Halbleiter: Deutsche Industrie verliert USA-Vertrauen
Martin ProbstMartinProbstMartin ProbstOnline-Redakteur
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Laut Bitkom setzen 91 % der Unternehmen Halbleiter ein – Tendenz steigend. Für 80 % gelten sie als unverzichtbar. Die Abhängigkeit von stabilen Chip-Lieferketten ist damit ein zentraler Risikofaktor für die deutsche Industrie.Bitkom
Steigende Unsicherheiten in der Chipversorgung setzen etablierte Lieferketten unter Druck. Der Vertrauensverlust gegenüber den USA markiert eine Zäsur – Europas Industrie ringt um Versorgungssicherheit und technologische Unabhängigkeit.
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Die deutsche Industrie verliert zunehmend das Vertrauen in die USA als verlässlichen Lieferanten von Halbleitern. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom hervor. Nur noch 37 Prozent der befragten Unternehmen, die stark von Halbleitern abhängig sind, gaben an, den USA in Sachen Chipversorgung zu vertrauen. Im Vorjahr lag dieser Wert noch deutlich höher. Dagegen äußerten 48 Prozent „eher geringes Vertrauen“ und 14 Prozent „gar kein Vertrauen“.
Sorge um Taiwan und anhaltende Engpässe
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Besonders groß ist die Besorgnis über die geopolitische Lage: 92 Prozent der Befragten sehen die chinesischen Drohungen gegenüber Taiwan als ernsthafte Gefahr für die Stabilität der globalen Halbleiterversorgung. Taiwan ist mit dem Branchenriesen TSMC das Herz der weltweiten Chipproduktion. Ein möglicher Konflikt in der Region würde die Elektronik-, Automotive- und Maschinenbauindustrie in Europa massiv treffen.
Hinzu kommen anhaltende Lieferprobleme: Sechs von zehn Unternehmen berichteten laut Bitkom, dass sie 2025 bereits Schwierigkeiten bei der Chipbeschaffung hatten. Im Durchschnitt verzögert sich die Lieferung um rund vier Monate. Für viele Betriebe bedeuten solche Engpässe hohe Kosten, längere Entwicklungszeiten und im Extremfall Produktionsstillstände.
Vor diesem Hintergrund sprechen sich 86 Prozent der befragten Unternehmen für den Aufbau eines eigenständigen Halbleiter-Ökosystems in Deutschland aus – nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst betont, dass Halbleiter längst eine strategische Schlüsselressource seien: „Wir müssen unsere Versorgung unabhängiger machen und die gesamte Wertschöpfungskette – von Forschung über Fertigung bis Packaging – in Europa ausbauen.“
Standortpolitik unter Druck
Deutschland hat mit Projekten wie der Intel-Ansiedlung in Magdeburg und dem TSMC-Fab in Dresden bereits wichtige Weichen gestellt. Doch laut Bitkom reicht das noch nicht aus, um globale Abhängigkeiten spürbar zu reduzieren. Entscheidend sei eine koordinierte Industriepolitik auf EU-Ebene, die sowohl Fertigungskapazitäten als auch Materialversorgung, Maschinenbau und Designkompetenz umfasst.
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2025 berichten 60 % der Unternehmen weiterhin von Schwierigkeiten bei der Halbleiterbeschaffung – deutlich weniger als in den Vorjahren, doch die Lage bleibt angespannt. Die Versorgungslage entspannt sich nur langsam.Bitkom
Parallel dazu fordern Industrievertreter, die Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, die Energiepreise zu senken und Fachkräfteengpässe zu bekämpfen – alles Faktoren, die über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Halbleiterindustrie entscheiden.
Die Ergebnisse der Bitkom-Umfrage zeigen deutlich: Die deutsche Industrie traut den globalen Lieferketten immer weniger. Während geopolitische Risiken und Handelskonflikte das Vertrauen in die USA belasten, wächst der Druck, in Europa eigene Kapazitäten aufzubauen. Für Deutschland und die EU geht es längst nicht mehr nur um technologische Souveränität – sondern um wirtschaftliche Stabilität in einer zunehmend unsicheren Welt.