
Im Interview mit Andy Heinig vom Fraunhofer IIS wird die vielversprechende Technologie der Chiplets für die Automobilbranche beleuchtet, wobei Heinig die Vorteile und Herausforderungen, insbesondere die Notwendigkeit eines klaren Business Case, anspricht und aufzeigt, warum Euphorie allein nicht ausreicht, um Chiplets erfolgreich zu etablieren.
Im Hintergrund: Fine-Pitch-Package-Substrat für ein multifunktionales System-on-Chip (Bild: Fraunhofer IIS)
Systeme auf Basis von Chiplets gelten als Hoffnungsträger für die nächste Generation von Fahrzeugarchitekturen. Doch während Nvidia, AMD und Intel längst produktiv damit arbeiten, hinkt die Automobilbranche hinterher – aus gutem Grund, wie Andy Heinig im Interview mit all-electronics.de erklärt. Der Leiter des Chiplet Center of Excellence, welches von den Instituten Fraunhofer IIS, Fraunhofer ENAS und Fraunhofer IZM gegründet wurde; spricht über Standardisierungsbedarf, Kostenfallen, Anwendungspotenziale und die große Ernüchterung nach dem Hype.
Herr Heinig, was genau versteht man unter Chiplets – und worin unterscheiden sie sich von klassischen SoCs?
Andy Heinig: Der klassische System-on-Chip (SoC) ist ein monolithischer Halbleiter, der alle Funktionalitäten vereint. Das ist effizient, stößt aber an physikalische und wirtschaftliche Grenzen: Die Größe eines SoCs ist limitiert, und je größer er wird, desto schlechter wird die Ausbeute. Chiplets hingegen verteilen die Funktionalität auf mehrere kleinere Bausteine, die über ein standardisiertes Interface in einem Package zusammenarbeiten. So lassen sich hochperformante Systeme bauen – flexibler und mit potenziell höherer Ausbeute.
Was ist daran neu? Multi-Chip-Module (MCMs) gibt es ja schon lange.
Richtig, aber Chiplets bringen eine entscheidende Neuerung: ein standardisiertes Interface, wie etwa UCIe, das steht für Universal Chiplet Interconnect Express. Ursprünglich wurde das von Intel angestoßen. Ziel ist es, interoperable Bausteine unterschiedlicher Hersteller wie Legosteine kombinieren zu können. Diese Offenheit gab es bei proprietären MCMs nie – und genau darin liegt das disruptive Potenzial.
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Welche Vorteile bietet der Chiplet-Ansatz für die Automobilbranche?
Gerade in Europa haben wir viele Anwendungen mit geringen Stückzahlen, aber hohen technischen Anforderungen – zum Beispiel bei bildverarbeitenden Steuergeräten oder industriellen Systemen. Für diese Szenarien lohnt sich kein individualisiertes SoC. Mit Chiplets lässt sich eine Plattformstrategie umsetzen: Standardisierte Grundbausteine können kombiniert und durch applikationsspezifische Chiplets ergänzt werden. Das spart Entwicklungskosten und bietet gleichzeitig Flexibilität.
Aber genau diese Plattformstrategie scheint in der Automobilbranche bisher nicht richtig anzukommen. Warum?
Weil es bislang keinen tragfähigen Business Case gibt. Im Cloud-Umfeld funktioniert Chiplet-Packaging wunderbar – dort kostet eine KI-Beschleunigerkarte von Nvidia gerne 30.000 Dollar. Wenn das Package 1.000 Dollar kostet, ist das akzeptabel. Im Automotive-Sektor ist das völlig undenkbar. Dort wird jede Platine auf den Cent kalkuliert.
Das klingt ernüchternd.
Ja, und genau das war dieses Jahr auf dem dritten internationalen Chiplet Summit deutlich spürbar. Während in den beiden Vorjahren Euphorie herrschte, war diesmal Realismus angesagt. Ich sage es noch einmal: Chiplets sind kein Selbstzweck – sie brauchen einen klaren Business Case, vor allem in preissensiblen Märkten wie Automotive. Solche Business Cases erarbeiten wir gerade gemeinsam mit Vertretern aus der Automobilindustrie entlang der Wertschöpfungskette vom Hersteller über die Zulieferer.
Was sind generell derzeit die größten Hürden für Chiplets im Fahrzeug?
Wir sehen drei zentrale Herausforderungen:
- Die ansgeprochene Kostenstruktur: Ein SoC ist in der Regel günstiger als ein Chiplet-System. Chiplets lohnen sich erst, wenn sie in einer durchdachten Architektur systemweit Vorteile bringen – etwa durch Wiederverwendbarkeit oder kürzere Entwicklungszeiten.
- Rollenverteilung in der Lieferkette: OEMs, Tier-1s und Tier-2s müssen sich neu positionieren. Wer entwickelt? Wer integriert? Wer profitiert? Diese Fragen sind ungeklärt – und ohne wirtschaftliche Anreize wird niemand in Vorleistung gehen. Ein klassisches Henne-Ei-Problem.
- Technologierisiken: Neue Plattformarchitekturen brauchen Jahre. Wer heute entscheidet, 2030 ein Chiplet-System ins Fahrzeug zu bringen, muss sich sehr sicher sein – oder bereit sein, große Risiken einzugehen. Das passt nicht zur etablierten Automobilwelt. Asiatische Hersteller hingegen gehen hier leichter ins Risiko.
