Die deutsche Automobilzulieferindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der klassische Restrukturierungsstrategien an ihre Grenzen bringt. Im Interview erklärt Christian Heppe, Director und Partner bei von Rundstedt, warum Workforce Transformation heute mehr denn je strategische Personalplanung, enge Kommunikation und die Einbindung von Betriebsräten erfordert. Sein Fazit: Die Zukunft liegt nicht in der Glaskugel – sondern im aktiven Gestalten des Umbruchs.

Die deutsche Automobilzulieferindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der klassische Restrukturierungsstrategien an ihre Grenzen bringt. Im Interview erklärt Christian Heppe, Director und Partner bei von Rundstedt, warum Workforce Transformation heute mehr denn je strategische Personalplanung, enge Kommunikation und die Einbindung von Betriebsräten erfordert. Sein Fazit: Die Zukunft liegt nicht in der Glaskugel – sondern im aktiven Gestalten des Umbruchs. (Bild: von Rundstedt)

Die deutsche Automobilzulieferindustrie steht unter enormem Druck: Elektromobilität, geopolitische Verwerfungen und der internationale Wettbewerb zwingen Unternehmen – besonders im Mittelstand – zu tiefgreifenden Veränderungen. Inmitten dieser Transformation geraten viele klassische Managementrezepte an ihre Grenzen. Im Interview mit Christian Heppe, Director und Partner beim Personalberatungsunternehmen von Rundstedt, sprechen wir über die Herausforderungen und Chancen, die dieser Strukturwandel mit sich bringt. Von der Rolle der Betriebsräte über strategische Personalplanung bis zur lernenden Organisation

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der deutschen Automobilzulieferer – insbesondere der mittelständischen Unternehmen – ein?

C. Heppe: Obwohl sich die gesamte Zulieferindustrie in einem grundlegenden Transformationsprozess befindet, ist eine pauschale Einschätzung nicht möglich. Sehr grob lassen sich die mittelständischen Zulieferer nach der Intensität der Transformation in drei Segmente einteilen.

  • Unternehmen, die im Bereich der Verbrennertechnologie tätig sind, stehen bereits heute vor massiven Herausforderungen.
  • Firmen, deren Produkte und Dienstleistungen auch für die Produktion von E-Autos (BEV und HEV) geeignet sind, wie z. B. Chassis, Karosserie, stehen kurzfristig nicht unter Druck, müssen sich aber auf neue Wettbewerber aus Asien einstellen.
  • Hersteller, die im Bereich Batterie und Software tätig sind, haben zwar mittelfristig Wachstumschancen, kämpfen aber aktuell mit dem verzögerten Hochlaufen der Elektromobilität. Mittelständische Zulieferer sind in diesem Segment jedoch bislang die Ausnahme.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen für die derzeitige wirtschaftliche Schieflage vieler Zulieferer?

Die Formulierung „derzeitige wirtschaftliche Schieflage“ erinnert an konjunkturelle Krisen. Die deutsche Zulieferindustrie befindet sich jedoch in einer langanhaltenden Umbruchphase, die durch unvorhersehbare geopolitische Faktoren – wie Trumps Zollpolitik, Spannungen USA-China und weitere – verschärft wird. Die traditionellen Restrukturierungsansätze, die sich in den konjunkturellen Krisen durchaus bewährt haben, funktionieren hier nicht mehr. Die Fokussierung auf klassisches Cost Cutting durch Personalabbau mag zwar kurzfristig die Lage entlasten, schafft aber mittelfristig neue Risiken. Wir bei von Rundstedt plädieren daher für eine nachhaltige Restrukturierung, die die Anforderungen der Transformation integriert. Dazu gehört auch die enge Kooperation zwischen betriebswirtschaftlich fokussierten Restrukturierungsberatern, Arbeitsrechtsexperten und Spezialisten für Workforce Transformation, um das Zuliefererunternehmen bestmöglich zu unterstützen. Auch dies ist ein Lernprozess für alle Beteiligten.

Über den Interviewpartner

Christian Heppe ist Director und Partner bei von Rundstedt. Seit zehn Jahren unterstützt er Unternehmen in der Planung und Umsetzung ihrer Personalumbau- und -abbauvorhaben. Der Diplom-Kaufmann und Diplom-Volkswirt verfügt über langjährige Erfahrung im HR Consulting für mittelständische Unternehmen und internationale Konzerne sowie Expertise im Talent- und Karrieremanagement.

Welche Rolle spielen asiatische Märkte – insbesondere China – bei der zunehmenden Wettbewerbsbelastung deutscher Zulieferer?

Von unseren Kunden in der Zulieferindustrie hören wir dazu unterschiedliche Stimmen. Die größten Probleme sind aktuell der Nachfragerückgang auf dem globalen Automobilmarkt und die hohen Kosten an den deutschen Produktionsstandorten. Der schmerzhafte Absatzrückgang bei Premium-Modellen der deutschen Automobilhersteller (OEM) auf dem chinesischen Absatzmarkt hat zweifellos auch negative Auswirkungen für die mittelständische Zuliefererindustrie. Der Abbau von Produktionskapazitäten wird sich daher in den nächsten Jahren noch verstärken.

