Petra GottwaldPetraGottwaldPetra GottwaldChefredakteurin Elektronik-Titel
Daniel Jacob lebt seit vielen Jahren in China und berichtete über seine Erfahrungen in der chinesischen Leiterplattenindustrie.Bild: in4ma/Andreas Jahn
Die chinesische Leiterplattenindustrie steht an einem Wendepunkt. Daniel Jacob, CEO von Starteam Global, lieferte auf dem EMS&PCB Forum 2025 faszinierende Einblicke in die politischen, preislichen und strategischen Dynamiken der chinesischen Leiterplattenindustrie – für jeden, der jetzt handeln möchte.
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Starteam Global wurde 1988 in Karlsruhe gegründet und zeichnet sich bis heute als 100 % familiengeführtes Unternehmen aus. Mit Produktions-standorten in China (Jiangyou, seit 2018), Thailand (Prachinburi, 2023) und Italien (Flero, 2024) bedient das Unternehmen die Branchen Automotive, Industrie, Telekommunikation, Energie/Beleuchtung, Consumer und Medizintechnik. Die Roadmap sieht einen weiteren Ausbau des Standortes in China mit HDI Technology Ende 2025 vor – begleitet von Investitionen in AI und Digitalisierung (z. B. Project “Pailot”).
Clusterbildung in China: Konzentration und Wettbewerb
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Die PCB-Industrie Chinas ist regional stark konzentriert: Pearl River Delta, Yangtze-Delta, Zentralchina, Bohai-Region und Taiwan bilden dabei die Hotspots. Dort agieren große Player wie Unimicron, Compeq, WUS, Kinwong und Victory Giant, aber auch internationale Player wie TTM oder AT&S. Daraus resultieren starke finanzielle Asymmetrien zugunsten Chinas, erhöhter Investitionsdruck und staatliche Steuerung. Unterschiedliche Unternehmensmodelle ermöglichen Skaleneffekte, fördern aber auch einen intensiven Preiswettbewerb.
Überblick über die Standorte der chinesischen LeiterplattenherstellerSylvia Issa
Preislogik: IPOs und Subventionen verzerren den Markt
Der Preiswettbewerb in China ist extrem – doch warum? Chinesische PCB-Hersteller setzen auf aggressive Preisstrategien – oft mit kostenlosen Mustern als Türöffner. Treiber sind IPO-(Initial Public Offering) getriebene Wachstumsziele, das heißt die Unternehmen wollen an die Börse und lokale Regierungen, je nach Standort, fördern diese Ziele um kurzfristige KPIs zu realisieren. Das Ergebnis: attraktive Preise, die jedoch nicht immer nachhaltig sind.
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Die „5 Buckets“ – Welche Akteure spielen hier mit?
Bei genauer Betrachtung der Anbieter sind die Modelle nach Ansicht von Daniel Jacob in fünf Gruppen aufgegliedert:
● 1. IPO-geförderte chinesische Firmen (ca. 45, Stand Juni 2025)
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Beispiele: Camelot, Fuji, Suntak, Ellington, Olympic, SYE, Kinwong. Nach der Lock up Phase (3 Jahre) nach Börsengang kann es zu Strategiewechseln kommen – ein stärkeres Engagement seitens staatlicher Investmentfonds sind möglich (z.B. Ellington, Olympic). Der Schwerpunkt der Börsengänge verlagert sich zunehmend von Shanghai/Shenzhen nach Peking, was auf eine stärkere politische Bedeutung der Leiterplattenindustrie in China hindeutet.
● 2. Taiwanesische Firmen
Firmen wie Dynamic, WUS, Chin Poon, APCB profitierten traditionell von chinesischen Anreizen: günstige Grundstücke, niedrige Steuern, qualifizierte Arbeiter und Fachkräfte. Der langfristige Erfolg hängt sowohl von der regionalen Politik Chinas als auch von der politischen Ausrichtung Taiwans ab. Zahlreiche Investments in Thailand deuten auf eine Abwägung zukünftiger Ausrichtung hin.
● 3. Private chinesische Newcomer
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Eine neue Welle heimischer Akteure drängt auf den Markt, z.B. HS, Winglung, Supertech – viele davon in Jiangxi angesiedelt, angelockt durch kostenlose Grundstücke und freie Bauvorschriften in den vergangenen Jahren. Diese Unternehmen sind sehr ehrgeizig, weil sie das Ziel verfolgen an die Börse zu kommen. Sie verfolgen eine aggressive Preisstrategie und wachsen schnell mit Unterstützung lokaler Behörden.
