Mehr als 90 Prozent unserer Automotive-Produkte fertigen wir in unseren eigenen Fabriken, und die meisten Produktionsstätten liegen innerhalb Europas

„Mehr als 90 Prozent unserer Automotive-Produkte fertigen wir in unseren eigenen Fabriken, und die meisten Produktionsstätten liegen innerhalb Europas." Michael Anfang Executive Vice President Sales & Marketing EMEA bei STMicroelectronics (Bild: STMicroelectronics)

Herr Anfang, bitte charakterisieren Sie den aktuellen Automotive-Markt aus der Perspektive von ST. Wie sehen Sie Ihre derzeitige Position?

Wir registrieren zurzeit einen sehr dynamischen Markt, natürlich getrieben durch die Megatrends Digitalisierung und Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Damit sind sehr starke Transformationsprozesse verknüpft, die sich beispielsweise auf die Entwicklungsgeschwindigkeit bei den E/E-Architekturen auswirken, aber auch auf die Wertschöpfungskette und die Beiträge, die einzelne Stakeholder hier leisten. Gerade aus der Sicht von uns Halbleiterherstellern resultiert aus diesen Verschiebungen auch ein sehr spannender Markt mit unglaublichen Wachstumsmöglichkeiten. Aktuell verzeichnen wir Design-in-Aktivitäten und eine Design-Win-Pipeline auf Rekordniveau.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Vielleicht besteht ja ein gewisser Nachholbedarf aus den vergangenen Jahren, die vor allem durch Maßnahmen zur Supply-Chain-Absicherung geprägt waren anstatt durch Forschung und Entwicklung. Wir glauben aber, dass die Hauptursache darin liegt, dass Halbleiterlösungen sich immer mehr als Schüsselprodukte etablieren, um die Megatrends zu unterstützen. Ein deutliches Zeichen ist die rasante Zunahme des Werts der eingesetzten Halbleiter. Prognosen sagen für dieses Jahr einen durchschnittlichen Halbleiterwert von 800 US-Dollar je Fahrzeug voraus und dass die 1000-Dollar-Marke nicht mehr weit entfernt ist. Folglich ist Automotive ein Zukunftsmarkt für uns, unabhängig von einer kurzfristig abgeschwächten Nachfrage bei Elektroautos. ST als traditioneller Lieferant von Automobilhalbleitern, mit unseren Stärken bei F&E und in der Fertigung – und mit unseren gewachsenen Kundenbeziehungen – hat hier beste Voraussetzungen, um ein zuverlässiger Partner zu sein.

Auf welche Technologiefelder konzentrieren Sie sich, und was genau sind Ihre spezifischen Stärken?

Automotive bedeutet für uns mittlerweile 40 Prozent unseres Umsatzes. Demzufolge fließen erhebliche Investitionen in Automobil-F&E und auch in die eigene Fertigung. Die größte Stärke ist zweifellos unser breites Technologie- und Produktspektrum: digital, analog, Power, dann der Sensor- und MEMS-Bereich. Besondere Schwerpunkte liegen bei der BCD-Technologie (Bipolar CMOS-DMOS, Anmerkung der Redaktion), bei den Wide-Bandgap-Leistungshalbleitern – Siliziumkarbid –, aber auch bei den Mikroprozessoren und Mikrocontrollern, die wir selbst produzieren. Und das ist ebenfalls ein großes Plus, denn über 90 Prozent unserer Automotive-Produkte fertigen wir in unseren eigenen Fabriken. Die meisten Produktionsstätten liegen innerhalb Europas, was wir unter geopolitischen Aspekten als wichtigen Vorteil sehen.

Michael Anfang von STMicroelectronics im Gespräch mit Dr. Matthias Laasch: „Das enorme Wachstumspotenzial für Automotive-Halbleiter ist Chance und Risiko zugleich.“
Michael Anfang von STMicroelectronics im Gespräch mit Dr. Matthias Laasch: „Das enorme Wachstumspotenzial für Automotive-Halbleiter ist Chance und Risiko zugleich.“ (Bild: STMicroelectronics)
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Wichtig in Bezug auf Siliziumkarbid ist unsere „China-for-China“-Strategie. Wir werden Produkte für China direkt in China herstellen.

