Entwicklung neuer Automodelle. Die Komplexität des aktuellen Systemdesigns mit so vielen verschiedenen integrierten Funktionen macht den Prozess heute zu teuer und zeitaufwändig, um sich allein darauf zu verlassen. (Bild: AdobeStock 458890766, vegefox)

Die Gründe für den Wunsch nach autonomem Fahren sind einfach zu verstehen. Der wichtigste ist die höhere Sicherheit im Straßenverkehr. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es jedes Jahr weltweit 1,35 Millionen Verkehrstote. Nach einer Studie der National Highway Transportation Safety Administration (NHTSA) sind schätzungsweise 95 Prozent der Autounfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Durch die Entwicklung autonomer Fahrzeuge wollen die Hersteller eine Stufe erreichen, auf der die Vision Zero (keine Verletzten und Toten auf unseren Straßen) erreicht werden kann.

Die Einführung autonomer Fahrzeuge muss auf einem sicheren Vertrauen der Verbraucher basieren. Die Automobilhersteller müssen daher die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass ihre Modelle absolut sicher sind. Indem man den Fahrzeugen Autonomie verleiht, wird die Verantwortung für etwaige Unfälle auf den Hersteller und nicht auf den Fahrer übertragen. Kommt es zu einem tödlichen Zwischenfall kann der Ruf des Herstellers unwiderruflich geschädigt werden – deshalb sind umfassende Tests von größter Bedeutung.

Aufgrund des hohen Detaillierungsgrads aktueller Fahrzeuge wird beim Test nun viel mehr Wert auf die Gewinnung von Testdaten durch Simulation und die Durchführung parallelisierter automatisierter Testverfahren gelegt. Diese ergänzen die realen Tests. Doch welche Auswirkungen ergeben sich dadurch?

Eine neue Ära mit neuen Regeln

Bislang wurden Neuerungen in der Automobilbranche immer von den Fahrzeugherstellern und ihren Tier-1-Zulieferpartnern vorangetrieben. Die Fahrzeugautonomie wird die Dinge jedoch ändern. Neben den anerkannten Herstellern von Pkws, Lkws, Gelände- und Baufahrzeugen wird es auch Start-up-Hersteller geben, die bisher noch nicht in Erscheinung getreten sind. Hinzu kommen die großen Technologiemultis, die ihren Einfluss ausweiten wollen, sowie Anbieter automatisierter Lieferdienste und Unternehmen, die Mobilität als Dienstleistung (in Form von Fahrgemeinschaftsmodellen) anbieten.

Es wird klare Unterschiede geben, wie diese Parteien das autonome Fahren angehen. Die etablierten Fahrzeughersteller werden noch alte Modelle produzieren und daher schrittweise auf fahrerlose Autos umsteigen. Im Gegensatz dazu werden viele der neuen Marktteilnehmer darauf bedacht sein, den Markt umzukrempeln. Sie werden versuchen, sich zu profilieren, indem sie der Konkurrenz voraus sind, und sich schneller weiterentwickeln.

Noch nie dagewesene Testumfänge handhaben

Es müssen sehr viele Tests durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass die verwendeten KI-Algorithmen robust genug sind. Dabei sind so viele Variablen wie möglich zu berücksichtigen und Szenarien zu untersuchen. Wie bei menschlichen Autofahrern spielt der Erfahrungsschatz im Umgang mit den unterschiedlichsten Situationen eine große Rolle für die Sicherheit.

Die Herausforderung dabei ist, alle möglichen Szenarien zu berücksichtigen, egal wie unwahrscheinlich sie auch sind. Fakt ist: Der Testbedarf wird massiv steigen. Bei der derzeitigen Dynamik muss die Testabdeckung (in Form von gefahrenen Kilometern) bei jedem neu entwickelten Fahrzeugmodell um mindestens zwei Größenordnungen größer sein als noch vor sechs Jahren. Und auch künftig kann von weiterem, exponentiellen Zuwachs ausgegangen werden, da jeder weitere Entwicklungsschritt hin zu autonomem Fahren mehr Testszenarien bedeuten wird. Das bringt enorme Herausforderungen bei der Skalierbarkeit mit sich.

