Patrick Morgen (ADI) im Gespräch mit Alfred Vollmer (AUTOMOBIL-ELEKTRONIK)

Patrick Morgan (links, hier im Video-Interview mit AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Chefredakteur Alfred Vollmer): „Wir haben das Wireless-BMS als Neuentwicklung inklusive Software so weiterentwickelt, dass es für die Massenfertigung geeignet wurde. Deshalb zieht inzwischen jeder große OEM in Betracht, ein Wireless-BMS einzusetzen. Viele von ihnen wollen innerhalb dieses Jahrzehnts Systeme mit Wireless-BMS entwickeln.“ (Bild: Analog Devices)

Patrick Morgan, Sie sind Vice President Automotive bei Analog Devices; wie laufen die Automotive-Geschäfte bei ADI?

Patrick Morgan: Das Automotive-Geschäft bei Analog Devices läuft wirklich gut. Wir sind mit unseren Technologien und Lösungen in den wichtigen Bereichen führend, zum Beispiel bei der Elektrifizierung der Antriebsstränge für Elektro- und Hybridfahrzeuge, beim autonomen Fahren, in der Innenraum-Elektronik, aber auch bei der Sicherheit. Zu unserem Unternehmensumsatz von ungefähr 6 Milliarden US-Dollar trägt das Automotive-Business etwa 15 bis 20 Prozent bei. Die Automotive-Branche sehen wir als Schlüsseltreiber im Bereich Nachhaltigkeit, denn sie schwenkt zunehmend auf die Elektrifizierung aller Fahrzeugantriebe um. Zudem sind wir stolz darauf, dass wir eines der führenden Unternehmen im Bereich der Digitalisierung des Fahrzeuginnenraums mit personalisierten und immersiven Audiolösungen sind.

Wir konzentrieren uns im Bereich Automotive auf die drei Kernbereiche Elektrifizierung des Antriebsstrangs, Digitalisierung des Innenraums und Infotainment sowie automatisiertes Fahren – letzteres auch in puncto Navigation, Sensoren und Wahrnehmung. Jeder dieser Bereiche macht etwa ein Drittel aus. Das schnellste Wachstum verzeichnen wir im Bereich Elektromobilität.

 

Wie sieht die aktuelle Liefersituation aus?

Patrick Morgan: Wir haben momentan in der gesamten Halbleiterbranche schon eine ziemlich nervenaufreibende Zeit mit hoher Nachfrage und knappem Angebot. Wir haben, wie viele andere, substanzielle Investitionen getätigt, um für eine sichere und robuste Versorgungskette zu sorgen – besonders in den analog-zentrischen und DSP-zentrischen Prozessknoten.

Generell ist die Nachfrage im Bereich Pkw gestiegen. Zusätzlich schwenken die OEMs zunehmend in Richtung Elektroautos um, sodass wir hier jährlich eine 35 bis 40 Prozent höhere Nachfrage sehen. Um reibungslose Lieferungen einschließlich langfristiger Prognosen sicherstellen zu können, arbeiten alle in der Prozesskette zusammen.

 

Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen OEMs und Halbleiterherstellern in den letzten Jahren verändert, und wie geht ADI in diesem Bereich vor?

Patrick Morgan: Ich sehe hier Parallelen zu den Entwicklungen, die die Mobiltelefon-Branche in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Heutzutage ist Geschwindigkeit essenziell, und Plattformen sind im Aufwind. In vielerlei Hinsicht wird das Auto zum Datenzentrum auf Rädern, das mit der Cloud verbunden ist. Im Bereich User Experience sind die Designzyklen sehr schnell; bei Automotive ist alles viel langwieriger als beispielsweise bei den Mobiltelefonen; Aspekte wie Sicherheit und Langlebigkeit spielen eine entscheidende Rolle, während es selbst in der Prototypen-Phase keine Kompromisse bei der Qualität gibt.

Die Unternehmen, die bereit sind, ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen und die sich trauen, Dinge anders zu tun, führen den Markt an. Diese Unternehmen haben die beste verfügbare Technologie schon vor den anderen. Und sie gehen Partnerschaften ein, um diese Innovationen sehr schnell auf den Markt zu bringen. Innovation wird somit noch stärker wertgeschätzt als jemals zuvor – und Halbleiter sind ein essenzieller Treiber der Innovation. Deshalb sprechen wir als Halbleiterhersteller schon seit geraumer Zeit intensiv auch direkt mit den OEMs sowie mit unseren Tier-1-Partnern. Wir sind flexibel und sehr agil unterwegs, damit wir die Innovationen schnell auf den Markt bringen können.

