Während Navigationssysteme früher mit einem Karten-Update im Jahr auskamen, nutzen sie heute laufend Daten aus verschiedensten Quellen innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs, um Fahrer und Passagiere ebenso wie gewerbliche Transporte sicher an ihr Ziel zu bringen. Dabei spielen sie besonders auch für die E-Mobilität eine wichtige Rolle, denn anders als bei Verbrennern hängt eine erfolgreiche Navigation und sichere Zielerreichung bei Elektrofahrzeugen stark von einem guten Zusammenspiel zwischen Batteriemanagement, E-Motor und der Reichweite bis zur nächsten Ladestation ab.
Elektrofahrzeuge haben einen anderen Ladebedarf als Autos mit Verbrennungsmotoren: Sie müssen nicht nur öfter geladen werden, sondern es dauert auch länger als der klassische Tankvorgang. Gleichzeitig fehlt es an flächendeckender Ladeinfrastruktur, sodass gerade Langstreckenfahrten rund um verfügbare Ladestationen geplant werden müssen. Sowohl private Fahrer als auch Flottenmanager müssen das bei ihrer Routen- und Tourenplanung berücksichtigen.
Die Berechnung effizienter Routen und möglicher Reichweite für E-Fahrzeuge ist außerdem deutlich komplexer als für Verbrenner, denn ihr Verbrauch – und damit ihre Reichweite – wird stärker von individuellen Fahrzeugeigenschaften und äußeren Bedingungen wie Wetter, geografischen Verhältnissen auf der geplanten Route und dem aktuellen Verkehr beeinflusst. So ist für eine präzise Reichweitenvorhersage für eine E-Auto-Fahrt beispielsweise nicht nur die Information über die Kapazität der Batterie vonnöten, sondern auch Daten über verschiedene Dynamiken innerhalb des Fahrzeugs und auf der Straße – aktuelle Motordaten zum Beispiel oder Informationen zur Steigung auf der geplanten Route. Auch modellspezifische Leistungsmerkmale von Elektrofahrzeugen sind für eine genaue und sichere Routen- und Reichweitenplanung wichtig.
Das Navi als Optimizer für E-Mobilität
Entsprechend spezialisierte und leistungsfähige Navigationssysteme meistern schon heute folgendes Szenario, gehören aber (noch) nicht zum Standard eines jeden E-Autos: Um die beste Route zu einem Ziel zu berechnen, bezieht das Navi die aktuelle Reichweite eines Fahrzeugs auf Basis des Batterie-Status ein. Wenn die Fahrt ein Aufladen erfordert, plant es automatisch die nächstgelegenen und schnellsten Ladestationen auf der Strecke mit ein und gibt dem Fahrer eine geschätzte Ankunftszeit (ETA) und eine geschätzte Ladezeit (ECT) ein. Mögliche Umwege des Fahrers werden vom Routenplaner mithilfe topologischer Daten angepasst. Sobald sich der Fahrer dann der geplanten Ladestation nähert, beginnt die Autobatterie automatisch zu heizen, um die Ladequalität zu verbessern und die Ladezeit zu verkürzen. Und im Idealfall lässt sich der geplante Ladeplatz direkt vom Auto aus reservieren, sodass Wartezeiten reduziert oder sogar ganz vermieden werden können.
Damit Navigationssysteme Elektrofahrzeuge auf diese Weise voranbringen können, benötigen sie eine Vielzahl von Daten aus unterschiedlichen Quellen. Sie brauchen eine nahtlose Integration in das digitale Ökosystem des Fahrzeugs, damit sie gut mit anderen Komponenten innerhalb und außerhalb des Fahrzeug kommunizieren und relevante Daten austauschen können.
Schwerpunktthema: E-Mobility
In diesem Themenschwerpunkt „E-Mobility“ dreht sich alles um die Technologien in Elektrofahrzeugen, Hybriden und Ladesäulen: Von Halbleitern über Leistungselektronik bis E-Achse, von Batterie über Sicherheit bis Materialien und Leichtbau sowie Test und Infrastruktur. Hier erfahren Sie mehr.
