Dosenbier auf der SMT

Auffallen, das ist ein Motto der Solderpunks, bedenkt man das Totenkopf-Logo und den Freibierstand auf der SMT 2022. Doch inhaltlich hat sich der Verein mit Nachhaltigkeit ein immer wichtiger werdendes Thema auf die Fahne geschrieben. all-electronics.de hat nachgefragt. (Bild: Redaktion productronic)

Gewisse Zeit ist seit der Gründung der Solderpunks vergangen. Wer vorher nichts von dem Verein gehört hatte, konnte sie auf der SMTconnect 2022 erleben. Dort lockte ein Stand samt Bierdosen mit dem auffälligen Logo der Punks Besucher an den Stand, um über die Herzensangelegenheit der Punks zu sprechen: Nachhaltigkeit. Ziel des Vereins ist es vor allem, den Klima- und Umweltschutz rund um die Elektro- und Elektronikindustrie sowie deren Produkte und Services voranzutreiben. Jeder kann mitmachen.

Nach einem ersten Video, das mit dem Start der STMConnect auf Youtube hochgeladen wurde, gab es nun vor einem Monat ein nächstes Lebenszeichen der Solderpunks. In einem zweiten Video beschäftigen sie sich mit dem Lebenszyklus der Elektronik und fordern eine Rohstoffwende. Wir haben bei den Solderpunks nachgefragt, wie genau die Vision des Vereins aussieht, wie es mit der Weiterentwicklung vorangeht und welche guten Beispiele es bereits gibt.

Wann kommt die Rohstoffwende?? | Der Lebenszyklus der Elektronik

Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit umfasst im Bereich der Elektronik vor allem drei Aspekte: Erstens geht es darum, der vorschnellen Abnutzung bzw. Alterung von Elektronikprodukten Einhalt zu gebieten. Hier unterstützen wir den Vorschlag des Bundesumweltamtes, ein Mindesthaltbarkeitsdatum für Elektrogeräte einzuführen. Denn: Im Jahr 2004 trat bei 3,5 Prozent der Elektrogroßgeräte innerhalb der ersten fünf Jahre ein Defekt auf – zehn Jahre später war dies schon bei mehr als 8 Prozent der Produkte der Fall. Der zweite Aspekt umfasst das Recht auf Reparierbarkeit, für das die Gesetzesinitiative des Europäischen Parlaments gestimmt hat – ein echter Meilenstein für Verbraucherinnen und Verbraucher. Allein durch diese beiden Maßnahmen sinken sowohl der Rohstoff- als auch der Energiebedarf bei der Herstellung von Elektronikprodukten, während die Kundenzufriedenheit und die Produktbindung steigen. Als dritter wichtiger Punkt muss aber auch dringend die Rückführungsquote von Elektronikartikeln gesteigert werden. Deutschland steht hier im europäischen Vergleich nicht gut da: 20 kg Elektroschrott fallen pro Jahr und pro Person an, aber nur 10 kg werden gesammelt und abgegeben.

Die Grafik zeigt die zehn Länder mit dem größten Elektroschrott-Aufkommen 2019.   Melden   Infografik downloadenURL FÜR REFERENZLINK: https://de.statista.com/infografik/12272/die-zehn-laender-mit-dem-groessen-elektroschrott-aufkommen/ HTML-CODE ZUR EINBINDUNG   <a href="https://de.statista.com/infografik/12272/die-zehn-laender-mit-dem-groessen-elektroschrott-aufkommen/" title="Infografik: Jeder Deutsche produziert 19,4 kg Elektroschrott | Statista"><img src="https://cdn.statcdn.com/Infographic/images/normal/12272.jpeg" alt="Infografik: Jeder Deutsche produziert 19,4 kg Elektroschrott | Statista" width="100%" height="auto" style="width: 100%; height: auto !important; max-width:960px;-ms-interpolation-mode: bicubic;"/></a> Mehr Infografiken finden Sie bei <a href="https://de.statista.com/infografik/">Statista</a> WISSENSCHAFTLICHES ZITAT (FAQ)  Bitte wählen Zitatform auswählen
53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott sind laut The Global E-waste Monitor 2020 weltweit angefallen. Der größte Elektroschrottproduzent ist China mit 10,1 Millionen Tonnen. Gemessen am Pro-Kopf-Aufkommen sind die Chinesen indes mit 7,2 Kilogramm weit von der Weltspitze entfernt. Die Briten bringen es beispielsweise bringen auf 23,9 Kilogramm, in den USA sind es 21 Kilogramm. Die Deutsche steuern insgesamt 1,6 Millionen Tonnen zum weltweiten E-Schrott bei, macht 19,4 Kilogramm pro Einwohner. Damit scheint es hierzulande einen positiven Trend zu geben. In der 2017 erschienenen Ausgabe der Studie waren es noch 1,9 Millionen Tonnen (22,8 Kilogramm pro Einwohner). (Bild: Statista)

Auf Ihrer Homepage steht: „Lasst uns die (Elektronik-) Welt doch ein kleines Stück besser machen!“ Was stellen Sie sich genau darunter vor?