Beim Infotainment gibt es beispielsweise einen sehr starken Tier-1-Kanal, der bereits rund um die Innenraum-Elektronik etabliert ist. Im Bereich der Elektrifizierung des Antriebsstrangs ist die Landschaft viel breiter aufgestellt. Es gibt deshalb keinen One-size-fits-all-Ansatz, aber wir arbeiten mit allen zusammen, um Innovationen mit einer möglichst kurzen Time-to-Market voranzubringen und Lösungen zu schaffen, die anpassungsfähig sind und sogar neuen Architekturen in ihrer Entwicklung voraus sind.

Patrick Morgan, Analog Devices
Patrick Morgan: "Bis 2025 dürfte der Anteil der neu zugelassenen Level-3-Fahrzeuge irgendwo zwischen 10 und 30 Prozent liegen." (Bild: Analog Devices)

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Automotive-Halbleiterbranche?

Patrick Morgan: Ich sehe neben der besprochenen Liefersituation auch einige andere Trends. Die Menschen verbringen mehr Zeit zuhause und mehr Zeit im Privatfahrzeug, aber weniger Zeit im ÖPNV. Das erzeugt eine erhöhte Nachfrage nach individuellen Lösungen – und in der momentanen Situation offensichtlich auch nach Elektroautos. Zweifellos wird sich die Situation weiterentwickeln, einige Aspekte dieser Trends werden jedoch auf absehbare Zeit bestehen bleiben.

 

Welche Bedeutung hat die Elektromobilität für Analog Devices?

Patrick Morgan: Derzeit kommen immer mehr rein elektrische Fahrzeuge exakt auf den Sweet-Spot des Automobilmarkts, den SUV-Bereich, während die Anzahl der Hybride in diesem Segment zurückgeht. Auch die Preise sind sehr attraktiv geworden. Das bedeutet, dass Elektrofahrzeuge nicht mehr nur in den extrem kostengünstigen oder teuren Preissegmenten des Marktes zu finden sind. Noch vor drei oder vier Jahren waren HEVs der Wachstumsbereich, aber jetzt geht der Trend viel stärker zum reinen E-Fahrzeug, das auch in puncto Umweltschutz den höchsten Vorteil bietet.

 

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie im Rahmen der Elektrifizierung des Antriebsstrangs?

Patrick Morgan: Das ist eine wirklich gute Frage, denn der vollständige Übergang bei vielen Fahrzeugmodellen zum reinelektrischen Antrieb ist eine der größten Herausforderungen – wenn nicht die größte Herausforderung – der OEMs überhaupt. Sie müssen sich darüber Gedanken machen, wie sie ihre Flotten skalieren können. Einige OEMs sagen ja bereits, dass 2030 ihre gesamte Modellpalette elektrifiziert sein wird. Andere verkünden, dass sie keine weiteren Verbrennungsmotoren mehr entwickeln. Das ist wirklich bemerkenswert.

Das wichtigste in diesem Bereich ist die Skalierbarkeit und natürlich die Kosten. Auf Fahrzeugebene sehen wir, dass die OEMs vollelektrische Fahrzeuge zu wettbewerbsfähigen Preisen auf den Markt bringen. Batterien kosten jetzt weniger als 100 Dollar pro Kilowattstunde. Die Lieferkette der Batterie ist ein weiterer wichtiger Aspekt, denn es geht um ein Bauteil, das in etwa zwischen 6000 und 10.000 US-Dollar kostet und 30 Prozent des Fahrzeugpreises ausmachen kann. Deshalb sind Batteriehersteller, Batterie-Chemien und Batteriematerialien mittlerweile Gesprächsthemen in den Topetagen der OEMs. Das ist eine superdynamische Branche. Hier gibt es viele Innovationen.

Die Branche sollte sich vom Kobalt lösen und einen Schritt weitergehen, denn die ethischen Aspekte rund um die Kobaltgewinnung wiegen einfach zu stark. Deshalb wollen bereits jetzt mehr als nur ein paar OEMs kobaltfreie Batterien haben. Konfliktfreie Rohmaterialien werden zu einem immer wichtigeren Thema.

Patrick Morgan, Analog Devices
Patrick Morgan: "Konfliktfreie Rohmaterialien werden zu einem immer wichtigeren Thema." (Bild: Analog Devices)

Was gilt es rund um das BMS, das Batterie-Management-System, zu beachten?

Patrick Morgan: Das BMS ist ein äußert interessantes System. Mit der Akquisition von Linear Technology im Jahr 2016/2017 kam sehr viel Know-how rund um das BMS zu Analog Devices, was zurückgeht auf die erste serienmäßige Produktion von BMS-Chips im Jahr 2009. Seitdem haben wir diese Technologie so skaliert, dass sie all die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen OEMs und Batterie-Chemien sowie der unterschiedlichen Level in puncto Genauigkeit und Diagnostik erfüllt.