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Welchen Einfluss haben Personalengpässe und demografische Entwicklungen bei der aktuellen Transformationsdynamik?

Da sich viele Zulieferer derzeit auf die Beherrschung der Kostenseite konzentrieren, ist das Risiko demographisch bedingter Personalengpässe etwas aus dem Blickfeld geraten. Daher ist es für jeden Zulieferer wichtig, sich mit der Strategischen Personalplanung zu beschäftigen, unabhängig davon, wie stark er aktuell unter Druck ist. Sie ist ein flexibles Instrument, um Transparenz zu schaffen, wo Über-/Unterdeckung in den erfolgskritischen Jobgruppen und neue Anforderungen entstehen werden. Dies ist die Grundlage, um begrenzte Ressourcen bestmöglich einzusetzen und Risiken zu minimieren. Die heutigen Projektkosten sind deutlich geringer als die unterschätzten Risiken, die in einigen Jahren die Existenz des Unternehmens gefährden können.

Zitat

„Die Fokussierung auf klassisches Cost Cutting durch Personalabbau mag zwar kurzfristig die Lage entlasten, schafft aber mittelfristig neue Risiken.“

Christian Heppe, Director und Partner bei von Rundstedt

Was bedeutet Workforce Transformation konkret für mittelständische Zulieferer – und warum ist sie gerade jetzt so entscheidend?

Workforce Transformation ist ein breites Handlungsfeld, dessen notwendige Maßnahmen individuell für den konkreten Zulieferer analysiert und umgesetzt werden müssen. Daher legen wir am Anfang der Zusammenarbeit großen Wert auf die Analyse und die Kommunikation, die als Erfolgsfaktor in den Unternehmen häufig unterschätzt wird.

Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen der konjunkturelle Abschwung häufig Personalabbau erforderte und die anschließende Aufschwungphase zum Personalaufbau genutzt wurde, ist heute ein nachhaltiger Restrukturierungsansatz gefragt. Die Workforce Transformation steht dabei im direkten Zusammenhang mit der Business Transformation. Konkret heißt das: Sollen vorhandene Produktionskapazitäten für potenzielle Absatzmärkte in anderen Branchen umgewidmet werden, sollte parallel analysiert werden, ob dafür das geeignete Personal intern gefunden werden kann oder ob hier extern in häufig angespannten Bewerbermärkten für bestimmte Facharbeiter-Profile rekrutiert werden muss. Gerade wer über einen Wechsel in die Rüstungsproduktion nachdenkt, muss sich ehrlich fragen, inwieweit die Mitarbeitenden diesen mentalen Change mitmachen werden. Hier gilt es rechtzeitig in geeignete Kommunikationsmaßnahmen zu investieren.

Workforce Transformation wird in den nächsten Jahren auch immer wieder bedeuten, die materiellen und emotionalen Folgen von Standortschließungen für die betroffenen Arbeitnehmer abzufedern. Da der berufliche Neustart immer häufiger in anderen Branchen erfolgen muss, sind hier praxisorientierte Qualifizierungskonzepte gefragt, die im Rahmen von Transfergesellschaften oder Outplacement-Projekten in enger Zusammenarbeit zwischen dem bisherigen Arbeitgeber, der regionalen Agentur für Arbeit, den Partnern für Transfergesellschaft und Outplacement sowie Weiterbildungsträgern konzipiert und umgesetzt werden.  

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„Gerade wer über einen Wechsel in die Rüstungsproduktion nachdenkt, muss sich ehrlich fragen, inwieweit die Mitarbeitenden diesen mentalen Change mitmachen werden.“

Christian Heppe, Director und Partner bei von Rundstedt

Welche kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen empfehlen Sie Unternehmen, um sich strategisch und personell zukunftsfähig aufzustellen?

Ergänzend zu den oben genannten Instrumenten Strategische Personalplanung, Kommunikation, Transfergesellschaft und Transformationseinheiten für interne Veränderungen empfehlen wir die schrittweise Einführung des Ansatzes der lernenden Arbeit als Kernbaustein der Unternehmenskultur einzuführen. Bisher sind die Phasen des Arbeitens und Lernens noch strikt voneinander getrennt, wobei immer die Wertschöpfung noch zu oft einseitig im Arbeitsprozess gesehen wird und die Lern-Zeiten vor allem als Kostenfaktor. Da die Zulieferindustrie von der Dynamik der Märkte und Technologien besonders betroffen ist, wird die statische Reaktionsweise der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr funktionieren. Entscheidungen müssen dezentralisiert werden, um schneller agieren zu können. Traditionelle Jobprofile werden sich auflösen und die skill-basierte Arbeitsorganisation wird sich allmählich herausbilden. Dies sind jedoch längerfristige Entwicklungen, die sich nicht in einem traditionellen Change-Projektrahmen abbilden lassen. Dazu muss sich die gesamte Unternehmensorganisation verändern.