Es muss ein größeres Bewusstsein für die Thematik entstehen – wir müssen weg vom reinen Konsum und ‚Haben Wollen‘ hin zu einem nachhaltigen Umgang mit Elektrogeräten. Für unser erstes YouTube-Video saßen wir in einem großen Elektroschrottcontainer und haben mit den Leuten gesprochen, die dort ihre Sachen abgegeben haben: Ein älterer Herr wollte einen funktionierenden Wasserkocher loswerden, weil seine Frau lieber einen roten, statt eines weißen Wasserkochers haben wollte. Wir haben einen voll funktionsfähigen Akkuschrauber von Bosch mit Bit-Set gefunden – keine Ahnung, warum der weggeworfen wurde. Es fehlt eindeutig an Information und Aufklärung, wie aufwendig es ist, Elektronikprodukte herzustellen. Es müssen Hintergründe aufgezeigt werden, etwa, woher die dafür benötigten Rohstoffe kommen und wie schwierig es ist, sie zu gewinnen. Dass der Abbau von Metallen und seltenen Erden oftmals unter menschenunwürdigen Bedingungen geschieht und katastrophale Folgen im Ökosystem hinterlässt, ist viel zu wenigen Verbrauchern bewusst.

Wie viele Mitglieder aus wie vielen Unternehmen konnten Sie bisher schon gewinnen?

Im Idealfall reden wir von Aktivistinnen und Aktivisten – Menschen, die wirklich mitmachen möchten und nicht nur den Jahresbeitrag zahlen. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Es gibt zurzeit knapp 30 Privatpersonen, die uns unterstützen und vier Unternehmen. Wir starten ja gerade erst mit unseren Aktivitäten und wollen noch viel mehr in den Dialog kommen. Wer mitmachen möchte, findet auf www.solderpunks.com den Antrag dafür – außerdem gibt es bei der Jahreshauptversammlung Freibier…

Wo sehen Sie den Verein in 5 Jahren?

Eine schwierige Frage, da wir ja noch ganz am Anfang stehen. Wir merken aber in den vielen Gesprächen, die wir führen, dass wir offene Türen einrennen. Das Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit überträgt sich oftmals aus dem privaten in den geschäftlichen Bereich. Fragen Sie mal einen HR-Manager, was die allermeisten Berufsanfänger suchen: Purpose – also eine Sinnhaftigkeit der Arbeit und eine Identifikation mit den (nachhaltigen) Werten des Unternehmens. Wenn man die in seinem Unternehmen noch nicht findet, dann sind die Solderpunks eine Möglichkeit, positiven Einfluss auf die Welt der Elektronikproduktion zu nehmen.

Ab wann sollte man sich Gedanken zur Nachhaltigkeit von Elektronik machen?

Schon ganz am Anfang – bei der Konzeption, der Entwicklung und dem Aufbau der Produkte. Das ist ähnlich wie im Verpackungsbereich: Je leichter man im Verwertungsprozess eine Mehrkomponentenverpackung trennen kann, desto größer ist die Bereitschaft des Verbrauchers dies auch zu tun. Auf Elektronikprodukte übertragen heißt das: Ein modularer Aufbau eines Elektrogerätes erhöht die Chance für die Wiederverwendung enorm – zum Beispiel durch die Reparatur in einem Repair-Café. Die Vorbereitung zur Wiederverwendung hat übrigens ganz klar Priorität gegenüber dem Recycling. Denn dafür sind immer noch mechanische, thermische und chemische Prozesse notwendig.

Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem, das nachhaltige Elektronik bisher verhindert hat?

Das fängt schon beim Einkauf an. Für einen Einkäufer stehen oft Preis und Qualität an erster Stelle. Das leuchtet ein und ist auch völlig in Ordnung. Es kommt aber zunehmend ein drittes Kriterium hinzu: die Umwelt. Wie und wo wird ein Produkt hergestellt? Unter welchen Arbeitsbedingungen? Mit welchen indirekten Folgen und Kosten für Menschen und Umwelt? Das sind hochkomplexe Themen, die nicht direkt in allen Facetten zu erfassen sind. Wir sind aber davon überzeugt, dass sich dies ändern wird – ändern muss. In der EU fallen jedes Jahr mehr als vier Millionen Tonnen Elektroschrott an, weltweit sind es sogar mehr als 50 Millionen Tonnen. 50 Millionen Tonnen – das ist das Gewicht von 5 000 Eifeltürmen! Jedes Jahr! Damit sind Elektronikschrotte der weltweit am schnellsten wachsende Abfallstrom.

 

Die Statistik zeigt die Erzeugungsmenge von Elektroschrott weltweit in den Jahren von 2014 bis 2019 und eine Prognose bis 2030.
Stetiges Wachstum: Für das Jahr 2030 wird eine Erzeugungsmenge von knapp 75 Millionen Tonnen Elektroschrott weltweit prognostiziert. (Bild: Statista)

Ist nachhaltige Elektronik bezahlbar?

Gegenfrage: Ist Fairtrade-Kaffee bezahlbar? Ja, ist er, und trotzdem kaufen ihn nur vier Prozent der Bevölkerung. Wir sind uns sicher, dass das, was wir als faire Elektronik verstehen, zurzeit noch ein Nischensegment ist. Aber in Zukunft wird es ein viel größeres Bewusstsein für Arbeitsbedingungen sowie Art und Herkunft von Materialien geben – egal, ob dies Fashion, Kaffee oder Elektronik betrifft. Dazu ist das Thema Nachhaltigkeit auf allen Ebenen und in allen Generationen viel zu präsent – dem kann man sich zum Glück mittlerweile nicht mehr entziehen.

Der Autor: Dr. Martin Large

Martin Large
(Bild: Hüthig)

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.

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