Standardisierte Kartendaten aus der Cloud
Insgesamt gehört eine Reihe verschiedener Komponenten mit folgende Aufgaben zu einem Navigationssystem:
- die Datenzugriffsschicht, mit der die Kartendaten gelesen werden,
- die Rendering Engine, die für die visuelle Darstellung sorgt,
- das Routenplanungssystem, das mögliche Strecken mit der verfügbaren Reichweite sucht,
- das System für die Anleitung per Stimme und zusätzlichen Informationen,
- die Verkehrskomponente, die die Route sowie Ankunftszeit berechnet und Online-Informationen – zum Beispiel zur aktuellen Verkehrssituation – integriert,
- und natürlich die GPS-basierte Lokalisierung, die beispielsweise durch Kameras oder Reifensensoren ergänzt werden könnte für den Fall, dass keine Netzwerk-Konnektivität nach außen besteht.
Allerdings: Was früher fast der Inbegriff des Navigationssystems war, die Straßenkarten, wird heute zum größten Teil nicht mehr im Fahrzeug selbst gespeichert, sondern von spezialisierten Dienstleistern aus der Cloud zum Download angeboten. Dies liegt daran, dass moderne Karten viel mehr Informationen (wie 3D-Daten für Steigungen am Berg etc.) enthalten und eine deutlich höhere Auflösung bieten, als dies früher der Fall war. Statt solch große Datenmengen beliebiger Regionen „auf Vorrat“ auf einem Datenträger im Auto zu speichern, werden sie – ähnlich wie beim Streamen von Videos aus dem Web – für genau den benötigten Ausschnitt und erst dann effizient aus der Cloud heruntergeladen und zeitweise lokal gespeichert, wenn sie gebraucht werden. Auch die Routenberechnung erfolgt üblicherweise nicht im Auto, sondern in der Cloud, weil hier die benötigten Rechenkapazitäten viel leichter zur Verfügung gestellt werden können.
Damit Kartendaten länder- und anbieterübergreifend in verschiedenen automobilen Projekten weltweit genutzt werden können, haben sich in der Navigation Data Standard Association (NDS) Automobilhersteller, Karten- und Dienstanbieter sowie Anwendungsentwickler zusammengetan und einen gemeinsamen Standard entwickelt. Der NDS bietet eine klar definierte Spezifikation für die Speicherung von Kartendaten, die das Datenmodell, das Speicherformat, die Schnittstellen sowie die Protokolle umfasst. NDS-Karten funktionieren weltweit und werden global eingesetzt. Zu den NDS-Mitgliedern und der Kartenabdeckung gehören Nordamerika, EMEA und APAC einschließlich China, Südkorea und Japan.
Gut integriert ins digitale Ökosystem des Fahrzeugs
Aktuelle Navigationssysteme sind aber nicht nur nach außen gut vernetzt, sondern vor allem auch tief in die innere IT-Infrastruktur des Fahrzeugs integriert. Diese Infrastruktur reicht von der Hardware eines Autos über die E/E-Architektur, eine Middleware-Schicht bis hin zum automobilen Betriebssystem und den Anwendungen, die der Nutzer über ein digitales Cockpit bedienen kann. Zur Hardware im Auto gehören E-Komponenten wie der Elektromotor und die Batterie ebenso wie Systeme für ADAS-Funktionalität, also zum Beispiel Kameras, Geschwindigkeitsregler oder eine Vielzahl von Aktuatoren und Sensoren, die Informationen über die Umgebung und innere Messwerte des Fahrzeugs weitergeben. Hier sind leistungsfähige Fahrzeugrechner im Einsatz, die über zonenspezifische Steuergeräte, die ECUs (Electronic Control Units) mit eingebetteten Steuergeräten, Aktuatoren und Sensoren verbunden sind. Sie werden über domänenübergreifende, zentralisierte E/E-Architektur zusammengeführt (siehe Bild 1).
