Am Vorabend des Technologieforums lud Ersa zur exklusiven „Insight Beyond“-Veranstaltung auf den Eisenhammer nach Hasloch. Als Keynote Speaker referierte Dr. Sebastian Smerat, Head of Customer Innovation Tribe bei thyssenkrupp Materials Services vor rund 100 Gästen zum Thema „Unternehmenserfolg durch Digitale Service-Innovationen“.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wir wollen Innovationen strategisch dafür einsetzen, Lieferketten zu digitalisieren, transparent zu machen und damit neue Formen der Wertschöpfung ermöglichen.
Thyssen Krupp ist eine international aufgestellte Unternehmensgruppe aus weitgehend selbstständigen Industrie- und Technologiegeschäften mit Hauptsitz in Essen und einer der größten Stahlhersteller der Welt. Bei Thyssenkrupp Materials Services geht es nicht nur darum, Produkte und Werkstoffe möglichst kostengünstig zu beschaffen und Lieferketten optimal zu takten. Der Anspruch lautet, die Versorgung mit Materialien im Sinne eines smarten Werkstoffhandels durch kontinuierliche Digitalisierung, Automatisierung und Standardisierung von Prozessen sicher und nachhaltig zu gestalten – dafür will das Unternehmen Klimaneutralität bis 2030 erreichen.
Für Thyssenkrupp Materials Services als Materialhändler am konkreten Beispiel Stahlhandel war die Frage: Wie viel Material müssen wir einlagern, um ein gutes Servicelevel für den Kunden zu erreichen? Der Weg dahin war etwa die Zentralisierung von Warengruppen, durch die allein eine Kostenoptimierung von 15% erreicht werden konnte. Für Automobil-OEMs wurde durch datenbasierte Zeitanalysen eine um 20% höhere Genauigkeit der angeforderten Ware erzielt. Mittels E-Commerce-Plattform gelang es Thyssenkrupp Materials Services durch eine digitale Marktplatzlösung, kundenseitige Überbestände zu reduzieren. Black-Swan-Ereignisse der jüngsten Vergangenheit bzw. Gegenwart – wie Corona-Pandemie, Lieferkettenprobleme oder der Krieg in der Ukraine – zeigten, dass dieser digitale Ansatz auch auf globalem Level funktionieren kann.
Auftakt am Tag 1
Andreas Westhäußer, Leiter Service & After Sales bei Ersa, eröffnete das Programm mit einem Vortrag über den „Service der Zukunft“. Er zeigte unter anderem auf, wie sich mit Hilfe von Kurtz Ersa Connect zahlreiche Serviceprozesse beschleunigen lassen. Lutz Wilke von LPKF Laser & Electronics folgte mit einem Vortrag über die schnelle, hochgenaue Inhouse-Leiterplatten-Prototypenproduktion. Er zeigte, wie man eine doppelseitige Leiterplatte mit galvanischer Durchkontaktierung im Verbund verschiedener Systeme herstellen kann.
Jürgen Friedrich, Leiter Ersa Anwendungstechnik, befasste sich im nächsten Vortrag mit der „Löttechnik für Hochzuverlässigkeitselektronik“. Er thematisierte Herausforderungen beim Design hochzuverlässiger Baugruppen und Anwendungen unter thermodynamischen Aspekten. Sebastian Bechmann (Christian Koenen) und Axel Lindloff (Koh Young Europe) zeigten im Anschluss, wie man die Druck- und 3D-Messtechnik für Semiconductor Packaging nutzbar macht. Sie gingen dabei auch auf den European Chip Act ein, der den Aufbau einer europäischen Halbleiterindustrie unterstützt.
Das waren die Highlights am 2. Tag
Im ersten Vortrag des Tages „2023 – Das Jahr “nach” der Pandemie: Standortbestimmung Automatisierung“ spannte Erwin Beck von ASMPT einen großen Bogen beginnend bei Corona, über Nachhaltigkeit bis zum Fachkräftemangel. Am Ende landete er bei der Automatisierung der Elektronikfertigung, wobei für ihn das größte Potenzial in der Materiallogistik schlummert. So sei eine nicht funktionierende Materialbelieferung der Maschinen einer der Hauptgründe für Stillstände. Dabei war ihm wichtig, dass man nicht „auf Teufel komm‘ raus“ automatisieren solle. „Wenn Sie einen verstaubten Prozess automatisieren, haben Sie immer noch einen verstaubten Prozess“, so Beck. Bei der Automatisierung müsse man auch nicht die Mitarbeiter-freie Fertigung von Augen haben, also „Lights out“, sondern beispielsweise eine Mitarbeiter-freie Nachtschicht, demnach „Nights out“, bei der der Materialfluss für eine Schicht gesichert ist. Die Angst vor der „unkontrollierten“ Fertigung sei dabei unbegründet. Diverse Qualitätskontrollen und die Traceability der Produkte würden dies verhindern. „Es steht ja auch sonst keiner die ganze Zeit neben der Maschine und überwacht sie.“ Selbstverständlich müsse die Rechnung mit Kosten, Nutzen und Zeitersparnis aufgehen, was sie nicht immer tut.
