
"Wir empfehlen, immer frühzeitig in der Funktionsentwicklung mit Software-in-the-Loop zu beginnen und sich dort auf die Funktionalität zu konzentrieren." – Dr. Carsten Hoff, CEO von dSPACE (Bild: dSPACE)
Herr Hoff, wie laufen die Geschäfte?
Dr. Carsten Hoff: Wir hatten ein positives Jahr 2024; das Thema Test und Validierung ist nach wie vor ein Fokusthema. Alle wollen schneller werden, und da spielen Test und Validierung immer eine Rolle. Weil die Komplexität und der Software-Anteil in den Fahrzeugen steigen, erhöht sich ganz klar auch der Aufwand in puncto Software-Validierung. Genau genommen ist schon seit geraumer Zeit ohne Software- und Elektronik-Validierung gar keine neue Entwicklung mehr möglich. Die Ansätze verändern sich: weniger Tests auf der Straße, mehr HIL-Tests und in letzter Zeit auch noch deutlich mehr Simulation. Das Thema Software-in-the-Loop, also SIL, war bei uns das Thema des Jahres 2024 schlechthin, und 2025 wird SIL noch einmal wichtiger. Ich war im letzten Jahr bei weltweit über 20 Kunden, und ich habe mit allen über Software-in-the-Loop gesprochen.
Was heißt Software-in-the-Loop konkret?
Dr. Carsten Hoff: SIL heißt, mit dem Testen von Software-Funktionen zu beginnen, ohne dass die Ziel-Hardware zur Verfügung steht, wobei diese Simulation entweder auf einem PC oder in der Cloud abläuft. Damit verkürzt sich die Time-to-Market, weil wir mit dem Testen früher beginnen können und sich darüber hinaus zusätzliche Skalierungsmöglichkeiten ergeben. In China haben mir die OEMs berichtet, dass sie mittlerweile binnen 18 Monaten ein komplettes Auto entwickeln; das ist schon sehr beeindruckend. Wer das in der nötigen Qualität, besonders in Bezug auf neuere, komplexe Fahrzeuge umsetzen will, kommt am gezielten Einsatz von virtuellem Testen nicht mehr vorbei.
Außerdem ermöglicht Software-in-the-Loop bei den Designs auch ein First-Time-Right, denn Fehler lassen sich damit viel früher finden, weil man schon vor der HIL-Validierung einen hohen Reifegrad der Software erzielen kann. Auf unserer Anwenderkonferenz hat unser Partner Stellantis eine ganz interessante Zahl kundgetan. Stellantis ließ in ihrem ersten Projekt Software-in-the-Loop und Hardware-in-the-Loop komplett parallel laufen, um zu sehen, wann sie mit welcher Methode Fehler finden. Das Ergebnis war eindeutig: 80 Prozent der Fehler haben sie bereits in der Software-in-the-Loop-Phase finden können. Daher konnten sie mit einem viel höheren Reifegrad in die Hardware-in-the-Loop-Tests und in die Testfahrzeuge gehen. Stellantis erfasste diese Zahlen rund um ein Projekt, um ein Fahrzeug, um eine Plattform. Im Umkehrschluss können wir natürlich nicht sagen, dass jeder OEM in jedem Fahrzeugprojekt 80 Prozent der Fehler schon in der SIL-Phase findet: Für mich ist die Zahl aber dennoch beeindruckend, denn durch das parallele Arbeiten ist nun belegt, wie wertvoll Software-in-the-Loop-Tests sind.
Welche Rolle spielt das SDV, das Software-defined Vehicle?
Dr. Carsten Hoff: Das Software-defined Vehicle markiert die Transformation von der hardwarezentrierten zur softwarezentrierten Fahrzeugentwicklung. Diese Transformation bedeutet, dass Fahrzeugfunktionen zunehmend durch Software gesteuert und berechnet werden, unabhängig davon, wo die Funktion physisch im Fahrzeug benötigt wird. Wir unterstützen diese Transformation mit flexiblen XIL-Systemen, mit denen unsere Kunden neue Funktionen einerseits unabhängig und komponentenweise, andererseits integriert im Verbund in unterschiedlichen Software- und Elektronikarchitekturen testen können. So bieten wir die Flexibilität, die es bei dieser Art Transformation braucht.