Alles zur Automotive Computing Conference
Die Automotive Computing Conference konzentriert sich auf die Herausforderungen der Sicherheit, der funktionalen Sicherheit, der Cloud-Konnektivität und der zunehmenden Komplexität des Fahrzeugdesigns. Das Ziel ist es, traditionelle Ansätze zu revolutionieren und an die Bedürfnisse der Automobilindustrie anzupassen. Hochkarätige Referenten werden am 13. und 14. November 2025 in München in die Welt des Automotive High Performance Computing eintauchen und ein breites Spektrum an Aspekten abdecken.
Weitere Infos zur Automotive Computing Conference gibt es hier oder auf dem LinkedIn-Kanal.
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Zudem gab es 2025 auch die 2. ACC in Amerika, die dritte folgt am 25. und 26. März 2024 in Detroit.
Angenommen wir wären soweit, welche Anwendungen eignen sich im Auto denn besonders für Chiplets?
Zunächst einmal alle Bereiche, in denen Steuergeräte konsolidiert werden sollen – das ist ein großes Thema in der Branche. Statt hunderte Mikrocontroller einzeln zu betreiben, lassen sich mit Chiplets modulare, skalierbare Steuergeräte entwickeln. Auch KI-Tasks, Bildverarbeitung oder sicherheitskritische Systeme mit applikationsspezifischen Beschleunigern sind prädestiniert. Und auch jenseits des Pkw-Markts – etwa in der Luftfahrt, der Rüstungsindustrie oder im Bereich High-End-Messgeräte – gibt es großes Potenzial.
Und wie sieht es mit Energieeffizienz aus?
Das ist ein weiterer wichtiger Punkt. General-Purpose-Prozessoren sind leistungsfähig, aber ineffizient. Chiplets ermöglichen es, spezifische Recheneinheiten als dedizierte Bausteine auszulagern – für Bildverarbeitung, KI oder Sensorfusion. So lassen sich spezialisierte, energieeffiziente Designs umsetzen – besonders relevant bei Elektrofahrzeugen.
Sie sprachen anfangs über Standards. Was tut sich bei der Standardisierung?
Das elektrische Interface – etwa UCIe oder Bunch of Wires – etabliert sich gerade. Aber das reicht nicht. Es fehlen Standards für Softwareverteilung, für Sicherheitsmechanismen, für das Hochfahren komplexer Multi-Chip-Systeme. Auch das Testen der Chipletsysteme beinhaltet noch große Herausforderungen. Dazu bauen wir im Rahmen der APCES-Pilotlinie und des CCoE ein Testzentrum für Chipletsysteme auf.
Wann rechnen Sie mit den ersten realen Chiplet-Anwendungen im Auto?
Vieles deutet darauf hin, dass 2027 oder 2028 erste Plattformen einsatzbereit sein könnten. Wenn dann Entwicklungsentscheidungen fallen, wäre ein Markteintritt ab etwa 2033 realistisch – zunächst wohl in Premiumfahrzeugen oder Kleinserien.
Wie bringt sich das Fraunhofer IIS/EAS in die Chiplet-Entwicklung ein?
Wir haben gemeinsam mit Partnern das Chiplet Center of Excellence (CCoE) ins Leben gerufen. Dort fokussieren wir uns ganz bewusst nicht nur auf technische Machbarkeit, sondern auf den Transfer in realistische Anwendungen – mit Kostenmodellen, prototypischen Designs und Use Cases. Wir arbeiten dabei eng mit Industriepartnern zusammen.
Wie fällt das Feedback aus der Industrie zu Chiplets aus – und wer sind die typischen Partner im CCoE?
Wir arbeiten mit einem sehr heterogenen Partnerkreis zusammen. Dazu zählen OEMs, Tier-1-Zulieferer, Unternehmen aus Luft- und Raumfahrt sowie der High-End-Messtechnik. Anfangs war die Dynamik groß – gerade als das Thema Chiplets durch autonome Fahrzeuge stark gehypt wurde. Inzwischen spüren wir auch hier eine gewisse Abkühlung. Das liegt zum einen an der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, zum anderen an der globalen Ernüchterung beim autonomen Fahren. Viele Unternehmen haben dort erhebliche Summen investiert, ohne dass sich die Erwartungen kurzfristig erfüllt hätten.
Der Fokus liegt jetzt wieder stärker auf Elektrifizierung, Effizienz und Lösungen, die sich schnell umsetzen lassen. Genau hier setzen wir an: pragmatisch, schrittweise und auf Basis bestehender Architekturen. Denn das ist auch die klare Erwartungshaltung, vor allem aus dem interessierten industriellen Mittelstand: „Kommt mit Lösungen, nicht mit Visionen.“ In anderen Worte: Die Firmen wollen konkrete Ansätze sehen, keine Forschungsprojekte ohne greifbaren Anwendungsbezug.
Chiplets gelten mit als Hoffnungsträger für neue Fahrzeugarchitekturen. Ist der Glaube an diese Vision inzwischen erschüttert?
Nicht ganz, aber sie ist geerdet. Viele haben gedacht, Chiplets seien der nächste große Durchbruch – mit Anwendungen in jedem Fahrzeug. Tatsächlich braucht es dafür aber nicht nur Technik, sondern auch eine tragfähige Ökonomie, klare Rollenverteilungen und realistische Roadmaps. Das ist ein langwieriger Prozess.
Der Autor: Dr. Martin Large

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.