Ukrainer, die gemeinsam Molotov-Cocktails bauen, ausländische Soldaten, die auf Twitter Tipps geben, wie sich Panzer aufhalten lassen. Hunderttausende Menschen, die weltweit gegen den russischen Angriff auf die Ukraine demonstrieren. Der Ukraine-Krieg hat die Welt verändert. Auch wenn der Fokus der Berichterstattung zu Recht auf den Taten liegt, die Putin und sein Militär in der Ukraine anrichten, wollen wir an dieser Stelle einen Blick auf die Situation der EMS-Unternehmen vor Ort werfen. Grundlage ist ein Artikel auf EMS Now, bei dem der Herausgeber, Eric Miscoll, sich Informationen von Dieter Weiss von in4ma über die EMS-Industrie in der Ukraine, Russland und anderen betroffenen Ländern in Osteuropa eingeholt hat. Dieter Weiss hat gute Kontakte in den Osten und bezieht seine Informationen aus direkten Quellen von vor Ort. (Anmerkung d. Red.: Uns liegen solche Mails zum Teil vor.) Auch zu diesem Thema hält er am 30. März einen Vortrag im Rahmen der National Electronics Society of Hungary.
Welche EMS-Unternehmen gibt es in der Ukraine?
Laut Weiss gibt es acht EMS-Unternehmen in der Ukraine
- Arton Pp in Czernowitz
- Flextronics (Flekstroniks) in Mukachevo
- IKT Elektroniks TOV in Tschernihiw
- Kontrakt Elektronika TOV in Kiew
- Jabil Circuit Ukraine Ltd. (Dzheibil Sorkit Yukrein) in Uzhgorod
- SEA Elektroniks Ukraina TOV in Kiew
- Tochprilad, PrJSC, Werk von Mukachevo Tochprilad
- VD Mais (NAUKOVO-VYROBNYCHA FIRMA VD MAIS, PP) in Kiew
Im Jahr 2017 lag die ukrainische EMS-Produktion bei rund 300 Millionen Euro. Seitdem ist sie erheblich zurückgegangen und dürfte jetzt nur noch etwas mehr als die Hälfte davon betragen, nämlich etwa 170 Millionen Euro im Jahr 2021. Insgesamt waren dort 6750 Menschen beschäftigt. Zum Vergleich: Die gesamte EMS Produktion in Deutschland lag 2020 bei 6,93 Mrd. Euro und die Beschäftigtenzahl lag bei etwa 43000.
Drei der EMS befinden sich in Transkarpatien, der westlichsten Oblast (Gebiet) der Ukraine, wo die Menschen Ukrainisch und Ungarisch sprechen. Zwei Unternehmen befinden sich in Kiew, eines in Czernowitz nahe der rumänischen Grenze und eines in Tschernihiw, das nordöstlich von Kiew liegt und zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts besetzt ist. Transkarpatien grenzt an Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen.
Welche Folgen hat der Krieg auf die Mitarbeiter in den EMS-Unternehmen
Die Menschen sind Dieter Weiss zufolge wütend über den Einmarsch Putins und bereit zu kämpfen, wobei sie zuversichtlich sind, dass sie sich durchsetzen werden. Ihre Hoffnung, dass der Krieg bald zu Ende sein wird und sie einfach wieder an die Arbeit gehen können, schwinde von Tag zu Tag, da die Russen immer mehr ihrer Infrastruktur zerstören. Dies wird zweifellos dazu führen, dass die in der Ukraine tätigen EMS-Unternehmen nicht mehr normal arbeiten können.
Andere angrenzende Länder, die möglicherweise in Putins Invasionspläne einbezogen sind, werden wahrscheinlich nervös. Dazu gehört die Republik Moldau (Moldawien), die ebenso wie Georgien einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hat; wie Weißrussland hat auch die Republik Moldau russisches Militär innerhalb ihrer Grenzen stationiert. Zudem hat – so wie die Ukraine abtrünnige Gebiete mit Donbas und Luhansk hat – die Republik Moldawien ein Gebiet Transnistrien, welches sich von der Republik Moldawien gelöst hat, Russland-freundlich ist und in dem russische Truppen stationiert sind. Transnistrien hat bereits 1990 seine Unabhängigkeit von Moldawien erklärt und es hat zeitweise auch Kämpfe dort gegeben. In Folge haben die Russen ca. 1500 Soldaten nach Transnistrien entsandt, die dort fest stationiert sind und nun auch in die Kämpfe mit Ukraine eingreifen. Moldawien hingegen ist demokratisch und versucht sich als neutraler Staat ähnlich der Schweiz zu positionieren.