Damit verändern sich aber auch Kompetenzen. In der Vergangenheit enthielt ein Fahrzeug häufig 100 und mehr Steuergeräte. Damals bestand die Integrationsaufgabe darin, 100 Steuergeräte zu integrieren und sie zum Laufen zu bringen, aber das findet jetzt früher und anders statt, weil diese Aufgabe durch die neuen Architekturen eher als Software-Integration erfolgt, und nicht mehr als Steuergeräte-Integration. In der Praxis heißt das, viele Software-Blöcke in Software zu integrieren und in einem Steuergerät zum Laufen zu bringen. Genau das unterstützen wir mit Software-in-the-Loop, und deshalb lassen sich viele unserer Tools auch 1:1 für SDVs weiterverwenden.
Die Durchgängigkeit zwischen Hardware-in-the-Loop (HIL) und Software-in-the-Loop (SIL) ist hier aber entscheidend für die effi-ziente Entwicklung und Validierung von Software-defined Vehicles. HIL und SIL sind komplementäre Testmethoden, die zusammen eine nahtlose Validierungskette bilden.
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dSPACE hat seine Wurzeln in den Bereichen RCP und HIL. Wie hat diese verstärkte Nachfrage nach SIL das Unternehmen verändert?
Dr. Carsten Hoff: Schon heute machen die Software-Entwickler den bei weitem größten Anteil unserer Entwicklungsmannschaft aus. Unser RCP-Business ist immer noch relevant. Wir haben aber schon vor etwa zehn Jahren damit begonnen, uns mit der SIL-Simulation zu beschäftigen. Damals war es eher eine Nischenlösung. Heute steigt die Relevanz der SIL-Lösungen stark an. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass HIL- und SIL-Business eher eine Koexistenz haben werden, weil sich nicht alles per Software-in-the-Loop-Simulation abbilden lässt. Immer dann, wenn es um das Verhalten von Bussen oder um CPU-Lasten geht, kommen wir um Hardware-in-the-Loop nicht umhin. Wir empfehlen daher, immer frühzeitig in der Funk-tionsentwicklung mit Software-in-the-Loop zu beginnen und sich dort auf die Funktionalität zu konzentrieren. Wenn es dann schließlich um die Themen Integration und physikalisches Verhalten geht, ist der Wechsel auf Hardware-in-the-Loop anzuraten – allerdings erst in einer späteren Phase als früher. Man kann das beliebig miteinander kombinieren, und die Durchgängigkeit spielt eine wichtige Rolle.

Im Bereich autonomes Fahren muss jede einzelne Software-Änderung wieder abgesichert werden. Was heißt das in der Praxis?
Dr. Carsten Hoff: In der Praxis gibt es nur eine sinnvolle Konsequenz: Wir müssen von der klassischen Homologation auf der Straße in Richtung digitale Homologation kommen. Das heißt, dass ich mich auf die Simulationsergebnisse verlassen muss, die ich für die Homologation nutze. Um von der klassischen Homologation auf der Straße zur digitalen Homologation zu gelangen, ist es entscheidend, dass die Simulationsergebnisse zuverlässig und präzise sind. Die Verlässlichkeit der Simulationen hängt von der Qualität der verwendeten Modelle und der Genauigkeit der Daten ab. Professionelle Werkzeuge und fortschrittliche Simulationsplattformen von einem erfahrenen Anbieter sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Simulationen realitätsnah und reproduzierbar sind.
Durch den Einsatz solcher professionellen Werkzeuge können Entwickler sicherstellen, dass die Simulationsergebnisse den tatsächlichen Bedingungen entsprechen und somit für die digitale Homologation genutzt werden können. Diese Werkzeuge ermöglichen es dann, zum Beispiel komplexe Szenarien zu modellieren und zu analysieren, die für die Homologation von Fahrzeugen erforderlich sind.
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Wie hoch ist der prozentuale Anteil der digitalen Absicherung?