Michael Anfang Executive Vice President Sales & Marketing EMEA bei STMicroelectronics

Save the date: 29. Automobil-Elektronik Kongress

Logo zum Automobil-Elektronik Kongress

Am 24. und 25. Juni 2025 findet zum 29. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) in Ludwigsburg statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.

Sichern Sie sich Ihr(e) Konferenzticket(s) für den 29. Automobil-Elektronik Kongress (AEK) im Jahr 2025! Folgen Sie außerdem dem LinkedIn-Kanal des AEK und #AEK_live.

Im Channel zum Automobil-Elektronik Kongress finden Sie Rück- und Vorberichterstattungen sowie relevanten Themen rund um die Veranstaltung.

Was fordert Sie und Ihr Unternehmen derzeit besonders stark heraus?

Dieses gewaltige Wachstumspotenzial im Automobilmarkt ist Chance und Risiko zugleich. Eine wirkliche Herausforderung, besonders für einen Broad-Range Supplier wie ST, ist zum einen das notwendige Investitionsvolumen, um die Produkte weiterzuentwickeln; zum anderen aber auch, in disruptive Technologien – und vor allem in die richtigen Technologien – zu investieren. Hierzu würde ich beispielsweise Vision-basierte SoCs zählen, die wir mit unserem langfristigen Partner Mobileye entwickeln – Leading-Edge-Produkte in 5-nm-Technologie. Eine andere Herausforderung ist es für uns, dass viele der Veränderungen unterschiedlich tief greifen und unterschiedlich schnell vonstatten gehen. Auf dem Weg zu neuen Architekturen für Software-Defined Vehicles beispielsweise hat jeder OEM seinen ganz spezifischen Entwicklungsrhythmus; somit ist es wirklich eine Kunst, genau zur richtigen Zeit die passenden Lösungen parat zu haben. Und schließlich, angesichts starker Nachfragefluktuationen, fordert uns das Management unserer Supply Chain und der richtige Mix in unserer Produktion. Unsere Produktionszeiten liegen bei vier bis sechs Monaten vom Start bis zur Auslieferung, aber größere Schwankungen können durchaus schon in kürzeren Zeiträumen auftreten.

Mit welchen Ansätzen wollen Sie diese Schwierigkeiten bewältigen?

Ganz entscheidend ist hier ein intensiver Austausch mit unseren Partnern, auch direkt mit den OEMs, entlang der Wertschöpfungskette. Andere Maßnahmen betreffen die Art der Lagerhaltung, Stichwort Consignment Stock, und beispielsweise den Einsatz künstlicher Intelligenz, um unsere Fertigung noch effizienter zu gestalten.

Ist auch die Umstrukturierung des Unternehmens zu Jahresbeginn als eine Antwort auf diese Herausforderungen zu sehen?

Zum Teil, ja. Es liegt ganz klar in unserem Fokus, den F&E-Prozess zu stärken, effizienter zu werden, um Innovationen schneller zur Marktreife zu bringen. Dafür haben wir zwei Veränderungen an der Organisationsstruktur vorgenommen: Die F&E-Aktivitäten haben wir in zwei Product Groups gebündelt; zum einen für die Technologiesegmente Analog, Power, MEMS und Sensoren sowie zum anderen für Mikrocontroller, digitale ICs und HF. Deren Mission ist die effiziente Entwicklung von Lösungen mit höchstem Innovationsgrad und kürzestmöglicher Time-to-Market. Außerdem haben wir uns entschieden, eine segmentspezifische System- und Applikationsgruppe aufzubauen, um unser System-Know-how zu stärken und Anwendungsfälle vom Endprodukt her besser verstehen zu können. Hier ist es das Ziel, Produkte marktgerechter definieren zu können und Neuentwicklungen unter Systemaspekten attraktiver zu machen.

Kommen wir gleich zu der erstgenannten Produktgruppe, die ja auch Leistungshalbleiter umfasst. Hier nehmen die Anforderungen mit der Digitalisierung und der Komplexität von Fahrzeugen weiter zu – wie reagieren Sie darauf?