In diesem Zuge ging er auch auf den Vertrieb ein, der sich verändert hat. „Die Zeiten, in denen wir auf Messen unsere im stillen Kämmerlein entwickelten Produkte verkauft haben, sind definitiv vorbei! Wir müssen zum Anwender raus und in den Fabriken nach möglichen Lösungen suchen.“ Sein sonst ruhiger Vortrag wurde an dieser Stelle kurz emotional: „Wenn ich zu Besuch bin, und wir sitzen im Besprechungsraum, werde ich sauer!“
Auch beim Löten lassen sich Daten erheben
„Den Lötkolben wird es auch in 100 Jahren noch geben“, hatte Executive Vice President Rainer Krauss in seiner Begrüßung in den Raum geworfen. Dass die Entwicklung dieser Technologie keinesfalls abgeschlossen ist, zeigte Adrian Münkel von Ersa in seinem Vortrag „The Missing Link - Endlich Traceability im Handlöten“. Dabei stellte er die neue I-Con Trace vor – quasi als Gegenentwurf zu „Lights out“. Die größte Neuerung dabei: Prozessdaten wie Temperatur, verwendetes Flussmittel etc. lassen sich exportieren und damit nachverfolgen und einem Produkt als Teil der Qualitätssicherung beilegen. Entweder klassisch als Excel-Datei oder an ein MES, wobei die entsprechende Schnittstelle noch in Arbeit ist. Zudem fallen bei der Optik der Handlötstation die fehlenden Bedienmöglichkeiten auf. Bis auf einen An- und Ausschalter gibt es nämlich keine. Einzig drei LEDs schmücken die Vorderseite. Dadurch haben Anwender weniger Möglichkeiten, zum Beispiel die Temperatur zu regulieren. Was erstmal nach weniger Komfort klingt, ist Absicht. Bei Rundgängen in Handfertigungen sei aufgefallen, dass gerne mal mit maximaler Temperatur gelötet wird, was vielleicht schneller geht, allerdings sind die Lötverbindungen dann nicht optimal. Ein Clou der Handlötstation: das Tip´n´Turn-Konzept ermöglicht den Spitzenwechsel mit einer Hand.
Weiter im Programm ging es mit Stefan Huttelmaier von der schwäbischen Kurtz Ersa-Tochter Schiller Automation, der sich Best-Practice-Anwendungen hinsichtlich Einpresstechnik in der Elektronikfertigung vornahm, Thomas Winkel (Viscom) referierte über „100% taktzeitkonforme 3D-AXI-Prüfung in der Produktionslinie“ mittels automatischer Röntgenprüfung.
Odin „the Nerd“ Holmes trägt seinen Namen zurecht
Den Abschluss des vierten Ersa Technologieforums bildete der Vortrag von Odin Holmes von Auto Intern, der – angelehnt an James Bond – die Zuhörer in „Die Welt ist nicht digital genug! Elektronikentwicklung in Zeiten von Chipmangel“ durch eine schnelle und vor allem humorvolle Reise durch die Geschichte der Standardisierung nahm. Beginnend bei Containern, die sich per Schiff oder Zug transportieren lassen, über den Siegeszug von Ethernet endete er bei der mit Open-Source-Ansätzen gespickten Methode des Rapid Prototypings in der Hardwareentwicklung. Wobei auch hier – und damit schloss er den Kreis – die Standardisierung von Komponenten eine zentrale Rolle spielt. Ein gelungener Schlussredner, der den ungeliebten Platz des letzten Sprechers mit viel Leben und Witz füllte.
Neben dem Vortragsprogramm blieb auch Zeit zum Austausch und Networking – ob in den Pausen, bei der Ausstellung im Customer Care Center, die aufgrund der Business-Partner das Spektrum der Elektronikfertigung abdeckte. Für den praktischen Bezug sorgten zudem Hands-on-Sessions an den ausgestellten Maschinen von Ersa.
Der Autor: Dr. Martin Large
Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.
Die Autorin: Dipl. Ing. Dipl. Wirt. Ing (FH) Petra Gottwald
Die Doppel-Ingenieurin (Textiltechnik und Wirtschaft) hat nur ein Ziel: Sie möchte Menschen für technische Themen begeistern - ob sie wollen oder nicht. So kommt es schon 'mal vor, dass sie ihren Freunden die komplexe Herstellung einer Leiterplatte in einer packenden Story erzählt oder wie man Elektronik in Textilien einbaut. Privat düst sie auf leisen Sohlen durch die Gegend, denn sie hat seit 2016 ein Faible für Elektromobilität und will mit ihrem Wissen Interessierten die Reichweitenangst beim voll-elektrischen Fahren nehmen.