Ehemals dominierend – verfolgen individuelle Nischenstrategien, anstatt sich an großen Trends auszurichten (z.B. Onpress; KB PCB Hersteller wie EE, Gloryfaith und Techwise; Redboard). Die großen Namen wie Olympic und Ellington verfolgen inzwischen die IPO Schiene in China. Zudem erhalten diese Firmen nur begrenzte staatliche Unterstützung in China oder Unterstützung bei der Skalierung.
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● 5. Ausländische Investoren
Beispiele: AT&S, TTM, Kyosha, Meiko, Flextronics (Multek), Starteam Global. Sie verfolgen eine langfristige Strategie, die sich von den einheimischen Akteuren unterscheidet in punkto Qualität, Compliance und Nachhaltigkeit. Diese Unternehmen agieren ohne den Druck eines Börsengangs in China.
Die Marktkapitalisierung zeigt eine klare Dominanz chinesischer Anbieter – mit Implikationen für Investitionsdruck und staatliche Steuerung.
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Starteam zeigt einen Vergleich der Marktkapitalisierung zwischen chinesischen und europäischen Unternehmen auf.Sylvia Issa
Der stille Wandel: PCB-Hersteller werden EMS-Anbieter
Der CMO von Starteam Global, HB Yang, betont, dass die EMS-Landschaft im Vergleich zur Leiterplattenindustrie stärker von Überkapazitäten betroffen ist, da die Capex (Kapitalaufwendungen) niedriger ist – die Integration von EMS-Dienstleistungen wird zur attraktiven Option. Daher ist die stille Erweiterung um EMS-Fähigkeiten als ein zentraler Trend zu beobachten: Zahlreiche PCB-Hersteller bauen EMS-Kapazitäten auf, um Margendruck zu kompensieren und OEMs One-Stop-Lösungen zu bieten. Beispiele sind Fuji (6 PCBA-Linien), Ellington (29 Linien) und Suntak (Übernahme SDG Flex PCB mit 32 Linien). Damit werden Lieferanten potenziell zu Wettbewerbern bestehender EMS-Partner.
Die Spannungen zwischen den USA und China sowie neue Zollregelungen zwingen Unternehmen zur Diversifizierung. Thailand bietet mit BOI-Initiativen (Thailand Board of Investment) attraktive Bedingungen – allerdings mit lokalen Anforderungen. Der Aufbau neuer Kapazitäten dauert typischerweise 18 bis 24 Monate.
Handlungsempfehlungen für europäische OEMs und EMS
Jacob leitet aus seiner Analyse konkrete Empfehlungen ab:
1. Dual-/Multi-Sourcing etablieren: Kombination aus China, SEA und Europa – idealerweise werks- und länderübergreifend.
2. Partner-Screening erweitern: PCB-Lieferanten auf EMS-Ambitionen prüfen; Eigentümerstruktur und staatlichen Einfluss bewerten.
3. Preisangebote hinterfragen: Fokus auf Nachhaltigkeit, Capex und Lebenszykluskosten statt Stückpreis.
4. SEA-Ramp-Up planen: Zeitrahmen, BOI-Regeln und Talentstrategie frühzeitig berücksichtigen.
5. Compliance und Datensicherheit stärken: Vertikale Integration erhöht Zugriff auf sensible Daten.
6. Langfristige Partner bevorzugen: Fokus auf globale Compliance, Multi-Site-Footprint und PCB-Kompetenz.
Fazit: Resilienz schlägt Stückpreis
Lieferant heute, morgen Wettbewerber – Pilotlinien sind schon aktiv und skalierbar.Starteam Global - Sylvia Issa
Die chinesische PCB-Landschaft ist komplex, dynamisch und geopolitisch sensibel. Europäische Unternehmen sind gut beraten, ihre Lieferketten strategisch zu diversifizieren, Partner sorgfältig auszuwählen und langfristige Resilienz über kurzfristige Preisvorteile zu stellen. Der Wandel von PCB zu EMS ist bereits im Gange – wer heute nicht handelt, könnte morgen überrascht werden.