Die wichtigsten Stichworte sind hier Computing Power und Connectivity. Sie treiben den Energiebedarf im Fahrzeug nach oben, und es gilt, die Batterie als besonders kostenintensive Komponente bestmöglich auszunutzen. Damit sind die Forderungen an energieeffiziente Leistungshalbleiter in der Tat sehr stark gestiegen – und an ihre Integration ins Fahrzeug. Besonders Siliziumkarbid ist für uns ein Schlüsselthema. Wir investieren hier sehr viel in Fertigungskapazität, aber auch in F&E; sowohl entlang der Produkt-Roadmaps, aber auch um die Technologie unter Effizienzaspekten weiterzuentwickeln. Somit konzentrieren wir uns auf zwei Ziele: auf die Industrialisierung der SiC-Technologie und auf den weiteren Kapazitätsaufbau.

Beispielsweise in Sizilien?

Ja, dort investieren wir zurzeit in eine Fabrik in Catania, wo wir über vollständig vertikal integrierte Produktionsstrecken verfügen werden. Das sehen wir als eine entscheidende Maßnahme, um künftig Volumina entsprechend der Nachfrage produzieren zu können – die im nächsten Jahr noch weiter steigen wird. Ein ganz wichtiger Punkt in Bezug auf SiC ist aber auch unsere „China-for-China“-Strategie, speziell das Joint-Venture mit unserem chinesischen Partner Sanan. Wir werden unsere SiC-Produkte für den dortigen Markt direkt in China herstellen, mit beachtlichen Vorteilen für unseren Manufacturing Footprint – und natürlich für die Fertigungskosten.

Bleiben wir bei den Kosten. Was tun Sie hier außerdem, in Bezug auf SiC?

Ein entscheidender Schritt zu geringeren Kosten bei Siliziumkarbid ist der Übergang von 150-mm- zu 200-mm-Substraten. Wir arbeiten sehr intensiv daran, das zu industrialisieren und werden in der zweiten Jahreshälfte die 200-mm-Produktion starten.

Entscheidend für die SiC-Kosten ist es, den Übergang von 155-mm- zu 200-mm-Substraten zu industrialisieren.
„Entscheidend für die SiC-Kosten ist es, den Übergang von 150-mm- zu 200-mm-Substraten zu industrialisieren." (Bild: STMicroelectronics)

Bereits eingangs haben Sie das Thema Software-Defined Vehicle angeschnitten. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aspekte beim SDV, welche Herausforderungen und Chancen folgen daraus?

Der SDV-Trend bedeutet natürlich einen fundamentalen Umbruch für die gesamte E/E-Architektur und erfordert größte Anstrengungen. Dem stehen allerdings die Vorteile der Funktionalität und permanenter Update-Möglichkeiten gegenüber. Wir als Halbleiterhersteller sehen hier enorme Wachstumschancen, weil künftige Hardwareplattformen deutlich an Leistungsfähigkeit zulegen, weitere Funktionalität aufnehmen und Skalierbarkeit gewährleisten müssen. ST adressiert hier beispielsweise die Zonencomputer mit Mikrocontrollern und Mikroprozessoren, wir haben aber auch die Aktorik und Sensorik eine Ebene darunter im Blick. Da es keine SDV-Standardarchitektur gibt, hat jeder Kfz-Hersteller seine eigenen Vorstellungen davon, wie die Entwicklung im Detail vorangehen soll. Wie schon gesagt, variieren die Dynamik und die Tiefe sehr.

Wir finden uns also in einem ausgesprochen heterogenen Markt wieder, den es dennoch zur rechten Zeit mit den passenden Produkten zu bedienen gilt. Uns kommt hier vor allem unsere extreme Produktvielfalt zugute, um das richtige Performance-Setup im passenden Zeitfenster anbieten zu können. Und, wie eingangs erwähnt, unser wachsendes Systemverständnis: Das hilft uns bei der spezifischen Weiterentwicklung von Produkten, wie zum Beispiel unserer Stellar-Mikrocontroller und -Mikroprozessoren. Eine enorme Bedeutung haben hier aber auch Lösungen, die eine fortschrittliche Energieverteilung im Fahrzeug unterstützen.

Wie beispielsweise intelligente Switches?