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Wie sehen Sie die Rolle von Betriebsräten in der Transformation – als Hemmschuh oder als strategische Partner?

Betriebsräte und die in der Zulieferindustrie stark verankerte IG Metall sind zweifellos strategische Partner in der Transformation, deren Eigeninteressen als Stakeholder in erster Linie einmal verstanden werden müssen. Die radikale Transformation der Zulieferindustrie wird auch weiterhin zu schmerzhaften Arbeitsplatzverlusten führen, die für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen leider unverzichtbar sind. Hier gilt es in anspruchsvollen Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der IG Metall tragfähige Kompromisse zu finden, die den vom Personalabbau betroffenen Mitarbeitenden die Chance auf einen beruflichen Neustart ermöglichen.

Ebenso wichtig ist die Rolle des Betriebsrats und der ihn unterstützenden Gewerkschaft, die Beschäftigten für die Idee der lernenden Arbeit zu motivieren, die auch die persönliche Investition von Freizeit in die berufliche Weiterbildung einschließt. Das ist hierzulande kein populärer Gedanke, aber wenn wir aber im Wettbewerb mit Ländern wie China, Indien und Mittelosteuropa bestehen wollen, müssen wir hier weiterkommen.

Zitat

„Die radikale Transformation der Zulieferindustrie wird auch weiterhin zu schmerzhaften Arbeitsplatzverlusten führen, die für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen leider unverzichtbar sind.“

Christian Heppe, Director und Partner bei von Rundstedt

Was raten Sie Unternehmen, die aktuell über Standortverlagerungen nachdenken – aus wirtschaftlicher und personeller Sicht?

Wie bereits erwähnt, sollten bei Personalentscheidungen immer die mittelfristigen Auswirkungen berücksichtigt werden. Insbesondere bei Standortverlagerungen nach Mittelost- und Südosteuropa sollten die Ausbildungsqualität und die demografischen Risiken an den Zielstandorten bewertet werden. Wenn eine Standortverlagerung unumgänglich, sollte großer Wert auf die Kommunikation der Entscheidung gegenüber den Beschäftigten gelegt werden. Wertschätzung im Trennungsprozess bedeutet immer auch das notwendige Budget zur Verfügung zu stellen, um die vom Abbau betroffenen Mitarbeiter zeitnah in neue, gute Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.

Welche Potenziale sehen Sie in horizontalen Kooperationen mit branchenfremden Akteuren – beispielsweise aus Energie, Digitalisierung oder Bahntechnik?

Gerade für horizontale, d.h. branchenübergreifende Kooperationen ist die oben skizzierte Beratung durch Restrukturierungsberater, Arbeitsrechtler und Experten für Workforce Transformation. Das kostet zunächst Geld, ist aber für das Erreichen des Transformationsziels unabdingbar. Die Branchenlogik der Zulieferindustrie unterscheidet sich deutlich von der Arbeitsweise in den Branchen Energiewirtschaft, Digitalisierung oder Bahntechnik. Was auf der Powerpoint-Folie verlockend aussieht, muss in der Realität noch lange nicht „fliegen“.

Wie realistisch ist es Ihrer Meinung nach, dass sich die deutschen Automobilzulieferer in den nächsten Jahren wieder stabilisieren oder gar zu alter Stärke zurückfinden?

Die Zielbilder „Stabilisierung“ oder gar „alte Stärke“ sind kontraproduktiv, da sie die Herausforderungen der Transformation unterschätzen. Wir sehen bei vielen unserer Kunden in der Zulieferindustrie ein großes Engagement und mutige Schritte, die wir als mittelständisches Beratungsunternehmen bestmöglich unterstützen und begleiten. Es gilt für viele Unternehmen, die Zukunftsfähigkeit auch in neuen Netzwerken zu erobern.

Wenn Sie eine Glaskugel hätten – wo sehen Sie deutsche OEMs und Zulieferer im Jahr 2035?

Als meine Kinder noch klein waren, habe ich mit ihnen im Winter gerne die Schneekugel mit den Weihnachtslandschaften geschüttelt und den leisen rieselnden Schnee bewundert. Wir sollten wir uns aber gerade nicht nach der Glaskugel als Prognoseinstrument in der Automobilindustrie sehnen. Wir sollten uns auf die Chancen des Heute konzentrieren, um gemeinsam im (Über)Morgen etwas Neues zu schaffen. Dabei sollten wir uns aber auch bewusst sein, dass die Automobilindustrie im Jahr 2035 nicht mehr die deutsche Schlüsselindustrie sein wird, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen.

Der Autor: Dr. Martin Large

Martin Large
(Bild: Hüthig)

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.

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