Das Konzept des Global Positioning Systems (GPS) entstand offiziell auf dem Long Room Meeting im Jahr 1973. Seitdem ist das Global Navigation Satellite System (GNSS) zu einem alltäglichen und unverzichtbaren Werkzeug für Anwendungen geworden, die Positionierung, Navigation und Timing (PNT) erfordern, um eine genaue Ortung innerhalb eines gemeinsamen globalen Koordinatensystems zu ermöglichen. Diese Dienste werden heute von vier den Planeten umspannenden Satellitenkonstellationen in einer mittleren Erdumlaufbahn (Medium Earth Orbit – MEO) bereitgestellt, wobei jede Konstellation etwa 30 Satelliten umfasst, die in einer Umlaufbahn von etwa 20.000 km über der Erdoberfläche kreisen. Außerdem wird GNSS durch mehrere regionale Erweiterungssysteme unterstützt, die zusätzliche Dienste über bestimmten Regionen anbieten und dazu im Allgemeinen geostationäre Satelliten sowie Satelliten in geosynchronen Umlaufbahnen über der von ihnen abgedeckten Region nutzen. Obwohl GNSS inzwischen nahezu flächendeckend verbreitet ist, stellt es dennoch nicht die Lösung für jedes PNT-Problem dar. Die Hauptnachteile sind:
- Die am Boden empfangenen Signale sind schwach und daher leicht zu stören, ob nun absichtlich oder unabsichtlich.
- Durch die schwachen Signale ist die Fähigkeit, Gebäude und Gebiete ohne direkte Sicht zum Himmel zu durchdringen, eingeschränkt.
- In dicht besiedelten und verwinkelten Gebieten kommt es zu Mehrwegeffekten, die die Leistung erheblich beeinträchtigen können.
In den letzten Jahren hat sich die Verfügbarkeit von Satellitenkommunikationsnetzen, bei denen wesentlich kleinere, kostengünstigere Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen (Low Earth Orbit – LEO), in der Regel 400 bis 1500 km über der Erdoberfläche, eingesetzt werden, gewaltig erhöht. Es gibt viele solcher Konstellationen, wie z. B. Starlink, OneWeb, Kuiper oder Iridium, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Diese LEO-Satellitenkommunikationssysteme werden oft als nicht-terrestrische Netze (NTN) bezeichnet und werden zunehmend als Erweiterung der bodengestützten Mobilfunknetze, teilweise mit PNT-Funktionen, betrachtet. Zusätzlich zu diesen LEO-Kommunikationsnetzen erforschen mehrere Organisationen den Einsatz von LEO-Konstellationen, die in erster Linie für PNT und nur als Nebenfunktion für die Kommunikation genutzt werden sollen.
Dies wirft die Frage auf, ob LEO-Satellitenkonstellationen Vorteile für PNT bieten, entweder zusätzlich zu den herkömmlichen MEO-GNSS oder vielleicht sogar statt dieser.
Hauptunterschiede zwischen LEO, MEO und anderen Orbits
Ein grundlegender Unterschied zwischen LEO und MEO ist die Wahl der Orbithöhe. Bei LEO liegt diese im Bereich von 400 bis 1500 km, während sie bei MEO bis etwa 20.000 km reicht – wie bei den vier globalen GNSS-Konstellationen: GPS, Galileo, BeiDou und GLONASS. Dieser Parameter birgt jedoch zahlreiche Implikationen, die zu Herausforderungen und Möglichkeiten bei der Konzeption führen, wie beispielsweise:
- Anzahl der Satelliten
- Periodizität der Umlaufbahn und Laufzeiten
- Stabilität und Vorhersage der Umlaufbahn
- Orbitmanagement und Verteilung von Ephemeriden (unterstützende Bodeninfrastruktur)
- Signalleistung (beim Senden und Empfangen) sowie Ausbreitungsverluste
- Wahl der Frequenzbänder
- Wahl der Signalart und -struktur
Was an den Mythen über LEO-PNT wirklich dran ist
Von Forschern und Befürwortern hört und liest man immer wieder von den vielen Vorteilen, die LEO-PNT bieten soll, und obwohl vieles davon durchaus wahr ist, wird es oft nicht im richtigen Kontext zu den damit verbundenen Herausforderungen und Komplexitäten dargestellt.