Dr. Carsten Hoff: Am Ende liegt die Testplanung bei unseren Kunden und nicht bei uns, aber ich bin mir sicher, dass ein größerer Teil digital abgesichert werden muss – alleine schon, weil sonst einfach die Zeit nicht ausreicht. Außerdem schaffe ich es eben auch nicht, alle relevanten Szenarien in der realen Welt zu sehen. Der genaue Anteil ist stark von den eingesetzten Methoden und vor allem den Software- und Elektronikarchitekturen abhängig. Eine genaue Planung machen wir zum Beispiel auch mit unseren Kunden, indem wir ihnen erfahrene Berater zur Seite stellen, die diese Pläne und Teststrategien mit ihnen entwerfen. Klar ist, der Anteil der digitalen Absicherung ist immer signifikant und muss in Zukunft noch größer werden.

„Bei OTA ist es wichtig, die SW-Pipeline, die im Regelfall bei fast allen OEMs über Nacht neue SW baut, direkt in die
Simulation einzubinden."
Sie haben von der digitalen Homologation gesprochen. Wie schaffen es die OEMs, ständig neue Software-Versionen per OTA abgesichert in die Fahrzeuge zu bringen?
Dr. Carsten Hoff: Ein Software-Update muss intensiv abgesichert werden. Aus unserer Sicht ist es dabei wichtig, automatisierte Tests zu haben. Wenn Fahrzeughersteller im Vier-Wochen-Rhythmus Updates anbieten, dann kann das nur funktionieren, wenn ein ganz großer Teil der Tests vollständig automatisiert abläuft und nur noch ein kleinerer Teil manuell beziehungsweise auf der Straße stattfindet. Daher ist es wichtig, die Software-Pipeline, die im Regelfall bei fast allen OEMs über Nacht neue Software baut, direkt in die Simulation einzubinden. Das heißt, direkt nach der Code-Generierung SIL-Tests durchlaufen zu lassen und danach auch HIL-Tests durchzuführen. Wenn die Mitarbeiter dann am nächsten Morgen wiederkommen, sehen sie das Ergebnis und können entsprechend weiterarbeiten.
Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz in diesem Rahmen?
Dr. Carsten Hoff: Bei der Entwicklung spielt die künstliche Intelligenz an ganz vielen Stellen eine Rolle. Wir nutzen KI mittlerweile in den Entwicklungsabteilungen, sogar im Bereich der Software-Generierung, als Unterstützung für die Entwickler. Zudem erzeugen wir Testfälle teilweise mit künstlicher Intelligenz. Die KI generiert uns allerdings immer nur kleine Blöcke, die wir dann gezielt anschauen und manuell nachbearbeiten müssen. Themen wie Architekturen etc. müssen wir nach wie vor vollständig manuell bearbeiten. Aber auch in diesen Bereichen erwarten wir massive Fortschritte in den nächsten Jahren. Derzeit arbeiten wir auch intensiv an der Generierung von Testfällen mit Hilfe von KI. Das Schreiben der Testfälle ist zum Teil eine eher langweilige Arbeit; gerade bei Modul- und Unit-Tests ist das ja eher eine repetitive Tätigkeit. Einerseits kann die KI uns hier einfache Tätigkeiten abnehmen, andererseits entdeckt die KI vielleicht dabei noch eine Testlücke, die beim Spezifizieren des Tests übersehen wurde. Möglicherweise generiert die KI hier noch zusätzliche Testfälle. An der eigentlichen Ausführung der Tests sind wir ganz bewusst nicht beteiligt, denn wir sind kein Engineering-Dienstleister und kein Testhaus.

Welches Geschäftsmodell verfolgen Sie beim Testen?
