Was sind die Herausforderungen und Chancen in der aktuellen Vertriebsmarktlandschaft?
Jürgen Ruben: Während bestimmte Schwierigkeiten in der Lieferkette überwunden wurden, sind wir uns nur allzu bewusst, dass einige Herausforderungen noch weiter bestehen. Dies sind meist die Nebenerscheinungen von anhaltenden globalen Konflikten und einzelnen Naturkatastrophen, die zu einem grundlegenden Umdenken über die normalen Vertriebsmethoden drängen. Die Vertriebsbranche als Ganzes ist jedoch durchaus widerstandsfähig und sie hat immer neue Wege gefunden, Hindernisse, Rückschläge und Verzögerungen zu umschiffen.
Für Distributoren, die sich neuen Technologien öffnen, welche einen besseren, schnelleren und effizienteren Transport ermöglichen, gibt es zahlreiche Chancen. Der Umgang mit neuen Technologien kann auch dazu führen, veraltete Arbeitspraktiken auszumachen, die möglicherweise aufgegeben werden sollten. Ich glaube, dass dies entscheidend ist. Um so etwas zu verwirklichen, sind jedoch oft die Zustimmung der Geschäftsleitung und jemand, der sich intern dafür einsetzt, erforderlich.
Welche Faktoren sollten Unternehmen bei der Auswahl der Vertriebskanäle für ihre Produkte berücksichtigen?
Jürgen Ruben: Die Wahl sollte in erster Linie vom Zielmarkt eines Distributors geleitet sein. Er muss die Vorlieben und Verhaltensweisen seiner Kunden kennen.
Bei Vertriebskanalentscheidungen hilft es natürlich, ein Auge darauf zu haben, was die Konkurrenz macht. Zum Glück ist es einfacher denn je, solche Wettbewerbsdaten zu sammeln, aber den wahren Wert liefert deren Interpretation.
Auch der Vertriebsprozess selbst ist wichtig. Funktioniert der Direktvertrieb besser oder bieten indirekte Kanäle einen breiteren Zugang zur Zielgruppe? Auch hier sollte eine entsprechende Datenanalyse zusammen mit menschlicher Erfahrung und Fachwissen dazu beitragen, solche Entscheidungen zu treffen.
Wie können Unternehmen im Zeitalter des Just-in-Time-Bestands ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Lagerbeständen und Kundennachfrage sicherstellen?
Jürgen Ruben: Unternehmen versuchen tendenziell, die Lagerkosten zu minimieren, indem sie nur die Menge zur Deckung der unmittelbaren Nachfrage lagern. Um jedoch ein Gleichgewicht zwischen Lagerbeständen und Kundennachfrage aufrechtzuerhalten, sind Prognosen von entscheidender Bedeutung. Das kann eine Herausforderung darstellen, wenn unvorhergesehene Faktoren wie die der letzten Jahre ins Spiel kommen, aber die Berücksichtigung der Möglichkeit ist jetzt in den Fokus gerückt. Zum Glück machen historische Verkaufsdaten in Verbindung mit aktuellen Analysetools die Prognose einfacher und genauer.
Neben dem Lagerbestand investiert Farnell viel Zeit und Arbeit nicht nur in die Prognose, sondern auch in die Vorausplanung. Diese Erkenntnisse, gepaart mit Investitionen – selbst bei Marktflauten – können es einem Unternehmen ermöglichen, unabhängig von den vorherrschenden Marktbedingungen stabil zu bleiben bzw. sogar zu florieren.
Welche neuen Trends sehen Sie auf dem Distributionsmarkt für die nächsten Jahre voraus und wie sollten sich Unternehmen darauf vorbereiten?
Jürgen Ruben: Menschen fühlen sich mit der Cloud und dem, was sie zu bieten hat, immer wohler und daher wächst die Implementierung des E-Commerce schnell.
Wichtig ist, das Online-Erlebnis nahtlos und einheitlich über alle verfügbaren Kanäle zu gestalten. Kunden erwarten jetzt ein konsistentes Maß an Personalisierung und ein intelligenter Distributor wird in relevante Cloud- und KI-Dienste investieren, um sicherzustellen, dass seine Kunden das Gefühl haben, dass ihr Bestellerlebnis genau auf sie zugeschnitten ist.
Nachhaltigkeit ist ein großer Schwerpunkt und das zu Recht. Die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks durch nachhaltige Verpackungen und verbesserte Transportlösungen wird fortlaufend umgesetzt und überwacht.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei modernen Vertriebspraktiken und wie können Unternehmen umweltfreundliche Lösungen in ihre Lieferketten integrieren?
Jürgen Ruben: Es gibt immer mehr Möglichkeiten, die Transportkosten in der Lieferkette, wo immer es geht, zu minimieren. Hier können aus meiner Sicht die meisten Nachhaltigkeitsgewinne erzielt werden. Durch den direktesten Weg zum Markt wird nicht nur weniger Kraftstoff verbraucht, sondern es werden auch der Warenverderb und damit Rückfahrten minimiert. Eine neue Generation von Track-and-Trace-Mechanismen kommt nun zum Einsatz, um den bestmöglichen Wert aus Vertriebsgütern zu erzielen und gleichzeitig die geringste Menge an Energie für Transport, Lagerung und Temperaturkontrolle zu verbrauchen.
Welche Technologien verändern derzeit den Distributionsmarkt und wie werden sie umgesetzt?
Jürgen Ruben: KI ist und bleibt absolut transformativ. Die Fähigkeit, riesige Datenmengen zu erfassen und sie für präzise Prognosen und Pläne zu nutzen, die sowohl die aktuellen Marktbedingungen als auch potenzielle Szenarien berücksichtigen, wird ein neues Zeitalter in allen Unternehmen definieren. Im Mittelpunkt einer solchen Transformation steht die Verfügbarkeit neuer Edge-Sensorgeräte, die relativ kostengünstig und einfach einzusetzen sind. Alles, von der Verfolgung der Bewegung und des Standorts von Waren über die Überwachung und Vorhersage von Lagerbeständen bis hin zu neuen E-Commerce-Shops und Software-Tools – die oft über die Cloud bereitgestellt werden – wird Distributoren auch in Zukunft zugutekommen.