Höhere Signalleistung führt zu besserer Abdeckung in Gebäuden
Für Signale in den herkömmlichen RNSS-Bändern (L1/E1, L5/E5, L2, E6) trifft dies nicht unbedingt zu, da die Leistung für einige Funknavigationsspektren entsprechend der empfangenen Signalstärke am Boden geregelt wird. Die Satelliten arbeiten jedoch mit geringerer Sendeleistung, weshalb man sich eher für kleinere und kostengünstigere Satelliten statt höheren am Boden empfangenen Signalstärken entscheidet.
Eine weitere Überlegung ist, dass das relative Signalpfadlängenverhältnis zwischen Horizont und Zenit bei LEO größer ist, sodass die Signalstärke während des Satellitentransits stärker schwankt als bei MEO.
Allerdings können Signale in neuen Bändern gesendet werden, die bisher nicht für Satelliten-PNT genutzt wurden, wie beispielsweise S, C, K oder andere Bänder. Dies könnte erhebliche Vorteile in Bezug auf die empfangene Signalleistung und die Bewältigung ionosphärischer Effekte mit sich bringen, wird aber die Komplexität des Empfängers erhöhen. Diese zusätzliche Komplexität dürfte sich auf die Kosten und den Energiebedarf des Empfängers auswirken und außerdem auch die Antennen verteuern.
Es lässt sich nicht sagen, dass LEO automatisch eine wesentlich höhere Signalleistung beim Empfänger bedeutet, doch mit der zusätzlichen Komplexität, die mit der Nutzung neuer Funkbänder oder Regulierungsänderungen der heutigen RNSS-Bänder verbunden ist, könnte dies in Zukunft durchaus Realität werden.
LEO-PNT führt zu höherer Genauigkeit
Mehr nutzbare und sichtbare Satelliten könnten zu einer verbesserten Genauigkeit führen. Da sich jedoch bereits vier MEO-Konstellationen und bis zu 40 sichtbare Satelliten im Orbit befinden, bringt die Ergänzung weiterer Satelliten nicht unbedingt einen erheblichen zusätzlichen Nutzen.
Aufgrund ihrer niedrigeren Orbithöhe und der Nähe zur Erdmasse dürften LEO-Satellitenumlaufbahnen weniger stabil als MEO-Orbits sein, denn die felsige Erdkugel ist keine homogene Masse. Wenn also ihre Bahnen nicht mittels fortschrittlicherer Orbitephemeriden genau modelliert werden können, könnten die mit LEO-Satelliten einhergehenden Bahnabweichungen andere Vorteile zunichtemachen. Eine Möglichkeit, diese genaue Modellierung zu erreichen, wäre zum Beispiel der Einsatz von GNSS-Empfängern zum Verfolgen der MEO-Signale an den LEO-Satelliten.
Eine weitere Herausforderung für eine hochpräzise Ortung ist die Modellierung von Satellitenantenneneffekten, was im Vergleich zu MEO-Satelliten aufgrund der größeren Nadir-Abweichungswinkel, die durch die niedrigeren Umlaufbahnen entstehen, noch schwieriger wird.
Bei den geringeren Umlaufhöhen von LEO ist die Transitzeit des Satelliten von Horizont zu Horizont viel kürzer als bei MEO. Dies bedeutet, dass der Empfänger in der Lage sein muss, neue Signale schnell zu erfassen und mit größeren Dopplerverschiebungen fertig zu werden. Dadurch erhöht sich zwar einerseits die Komplexität, es bietet andererseits aber auch die Möglichkeit, die neuen Signaleigenschaften zu nutzen.
Trotz dieser Hürden bietet LEO den großen Vorteil, dass sich die relative Geometrie zwischen Satellit und Nutzer viel schneller ändert. Dies ist ein wesentlicher Vorteil für hochpräzise Ortungsmethoden wie RTK und PPP, bei denen die Konvergenzzeit durch die schnellere Bewegung des Satelliten über den Himmel verkürzt wird. Die Nutzung von LEO-Konstellationen für PNT könnte zu Konvergenzzeiten für PPP von weniger als einer Minute führen, während die Konvergenzzeiten für herkömmliche MEO-GNSS-Lösungen in der Regel mindestens mehrere Minuten betragen.
Insofern könnte LEO-PNT zwar zu einer verbesserten Genauigkeit führen, doch es sind vorher noch viele Herausforderungen zu meistern.