Dr. Carsten Hoff: Wir orientieren uns an der Testmatrix von ASAM, und auf dieser Basis arbeiten wir von Anfang an partnerschaftlich mit den Kunden zusammen. Wir haben somit ganz wenig Produktgeschäft im Sinne von Katalogware, denn etwa 80 Prozent unserer Systeme sind kundenspezifisch. Diese Systeme setzen immer eine partnerschaftliche Zusammenarbeit und eine intensive Diskussion voraus. Wie sieht das beste System aus für das Problem, das ich lösen will? Deshalb sind wir sehr nah mit vielen Kunden verbunden, und mit einigen gibt es auch formale Partnerschaften. Über einige darf man reden, über andere nicht. Unsere Partnerschaft mit Stellantis ist insofern ein Aushängeschild. Das Unternehmen setzt als einer der ersten wirklich großen Kunden konsequent auf Software-in-the-Loop; es hat sich eine Virtual Workbench gebaut, in der alle Ingenieure arbeiten – mit SIL als integralem Bestandteil. Damit können sie teilweise bereits 18 Monate früher testen und funktionale Simulationen laufen lassen als bei der klassischen Methode, für die stets die Ziel-Hardware verfügbar sein muss.
In welchen Branchen ist dSPACE aktiv?
Dr. Carsten Hoff: Wir sind auch in den Bereichen Aerospace, Landmaschinentechnik sowie in der Medizintechnik und im Bergbau aktiv. Auch der Energiemarkt bietet uns vielversprechende Möglichkeiten, insbesondere durch die Digitalisierung der Stromnetze und die Nutzung von wechselrichterbasierten Einspeisesystemen. Unser Kerngeschäft ist aber das Automobil. Als ich vor Kurzem mit anderen Vertretern der Autoindustrie zu einem Dialog über technologische und digitale Innovation nach Brüssel eingeladen war, konnte ich unsere gesamte Erfahrung mit einbringen. Als wichtige Aspekte habe ich dort einen pragmatischen Umgang mit KI, die Intensivierung der Zusammenarbeit innerhalb der Branche und die Verstärkung von Start-up-Initiativen hervorgehoben, um sowohl die Innovationsgeschwindigkeit als auch die Innovationskompetenz zu fördern. Der Aktionsplan zur Förderung von Innovation, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit, den die EU-Kommission im März veröffentlicht hat, trägt dazu bei, dass unsere Autoindustrie ihre weltweite Führungsrolle erhalten kann. Dass die Stärken von dSPACE bei Simulation und Tools hohe Bedeutung für die Innovationsgeschwindigkeit haben und deshalb ausgebaut werden müssen, ist allen bewusst.

„Wir müssen von der Homologation auf der Straße zur digitalen Homologation kommen. D. h., ich muss mich auf die Simulation verlassen."
Wie erreichen wir, dass ein SDV über die Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg sicher bleibt; was heißt das für die Hauptuntersuchung?
Dr. Carsten Hoff: Wenn wir alle Sensoren des Fahrzeugs von außen stimulieren, dann wird das Fahrzeug zu 100 Prozent reproduzierbar, und das heißt bei uns Vehicle-in-the-Loop, kurz VIL. In Korea überlegen die Behörden, ob solche VIL-Tests im Rahmen der Hauptuntersuchung von Unternehmen, die mit TÜV, DEKRA etc. vergleichbar sind, durchgeführt werden sollen. Dafür sind spezielle Prüfstände erforderlich, um z. B. zu überprüfen, ob das ACC nach einer entsprechenden Stimulation der Radarsensoren auch richtig bremst.
Wie schafft es dSPACE, immer genügend Mitarbeiter zu bekommen?
Dr. Carsten Hoff: Wir haben und wir brauchen exzellente Leute. Die meisten wollen nicht nur eine herausfordernde berufliche Tätigkeit, sondern auch ein hervorragendes Team und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie – das bietet dSPACE. Es spricht sich herum, dass wir ein bewusst familienfreundliches Unternehmen sind. Unsere Kita mit ihrem exzellenten Betreuungsschlüssel und ihrem herausragenden Bildungsangebot ist nur ein Teil davon. Wir geben unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber auch die eine oder andere Flexibilität, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Unsere Firmenkultur eines Familienunternehmens ist wirklich ein Asset, und ich habe das Gefühl, dass bei uns für ein Technikunternehmen mit über 90 Prozent Akademikerquote mehr Frauen arbeiten, als ich das in anderen Unternehmen gesehen habe. Aber wir sind auch weltweit gut vertreten. Von unseren 2800 Mitarbeitern an 30 Standorten arbeiten 1600 in Paderborn.
Das Gespräch führte Alfred Vollmer, selbständiger Fachjournalist, Autor und Moderator.