Die Genauigkeit ist faszinierend, denn je genauer man die Zellenspannung messen kann, umso genauer lässt sich die Reichweite ermitteln. Letztere hängt aber auch von der Chemie, der Temperatur und vielen weiteren Faktoren ab. Wir haben daraufhin das weltweit genaueste Batteriemanagement-System entwickelt. So haben wir uns innerhalb der letzten 12 Jahre unsere Reputation bei BMS aufgebaut. Aber Genauigkeit ist nicht alles. Es kommen noch viel mehr Aspekte und dadurch Technologien hinzu, beispielsweise das Thema drahtlose Kommunikation.

Warum benötigen wir ein drahtloses Batterie-Management-System, also ein Wireless-BMS?

Patrick Morgan: Die OEMs müssen skalieren, und da bietet die Wireless-Funktionalität mehrere interessante Aspekte. So kommunizieren die Batteriezellen und Batteriemodule innerhalb der Batterie über einen Kabelbaum; der entfällt bei einem Wireless-BMS.

Noch interessanter ist die Batterie-Architektur und wie solche Architekturen entwickelt werden. Nutzt man die Wireless-Technologie, dann lässt sich die Batterie in Module aufteilen, die dann alle drahtlos miteinander kommunizieren. So können die OEMs den Batterien eine andere Form geben und sie auf Basis der Module skalieren.

Die Wireless-Technologie lässt sich schon nutzen, bevor sie im Fahrzeug zum Einsatz kommt, beispielsweise während der Batteriemontage oder beim Datensammeln. Was passiert mit den Batteriezellen, bevor sie in einem Modul verbaut werden? Sie lagern eine gewisse Zeit in einem Regal, werden transportiert und sind Be- und Entladezyklen ausgesetzt. Dabei stellt sich die Frage nach dem SOH, quasi dem Gesundheitszustand der Batteriezellen sowie des Moduls: Hält es 20 Jahre, 30 Jahre oder gar nur zwei oder drei Jahre? Diese Information ist natürlich wichtig. Bei drahtloser Übermittlung dieser Daten sind die Informationen leichter zugänglich und nachvollziehbar, sind einfacher auszuwerten, und Entscheidungen können einfacher getroffen werden. Und wenn wir über ein Second-Life-Szenario der Batterien nach der Nutzung im Fahrzeug nachdenken, hilft uns die drahtlose Kommunikation auch erheblich.

Ich muss betonen, dass das kein Science-Fiction ist. Vor drei Jahren haben wir unser Wireless-BMS das erste Mal demonstriert. Solch‘ eine Demo ist relativ einfach zu realisieren. Aber wir haben das Wireless-BMS als Neuentwicklung inklusive Software so weiterentwickelt, dass es für die Massenfertigung geeignet wurde. Deshalb zieht inzwischen jeder große OEM in Betracht, ein Wireless-BMS einzusetzen. Viele von ihnen wollen innerhalb dieses Jahrzehnts Systeme mit Wireless-BMS entwickeln. General Motors hat als erster OEM auf unsere Wireless-BMS-Technologie gesetzt, und es kommen weitere hinzu.

Patrick Morgan, Analog Devices bei AUTOMOBIL-ELEKTRONIK auf All-Electronics.de
Patrick Morgan: "Nutzt man die Wireless-Technologie, dann lässt sich die Batterie in Module aufteilen, die dann alle drahtlos miteinander kommunizieren. So können die OEMs den Batterien eine andere Form geben und sie auf Basis der Module skalieren." (Bild: Analog Devices)

Was sind die wesentlichen Herausforderungen im Bereich ADAS und AD?

Patrick Morgan: Die Branche konzentriert sich oft auf die Technologie von ADAS und autonomem Fahren. Ich denke, dass letzten Endes die Use-Cases das Wachstum in diesem Segment bestimmen. Im Bereich Industrial und Lieferfahrzeuge sehen wir ein weitgefächertes Potenzial zur Akzeptanz und Annahme.

Im Bereich ADAS-Sensorik ist eine sehr hohe Präzision, also extreme Genauigkeit durch die gesamte Signalkette hindurch, gefragt. Ab Level 3 ist zum Beispiel auch eine hochgenaue IMU (Inertial Measurement Unit, Trägheits-Sensor, die Redaktion) erforderlich, um die Navigation durch Tunnels sowie in anderen Situationen zu ermöglichen, in denen das Fahrzeug auf sich selbst gestellt ist. Darüber hinaus ist der Stromverbrauch des Fahrzeugs für das autonome Fahren aufgrund des begrenzten Platzes und der geringen Größe der Sensoren eine Herausforderung, sodass die OEMs nach fortschrittlichen Technologien für Power-Management-Lösungen suchen.

