Serendipität in der Elektronik: Kreative Illustration einer Werkbank mit Elektronikkomponenten, leuchtenden Schaltungen und einem Moment unerwarteter Inspiration.

Aus dem Chaos entstehen manchmal die besten Ideen: Auch die Elektronik ist voller Beispiele, wie zufällige Entdeckungen zu bahnbrechenden Innovationen führen können. (Bild: Dalle 3 / OpenAI)

In der Elektronik und Elektrotechnik entstehen viele Innovationen nicht nur durch gezielte Experimente, sondern auch durch überraschende Zufälle – der sogenannten Serendipität. Viele dieser serendipitären Entdeckungen haben die Forschung und Entwicklung revolutioniert. Dieser Artikel beleuchtet einige dieser bemerkenswerten Erfindungen und zeigt, wie wichtig es ist, offen für das Unerwartete zu bleiben.

Der Transistor – Revolution durch Zufall und gezielte Forschung

Die Entwicklung des Transistors erfolgte 1947 in den Bell Telephone Laboratories und gilt als eine der bedeutendsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts – hatte aber auch den Zufalls als Helfer. So arbeiteten John Bardeen und Walter Brattain unter der Leitung von William Shockley daran, eine Alternative zu den anfälligen Vakuumröhren zu entwickeln, die damals als Verstärker und Schalter für elektrische Signale dienten. Bei einem ihrer Experimente beobachteten sie zufällig, dass die Oberflächenladung an einem Germaniumkristall das elektrische Verhalten beeinflusste. Diese zufällige Entdeckung führte zu einem tieferen Verständnis der Halbleitereigenschaften, das letztlich zur Erfindung des Transistors führte. Dieses Bauteil war klein, effizient und verbrauchte wenig Energie – Eigenschaften, die die Basis für die gesamte Mikroelektronik legten. Die Entwicklung des Transistors löste die sogenannte „Halbleiterrevolution“ aus und bereitete den Weg für die moderne Computertechnologie und viele andere elektronische Geräte.

Russell S. Ohl: Die (nicht ganz zufällige) Entdeckung des p-n-Übergangs

Manchmal führt akribische Forschung zu einer Entdeckung, die die Welt verändert – und zwar auf eine Weise, die auf den ersten Blick wie ein glücklicher Zufall erscheint. So erging es Russell S. Ohl, einem Elektrochemiker bei den Bell Laboratories. 1940 untersuchte er Halbleiterkristalle und bemerkte bei einer Probe mit einem Riss etwas Ungewöhnliches: Der Widerstand des Materials änderte sich drastisch, sobald Licht darauf fiel. Ohl stellte fest, dass der Riss den Kristall in zwei Zonen mit unterschiedlichen Verunreinigungen teilte – ein Effekt, der später als p-n-Übergang bekannt wurde.

Was wie ein unerwartetes Phänomen wirkte, sah Ohl selbst nicht als Zufall an. In einem Interview erklärte er, dass diese Entdeckung das Ergebnis jahrelanger systematischer Forschung und intensiver Zusammenarbeit mit Kollegen war. Die Erkenntnisse aus seiner Arbeit legten den Grundstein für die Entwicklung moderner Solarzellen, die erstmals 1954 bei Bell Labs realisiert wurden.

Wenn der Zufall Pate steht: Was ist Serendipität?

Serendipität (engl. Serendipity) beschreibt das faszinierende Phänomen, unerwartete und positive Entdeckungen zu machen, während man eigentlich nach etwas anderem sucht. Es handelt sich dabei um weit mehr als einen glücklichen Zufall, denn sie setzt Achtsamkeit, Kreativität und die Fähigkeit voraus, das Unerwartete als bedeutungsvoll zu erkennen. Daher ist ein wesentliches Merkmal von Serendipität die Bereitschaft, aufmerksam zu sein und Gelegenheiten zu erkennen. Kreativität und Neugier ermöglichen es, auf unvorhergesehene Ereignisse flexibel zu reagieren und neue Wege zu erkunden.