Richtig, sie ersetzen immer häufiger konventionelle Sicherungen oder Relais, sodass man Lasten kontrolliert schalten kann und die funktionale Sicherheit des Systems gewährleistet ist. Man kann sie dann überwachen und ein übergreifendes intelligentes Energiemanagement für das gesamte Fahrzeug installieren. Diesbezüglich entwickeln wir unsere STi2Fuse-Familie intelligenter Schalter weiter, und wir glauben, dass wir damit einen sehr wichtigen Entwicklungspfad beschreiten. Denn die Digitalisierung des Power Grid steigert die Energieeffizienz und eröffnet beispielsweise Möglichkeiten für eine Predictive Maintenance. Und nicht zuletzt für die Optimierung des Kabelbaums, was wiederum eine Gewichtsreduktion und eine bessere CO2-Bilanz bedeutet.

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Partnerschaften vertiefen, um die Probleme unserer Kunden in der Tiefe verstehen zu können ist heute wichtiger denn je.

Michael Anfang, EVP Sales & Marketing bei ST

Welche Anforderungen aus dem Markt sind denn diesbezüglich neu?

Die Basis erfolgreicher Systeme sind nach wie vor leistungsfähige Komponenten und eine effiziente Produktion. Dafür investieren wir etwa 12 Prozent unseres Umsatzes in F&E-Aktivitäten. Damit diese Entwicklungsaufwendungen auch die richtige Marktakzeptanz finden, ist es für uns entscheidend, Partnerschaften zu vertiefen; zu Tier-1-Kunden wie auch zu OEMs, um in der Tiefe verstehen zu können, mit welchen Schwierigkeiten sie kämpfen und welche Probleme sie zu lösen haben. Im Kontext dieses dynamischen Marktumfelds mit all seinem Transformationspotenzial ist das heute wichtiger denn je.

Welche Partnerschaften würden Sie aus ST-Sicht als herausragend bezeichnen?

In meinen mehr als 20 Jahren bei ST ist da vor allem die Zusammenarbeit mit Mobileye zu nennen. Sie hat als kleines Forschungs- und Entwicklungs-Projekt begonnen und ist ein Musterbeispiel für eine langfristig erfolgreiche Kooperation. Wir launchen nun bereits die siebte Generation an EyeQ-SoCs.

Ein anderes Beispiel, das in die Richtung visionärer Innovation geht, ist das Projekt „Software République“, ein kollaboratives Ökosystem, mit Renault und weiteren Industriepartnern. Dazu gehört die sogenannte Human-First-Vision-Plattform, die es den Partnern erlaubt, innovative Technologien wie einen KI-basierten, intuitiven und sicheren biometrischen Fahrzeugzugang an einem Demonstrator zu erproben.

Und nicht zu vergessen unsere Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen, beispielsweise in Initiativen wie Startup Autobahn oder Motor Valley, die uns besonders hier in Europa sehr wichtig ist. Das fördert zum einen unser Systemverständnis, zum anderen haben wir natürlich auch die Hoffnung, daraus große Partnerschaften wie die mit Mobileye entstehen zu lassen.

Smarte Schalter liefern einen Beitrag zur Digitalisierung des Power Grid, was die Energieeffizienz steigert.
„Smarte Schalter liefern einen Beitrag zur Digitalisierung des Power Grid, was die Energieeffizienz steigert." (Bild: STMicroelectronics)

Der 28. AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress steht unmittelbar bevor. Was sind Ihre Erwartungen?

Hochinteressante Themen, hervorragende Keynote Speeches und Top-Class-Beiträge vor allem. Der Kongress hat sich zu einem sehr gelungenen Format entwickelt und ist eine wunderbare Gelegenheit für den fachlichen Austausch – und zwar auf internationaler Ebene. In diesem Jahr stehen sowohl die SDV- als auch die Power-Thematik auf der Agenda, einschließlich Energieverteilung und Energiemanagement. Damit bildet der Automobil-Elektronik Kongress also genau unsere Schwerpunkte ab, und darauf bin ich sehr
gespannt. (na)

Das Interview führte Dr. Matthias Laasch, selbstständiger Fachjournalist, Chefredakteur und Autor.

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