Die Bereiche ADAS und Autonomie rücken derzeit mehr in Richtung einer realistischeren Perspektive. Meiner Meinung nach gab es einen etwas zu starken Hype in puncto vollautonomes Fahren. Jetzt ist es in der Branche klar, dass es noch etwas dauern wird, bis wir bei den Pkws so weit sind. Schon Level 3 ist nämlich eine ziemlich schwierige Anwendung. Allein schon die Handover-Prozedur ist sehr komplex, wenn die Verantwortung vom Fahrer auf das Fahrzeug und wieder zurückwechselt. Deshalb sehen wir Level 2+ als einen sehr wichtigen Zwischenschritt.

 

Was sagen Ihre Kunden, wann werden wir Level-3-Fahrzeuge kaufen können?

Patrick Morgan: Sie sagen Unterschiedliches. Einige wollen gleich zu Level 4 wechseln, andere setzen klar auf Level 3 als nächsten Schritt, aber ich höre auch viel über Level 2+ als eine Art Annäherung auf dem Weg zu Level 3. Alle geben unterschiedliche Antworten, aber wir sind flexibel und bieten die entsprechenden Lösungen. Bis 2025 dürfte der Anteil der neu zugelassenen Level-3-Fahrzeuge irgendwo zwischen 10 und 30 Prozent liegen, aber diese Zahl birgt Risiken. Bei Level 4 wird es noch weitere vier bis fünf Jahre dauern bis es entsprechende Zahlen gibt.

Patrick Morgan, Analog Devices bei AUTOMOBIL-ELEKTRONIK auf All-Electronics.de
Patrick Morgan: "Innovation wird noch stärker wertgeschätzt als jemals zuvor – und Halbleiter sind ein essenzieller Treiber der Innovation." (Bild: Analog Devices)

Die Radarsensorik ist eine der Basistechnologien für das automatisierte Fahren. Was tut sich in diesem Bereich?

Patrick Morgan: Die Anzahl der Radar-Anwendungen im Fahrzeug wächst signifikant. Im Bereich des Frontradars bietet das Imaging Radar viele Möglichkeiten, um beispielsweise Fußgänger und verdeckte Objekte zu erkennen. Das ist eine sehr komplexe Anwendung. Gerade weil sich immer mehr Radarsensoren rund um das Fahrzeug befinden, kommt es zu neuen Herausforderungen, für die derzeit sehr viel neue IP entwickelt wird. Je besser die Winkelauflösung, desto weiter kann das Radar nach vorn schauen; mittlerweile sind wir im Bereich 0,1 Grad. Wir arbeiten derzeit zusammen mit Partnern an einem Projekt, das eine ultrahohe Auflösung erzielt; wir nennen es Super-Radar.

 

Was sind die größten Herausforderungen der OEMs und Tier-1s im Bereich Automotive Audio und Geräuschunterdrückung?

Patrick Morgan: Während früher ein guter Stereo-Klang ausreichte, sorgen heute bis zu 28 Lautsprecher für den passenden Sound im Auto. Das ist dann wirklich Immersive Sound, also ein besonders beeindruckendes Rundum-Klangerlebnis wie wir es bisher nur vom Heimkino kannten. Zur Umsetzung dieses Klangerlebnis‘ ist neben den vielen Lautsprechern auch eine anspruchsvolle Verarbeitung der High-End-Audiodaten notwendig.

Dafür ist zum einen entsprechend leistungsfähige Hardware notwendig, zum anderen das passende Ökosystem mit adäquaten System-Tools und Algorithmen. Nur mit dem passenden Gesamtsystem lassen sich erprobte Systeme schnell und skalierbar auf den Markt bringen. Der Chip selbst, der mit einer besonders geringen Verzögerungszeit arbeitet, ist selbstverständlich notwendig, aber alleine nicht ausreichend. Wenn dann noch die Straßengeräusche per Rauschunterdrückung gedämpft werden sollen, dann geht das nur über einen entsprechenden Systemansatz wie Analog Devices ihn anbietet.

Außerdem werden die Architekturen zonal. Mit unserer A2B-Technologie sind alle Elemente ähnlich wie beim Ethernet über einen Bus verbunden, sodass sich bis zu 100 m Kabel beziehungsweise 50 kg Masse einsparen lassen. Wir haben A2B speziell für skalierbare leichtgewichtige High-End-Audiosysteme entwickelt, die mit niedrigen Verlusten und deterministischer Verarbeitung arbeiten. Schon heute rüsten über 30 OEMs Fahrzeuge mit A2B-Technologie aus.

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