Der MINT-Fachkräftemangel trifft den industriellen Kern Deutschlands mit voller Wucht. Internationale Studierende an deutschen Hochschulen entwickeln sich dabei zur entscheidenden Ressource für Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.
Martin ProbstMartinProbstMartin ProbstOnline-Redakteur
Institut der deutschen Wirtschaft
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Die deutsche Wirtschaft befindet sich mitten in einem tiefgreifenden Umbruch. Digitalisierung, Dekarbonisierung und der demografische Wandel verändern nahezu alle Industriezweige – und verstärken den akuten Fachkräftemangel in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Gerade im MINT-Bereich wächst die Lücke zwischen Bedarf und inländischem Nachwuchs seit Jahren. Gleichzeitig sinken die Kompetenzen deutscher Schülerinnen und Schüler in zentralen Fächern wie Mathematik. Damit rückt eine Quelle qualifizierter Fachkräfte zunehmend ins Zentrum wirtschaftspolitischer Debatten: die MINT-Zuwanderung über Hochschulen.
Internationale Studierende als strategische Ressource für den MINT-Arbeitsmarkt
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Aktuelle Daten zeigen, dass internationale Studierende in Deutschland eine immer wichtigere Rolle für die Fachkräftesicherung spielen. Die Zahl der MINT-Studierenden aus dem Ausland steigt seit Jahren kontinuierlich an. Im Wintersemester 2017/2018 waren rund 131.000 internationale Studierende mit Abschlussabsicht im MINT-Bereich eingeschrieben, 2022/2023 bereits 189.000. Diese Dynamik verdeutlicht nicht nur die Attraktivität des Hochschulstandorts Deutschland, sondern auch dessen Bedeutung als strategischer Rekrutierungskanal für die Fachkräfte von morgen. Auffällig ist der hohe Anteil an Studierenden aus Drittstaaten, die nicht nur häufiger ein MINT-Fach wählen, sondern auch besonders häufig den Wunsch äußern, nach dem Studium in Deutschland zu bleiben und hier zu arbeiten.
Rund 128.000 Personen, die über eine deutsche Hochschule in den MINT-Bereich zugewandert sind, sind erwerbstätig – ein Wertschöpfungsbeitrag von rund 14,6 Milliarden Euro jährlich.Institut der deutschen Wirtschaft
Wirtschaftliche Effekte: Hohe Verbleibquoten und Milliardenbeiträge
Die langfristigen Effekte dieser Entwicklung sind erheblich: Rund 45 Prozent der internationalen Studienanfängerinnen und -anfänger mit Abschlussabsicht leben zehn Jahre später noch in Deutschland. Im MINT-Bereich liegt die Beschäftigungsquote ehemaliger internationaler Studierender bei rund 90 Prozent. Zugleich leisten diese Fachkräfte jedes Jahr einen Wertschöpfungsbeitrag von mehr als 14 Milliarden Euro. Makroökonomische Berechnungen zeigen darüber hinaus, dass die Zuwanderung über Hochschulen das potenzielle Wirtschaftswachstum messbar erhöht und dem demografischen Rückgang aktiv entgegenwirkt. Deutschland gehört damit international zu den attraktivsten und erfolgreichsten Ländern, wenn es um die Bindung internationaler MINT-Absolventinnen und -Absolventen geht.
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Besonders deutlich wird der Nutzen im industriellen Kern des Landes. Die M+E-Industrie – einer der wichtigsten MINT-Arbeitgeber – beschäftigt tausende internationale Fachkräfte, die ihr Studium in Deutschland absolviert haben. Sie arbeiten in Schlüsselfeldern wie Softwareentwicklung, Elektronik, Automatisierungstechnik oder Halbleiterfertigung und tragen entscheidend dazu bei, den Transformationsprozess der deutschen Industrie voranzutreiben. Viele große Unternehmen schaffen gezielt zweisprachige Arbeitsumgebungen, um internationale Talente enger einzubinden. Gleichzeitig zeigt sich, dass Deutschkenntnisse weiterhin ein kritischer Erfolgsfaktor für die Beschäftigungsaufnahme bleiben – insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen.
