Laden eines E-Fahrzeugs an der Ladesäule

(Bild: Petair @ AdobeStock)

Es ist manchmal kurios mit den Innovationen: Da setzt man sich jahrelang für eine Idee ein und (fast) niemanden interessiert es. Dann kommen andere auf die gleiche Idee, vermarkten das Ganze geschickt und treffen den Nerv der Zeit. Und plötzlich wollen alle mit dabei sein. So oder ähnlich empfinde ich gerade den Hype um das Rückspeisen elektrischer Energie aus der Fahrzeugbatterie, kurz bidirektionales Laden (bidi) genannt.

Katastrophen Szenario startet bidi-Trend

Waren es vor wenigen Jahren vorwiegend die Kolleginnen und Kollegen aus Japan, die im Angesicht von Naturkatastrophen ihre Elektrofahrzeuge als mobile Ersatzstromversorgungen anpriesen, nimmt das Thema nun auch in Europa rasant Fahrt auf. Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass wir uns in unserer ach so heilen Stromwelt mit der Gefahr großflächiger Blackout-Szenarien auseinandersetzen? Auch wenn dieses Szenario ziemlich ausgeschlossen ist.

Nun ist das Thema bidirektionales Laden an Irrungen und Wirrungen nicht arm: Die Liste der Abkürzungen (V2L, V2H, V2G, V2V etc.) wächst stetig an, und häufig ist gar nicht klar, was genau damit gemeint ist. Ungesundes Halbwissen ist der Nährstoff für so manche Studie und verheißungsvolle Zukunftsvision. Netzanschlussrichtlinien und Fragen zur elektrischen Sicherheit erscheinen da eher als lästiges Beiwerk. Bei näherer Betrachtung stellt man dann überrascht fest, dass die Netzwelt und Elektrotechnik nicht nur aus Bits und Bytes besteht.

Was ist bidirektionales Laden?

Bidirektionales Laden ist ein Konzept in der Elektromobilität, bei dem ein Elektrofahrzeug nicht nur Energie aus dem Stromnetz beziehen, sondern auch Energie in das Netz zurückspeisen kann. Bidirektionales Laden ermöglicht es, das Elektrofahrzeug als eine Art Energiespeicher zu nutzen, der bei Bedarf Energie ins Netz zurückspeisen kann. Dies ist besonders in Situationen nützlich, in denen das Stromnetz überlastet ist oder erneuerbare Energien nicht konstant zur Verfügung stehen.

Bidirektionales Laden erfordert spezielle Ladesysteme, die in der Lage sind, Energie sowohl in das Elektrofahrzeug als auch aus dem Fahrzeug in das Netz zurückzuspeisen. Solche Systeme werden derzeit entwickelt und getestet, um das volle Potenzial der Elektromobilität auszuschöpfen und die Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz zu erleichtern.

Schwerpunktthema: E-Mobility

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(Bild: Adobe Stock, Hüthig)

In diesem Themenschwerpunkt „E-Mobility“ dreht sich alles um die Technologien in Elektrofahrzeugen, Hybriden und Ladesäulen: Von Halbleitern über Leistungselektronik bis E-Achse, von Batterie über Sicherheit bis Materialien und Leichtbau sowie Test und Infrastruktur. Hier erfahren Sie mehr.

Wenn das E-Auto zur Batterie wird

Bis vor kurzem war allein schon die Aussicht, mittels Kettensäge und Steckdose im Auto einen Beitrag zur Durchforstung des heimischen Waldes leisten zu können, Anlass für gesteigertes Kundeninteresse. Bei diesem an sich sehr überschaubaren Use-Case (V2D) hören die Überlegungen aber keinesfalls auf: Die fragwürdige Aussicht darauf, den zuvor erkauften Ladestrom anschließend zu noch höheren Preisen dem Strommarkt anbieten zu können, ließ bei manchem Entrepreneur Goldgräberstimmung aufkommen. Kühne Zeitgenossen erwägen gar, ihr in die Jahre gekommenes EV abzumelden und zukünftig als stationären Speicher zur netzdienlichen Aufbesserung ihrer Rentenbezüge einzusetzen. Leider stellt sich dieser Business-Case, zumindest für die Fahrzeugbesitzer, bei Tageslicht betrachtet als eher überschaubar dar.

Nun kommt die Energiewende ins Spiel: Was, wenn die eigene, idealerweise mit Photovoltaikanlagen erzeugte Energie in den eigenen Speicher wandert und dort bei Bedarf wieder entnommen werden kann? Dieser Use-Case entlastet die Umwelt und die Stromrechnung. Da liegt es nahe, den stationären Heimspeicher um die nicht unerhebliche Kapazität der Fahrzeugbatterie zu erweitern. Und wenn, was wir uns alle nicht vorstellen können, es tatsächlich mal zu einem längeren, flächendeckenden Blackout käme, könnte eine einzelne Fahrzeugbatterie ein Einfamilienhaus für mehrere Tage autark mit Strom versorgen.

Zitat

Der On-Board-Charger kommt als kostengünstiger Wechselrichter ins Spiel und führt uns zugleich zurück in die Zeiten von Edison und Westinghouse: Was ist die bessere Wahl – die AC- oder die DC-Schnittstelle?

Nun hat aber längst nicht jeder Kunde ein DC-Netz im Haus, bei dem sich die Erweiterung um eine bidi-fähige Ladeschnittstelle vergleichsweise einfach gestaltet. Haushaltsgeräte verlangen in der Regel (noch) nach Wechselstrom. Dies bringt den On-Board Charger (OBC) als kostengünstigen Wechselrichter ins Spiel und führt uns zugleich zurück in die Zeiten von Edison und Westinghouse: Ist die AC- oder die DC-Schnittstelle die bessere Wahl? Die Gegenüberstellung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, so bleibt die Antwort einstweilen dem Markt überlassen.

Eines sollten wir bei der Diskussion bedenken: Die aktuelle Entwicklung rund um eine rückspeisefähige Ladeschnittstelle bietet die historische Gelegenheit, dem in Teilen der Gesellschaft zunehmend verschmähten Automobil eine positive Rolle bei der Bewältigung der Umweltprobleme zu geben. Die Frage, ob AC oder DC, ist dabei sekundär.

Michael Zeyen, ZVEI
(Bild: ZVEI)

Autor

Michael Zeyen ist geschäftsführender Gesellschafter der Vancom GmbH und Co. KG, Vorsitzender der ZVEI-Landestelle Rheinlandpfalz und Saarland, Mitglied des ZVEI-Vorstands, des ZVEI-Steuerkreises Elektromobilität sowie des DKE/K 353 Elektrostraßenfahrzeuge.

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