Weitere Beispiele aus der Nicht-Elektronik-Geschichte verdeutlichen dies: So entdeckte Alexander Fleming Penicillin, als er bemerkte, dass Schimmelpilzsporen Bakterien abtöten, Spencer Silver entwickelte einen schwach klebenden Kleber, der später zur Erfindung der Post-it Notes führte oder Viagra wurde ursprünglich zur Behandlung von Herzproblemen entwickelt, bevor seine unerwarteten Nebenwirkungen zu einer neuen Anwendung führten. Um nur ein paar zu nennen.

Ein hochreiner Silizium-Einkristall, gezüchtet mittels des Czochralski-Verfahrens (CZ-Verfahren). Bei diesem Prozess wird ein Seed-Kristall in eine geschmolzene Siliziumschmelze getaucht und langsam herausgezogen, während eine gegenläufige Rotation von Tiegel und Kristall für gleichmäßiges Kristallwachstum sorgt. Der resultierende Ingot kann mehrere Meter lang sein und wird später in dünne Siliziumwafer geschnitten.
Ein hochreiner Silizium-Einkristall, gezüchtet mittels des Czochralski-Verfahrens (CZ-Verfahren). Bei diesem Prozess wird ein Seed-Kristall in eine geschmolzene Siliziumschmelze getaucht und langsam herausgezogen, während eine gegenläufige Rotation von Tiegel und Kristall für gleichmäßiges Kristallwachstum sorgt. Der resultierende Ingot kann mehrere Meter lang sein und wird später in dünne Siliziumwafer geschnitten. (Bild: Bjoern Wylezich)

Maxwells elektromagnetische Theorie des Lichts

Der schottische Physiker und Mathematiker James Clerk Maxwell entwickelte eine Theorie der elektromagnetischen Felder, in der er entdeckte, dass sich elektromagnetische Wellen mit einer Geschwindigkeit ausbreiten, die der des Lichts bemerkenswert nahekommt. Maxwell kam daraufhin zu dem Schluss, dass Licht selbst eine Form elektromagnetischer Strahlung ist. Interessanterweise war es nicht Maxwells ursprüngliche Absicht, das Licht zu erklären, sondern er erkannte den Zusammenhang zwischen Licht und elektromagnetischen Wellen durch seine Berechnungen. Diese Erkenntnis wurde später durch Heinrich Hertz experimentell bestätigt und bildet heute die Grundlage für die gesamte Funk- und Radiotechnik.

Czochralski-Verfahren – Zufallsfund in der Materialforschung

Jan Czochralski entdeckte sein nach ihm benanntes Verfahren zufällig, als er seine Schreibfeder versehentlich in flüssiges Zinn eintauchte statt in das Tintenfass. Dabei bemerkte er, dass an der Feder ein dünner Zinnfaden hing. Nach genauer Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich dabei um den ersten gezogenen Einkristall handelte. Heute wird diese Methode bei der Herstellung von Silizium-Einkristallen verwendet, die als Basis der modernen Mikroelektronik dienen. Das Czochralski-Verfahren ist für etwa 95 % der weltweiten Siliziumproduktion verantwortlich und bildet eine zentrale Grundlage für die Halbleiterindustrie.

Galvanismus – Die Entdeckung der „tierischen Elektrizität“

Luigi Galvani entdeckte 1780 durch einen glücklichen Zufall die „tierische Elektrizität“, als er bei der Präparation von Froschschenkeln feststellte, dass diese sich krampfartig zusammenzogen, sobald sie mit einem metallischen Instrument in Kontakt kamen, während eine Elektrisiermaschine Funken schlug. Diese Entdeckung legte den Grundstein für das Verständnis bioelektrischer Prozesse und inspirierte spätere Forschungen zur Elektrizität.

