Eine REM/EDX-Untersuchung

(Bild: Zestron)

Fehlfunktionen und Feldausfälle in hochwertigen elektronischen Geräten sind häufig der Auslöser kostspieliger Rückrufaktionen und juristischer Auseinandersetzungen hinsichtlich Haftungsfragen und Schadensersatzansprüchen. Umso wichtiger ist es für den Hersteller der betroffenen Elektronik zu verstehen, auf welche Ursache der vorhandene Feldausfall oder die Fehlfunktion zurückzuführen ist, da eine große Bandbreite an Fehlerbildern und möglichen Fehlermechanismen existiert. So werden je nach Anwendungs- und Einsatzgebiet sowie der angewendeten AVT (Aufbau- und Verbindungstechnik) verschiedene Mechanismen stimuliert. Bei Signalelektronik im Niedervolt-Bereich beispielsweise dominieren oberflächenbezogene Fehlermechanismen wie Elektrochemische Migration (ECM), Kriechströme und Kriechkorrosion, wohingegen im Hochvolt-Bereich vor allem Verguss- und Mold-bezogene Phänomene wie Partialentladung, Water Treeing sowie Kriechströme im Polymersystem durch unzureichende Materialqualität zu finden sind. Wie eine Ursachenanalyse in der Praxis umgesetzt werden kann, wird anhand einer Fallstudie veranschaulicht. Diese handelt von einer Steuerungsbaugruppe für Consumerelektronik, gefertigt von einem EMS-Dienstleister. Ferner wird aufgezeigt, wie Abhilfemaßnahmen definiert und realisiert werden können.

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Systematische Herangehensweise bei der Schadensanalyse. Zestron

Systematische Herangehensweise

Eine Schadensanalyse, durchgeführt von Reliability & Surfaces bei Zestron Europe, verfolgt den systematischen Ansatz, sich einer Schadensursache auf analytische Art und Weise anzunähern, bis der tatsächliche Auslöser eines Schadens hinreichend genau eingegrenzt und die Hypothese über die Ausfallursache plausibel ist. Bei dem konkreten Fall, eine klassische FR4-Baugruppe mit einer Leistungsstufe, deren Fehlfunktion einen Komplettausfall des neuwertigen Gerätes zur Folge hatte, wurde mit einer ersten optischen Begutachtung mittels Lichtmikroskop begonnen. Diese zeigte, dass zwischen den THT-Lötstellen eines montierten Steckers und Kupferleiterbahnen dendritische Strukturen sowie optisch sichtbare weiße Verunreinigungen erkennbar waren. Aufgrund dieser Beobachtungen, der Umgebungsbedingungen und der Tatsache, dass der Ausfall nicht reversibel war, konnte als erste Hypothese für die Ausfallursache eine elektrochemische Migration aufgrund hoher Umgebungsfeuchtigkeit aufgestellt werden. So besitzen hygroskopische Verunreinigungen wie Partikel, Lötrückstände oder Verunreinigungen durch das Handling der Baugruppe die Eigenschaft, Wasser aus der zumeist feuchten Umgebungsluft zu adsorbieren, was zu einer bevorzugten Betauung in diesen Bereichen der Baugruppenoberfläche führt.

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Dendritische Strukturen auf dem Lötstopplack der Leiterplatte. Zestron

Kritische Rückstände

Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden nun weiterführende Analysemethoden herangezogen. So war durch die Anwendung chemischer Schnelltests ein erster Hinweis auf die Ausfallursache erkennbar. Mit zwei chemischen Schnelltests konnten einerseits ein Teil der Verunreinigungen als Harzrückstände einer klassischen No-Clean-Produktion identifiziert und andererseits organische aktive Flussmittel-Rückstände an den betroffenen THT-Lötstellen großflächig sichtbar gemacht werden. Als Folge dieser Erkenntnisse wurde die ionische Kontamination mittels Ionenchromatographie auf der Oberfläche einer Referenz-Baugruppe sowohl qualitativ als auch quantitativ bestimmt. Mit diesem Verfahren ließen sich große Mengen aktiver Flussmittelrückstände, welche als hygroskopische Substanzen die Betauung auf der Baugruppe an den kontaminierten Stellen begünstigen, nachweisen.

Der Blick ins Detail

Für einen detaillierteren Einblick auf die elementare Zusammensetzung der Baugruppenoberfläche im Bereich der dendritischen Strukturen sowie zur Überprüfung, ob es sich bei der dendritischen Struktur tatsächlich um einen metallischen Dendriten – wie er im Falle einer elektrochemischen Migration entsteht – handelt, wurde zum Abschluss der Analysen noch eine REM/EDX-Untersuchung der betroffenen Stelle durchgeführt. Diese lieferte zwei weitere wichtige Informationen zur Aufklärung der Ausfallursache. Erstens konnte gezeigt werden, dass es sich in der Tat um einen Zinn-Dendriten handelt, was die Hypothese einer elektrochemischen Migration des Zinns weiter unterstützte. Zweitens ließ sich am REM-Bild beobachten, dass der Dendrit aus Fehlstellen im Lötstopplack an der Kante der Kupferleiterbahnen wächst. Dabei wurde freiliegendes Kupfer an diesen Stellen über EDX-Analyse bestätigt. Nachuntersuchungen zeigten anschließend, dass eine mechanische Belastung der Baugruppe dazu geführt hatte, dass Teile des Lötstopplacks an der Kante der Leiterbahnen abgeplatzt sind.

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Mit dem Flux-Test blau angefärbte organische, aktive Flussmittelrückstände aus dem Lötprozess. Zestron

Ursache und Abhilfe

Zusammenfassend konnte durch die systematische Herangehensweise zur Verifizierung der Eingangshypothese gezeigt werden, dass diese in weiten Teilen zutrifft. Neben der klassischen Elektrochemischen Migration im Zusammenspiel mit Feuchtigkeit und begünstigender Faktoren wie Verunreinigungen musste als Konsequenz aller Analytik-Ergebnisse die Ausfallursache um das Vorhandensein von Defekten im Lötstopplack aufgrund einer mechanischen Belastung erweitert werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse war es am Ende der Schadensanalyse möglich, dem betroffenen Kunden durch die Empfehlung der Optimierung des Lötprozesses sowie durch die Spezifizierung einer defektfreien Lötstoppmaske die entsprechenden Hinweise zu geben, um das Auftreten dieses Schadensmusters zukünftig verhindern zu können.

Ein Technologie-Coaching, durchgeführt von Reliability & Surfaces bei Zestron Europe, kann so bei der Lösung konkreter Problemstellungen behilflich sein. Neben der Schadensanalytik oder Risikobewertung bei ionischen oder partikulären Verunreinigungen, gehören fachliche Schulungen zum Coaching-Portfolio. Hierfür wird gemeinsam mit den Kunden ein individuelles Coaching-Programm erarbeitet, das spezifisch auf die Bedürfnisse sowie Anforderungen im Fertigungsprozess abgestimmt ist und sich dabei am Kenntnisstand der Teilnehmer orientiert. Lösungsansätze für die jeweiligen Problemstellungen werden häufig bereits innerhalb weniger Wochen umgesetzt.

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Elementzusammensetzung der dendritischen Struktur (v. a. Sn) inklusive Umgebung (Lötstoppmaske mit Füllstoffen: C, O, Si, P, S; Verunreinigungen u. a. aus dem Lötprozess: Na, K, Br). Zestron

Dr. Markus R. Meier

Senior Technology Analyst, Reliability & Surfaces bei Zestron Europe.

(hw)

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