Vor diesem Hintergrund müssen Teststrategien für Fahrzeuge in der Lage sein, die folgenden Ziele zu erfüllen:

  • Durchführung einer wesentlich größeren Anzahl unterschiedlicher Testfälle, damit alle Möglichkeiten berücksichtigt werden können.
  • Sicherstellung maximaler Zuverlässigkeit durch Hinzufügen weiterer Fehlerfälle zu den untersuchten Testszenarien und -bedingungen.
  • Deutliche Kostensenkungen, die mit den Testaktivitäten verbunden sind (als Ausgleich für den steigenden Umfang).
  • Die für diese Tests benötigte Zeit muss so kurz wie möglich gehalten werden (wiederum aufgrund der viel größeren Anzahl der durchzuführenden Tests), damit die Erwartungen an die Markteinführung erfüllt werden können.
Bild 1: Herkömmliches V-Diagramm mit den wichtigsten Phasen der Validierung von Fahrzeugsystemen – mit einem hohen Anteil an Nacharbeit in den Phasen Codierung, Prototyping und HIL-Validierung.
Bild 1: Herkömmliches V-Diagramm mit den wichtigsten Phasen der Validierung von Fahrzeugsystemen – mit einem hohen Anteil an Nacharbeit in den Phasen Codierung, Prototyping und HIL-Validierung. (Bild: NI)

Testverfahren für Fahrzeuge neu definieren

Der Test auf der Straße war in der Vergangenheit stets die Grundlage der Entwicklung neuer Automodelle. Die Komplexität des aktuellen Systemdesigns mit so vielen verschiedenen integrierten Funktionen macht den Prozess heute zu teuer und zeitaufwändig, um sich allein darauf zu verlassen. Obwohl Straßentests immer eine wichtige Rolle spielen werden und im Vergleich zu früher sogar in der Zahl zunehmen, wachsen die umfangreichen Tests im virtuellen Bereich viel schneller. Sie dominieren bereits die gesamte Testabdeckung. Auf diese Weise kann der schiere Umfang der erforderlichen Tests bewältigt und die Mehrzahl der Probleme frühzeitig aufgedeckt werden.

Diese veränderte Herangehensweise an das Testen erfordert eine Verschiebung des traditionellen V-Diagramms (Bild 1), das Entwickler bei der Produktvalidierung heranziehen. Durch diese Verschiebung wird ein größerer Fokus auf virtuelle anstelle physischer Prototypen gelegt. Dabei müssen große Mengen an Software-in-the-Loop-/SIL-Tests auf mehreren parallellaufenden Prüfständen durchgeführt werden.

Da Fahrzeuge mit immer fortschrittlicheren Bildgebungssystemen ausgestattet werden, z. B. Kameras mit höherer Auflösung (in Richtung 4K und später 8K) und 4D-Radar, werden die zu bewältigenden Datenmengen noch weiter ansteigen. Auch die Anzahl der eingesetzten Sensoren nimmt zu. Da jeder Sensortyp seine eigenen Vor- und Nachteile hat, werden autonome Systeme mit einer Mischung aus mehreren verschiedenen Sensoren gespeist. Diese Sensorfusion ist auf einen deterministischen Betrieb angewiesen, wobei die Zeitschleifen alle synchronisiert sein müssen. Damit lassen sich alle Daten aus verschiedenen Quellen zur gleichen Zeit abrufen, um eine angemessene Reaktion zu erhalten. Die spezifizierten Testlösungen müssen daher vollständig mit den Protokollen für zeitabhängige Netzwerke (TSN; Time Sensitive Networking) übereinstimmen, die jetzt von der bordeigenen Netzwerkinfrastruktur zum Einsatz kommen (Bild 2).

Bild 2: Beispiel für die V-Diagramme, die jetzt befolgt werden – wobei die SIL-Validierung zu einem wichtigen Schritt wird und die Nacharbeit reduziert.
Bild 2: Beispiel für die V-Diagramme, die jetzt befolgt werden – wobei die SIL-Validierung zu einem wichtigen Schritt wird und die Nacharbeit reduziert. (Bild: NI)

Ergänzung der Simulationsdaten

Sobald eine größere Menge simulationsbasierter Testdaten gesammelt wurde, wird sie durch die Erfassung eines kleineren Teils von Hardware-in-the-Loop-/HIL-Testdaten ergänzt. Ein noch kleinerer Anteil wird dann in der Praxis auf der Straße getestet. Um eine ungefähre Vorstellung von der Aufteilung der Tests für gerade in der Entwicklung befindliche autonome Fahrzeuge zu geben, gehen Schätzungen davon aus, dass etwa 1 Million Stunden an Straßentests durchgeführt werden, nachdem bereits mindestens 1 Milliarde Stunden an virtuellen Tests absolviert worden sind.

Jeder virtuelle Test ist nur so gut wie die Qualität der Simulationsdaten, auf denen er basiert. Aus diesem Grund sind HIL- und Straßentests nach wie vor wichtig, damit die Dynamik der realen Welt (unterschiedliche Einfallswinkel, Umgebungsbedingungen etc.) einbezogen werden kann.