Ein damit zusammenhängendes Problem, das auftauchen könnte, sind ukrainische Arbeiter in anderen Ländern, die in die Ukraine zurückkehren, um gegen die Russen zu kämpfen. Berichten zufolge sind über 66.000 Ukrainer aus dem Ausland zurückgekehrt, um zu kämpfen. Laut den Informationen von Dieter Weiss sind ukrainische Staatsangehörige in anderen osteuropäischen Ländern wie Ungarn und der Tschechischen Republik in der EMS-Branche tätig sind, so dass diese mit Arbeitsunterbrechungen rechnen müssen.
Wein für die Freiheit
Ein Wein mit dem Namen Freedom Blend wurde vor drei Jahren aus moldawischen, ukrainischen und georgischen Trauben von der moldawischen Winzerei Purcari gekeltert. Der Name Freedom Blend ist laut Einschätzung von Dieter Weiss ein Zeichen dafür, dass die Menschen schon seit Jahren wissen, wie fragil die Lage dort ist. Er hat den Wein letztes Jahr von dem moldawischen Elektronik Verband ACEM geschenkt bekommen, mit dem in4ma eine Kooperation hat.
Was ist mit der EMS-Industrie in Russland
Russland verfügte vor der Invasion über eine ansehnliche EMS-Industrie, die zweifelsohne unter den Folgen des Krieges und den Sanktionen leiden wird. Das Produktionsvolumen für russische EMS betrug fast 1 Milliarde Euro. Russland ist ein Markt mit 142 Millionen Einwohnern, und die meisten EMS-Unternehmen produzierten dort Produkte für den lokalen Markt.
Es gibt etwa 60 EMS-Unternehmen, die in Russland tätig sind. Dazu gehören große multinationale EMS wie Jabil (USA), Orbit One (Schweden), Sangfei CEC Electronics Rus (China), TDR Russia (Finnland), TPV Group (China), Vestel CIS (Türkei), verschiedene chinesische und koreanische EMS-Unternehmen und auch einige einheimische EMS.
Die vielen kleineren EMS bedienen ausschließlich den russischen Markt, während die chinesischen und koreanischen EMS Unterhaltungselektronik (TV, Radio, Stereoanlagen usw.) für den heimischen Markt herstellen. Russland exportierte im Jahr 2020 elektrische/elektronische Waren im Wert von 6258,7 Millionen Euro, von denen 4222,7 Millionen nach Europa gingen. Interessanterweise gingen nur 18 % davon in die Europäische Union, d. h. 82 % gingen in andere europäische Länder, von denen Weißrussland (23,4 %) und die Ukraine (7,7 %) den größten Anteil hatten. Es dürfte demnach keine ernsthaften Auswirkungen haben, wenn Russland keine Elektronik in den Westen verkaufen kann.
Welche Folgen haben die Sanktionen für die russische Elektronikindustrie?
Die Einfuhren von elektrischen/elektronischen Waren nach Russland waren viel größer und machten 34.989,5 Millionen Euro aus. Der größte Anteil kam aus dem Russland noch freundlich gesinnten China (40,7 %), gefolgt von Deutschland (7,5 %), den USA (3,9 %), Weißrussland (3,2 %), Polen (2,6 %), Italien und Tschechien (je 2,4 %), Frankreich (1,7 %) sowie der Ukraine, den Niederlanden und der Türkei (je 1 %).
Unter der Flut von Sanktionen, die von Ländern und Unternehmen gleichermaßen gegen Russland verhängt wurden, dürfte die Elektronikindustrie in Russland leiden. Über 100 Unternehmen haben angekündigt, dass sie ihre Geschäfte mit Russland einstellen wollen. Laut Dieter Weiss betreiben einige Erstausrüster (OEMs) weiterhin ihre Produktionsstätten in Russland; die Abkopplung der Hardwareproduktion als Reaktion auf die weltweite Zensur gegen Russland könnte einfach mehr Zeit in Anspruch nehmen als andere Arten von Unternehmen.
Der einzige Vorbehalt ist China. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat China nicht den Wunsch geäußert, seine Geschäfte mit Russland einzuschränken, so dass Eric Miscoll und Dieter Weiss davon ausgehen, dass diese Lieferkette von der Invasion unberührt bleiben wird. Die Zeit wird es zeigen.