Petras Ladegeschichten: Warum eine E-Mobilistin keine Reichweitenangst hat
Wie lässt sich ein E-Auto 40.000 km im Jahr fahren, ohne Wallbox zuhause? Warum sollte man sich beim Aufladen nicht nur auf Apps verlassen? In diesem Blog bekommen Sie die Antwort und weitere Geschichten rund ums Laden.
Die Middleware ist eine Zwischenschicht, die – einfach gesagt – die Ebene der Fahrzeughardware mit der Ebene der Daten und Anwendungen verbindet. Viele Middleware-Lösungen umfassen Standardkomponenten für die Benutzeroberfläche, Anwendungsbibliotheken und APIs (Application Programming Interfaces), die das Zusammenspiel der Systeme ermöglichen, Lösungen von Partnern integrierbar machen und so das digitale Ökosystem entstehen lassen. Zu den bekanntesten Middleware-Lösungen gehören Rightware Kanzi One, Telenav Vivid, DiSTI GL Studio und TomTom IndiGO.
Neben der oben geschilderten Cloud-Connectivity ist in komplexen E/E-Architekturen auch eine drahtgebundene Konnektivität innerhalb des Fahrzeugs zentral. Fahrzeugintern sorgen beispielsweise Ethernet-Verbindungen für Highspeed-Daten oder der CAN-Bus (Controller Area Network) für eine verlässliche drahtgebundene Konnektivität zwischen verschiedenen Subsystemen (Bild 2). Auch Elektromotor und Batterie geben über diese Netzwerke relevante Informationen an das Navigationssystem. Abhängig davon, ob es sich dabei um sicherheitsrelevante oder nicht-sicherheitsrelevante Prozesse handelt, werden dazu unterschiedliche Teile der digitalen Infrastruktur genutzt.
Leistungsfähige Navigation für (teil)autonomes Fahren
Aktuellen Navigationssystemen kommt gerade im Zusammenspiel mit ADAS-Funktionalität und mit Blick auf die Zukunft des autonomen Fahrens eine hohe Bedeutung zu. Sie sammeln nicht nur relevante Daten aus den Fahrzeuginneren, um dem Fahrer die besten Routen und Handlungsoptionen anzuzeigen, sondern sie nutzen diese Informationen auch, um bestimmte Fahrfunktionen zu steuern – zum Beispiel, wenn es um die Einhaltung eines Tempolimits geht.
Ein Szenario: Die Information über ein Tempolimit auf der aktuellen Fahrtroute ist zunächst Teil der klassischen Kartendaten und kann über ein ADAS-Kamerasystem mit echten Bildern bestätigt und/oder ergänzt werden. Um die Fahrzeuggeschwindigkeit dann (teil)autonom anzupassen, kommunizieren die Steuersysteme u. a. mit dem Controller des Elektromotors. Gleiches gilt, wenn über ADAS-Kameras oder Lidar-Sensoren neue Informationen über die Umgebungssituation auf der Straße „erkannt“ werden. Hier muss das Gesamtsystem schnell reagieren und die Kommunikation zwischen allen Subsystemen innerhalb von Millisekunden in beide Richtungen funktionieren. Gerade bei aktueller ADAS-Funktionalität und mit (teil)autonomen Systemen im echten Verkehr ist das Navigationssystem also hochgradig gefordert. Und: Unter dem Stichwort „Near Field Communication“ kommt perspektivisch für das autonome Fahren auch der Austausch mit den Systemen anderer Verkehrsteilnehmer oder der Verkehrsinfrastruktur wie Ampeln hinzu.