Durch die frühzeitige Erprobung auf der Straße lassen sich große Datenbestände erschaffen, um die Simulationsdaten zu ergänzen. Diese Daten werden von höherer Genauigkeit sein, als dies im rein virtuellen Bereich möglich ist. Viele Testkilometer werden auf der Straße gesammelt und dann digitalisiert. Aus diesen digitalisierten Kilometern lassen sich dann anschließend wiederverwendbare reale Szenarien für SIL- und HIL-Tests erstellten.

Neue Testlösungen

Die Tests autonomer Fahrzeuge stellen eine einzigartige Herausforderung für die Automobilindustrie dar. Wo vor ein paar Jahren noch Testdaten im Bereich von 500 Mbytes/s die Norm waren, werden heute täglich Datenmengen von 100 TByte und mehr pro Fahrzeug erfasst. Aus diesem Grund ist die Art und Weise, wie Tests durchgeführt werden, völlig neu zu bewerten. So müssen Arbeitsabläufe optimiert und Testelemente künftig verknüpft werden, um die Testabdeckung zu erhöhen und Entwicklungszeiten zu verkürzen bzw. im Rahmen zu halten. Eine Vielzahl einzelner, isolierter Testelemente wie bisher, wird es kurz- bis mittelfristig nicht mehr geben.

Die von NI entwickelte offene und anpassungsfähige Systemarchitektur unterstützt den Übergang der Automobilbranche zu vollständig autonomen Fahrzeugen. Sie bietet unterschiedliche Schnittstellen und eine praktische modulare Bauweise. Dadurch erhalten die Hersteller einen optimierten, vernetzten Arbeitsablauf, den sie für umfassende Tests ihrer neuesten Fahrzeugmodelle benötigen – im Gegensatz zu den unzusammenhängenden Testanordnungen, die sie zuvor hatten (bestehend aus einer Vielzahl unterschiedlicher Teile). Außerdem können sie ihre Testverfahren anpassen, wenn sich die zu erfüllenden Standards im Laufe der Zeit ändern.

NI stellt nicht nur die für diese Arbeit erforderliche Testtechnik bereit, sondern nimmt auch eine beratende Funktion ein. Auf der einen Seite sprechen die Teams mit den etablierten Automobilherstellern, Mobilitätsanbietern und den Tier-1-Systemintegratoren über ihre Pläne zur Einführung des autonomen Fahrens und beraten sie entsprechend. Gleichzeitig spricht das Unternehmen auch mit Tier-2-Zulieferern, um deren Produktpläne im Hinblick auf die unterstützenden Bildgebungsgeräte, die Grafikverarbeitungseinheiten und die Netzwerke, die in den kommenden Jahren eingeführt werden, genau zu kennen. Die Art der Tests wird sich weiterentwickeln, wenn sich die Automobilindustrie der Stufe 5 der Fahrzeugautonomie nähert. Alle beteiligten Akteure sind dann darauf vorbereitet.

NI arbeitet auch mit Technologiepartnern zusammen, um seine Testkapazitäten weiter auszubauen. Zu den bekanntesten Kooperationen gehören die mit Seagate für die kommende Datenspeicherung und mit Konrad für aktuelle Komprimierungsalgorithmen, um die zu speichernde Datenmenge zu verringern.

Fazit

Ausführliche Tests unter realen Bedingungen sind nicht mehr möglich. Sie sind zwar nach wie vor wichtig, müssen aber durch andere Aktivitäten ergänzt werden, die das enorme Volumen der Tests bewältigen können. Gleichzeitig sind anspruchsvolle Zeit- und Budgetvorgaben einzuhalten.

Um das Testen kosteneffizienter zu gestalten und die Zeitvorgaben zu erfüllen, wird nun verstärkt auf Automatisierung gesetzt. Parallelisierte Tests in großem Umfang werden unerlässlich sein, da sie viel schneller und zu niedrigeren Gesamtkosten durchführbar sind als herkömmliche physische Tests. Außerdem bieten sie die Möglichkeit, die Testkapazitäten zu erweitern, um die gestiegenen Anforderungen zu erfüllen. Durch automatisierte Tests können Entwickler wertvolle Einblicke in jeden Aspekt des Fahrzeugbetriebs gewinnen, wobei Bauteile und Subsysteme genauer charakterisiert und potenzielle Probleme viel leichter identifiziert werden können. (na)

Daniel Riedelbauch, NI
(Bild: NI)

Daniel Riedelbauch

,Principal Solutions Marketing Manager, ADAS & AD Validation, bei NI

Nicholas Keel, NI
(Bild: NI)

Nicholas Keel

Chief Strategic Business Development Manager, ADAS and Autonomous Vehicle Test, bei NI

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