LEO-PNT führt zu einer besseren Mehrwegresistenz
Die viel kürzere Laufzeit bei LEO-Orbits kann für den Empfänger von Vorteil sein, wenn er in der Lage ist, diese Eigenschaft zu nutzen. Denn sie bewirkt, dass sich die Funkstrecke schneller ändert, während der Satellit über den Himmel zieht. Diese sich ändernde Funkstrecke führt zu schnelleren Änderungen des Kanals und damit zu einer sich schneller ändernden Mehrwegumgebung. Mittels moderner Signalverarbeitungstechniken und einer längeren kohärenten Integration des Signals könnte der Empfänger potenziell die sich schneller ändernden Mehrwegbedingungen ausnutzen, um eine bessere Mehrwegabschwächung zu erreichen.
Somit sollte LEO-PNT zwar zu einer robusteren Mehrwegabschwächung und Widerstandsfähigkeit führen, doch wird dies vom Konstellationsaufbau und der im Empfänger verwendeten Signalverarbeitung abhängen. Daher sind weitere Untersuchungen erforderlich, um das Ausmaß des erzielbaren Nutzens zu ermitteln.
LEO-PNT bietet einen besseren Schutz vor Störsendern und Spoofing
Je nachdem, wie die LEO-PNT-Signale konzipiert und implementiert werden, könnte sich die Widerstandsfähigkeit gegen Störeinflüsse (Jamming) und Spoofing erheblich verbessern. Die Nutzung neuer Frequenzbänder, wie beispielsweise S und C, würde zu einer größeren Signalvielfalt führen und damit die Widerstandsfähigkeit gegen Störsender verbessern. Einige Bänder könnten auch höhere Signalstärken ermöglichen.
Neue Signalkonzepte könnten verbesserte Sicherheits- und Anti-Spoofing-Maßnahmen einbauen, die sowohl Daten- als auch Signalauthentizitätsprüfungen unterstützen. Daher könnte ein verbesserter Schutz vor Störsendern und Spoofing tatsächlich einer der großen Vorteile von LEO-PNT sein, wenn die Systeme von Anfang an dafür ausgelegt sind.
LEO-PNT führt zu einer höheren Integrität der GNSS-Ortung
Die Integrität der GNSS-Ortung hängt von der Fähigkeit ab, Fehler, die beim Empfänger auftreten, präzise zu modellieren und seltene Fehler, die durch „gefürchtete Ereignisse“ wie z. B. einen unentdeckten Satellitenausfall oder einen geomagnetischen Sturm verursacht werden, zu erkennen und einzudämmen. LEO bedeutet nicht automatisch, dass eine höhere Ortungsintegrität erreicht wird, aber wenn die richtigen Konzeptionsentscheidungen getroffen werden, könnte die Verwendung neuer Signale und Bänder zu verbesserten Integritätslösungen führen, die mit einer höheren Sicherheit einhergehen.
Kürzere Lebensdauer von Satelliten führt zu schnellerer technologischer Entwicklung
Satelliten sind kleiner und billiger und haben eine kürzere Betriebsdauer. Dies könnte zu einer schnelleren Weiterentwicklung der eingesetzten Technologie führen, da neue Funktionen schneller eingeführt werden können als bei herkömmlichen MEO-Konstellationen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass LEO-PNT einen wichtigen Beitrag zur Überwindung einiger der heutigen Einschränkungen von GNSS leisten könnte. Im Endeffekt wird wahrscheinlich eine Mischung aus MEO-, GEO- und LEO-Satelliten erforderlich sein, um die größtmögliche Bandbreite an Anwendungen abzudecken.
Es ist noch viel Arbeit nötig, um die besten LEO-Lösungen zu erforschen: Auswahl der Signalbänder, Signalcodierung, Sicherheit und die richtige Beurteilung der erreichbaren Leistung.
LEO bietet jedenfalls spannende Möglichkeiten für die Sparte des Satelliten-PNT und könnte die nächste innovative Phase in der Entwicklung der Technologie einläuten. Deshalb müssen sowohl die Eigentümer von Konstellationen als auch die Hersteller von Empfängern eng zusammenarbeiten, um das richtige Gleichgewicht zwischen Innovationen, die die Kosteneffizienz von Satelliten-PNT bewahren, und verbesserter Leistung zu finden. (neu)
Autoren
David Bartlett, Head of GNSS Positioning Technology bei U-Blox, Olivier Julien, Senior Principal Engineer bei U-Blox, Chris Hide Senior Principal Engineer bei U-Blox, Jos Prakash, Senior Research Engineer bei U-Blox