Virtualisierung für sicherheitskritische Prozesse
Um solche sicherheitskritischen Prozesse von nicht-sicherheitskritischen Prozessen wie beispielsweise Infotainment zu trennen und das IT-Ökosystem dennoch kompakt zu halten, wird Virtualisierung genutzt. Virtualisierung ist ein gängiger Ansatz, um Ressourcen zu isolieren: Statt also beispielsweise zwei verschiedene Hardware-Komponenten für zwei verschiedene Aufgaben zu nutzen werden auf einer Hardware-Komponente per Software zwei unterschiedliche Einheiten definiert und gesteuert – es entstehen so zwei „virtuelle Maschinen“, die software-basiert gemanagt werden können. Die Virtualisierung auf Hardware-Ebene ist eine Schlüsseltechnologie, um mehrere Betriebssysteme auf eingebetteten Hardwareressourcen zu betreiben. In aktuellen und vor allem in (teil-) autonomen Fahrzeugen ist diese Fähigkeit entscheidend, um beispielsweise Infotainment und Sicherheitsfunktionen voneinander zu trennen Bild 3).
Die isolierte Ausführung dieser verschiedenen Umgebungen auf einem einzigen Hardwaresystem stellt sicher, dass Fehlfunktionen und Hacks innerhalb einer Umgebung keine Auswirkungen auf andere haben. Technisch kann diese Virtualisierung durch Hypervisoren erreicht werden. Wie alle Betriebssysteme muss auch der eingesetzte Hypervisor funktionale Sicherheit gemäß ISO 26262 gewährleisten und Sicherheitszertifizierungen erhalten.
Auch das E-Flottenmanagement profitiert
Ein leistungsfähiges Navigationssystem optimiert nicht nur das Zusammenspiel von Batterie, E-Motor, Ladezeiten und verlässlicher Tourenplanung und sorgt für sichere ADAS-Funktionalität, die Vielzahl der erhobenen Fahrzeugdaten sind besonders auch für Anbieter von Mobility-as-a-Service und Flottenmanager in Logistik und Industrie attraktiv: Elektrofahrzeuge haben nämlich niedrigere Betriebs- und Wartungskosten als Verbrenner – das macht sie zu einer attraktiven Option für Automobil-Abos, Carsharing-Flotten oder andere Mobility-as-a-Service-Nutzung. Rund 45 Prozent der europäischen Carsharing-Anbieter betreiben bereits elektrische Flotten, Tendenz weiter steigend. Gleichzeitig gewinnt die E-Mobilität auch im Transportsektor immer mehr an Bedeutung.
Obwohl Elektrofahrzeuge weniger Wartung benötigen, sind sie nicht völlig wartungsfrei. Dank der verfügbaren Fahrzeugdaten lassen sich relevante „Gesundheitsparameter“ wie der Batterieverbrauch systematisch überwachen und vorausschauende Instandhaltung für die eigene Fahrzeugflotte realisieren. Flottenmanager können auf dieser Basis beispielsweise eine optimale Ladestrategie für ihre E-Flotte entwerfen, Ersatzteile rechtzeitig beschaffen und E-Service-Spezialisten für Inspektionen reservieren. Zur Optimierung dieser Prozesse werden Navigationssysteme und klassische Flottenmanagementsysteme in Zukunft immer mehr zusammenwachsen und tiefgreifender integriert sein. Software-Komponenten für die Analyse der Batterielebensdauer, zur Überwachung und Optimierung der Ladetätigkeit und das Fahrzeug-Tracking werden künftig die Instandhaltung und Leistungsoptimierung von E-Fahrzeugflotten erleichtern.
Navigationssysteme und Kartendaten können heute also weit mehr, als nur durch unbekanntes Terrain zu führen. Sie sind zu einem wichtigen Bestandteil von Sicherheitssystemen geworden, die E-Mobilität optimieren, für leistungsfähige ADAS-Funktionalität sorgen und in Zukunft autonomes Fahren ermöglichen werden. (neu)
Autor
Viacheslav Slieptsov ist Delivery Director, Head of Maps&Cloud bei Intellias.