78 Prozent der über die Hochschulen zugewanderten MINT-Fachkräfte stammen aus demografiestarken Drittstaaten.Institut der deutschen Wirtschaft
Regionale Innovationscluster profitieren besonders – vor allem TU9-Standorte
Auch regional wirkt sich die Zuwanderung stark aus. In Städten und Regionen mit großen technischen Universitäten – etwa Berlin, München, Darmstadt oder Karlsruhe – leben besonders viele ehemalige internationale MINT-Studierende, die nach ihrem Abschluss in der Region geblieben sind. Diese sogenannten TU9-Standorte profitieren doppelt: Sie ziehen internationale Talente an und halten sie langfristig im regionalen Innovationsökosystem. Dort entstehen Cluster aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die wiederum neue Studierende und Fachkräfte anziehen – ein sich selbst verstärkender Effekt, der maßgeblich zur Innovationskraft dieser Regionen beiträgt.
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Ein oft unterschätzter Aspekt der MINT-Zuwanderung über Hochschulen ist die Gründungsdynamik. Rund 14 Prozent der Startup-Gründerinnen und -Gründer in Deutschland sind im Ausland geboren, etwa die Hälfte hat in Deutschland studiert. Besonders hoch ist der Anteil an MINT-Abschlüssen, die in technologieintensiven Branchen eine Schlüsselrolle spielen. Internationale Gründer bringen nicht nur Spezialwissen, sondern auch wertvolle internationale Netzwerke mit. Sie verbinden den Innovationsstandort Deutschland mit globalen Märkten und tragen so zur Wettbewerbsfähigkeit des Landes bei.
Herausforderungen: Integration, Sprache und fehlende Netzwerke
Trotz der positiven Effekte bleibt die Integration internationaler Studierender eine Herausforderung. Der Start in Deutschland gestaltet sich für viele schwierig: Wohnungssuche, Behördengänge und fehlende Netzwerke erschweren den Einstieg. Auch die soziale Integration verläuft nicht immer reibungslos. Viele internationale Studierende wünschen sich stärkeren Kontakt zu deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie bessere Unterstützung seitens ihrer Hochschulen. Sprachförderkurse, Career Services und Mentoring-Programme existieren zwar, werden jedoch häufig zu wenig genutzt oder sind nicht ausreichend bekannt. Dabei sind genau diese Angebote entscheidend, um die Übergänge zwischen Studium und Beruf erfolgreich zu gestalten.
Rahmenbedingungen verbessern, Potenziale heben
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Um das große Potenzial internationaler MINT-Studierender besser auszuschöpfen, braucht es ein Zusammenspiel aus Hochschulpolitik, Wirtschaft und Gesellschaft. Notwendig sind der Ausbau von Lehrkapazitäten, digitale und transparente Visa-Prozesse, eine systematische studienbegleitende Sprachförderung sowie eine intensivere Vernetzung zwischen Hochschulen und Unternehmen. Ebenso wichtig ist eine Willkommenskultur, die auch jenseits des Campus spürbar wird. Internationale Studierende sollen sich nicht nur akademisch, sondern auch gesellschaftlich integriert fühlen – denn ihre langfristige Entscheidung für oder gegen Deutschland hängt wesentlich davon ab.
TU9-Standorte wie Berlin, Karlsruhe, Darmstadt und Oberbayern ziehen besonders viele internationale MINT-Absolventinnen und -Absolventen an.Institut der deutschen Wirtschaft
Internationale MINT-Studierende sind ein zentraler Zukunftsfaktor
Der MINT-Zuwanderung über Hochschulen kommt eine Schlüsselrolle für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu. Sie stärkt Wachstum, Innovation, Gründungsaktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Angesichts des zunehmenden globalen Wettbewerbs um Talente stellt sich weniger die Frage, ob Deutschland auf akademische Zuwanderung setzt, sondern wie erfolgreich es gelingt, internationale MINT-Fachkräfte zu gewinnen, zu integrieren und dauerhaft zu halten. Je konsequenter Hochschulen, Politik und Unternehmen zusammenarbeiten, desto besser wird es gelingen, das enorme Potenzial dieser Talente für den Innovationsstandort Deutschland zu sichern.