Ausgezeichnetes "Spielen": Der Mario Markus Preis für Ludische Wissenschaft

Der Mario Markus Preis für "ludische" Wissenschaft wurde von Prof. Dr. Mario Markus, emeritierter Physikprofessor der TU Dortmund, ins Leben gerufen, um die spielerische Wissenschaft in Chemie und Physik zu fördern. Der mit 10.000 € dotierte Preis zeichnet wissenschaftliche Arbeiten aus, die aus Neugier und ohne konkrete Anwendungserwartung entstanden sind. Der Begriff „ludisch“ bezieht sich dabei auf Entdeckungen, die aus rein spielerischem Forscherdrang entstanden sind.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) organisiert den internationalen Wettbewerb und vergibt den Preis. Der Preis wird erstmals im Jahr 2022 vergeben. Ziel des Preises ist es, die Freude am Forschen und kreative Ansätze in der Wissenschaft zu würdigen. Der erste Preis ging 2022 an ein Team bestehend aus Dr. Johann Ostmeyer (University of Liverpool), Christoph Schürmann und Prof. Dr. Carsten Urbach (beide Universität Bonn). Sie untersuchten das Flugverhalten von Bierdeckeln und überzeugten die Jury durch ihren unkonventionellen Ansatz. 2023 ging der Preis an die Wissenschaftlerin Juliane Simmchen von der TU Dresden und der University of Strathclyde. In ihrer Arbeit untersuchte sie das biomimetische Verhalten künstlich erzeugter aktiver Materie. Besonders hervorgehoben wurde ihre Publikation „Apparent phototaxis enabled by Brownian motion“, die beispielhaft den spielerischen Ansatz der Forschung veranschaulicht.

Das vielleicht berühmteste Röntgenbild zeigt die Hand von Albert von Köllikers linker Hand, die Wilhelm Röntgen bei einem öffentlichen Vortrag präsentierte.
Das vielleicht berühmteste Röntgenbild zeigt die Hand von Albert von Köllikers linker Hand, die Wilhelm Röntgen bei einem öffentlichen Vortrag präsentierte. (Bild: Gemeinfrei)

Röntgens Entdeckung der X-Strahlen

Obwohl nicht direkt der Elektronik zuzuordnen, ist Wilhelm Conrad Röntgens zufällige Entdeckung der X-Strahlen 1895 ein klassisches Beispiel für Serendipität in der Wissenschaft. Während Experimenten mit Kathodenstrahlen bemerkte Röntgen unerwartet ein Leuchten auf einem Fluoreszenzschirm. Sein vorbereiteter Geist erkannte sofort die Bedeutung dieser Beobachtung, was zur Entdeckung der nach ihm benannten Röntgenstrahlung führte.

Die Mikrowelle – Eine süße Entdeckung

Die Entdeckung der Mikrowellenstrahlung für den praktischen Gebrauch ist ein Paradebeispiel für Serendipität. Percy Spencer, ein Ingenieur bei der Raytheon Company, arbeitete während des Zweiten Weltkriegs an der Verbesserung von Magnetrons – Bauteilen, die in Radarsystemen verwendet werden. Während eines Experiments bemerkte Spencer, dass ein Schokoriegel in seiner Tasche zu schmelzen begann. Fasziniert von diesem Phänomen führte er weitere Tests durch und stellte fest, dass Mikrowellen dazu in der Lage waren, Lebensmittel zu erhitzen.

Um seine Entdeckung zu verifizieren, platzierte er Popcornkörner und ein Ei in der Nähe der Mikrowellenquelle. Das Popcorn begann zu platzen, und das Ei explodierte. Diese Beobachtungen führten schließlich zur Entwicklung des ersten Mikrowellenofens, der 1947 unter dem Namen "Radarange" vermarktet wurde. Ursprünglich war dieser Ofen sehr groß und teuer, wurde aber im Laufe der Zeit für den Haushalt angepasst.

Entdeckung der Spiegelneuronen durch Giacomo Rizzolatti

Ein Beispiel, das eher aus der Biologie stammt: Der italienische Neurowissenschaftler Giacomo Rizzolatti entdeckte die sogenannten Spiegelneuronen, als er zufällig eine Banane aß und bemerkte, dass die motorischen Neuronen eines beobachtenden Affen daraufhin elektrische Signale abfeuerten – obwohl der Affe selbst keine Handlungen ausführte. Diese Neuronen reagierten sowohl, wenn der Affe eine Handlung ausführte, als auch, wenn er sie nur bei anderen beobachtete. Die Entdeckung der Spiegelneuronen war revolutionär, da sie eine wichtige Grundlage für das Verständnis sozialer Interaktionen und Lernprozesse lieferte und viele neue Forschungsbereiche inspirierte, auch im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion.

Wie ein "falscher" Widerstand zum Lebensretter wurde

Wilson Greatbatch revolutionierte die Herzmedizin durch eine zufällige Entdeckung. 1956, während er an einem Gerät zur Aufzeichnung von Herzrhythmen arbeitete, verwendete er versehentlich einen Widerstand mit der falschen Größe. Statt Herzschläge zu registrieren, erzeugte das Gerät elektrische Impulse, die dem Rhythmus eines gesunden Herzens ähnelten. Dieser "Fehler" inspirierte ihn, ein Gerät zu entwickeln, das kranke Herzen durch gezielte Stromstöße unterstützen konnte.

In einer Scheune hinter seinem Haus arbeitete Greatbatch an einem implantierbaren Herzschrittmacher. 1960 wurde der erste Prototyp erfolgreich in einem Patienten eingesetzt, und zwei Jahre später erhielt er das Patent für seine bahnbrechende Erfindung. Diese Technologie hat seither Millionen Menschenleben gerettet.

Warum Serendipität in der Elektronikforschung heute noch wichtig ist

Moderne Elektronikforschung basiert auf Präzision und Zielgerichtetheit – doch die Rolle des Zufalls bleibt entscheidend. Viele Durchbrüche entstehen oft nicht durch das strikte Verfolgen einer Hypothese, sondern durch Offenheit gegenüber unerwarteten Ergebnissen. Diese Offenheit fördert neue Anwendungen und Technologien, die ursprünglich nicht das Ziel der Forschung waren.

Heute wird Serendipität gezielt gefördert, indem Forscher ermutigt werden, ungewöhnliche Ergebnisse als potenzielle Quelle neuer Erkenntnisse zu betrachten. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine offene Forschungskultur ermöglichen es, innovative Anwendungen und neue Technologien zu entdecken, die durch Zufall ans Licht kommen. So gibt es in der modernen Forschung verschiedene Ansätze, um den Zufall gezielt zu unterstützen:

  • Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen: Mit KI-gestützten Systemen können große Datenmengen effizient analysiert werden, wobei oft unerwartete Muster oder Zusammenhänge entdeckt werden.
  • Virtuelle Labore und Simulationen: Simulationen ermöglichen es, verschiedene Experimente schnell durchzuführen und dabei auch unorthodoxe Ansätze zu testen.
  • Offene Forschungskultur: Durch Open-Source-Projekte und die Zusammenarbeit mit externen Partnern werden unterschiedliche Perspektiven integriert, was neue und oft unerwartete Erkenntnisse fördert.

Wie Serendipität die Zukunft der Elektronik gestalten könnte

Die Rolle der Serendipität wird auch in Zukunft von Bedeutung sein, besonders mit Blick auf Technologien wie Quantencomputer und Nanotechnologie. In der Elektronik und Elektrotechnik wird die Offenheit gegenüber dem Unerwarteten weiter dazu beitragen, wichtige Innovationen voranzubringen und unser Verständnis der Welt zu erweitern.

Der Autor: Dr. Martin Large

Martin Large
(Bild: Hüthig)

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.

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